Berichte aus Brasilien
Rasante Urwaldvernichtung auch unter Staatschef Lula
Über 25000 Quadratkilometer letztes Jahr – ebensoviel für 2003 erwartet - Greenpeace und andere Umweltverbände stark enttäuscht von neuer Regierung

von Klaus Hart

7-8/03
 
 
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Letztes Jahr feierte die Mitte-Rechts-Regierung von Staatschef und FU-Berlin-Ehrendoktor Fernando Henrique Cardoso enorme Erfolge beim Schutz Amazoniens. Allein die Zahl der Brandrodungen, hieß es in ganzseitigen Zeitungsanzeigen,  habe man um sage und schreibe 86 Prozent gesenkt. Auch europäische Medien übernahmen kritiklos, was sich inzwischen als reine Regierungspropaganda herausstellte - denn genau das Gegenteil war richtig. Doch auch die neue Mitte-Rechts-Regierung von Cardoso-Nachfolger Luis Inacio „Lula“ da Silva räumt jetzt ein, daß in ihrem ersten Amtsjahr die Amazonasvernichtung ebenso rasant weitergehen wird.

Deutschland ist Hauptfinanzier des EU-Pilotprojekts zum Schutze der brasilianischen Regenwälder -  Trittin, Fischer, Schröder  loben es bei jeder Gelegenheit. Wie effizient es ist, zeigen die letzen Jahre: 2002 wurde soviel Amazonasurwald zerstört wie seit 1995 nicht mehr – über 25000 Quadratkilometer – das entspricht der Fläche Mecklenburg-Vorpommerns.  Eine Steigerung um vierzig Prozent gegenüber 2001 – wie das zuständige staatliche Institut INPE jetzt  weiter mitteilte. Der Tropenwald wird illegal gefällt, größtenteils aber durch Brandrodungen in Asche verwandelt.  Eine stupide, archaische Methode von Großfarmern, aber auch Kleinbauern, um Acker-und Weideland zu gewinnen. In den bis zu fünfzig Kilometer langen Flammenwänden, verbrennen ungezählte Tiere lebendig – Brasiliens Liste vom Aussterben bedrohter Arten wird deshalb auffällig rasch immer länger.

Soja-Viehfutter-Exporte nach Europa kosten Amazonasurwald

 „Die neuen Zahlen machen uns traurig, sind ein Absurdum“, sagt Greenpeace-Tropenwaldexperte Gustavo Vieira im Trend-Interview. „Hauptgrund ist, daß die Landwirtschaft, die Viehzucht geradezu invasionsartig nach Amazonien vordringen. Sehr viel Urwald wird vernichtet, um wegen der großen internationalen Nachfrage mehr Soja anzubauen, das als Viehfutter zunehmend auch nach Deutschland exportiert wird. Jedes Jahr neue Soja-Ernterekorde auf  Kosten des Amazonasurwalds. Dabei ist der doch viel wertvoller, solange er noch steht – denn der Boden dieser Region ist ja nur wenig fruchtbar, kann von der Landwirtschaft garnicht hochproduktiv genutzt werden – eine sinnvolle, nachhaltige Waldbewirtschaftung wäre viel produktiver.“

Doch die existiert bisher nur punktuell – Holz wird nach wie vor illegal ausgeführt, vor allem jenes, das von den neuen Sojaflächen stammt. Geschlagen zu niedrigsten Kosten, von extrem schlecht bezahlten Arbeitskräften, in Schwarzarbeit, ohne Sozialabgaben.

“Leider ist man in Europa immer noch an brasilianischem Edelholz zu Niedrigstpreisen interessiert, illegal gefällt. Die erzielten Gewinne sind exorbitant, bleiben aber eben nicht bei uns, nützen nicht der Amazonasregion. Doch wenigstens dort, wo Greenpeace präsent ist,  etwa mit dem Expeditionsschiff `Amazon Guardian `, wird kein Edelholz geschlagen oder abtransportiert. Denn wir filmen, fotografieren, dokumentieren den illegalen Einschlag, erstatten Anzeige.“

Greenpeace macht vor, daß auch im riesigen Amazonasgebiet Brasiliens strenge Umweltgesetze durchaus angewendet werden könnten; anders, als von den Regierenden immer behauptet, effiziente Kontrollen möglich wären - trotz unterentwickelter Strukturen, fehlenden Personals. Man könnte durchaus härter, energischer vorgehen, beispielsweise die Streitkräfte einsetzen, fordern auch andere Umweltorganisationen, die echten politischen Willen vermissen. Denn nicht nur die Regenwälder sind  unmittelbar bedroht, sondern auch die, die ihn schützen wollen.

 “Die Situation ist sehr komplex, und die Regierung eigentlich noch garnicht in Amazonien präsent. Alle sozialen Probleme Brasiliens sind in dieser riesigen Region hundertfach größer.  Auf unsere Aktivisten dort sind Kopfgelder ausgesetzt. Paulo Adario, der die Amazonaskampagne von Greenpeace leitet, hat ständig Bodyguards, trägt eine schußsichere Weste, wegen der vielen Morddrohungen von Holzfirmen. Der brasilianische Staat ist nicht präsent, schützt uns nicht -  es gibt keine Polizei, an die wir uns wenden könnten.“

neue Umweltministerin Marina Lima bisher eine Pleite

Derzeit hofft Greenpeace zwar auf die neue Umweltministerin Marina Silva, ist jedoch wie die gesamte brasilianische Umweltbewegung bisher von der neuen Lula-Regierung stark enttäuscht. Zwar wurde versprochen, umgerechnet mehr als sechs Millionen Euro für zusätzliche Überwachungsmaßnahmen in Amazonien  bereitzustellen – doch andererseits räumte Ministerin Marina Silva, die ebenso wie Sozialministerin Benedita da Silva einer Wunderheiler-Sektenkirche angehört,  bereits  ein, daß auch 2003 soviel Urwald zerstört werde wie im Vorjahr, der Vernichtungsprozeß vorerst so rasant weitergehe. Marina Silva nutzt bisher die gleichen Ausflüchte wie ihre Amtsvorgänger, bittet ebenso wie diese um Geduld angesichts der „Megaprobleme“.

“Die Lula-Regierung hat im Umweltbereich einige interessante Absichten“, so Greenpeace-Experte Gustavo Vieira – doch  gibt es  größenwahnsinnige Pläne, in Amazonien gigantische Staudämme wie jenen von Belo Monte zu errichten. Dort würde immens viel Urwald überflutet und damit vernichtet, würden die Waldbewohner geschädigt. Und deshalb sind wir gegen Belo Monte, haben mit der Regierung heftigen Streit. Diese Erfahrung, die wir in Amazonien haben, hat die Regierung nicht.“

--Ein Viertel der gesamten Amazonasvernichtung unter Lula-Amtsvorgänger Cardoso-- Staatschef Lulas neoliberaler Amtsvorgänger Fernando Henrique Cardoso ging, wie von Brasiliens Umweltverbänden vorhergesagt, als bisheriger Rekordhalter bei der Amazonasvernichtung in die Geschichte ein. Wie Vieiras Greenpeace-Kollege Paulo Adario jetzt noch einmal betonte, geschah ein Viertel(!) der gesamten bisherigen Amazonas-Entwaldung in den acht Amtsjahren Cardosos, weit mehr als beispielsweise in den Jahrzehnten der Militärdiktatur. Damit wurden auch die Menschenrechtsprobleme Amazoniens gravierender – da auch Lebensraum von Indianern vernichtete wurde. Bezeichnend, daß Rot-Grün Cardosos Politik immer über den grünen Klee lobte, auf politischen Druck zugunsten Amazoniens verzichtete. Und natürlich hielt auch die FU Berlin – deren Studentenorganisationen -  zu ihrem großartigen Ehrendoktor.

Editorische Anmerkungen:

Der Autor schreibt regelmäßig Berichte aus Brasilien, die er auch dem Trend zur Verfügung stellt. So. z.B.: