Berichte aus Brasilien
Lula, der Vertuscher
Linke Weggefährten werfen dem gewählten Staatschef vor, die üblen archaischen Ausbeutungspraktiken seines rechten Vize bewußt und zynisch zu verschweigen

von Klaus Hart
12/02
 
 
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Schon vorm Wahlkampfstart verblüfft der Ex-Gewerkschaftsführer seine linken Mitstreiter der Arbeiterpartei PT mit aufsehenerregend neuen Einsichten über einen alten Bekannten: Milliardär und Textilkonzernbesitzer Josè Alencar, 71, einfach ein Supertyp, armes Schwein gewesen wie wir, hat sich zähe hochgearbeitet, aber seine Wurzeln nicht vergessen, weiß, wie Scheiße das ist, arm zu sein – behandelt deshalb seine Arbeiter richtig klasse. „Mein Bündnis mit Alencar“, verbreitet Lula bis heute, „ist eines der Ethik, des Charakters, der Verpflichtungen gegenüber dem brasilianischen Volk.“ Und selbst im PT-Pressedienst, parteinahen Blättern, Zeitschriften nur Lobeshymnen über Alencar, den „Parceiro ideal“, den idealen Partner. Auflagenstarke Bürgerblätter titeln ähnlich:“ Der Unternehmer des Volkes“. Die Companheiros können bei Alencar keine Ethik erkennen, hätten gerne mit aufschlußreichen Fakten dagegengehalten, Lula die Leviten gelesen – aber sowas wird inzwischen nicht mehr gedruckt, nur noch Linientreues geht durch. Der bislang parteinahe Gewerkschaftsdachverband CUT ist gegen Alencar, pocht deshalb gleich nach Lulas Wahlsieg demonstrativ auf Autonomie, betont Distanz zur neuen Regierung, droht mit Streiks für eine Anhebung des armseligen nationalen Mindestlohns von umgerechnet etwa siebzig Euro. Denn das ist annähernd der Grundlohn in Josè Alencars elf Textilfabriken, sowie Farmen und Zuckerrohrschnapsbrennereien der Coteminas-Gruppe – für die allermeisten der über 16000 Beschäftigten. Selbst bei Brasiliens Durchschnittspreisen, die unter den deutschen liegen, ist das immer noch eher ein Hungersalär. „Wer vor allem in den Nordost-Betrieben Alencars nur damit liebäugelt, in eine CUT-Gewerkschaft einzutreten, oder angesichts der niedrigen Löhne das Wörtchen `Streik`fallen läßt, wird sofort gefeuert“, betonen CUT-Führer.

Lohnsenkungen, politische Kontrolle, Klima der Angst in Betrieben

In aufgekauften Konkurrenzbetrieben habe Alencar, der Coteminas zusammen mit seinem Sohn Christiano managt, sofort deutliche Lohnsenkungen verfügt. „Wer sich weigern würde, die weithin üblichen, verfassungswidrigen Zwölf-Stunden-Schichten zu akzeptieren, wäre ebenfalls seine Stelle los. Arbeiter, die nach zwölf Stunden an den Textilmaschinen nach Hause kommen, sind körperlich erledigt, völlig fertig". Fernando Soares im nordöstlichen Teilstaat Rio Grande do Norte: „Alencar ist ein Menschenschinder, wird von den meisten Coteminas-Arbeiters regelrecht gehaßt.“
In fast allen Fabriken gilt dieses Schichtsystem, nach drei Arbeitstagen folgt ein freier – nur etwa alle vier Wochen ist deshalb mal ein Sonntag ohne Maloche drin. Selbst Mitglieder und Sympathisanten der sozialdemokratischen PT, die in Coteminas-Unternehmen tätig sind, protestierten deshalb ausdrücklich gegen Lulas politische Allianz mit Alencar und dessen rechter Sektenpartei PL(Partido Liberal). Kein Wörtchen davon in den PT-Medien.

Der Coteminas-Firmensitz befindet sich in dem nach Sao Paulo und Rio de Janeiro wirtschaftlich drittwichtigsten Teilstaat Minas Gerais, in der Stadt Montes Claros – doch auch dort sehen die CUT, PT-Linke, Sozialwissenschaftler und selbst die Arbeiterpastoralen der katholischen Kirche ein „archaisches, autoritäres, gewerkschaftsfeindliches Management, politische Kontrolle der Beschäftigten“. In den Betrieben herrsche Furcht vor Repressalien und Entlassung. Das Management stimuliert indessen die Beschäftigten, sich einem Syndikat anzuschließen, das komplett Konzerninteressen vertrete. Es erklärte auf Anfrage, die meisten Arbeiter schafften durchaus ein höheres Produktionssoll, bekämen deshalb eine Produktionsprämie, hätten daher am Monatsende umgerechnet etwa 150 Euro in der Tasche. Aus anderen Betrieben hieß es dagegen, dieses Soll sei nur sehr schwierig zu erfüllen – und nur dann bekäme man die Prämie. Wissenschaftler der Universität von Minas Gerais wollten in den Textilfabriken des Teilstaats eine Studie über betriebliche Modernisierung und Arbeitsbedingungen erstellen – doch lediglich zu Coteminas-Betrieben wurde ihnen der Zutritt verwehrt, waren dortige Beschäftigte nicht einmal anonym zu Aussagen bereit.

Harte Kritik von befreiungstheologischen Katholiken

Auffällig, wie neben der CUT auch die katholische Arbeiterseelsorge (Pastoral Operaria) Lula vorwirft, die skandalösen Zustände in den Fabriken Alencars bewußt zu verschweigen. Schwer zu übersehen – in der Pastoral wimmelt es nur so von CUT-und PT-Mitgliedern. Der in Sao Paulo, dem größten deutschen Wirtschaftszentrum außerhalb Deutschlands, wirkende Pfarrer Pedro Baresi aus dem nationalen Führungsgremium der Pastoral nennt es eine „teuflische Strategie“ der Eliten, daß ausgerechnet ein archaischer Firmenbesitzer wie Alencar zum Vize Lulas geworden sei und etwa bei dessen Rücktritt zum Staatschef aufsteige. Sao Paulos populärer Pastoral-Führer Waldemar Rossi(PT), der schon den Papst empfing:“Alencar beutet seine Arbeiter maximal aus, unterstützte einst die Militärdiktatur, deklariert sich als Feind der Landlosenbewegung – seine PL steht für neoliberale Politik.“

Alencars Coteminas exportiert dank Sozialdumping sogar kräftig in die USA, erwirtschaftet hohe Gewinne. Seit sich Lulas Wahlsieg abzeichnete, stiegen die Coteminas-Aktien um etwa dreißig Prozent im Wert – während die der anderen fünfundfünfzig größten brasilianischen Firmen durchschnittlich um zwanzig Prozent absackten. Die CUT – und die PT-Linke sind gegen jegliche Beteiligung an Verhandlungen über die geplante amerikanische Freihandelszone ALCA – doch für Alencar brächte sie nur Vorteile, also ist er demonstrativ dafür.

Josè de Almeida aus der CUT-Führung, Ex-Metallfräser, Mitgründer der Arbeiterpartei und des Gewerkschaftsdachverbandes, organisierte einst mit Lula zur Diktaturzeit die ersten Streiks im Industriegürtel von Sao Paulo. 1996, als die PT unaufhaltsam zur politischen Mitte tendiert, gründet Almeida die linke PSTU(Sozialistische Partei der Vereinten Arbeiter), mit derzeit etwa 15000 Mitgliedern, ist dieses Jahr sogar ihr Präsidentschaftskandidat. Milliardär Alencar kennt er persönlich, als knochenharten Unternehmer aus Lohnverhandlungen, der Anhebungen nie zustimmte. „Die PT-Allianz mit Alencar dient nur den Inhabern der ökonomischen Macht - Lula redet mit doppelter Zunge, kungelt mit jenen Eliten, die Brasilien immer schon dominiert haben. Wer die Lebensbedingungen der Arbeiter wirklich verbessern will, darf sie nicht so traktieren, wie Alencar es tut.“ Der heuert unterdessen fleißig Rechte aus anderen Parteien an – bis Februar sollen aus den fast dreißig Kongreßmitgliedern seiner PL mindestens fünfzig werden, um u.a. Anspruch auf mehr Führungsposten, Gremienvorsitze zu haben.

Die Partei wird von der fundamentalistischen Wunderheilersekte „Universalkirche vom Reich Gottes“ beherrscht - jetzt kommt sie erstmals an Ministerposten und andere hohe Stellen in der Staatsadministration. Ebenfalls ein Tabuthema für Lula. Sein Vize Alencar fiel 2002 zudem durch eine ungewöhnliche außenpolitische Position auf: Er ist für den Abzug der Israelis aus Nahost(!) und die Neugründung des Staates Israel irgendwo anders auf der Welt.

Editorische Anmerkungen

Der Autor schickte uns seinen Artikel  mit der Bitte um Veröffentlichung. In den letzten trend-Ausgaben schrieb er über

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Er schreibt regelmäßig Berichte aus Brasilien, die er auch dem Trend zur Verfügung stellt.

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