Berichte aus Brasilien
Lulas Gensoja-Skandal
Ausgerechnet Politiker seiner Arbeiterpartei ließen verbotenen Anbau genmanipulierter Lebensmittel massiv zu

von Klaus Hart
02/03
 
 
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Deutsche Sojaschrot-Importe doch nicht genfrei, wie immer behauptet

Auch auf dem dritten Weltsozialforum von Porto Alegre protestierten Brasiliens Landlosenbewegung MST, Greenpeace und andere Organisationen wieder heftig gegen  genmanipulierte Nahrungsmittel – doch die Schlacht scheint längst verloren. Staatschef Lulas neuer Minister für Städtefragen, Olivio Dutra, hat daran großen Anteil. Noch letzten Dezember war er Gouverneur des südlichen Teilstaates Rio Grande do Sul, zählte zu den wichtigen Mitorganisatoren des Weltsozialforums in der  Hauptstadt Porto Alegre. Und verkündete immer wieder, Rio Grande do Sul mit allen Mitteln frei von illegalen Gensoja-Plantagen zu halten. Daß es genau andersrum lief, wußte jeder, der es wissen wollte: Dutra und seine zuständigen PT-Behörden setzten in Wahrheit das  Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen nicht durch – der Teilstaat wurde zum Vorreiter für Gensoja in ganz Brasilien; von hier aus rückte es in Regionen vor, wo man es mit den Gesetzen noch weit weniger genau nimmt. 2002 bestand dank PT-Gouverneur Dutra gemäß Schätzungen der Saatguthersteller bereits über die Hälfte der Ernte aus „Soja pirata“.

           Deutsche Bauern verfüttern seit Jahren zunehmend brasilianisches Sojaschrot  - in der guten Gewißheit, daß daran nicht gentechnisch herummanipuliert wurde. Und auch in deutschen Zeitungen steht immer wieder, daß Brasilien mit seinem genfreien Soja auf dem europäischen Markt eine privilegierte Position genieße, deutlich punkten könne. Leider falsch – denn seit mindestens zwei Jahren, so wiesen Fachleute nach, wird Gensoja in Brasilien  angebaut und zusammen mit nicht genmanipuliertem Soja auch exportiert. Beim Weltsozialforum von 2001 hatte der französische Bauernführer Josè Bovè  nahe Porto Alegre gemeinsam mit brasilianischen Landlosen medienwirksam eine Gensoja-Testplantage des Monsanto-Konzerns zerstört, machte damit auch in Europa Schlagzeilen, wurde zeitweilig festgenommen. Die Aktion war leider nutzlos – denn  im  Januar 2003 mußte die Lula-Regierung erstmals zugeben, daß genfrei deklarierte Soja-Exporte durchaus genmanipulierte Beimischungen  enthalten können. Auf eine entsprechende Anfrage der chinesischen Regierung teilte man mit, das sei alles  nicht mehr zu kontrollieren. In den USA geht die Kommission für Welthandel davon aus, daß bereits etwa sechzig Prozent des brasilianische Soja gentechnisch verändert sind. Weit übertrieben, kontert man in Brasilia – höchstens dreißig Prozent seien es – und höchstens fünfzig Millionen Tonnen der nächsten Ernte. Zwar lehnt die neue brasilianische PT-Umweltministerin Marina Silva genmanipulierte Lebensmittel ab, doch der für die Landwirtschaft direkt zuständige Ministerkollege Roberto Rodrigues befürwortet sie geradezu heftig, ist für Gensoja. Resultat: Keine klare politische Linie in Sicht – auch nicht etwaige Sofortmaßnahmen, um den verbotenen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zu stoppen. Die beiden Minister vermeiden Stellungnahmen. Inzwischen wächst der Druck brasilianischer Bauern und Landwirtschaftsverbände auf die neue Regierung, den Anbau zuzulassen. Wie im Nachbarland Argentinien, das fast nur noch „Soja transgenica“ erzeugt. Nirgendwo in Lateinamerika wird mehr geschmuggelt als in den Grenzregionen von Paraguay, Brasilien und Argentinien -–vor allem mit  Waffen, Drogen, Elektronik und Textilien, für  jährlich viele Milliarden Dollar. Inzwischen  existiert auch eine Mafia, die den lukrativen Schmuggel argentinischen Gensoja-Saatguts nach Brasilien organisiert. Wie üblich so gut wie kaum behindert von der brasilianischen Bundespolizei.  Die heiße Ware nennt jedermann Maradona – drei-bis viermal teurer als herkömmlicher Samen. Doch der bringe eben, wie viele Bauern sagen, deutlich mehr Gewinn, senke die Kosten gewaltig . Wo Gensoja wächst, heißt es, treiben viel weniger Unkräuter. Um die zu vertilgen, reiche eine einzige Giftspritzaktion. Schlecht für das Heer der Gelegenheitsarbeiter auf dem Lande, die zu dieser Jahreszeit immer ihr Auskommen hatten.  Denn  jetzt sind die Plantagen erstmals auffällig menschenleer. Durch Gentech-Anbau erhallten  große Saatgut-Multis nur noch mehr Macht, kritisiert die Landlosenbewegung MST, außerdem würden Arbeitsplätze vernichtet. Das wußte auch der damalige PT-Gouverneur und heutige Minister.

 Ohne komplizierte Tests, so die Landwirte,  könne  hier eben niemand feststellen, ob Soja „transgenico“ sei oder nicht.

Auf dem dritten Weltsozialforum wurde eine weltweite Kampagne gegen jene „Transgenicos“ gestartet – den  zu einer Kundgebungsrede kurz angereisten Staatschef Lula forderte man auf , eine klare Position zu beziehen. Vergeblich.

MST-Gentechnik-Experte Eleonor Ferreira stellte in Sao Paulo gegenüber dem Trend klar:“Wir sind entschieden gegen den Anbau von genmanipulierten Pflanzen, aber nicht gegen Biotechnologie – solange sie im öffentlichen Interesse liegt. Wir wollen verhindern, daß wenige Multis sich die Resultate dieser Forschungen aneignen, ihre marktbeherrschende Position ausbauen – und damit eben auch Bauern, Landarbeitern, Verbrauchern ihre Regeln aufzwingen. Man weiß noch zuwenig über die Risiken für die Umwelt, die Gesundheit – genetische Kontaminierung zum Schaden der Artenvielfalt ist möglich. So kann beispielsweise ein Feld mit genmanipuliertem Mais benachbarte Flächen, auf denen traditioneller Mais wächst, kontaminieren – durch die Wirkung des Windes. Hier in Brasilien will der Monsanto-Konzern, daß genauso wie in Argentinien nur noch Gensoja angebaut wird – denn dann hätte er das Monopol bei Saatgut.“

Laut Ferreira braucht die Menschheit noch keine „Transgenicos“ – etwa um mehr Nahrungsmittel zu produzieren – diese gerecht zu verteilen, sei doch derzeit das Problem. „Über Saatgut dürfen nicht wenige Multis bestimmen – es muß Eigentum, Schutzgut der ganzen Menschheit sein.“

Editorische Anmerkungen

Der Autor schickte uns seinen Artikel  mit der Bitte um Veröffentlichung. In den letzten trend-Ausgaben schrieb er über

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Er schreibt regelmäßig Berichte aus Brasilien, die er auch dem Trend zur Verfügung stellt.

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