Berichte aus Brasilien
Nazi-U-Boot versenkte 1943 vor Rio Segel-Fischerbarke "Shangri-là"

von Klaus Hart

11/03
 
 
trend
onlinezeitung

Briefe oder Artikel info@trend.partisan.net ODER per Snail: trend c/o Anti-Quariat 610610 Postfach 10937 Berlin

Sechzig Jahre später immer noch  keine Entschädigung an Hinterbliebene
Brasilianer dreht Dokumentarfilm über den Fall 

An einem sonnigen Julitag vor sechzig Jahren fahren zehn Fischer bei Rio de Janeiro mit ihrer Segelbarke auf den Atlantik hinaus - und kommen nie mehr zurück. Denn zufällig kreuzen sie im Morgengrauen die Route eines deutschen U-Bootes, dessen Kapitän befiehlt, die hölzerne "Changri-là" aus nächster Nähe mit der Bordkanone zu beschießen. Mit sieben Salven wird die Barke regelrecht zerfetzt, Kapitän Josè da Costa Marques, 50, und seine junge Besatzung, alle zwischen fünfzehn und zweiundzwanzig Jahren alt, werden getötet. Von der Segelbarke treiben nur wenige Holzstückchen an den Strand der Fischersiedlung. Doch nur vier Tage danach erspäht ein Jagdflugzeug der brasilianischen Luftwaffe das U-Boot, dem es nicht mehr gelingt, rechtzeitig abzutauchen. Die Jagdflieger attackieren die U-199 erfolgreich, halten alles im Bild fest, auch die Rettung von Kapitän Hans Werner Krauss und weiteren elf Besatzungsmitgliedern - 49 Deutsche kommen um. In amerikanischer Kriegsgefangenschaft gibt Kapitän Krauss 1943 zu, vor Rio eine Segelbarke versenkt zu haben. "Doch erst im Jahre 2001 erkennt die brasilianische Regierung gerichtlich an, daß die zehn Fischer von der deutschen U-Boot-Besatzung getötet worden sind", sagt in Rio de Janeiro der Seerechtsanwalt Luis Roberto Siano, der die Hinterbliebenen vertritt, zum Trend. "Solange haben Brasiliens Autoritäten absurderweise die Aufklärung des Falles der "Shangri-là" verzögert - und damit auch die Anerkennung von Pensionsansprüchen. Schlimmer noch - eine Bundesrichterin entschied, daß nur Familienangehörige von Fischern, die im Krieg auf Motorkuttern umkamen, nicht aber auf Segelbarken, einen Pensionsanspruch haben. Da fehlt wirklich jegliche Sensibilität. Immerhin starben auf fünfzehn Marinefrachtern durch deutsche U-Boot-Attacken nicht so viele Seeleute wie auf der Shangri-là!"

Anwalt Siano klagt nun vor brasilianischen Gerichten um Entschädigung für die in extremer Armut lebenden Angehörigen, insgesamt noch sieben Familien, will indessen auch von deutscher Seite Zahlungen erreichen. "In einer Audienz mit dem deutschen Botschafter in Brasilia wollen wir versuchen, ob man sich außergerichtlich einigen kann. Andernfalls würden wir uns an die europäische Menschenrechtskommission, den interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden. Aber wir erhoffen von der deutschen Regierung mehr Entgegenkommen als von der brasilianischen Seite - denn in Europa werden die Menschenrechte nun einmal mehr geachtet als in Ländern der Dritten Welt. Ich bemühe mich auch um Unterstützung durch deutsche Anwälte. Mich hat sehr berührt, daß fast alle Familienangehörigen in ärmlichen Holzhütten leben, wie im Slum - so viele Personen in nur einem Raum, in tiefer Misere. Ich will ihnen zu einer Kompensation für den erlittenen Schmerz, für ihr Leiden verhelfen. Die meisten sind schon sehr alt, die einzige noch lebende Witwe ist dreiundachtzig. Ich selbst bekomme keinerlei Honorare." 

Auch den brasilianischen Regisseur Flavio Càndido hat der Fall tief berührt - noch in diesem Jahr beginnt er einen Dokumentarfilm, ist an deutschen Ko-Produzenten, Abnehmern interessiert. "In den Familien ist diese Wunde bis heute nicht verheilt - eine Mutter, die den Mann, den Sohn verlor, wurde darüber verrückt. Und ein Fall wie die "Shangri-là" - soetwas gab es doch damals tausendfach. Deutsche U-Boote haben an Brasiliens Küste neununddreißig Frachter versenkt - doch der Kapitän der U-199 war bereits mehrere Monate unterwegs ohne irgendein Ziel im Visier. Und deshalb veranstaltete er auf dieses armselige Fischerboot sozusagen ein Zielschießen Weil einige der überlebenden Deutschen damals erst neunzehn waren, lassen wir jetzt von Bremen aus feststellen, ob diese vielleicht noch leben, wollen sie für den Dokumentarfilm interviewen." Flavio Càndido will gleichzeitig die ganz spezielle Kultur, Musiktradition dieser bei Rio lebenden Fischer porträtieren - alles Mischlinge, mit deutschen, portugiesischen, spanischen und indianischen Vorfahren. 

Auch das U-Boot-Wrack wird gezeigt - es liegt vor Rio de Janeiro in 180 Metern Tiefe.

Editorische Anmerkungen:

Der Autor schreibt regelmäßig Berichte aus Brasilien, die er auch dem Trend zur Verfügung stellt. So. z.B.: