Berichte aus Brasilien
Wirbel um Ermittlungen der UNO-Sonderberichterstatterin für Todesschwadronen

Zwei Zeugen ermordet, Justizapparat verärgert 
von Klaus Hart

11/03
 
 
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UNO-Sonderberichterstatterin Asma Jahangir, die in Brasilien drei Wochen lang gegen Todesschwadronen ermittelte, traf im Oktober auch mit Staatschef Luis Inacio Lula da Silva zusammen. Die Bilanz ihres Besuches ist für die brasilianische Regierung verheerend, zahlreiche Politiker reagierten verärgert.

In allen 26 Teilstaaten Brasiliens gibt es außergerichtliche Exekutionen, begünstigt durch fast komplette Straflosigkeit. Die Polizei mordet, macht sich über die Mütter der Opfer lustig, der Staat schaut machtlos zu. Die Demokratisierung des Landes kommt deshalb nicht voran. So beurteilte Asma Jahangir die gravierende Menschenrechtssituation im größten lateinamerikanischen Land, löste durch scharfe Kritik am Justizapparat sogar heftigen innenpolitischen Streit aus. Die Justiz, so betonte sie gegenüber Staatschef Lula, arbeite sehr langsam, verurteile nur ganz wenige Angeklagte, sei daher mitschuldig an den unhaltbaren Zuständen. Und sollte daher möglichst bald von UNO-Inspekteuren unter die Lupe genommen werden.

Politiker aus Staatschef Lulas Regierungsbündnis, aber auch von der Opposition wiesen dies ebenso wie die konservativen Medien als nicht hinnehmbare Einmischung in die inneren Angelegenheiten, als Angriff auf die Unabhängigkeit des Landes zurück. Brasilien sei nicht der Irak. Bundesrichter empfahlen regionalen und lokalen Justizbehörden, jegliche Zusammenarbeit mit UNO-Inspekteuren zu verweigern. Daß Staatschef Lula dem Vorschlag der Sonderberichterstatterin zugestimmt habe, sei absurd, nicht hinnehmbar.

Kommentatoren großer Qualitätszeitungen und des Rundfunks betonten jedoch, mit solcher Meinungsmache solle vom Hauptproblem abgelenkt werden: Daß täglich mit Polizeibeamten durchsetzte, aus Polizeibeamten bestehende Todesschwadronen sozusagen im Eilverfahren sozial und politisch unerwünschte Personen zum Tode verurteilten - und diese Todesurteile sofort vollstreckten. In einem Lande, das sich rühme, die Todesstrafe längst abgeschafft zu haben. Das sei der eigentliche Skandal, für den die Justiz zu einem Großteil mitverantwortlich sei. Die UNO-Sonderberichterstatterin habe die Lage korrekt analysiert. 
Aufsehen erregte zudem, daß nun auch ein zweiter Zeuge des Wütens von Todesschwadronen, der mit Asma Jahangir gesprochen hatte, im nordöstlichen Teilstaate Bahia erschossen worden ist. Zahlreiche andere Zeugen, die ihr sachdienliche Informationen gaben, erhielten sofort Morddrohungen, darunter ein katholischer Pfarrer. 

keine deutsche Solidaritätsaktionen für Brasiliens politische Gefangene

Die Sonderberichterstatterin kritisierte gegenüber Staatschef Lula auch die Gewalttaten gegen Angehörige der Landlosenbewegung. Über fünfzig wurden seit Jahresbeginn ermordet, zahlreiche Landlosenführer sind als politische Gefangene in Haft - verurteilt von der konservativen Justiz zumeist wegen "Bandenbildung". 

Bezeichnend, daß selbst in Deutschlands Drittwelt-Szene nach wie vor keinerlei effiziente Solidaritätsaktionen zugunsten dieser politischen Gefangenen, die immerhin seit Juli eingekerkert sind, gestartet wurden. Natürlich vermeiden auch die mit Menschenrechtsfragen befaßten Regierungs-und Parlamentspolitiker Deutschlands bislang wie üblich jede öffentliche Stellungnahme zu den gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Brasilien unter Staatschef Lula. 

Bürgerrechtsorganisationen des Tropenlandes, wie die angesehene Justiça Global erfuhren durch Asma Jahangir erhebliche Rückenstärkung, sehen sich in ihren Analysen bestätigt. Anwalt Sven Hilbig aus Berlin, der seit mehreren Jahren in Rio de Janeiro für Justiça Global arbeitet, hatte gegenüber dem Trend erklärt, daß die EU im Falle Brasiliens gegen die eigenen Menschenrechtsklauseln verstoße. Ein 1999 mit den Mercosur-Ländern geschlossenes Rahmenabkommen sehe vor, daß sich die EU vorbehalte, im Falle gravierender Menschenrechtsverletzungen dieses Abkommen einzufrieren oder sogar aufzukündigen. "Über vierzigtausend Mordtote im Jahr, in Rio über 1200 Menschen ermordet von der Polizei - was soll denn noch passieren? Aus puren wirtschaftlichen Interessen heraus gibt es keine deutsche Kritik an der Menschenrechtslage in Brasilien."

Editorische Anmerkungen:

Der Autor schreibt regelmäßig Berichte aus Brasilien, die er auch dem Trend zur Verfügung stellt. So. z.B.: