Berichte aus Brasilien
Lulas Wunderheiler
Der künftige Staatschef hievt fundamentalistische Sekten in die neue Regierung - für die Rest-Linken seiner  Arbeiterpartei der pure Horror

von Klaus Hart
12/02
 
 
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„Homosexualität ist Sünde, Teufelswerk“, schreit Sektenpredigerin Lanna Holder de Souza  über die Hardrock-Verstärkeranlage den Massen entgegen, „aber die Macht Gottes kann auch einen Schwulen wieder umdrehen, damit er ein normales, glückliches Leben führt!“

Missionarin Lanna von der Sektenkirche „Assembleia de Deus“(Gottesversammlung) hat das drauf, Homos, Lesben wieder auf den rechten Weg zu bringen - erklärt sie jedenfalls, und immer im heiseren Brüllton, landauf, landab, ob in Amazonien oder Rio, Sao Paulo, vor dreitausend, zehntausend, hundertdreißigtausend Leuten, die sie in Erregung, Ekstase treibt. „Ich war ja selber eine Lesbe, soff, trieb mich rum - bis der Herrgott sich meiner annahm, mich verwandelte, bekehrte.“ Lanna ist inzwischen mit einem Sektenpastor verheiratet, zeugte mit ihm einen Sohn - und kann noch ganz andere Sachen:“Wenn ich über die Macht des Blutes Jesu predige, weicht der Satan aus euren Leibern, werden sogar Krebskranke wieder geheilt, können selbst völlig Querschnittsgelähmte wieder gehen - Halleluja, Gloria Deus!“ Ihr Publikum, meist aus der ungebildeten, leicht manipulierbaren  Unterschicht, also der Bevölkerungsmehrheit, scheint das zu glauben.

Wer im fernen Europa die Scharlatanin Lanna und ihre Anhänger nicht ernstnehmen mag, für sie bestenfalls ein süffisantes Schmunzeln übrighat, verkennt die lateinamerikanischen Realitäten. Schließlich war der Wahlsieg Lulas für die Wunderheilerin ein äußerst freudiges, viel versprechendes Ereignis. Erstmals in der brasilianischen Geschichte zieht sozusagen auch Lannas Sekte mit in den Präsidentenpalast ein - weil gar nicht so wenige prominente Politiker aus Lulas sozialdemokratischer Arbeiterpartei PT der „Gottesversammlung“ angehören, dort sehr aktiv sind, sogar predigen. Herausragendes Beispiel - die auch bei deutschen Drittweltbewegten sehr beliebte Benedita da Silva aus Rio de Janeiro, dem zweitwichtigsten Teilstaat Brasiliens: 1998 bestimmt die PT-Basis Rios den angesehenen Linken Wladimir Palmeira, Widerstandskämpfer und Studentenführer während des Militärregimes, zum Gouverneurskandidaten - doch Lula und PT-Parteichef Josè Dirceu verbieten die Kandidatur, peitschen undemokratisch die Sektenanhängerin Benedita da Silva durch. Zunächst ist sie Vizegouverneurin, seit Jahresbeginn Gouverneurin, regiert vorhersehbar so desaströs, daß ihre Wiederwahl scheitert, ab Januar der wirtschaftlich bedeutende Teilstaat nicht mehr von der PT regiert wird. Dafür winkt Benedita da Silva als Trostpreis jetzt ein Ministerium.

Sogar in der Nummer Eins, Lateinamerikas Industrielokomotive Sao Paulo, gräbt die „Gottesversammlung“ auf Friedhöfen Kinderleichen aus, um sie zum Leben wiederzuerwecken. Doch nicht nur im  größten deutschen Wirtschaftstandort außerhalb Deutschlands ist eine andere große, aggressive Sekte, die „Igreja Universal do Reino de Deus“(Universalkirche vom Reich Gottes) schier aus dem Häuschen wegen Lulas Wahlerfolg. Sie beherrscht die rechtsgerichtete PL von Lulas Vize Josè Alencar, hat mindestens zwei Ministerien und zahlreiche hohe Verwaltungsposten sicher. Ins Abgeordnetenhaus in Brasilia  ziehen zwei Sektenbischöfe und sechs Pastoren ein - der Milliardär und Großunternehmer Alencar heuert unterdessen fleißig Rechte aus anderen Parteien an - bis Februar sollen aus den fast dreißig PL-Kongreßmitgliedern durch Übertritte mindestens fünfzig werden. Der ehemalige Lotterieangestellte und heutige Bischof Edir Macedo, Gründer und Chef der Universalkirche, bekam seine Schwester ins Abgeordnetenhaus, seinen Bruder in den Senat.

"Cura Divina“ im Fußballstadion

Als Wunderheiler ist er noch weit berühmter als die in Sao Paulo lebende Lanna Holder de Souza. Macedo mietet selbst das weltgrößte Fußballstadion in Rio de Janeiro an für seine „Kulte“ an und zieht dann, man muß es neidlos zugestehen, stets eine außerordentlich beeindruckende, perfekte Show ab: Zunächst singen die Massen die Nationalhymne sowie Texte wider den Teufel und über die Wunder des Glaubens auf bekannte Pop-Melodien wie La Bamba oder Bridge over troubled Water - und dann fordert Bispo Macedo gestikulierend, mit dem Fuß wild aufstampfend, fast schreiend, „böse Kräfte, hinterhältige Geister, die über Mann, Frau und Kinder kommen, Krebs, Epilepsie, Tumore, Asthma, Blindheit, Taubheit und unzählige andere Krankheiten verursachen -  weicht aus diesen Körpern, verschwindet von hier!“ Die Menge skandiert „Raus, raus, raus!“ Dann  läßt er Mikrofone herumgehen - und Dutzende erklären bereitwillig, von welchen Gebrechen  sie angeblich gerade geheilt worden sind - etwa von Lungen-bzw. Brustkrebs oder einem Hirntumor.  Gelegentlich werden Sekten-Wunderheiler aus den USA eingeflogen - und dann wird simultan übersetzt, wie üblich live in den über dreihundert Radios und TV-Sendern der Sekten übertragen, stets mehrmals wiederholt. Macedo predigt selbst im  eigenen Blatt  - mit Millionenauflage  - den spirituellen Krieg, Guerra espiritual, an dem jeder  Gläubige der Universalkirche teilnehmen, dafür sein Leben widmen müsse. Wenn es nach den brasilianischen Gesetzen ginge, dürften Teufelsaustreibungen, Wunderheilungen von Universalkirche, Gottesversammlung und anderen Sekten überhaupt nicht stattfinden, hätten selbsternannte Bischöfe und Padres schon längst Auftrittsverbote und zahllose teure Prozesse wegen Scharlatanerie  am Hals. Doch Regierung und Justiz bleiben passiv, belohnen, wie es aussieht, die Sekten für ihre systemstabilisierende Wirkung. Anders als die weithin befreiungstheologisch orientierte katholische Kirche legten sich die sogenannten „Evangelicos“, oder Pfingstkirchen,  nie mit der Diktatur an, raten zur Anpassung an die politisch-wirtschaftlichen Realitäten. Bischof Macedo:“Armut ist vom Teufel, Reichtum aber eine Gabe Gottes.“ Nicht zufällig haben  die Sekten inzwischen spezielle Abteilungen, Zirkel für ihre betuchte Unternehmerklientel.

Sekten und CIA

Aus Kreisen der katholischen Bischofskonferenz wird immer wieder betont, daß der US-Geheimdienst CIA bereits zu Diktaturzeiten die Sekten förderte, um ein Gegengewicht zur oppositionellen Amtskirche zu schaffen. Sie gelten zudem als „spiritueller Arm des amerikanischen Imperialismus“. Immer wieder wird an jene bekannte Äußerung Präsident Roosevelts erinnert, wonach der Assimilierungsprozeß der Länder Lateinamerikas in Bezug auf die USA langwierig und kompliziert sein werde, solange diese katholisch blieben. Derzeitige Anhängerzahl der brasilianischen Sekten laut offiziellen Schätzungen - rund dreiundzwanzig Millionen - jedoch sehr aktiv, gutorganisiert, weit disziplinierter als die Katholiken. Mit Ausnahme der winzigen atheistischen KP Brasiliens sind die Sekten in sämtlichen anderen achtzehn Kongreßparteien vertreten, von links bis extrem rechts. Entsprechend alarmiert ist jetzt die katholische Kirche, manche Bischöfe sehen religiöse Konflikte, sogar Zustände wie in Nordirland voraus.

Wie Lulas Vize Alencar mit seinen Arbeitern umspringt, paßt zum hierarchischen Stil der Sektenkirchen. Daß der bislang PT-nahe Gewerkschaftsdachverband CUT derzeit so auf seine Autonomie und Unabhängigkeit pocht, Distanz zur künftigen Lula-Regierung betont, hat wesentlich mit Alencar zu tun: Wie CUT-Führer gegenüber Trend erklärten, wird der Großunternehmer von den meisten Arbeitern seiner elf Fabriken als übler Ausbeuter direkt gehaßt. Wer vor allem in den Betrieben des stark unterentwickelten Nordostens nur damit liebäugele, in die Gewerkschaft einzutreten, oder angesichts der extrem niedrigen Löhne das Wörtchen „Streik“ fallenlasse, werde sofort gefeuert. An neunzig Prozent der dortigen Beschäftigten zahle Alencar monatlich nur umgerechnet höchstens sechzig Euro monatlich.  Lula hat mit Alencars archaischen Oligarchen-Attitüden keine Probleme:“Unsere Vereinigung ist ein Bündnis der Ethik, des Charakters, der Verpflichtungen gegenüber dem brasilianischen Volk, der nationalen Industrie und Landwirtschaft“.

Editorische Anmerkungen

Der Autor schickte uns seinen Artikel  mit der Bitte um Veröffentlichung. In den letzten trend-Ausgaben schrieb er über

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Er schreibt regelmäßig Berichte aus Brasilien, die er auch dem Trend zur Verfügung stellt.

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