Berichte aus Brasilien
Musik-Supermacht Brasilien(8)
Populäre Künstler gegen die Irak-Invasion: Chico Cesar und Kulturminister Gilberto Gil

von Klaus Hart

04/03
 
 
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Klarblauer Tropenhimmel über Lateinamerikas Wirtschaftslokomotive Sao Paulo - im Ibirapuera-Park ein Meer von Fahnen, Anti-Bush-Transparenten, Aufrufen zum Boykott nordamerikanischer Waren. Auf der Konzertbühne, vor zehntausenden Kriegsgegnern, der dunkelhäutige Chico Cesar, 39, einer der politisch engagiertesten Künstler Brasiliens, mit einem seiner sozialkritischsten Songs - „Mama Africa“ - auch in Deutschlands Weltmusik-Szene ein Hit. Cesar verflucht die Aggression der USA, Großbritanniens, Australiens gegen den Irak, analysiert die Hintergründe des Konflikts auch in der Öffentlichkeit schärfer als jeder andere brasilianische Musiker. „Wenn ich diese Bilder vom Irak sehe“, sagt er im Trend-Interview, „habe ich auch die anderer imperialistischer Kriege im Kopf - vom zweiten Weltkrieg, von Vietnam, von Hiroshima und Nagasaki. Wir sind in einem historischen Moment - immer mehr Macht in den Händen von immer weniger Personen; die imperialistische, kapitalistische Beherrschung der Menschheit nimmt zu.“ Bemerkenswert - solches hört man von Weltmusik-Künstlern wie ihm, die in ARD-Radios häufig gespielt werden, nicht gerade alle Tage. „Diese Gruppe um Bush will den Irak, Iran, Syrien wirtschaftlich, politisch dominieren - die wollen weiter bis nach Nordkorea, wollen die ganze Welt beherrschen, alle Energiequellen. Und auch Saddam Hussein ist deren Werk - den haben die Nordamerikaner, Briten hochgebracht - wie Bin Laden. Nur solange ein Tyrann ihren Interessen dient, ist er ihr Partner - andernfalls wird er ersetzt.“

Schon im Vorfeld des Kriegs trägt Chico Cesar Fahnen, Transparente auf den Demos - in seinen Konzerten ruft er dazu auf, keine Waren der USA, Großbritanniens, Australiens mehr zu kaufen. „Denn jene, die am Krieg verdienen, sind doch nur für Finanzielles sensibel. Wenn die auf einmal Verluste machen - wegen des Boykotts von Coca Cola, McDonalds oder Autos, Kleidung und CDs aus den USA - wird die öffentliche Meinung der Vereinigten Staaten rasch reagieren. Nicht alle Amerikaner sind für den Krieg - wir müssen jetzt den protestierenden Künstlern dort, auch den Pazifisten, die Bush nicht länger an der Macht wollen, die Hand reichen. Ein Land, das sich zum Weltgendarm erklärt, muß gestoppt werden.“

Chico Cesar - jedes Jahr auf Deutschlandtournee, auch in Brasilien von der 30-jährigen Dresdnerin Constanze Eiselt gemanagt - vergißt über dem Irakkonflikt nicht Brasiliens „Guerra urbana“. „Hier ist ein Teil der Jugend in einen Krieg verwickelt, macht mangels anderer Alternativen bei den Drogenkartellen des organisierten Verbrechens mit, die die brasilianische Gesellschaft regelrecht terrorisieren.“

Chico Cesar, im Nordost-Teilstaat Paraiba geboren, dort auch von deutschen Ordensschwestern miterzogen, lebt in Sao Paulo - schwer zu sagen, wer dort bekannter, populärer ist - er oder sein Bruder - ein direkt legendärer Führer von Basisbewegungen, darunter der Hausbesetzer, Obdachlosen.

Grüner Kulturminister Gilberto Gil: Im Irak-Krieg wurden Massaker angerichtet

Hinter der Konzertbühne eine nicht alltägliche Szene - ein Kulturminister stimmt seine Gitarre, singt ebenfalls vor den Kriegsgegnern Sao Paulos. Gilberto Gil, inzwischen über sechzig, ist fast jedes Jahr in Berlin, Hamburg, Frankfurt, München - die Haltung der Deutschen zum Irak-Konflikt freut ihn natürlich. Nennen Deutschlands Grünen-Minister wie Fischer oder Trittin ein Massaker, was die USA und Großbritannien im Irak anrichteten? Gilberto Gil gehört zum Partido Verde(PV), der Grünen Partei Brasiliens, wählt bewußt den Begriff „Massacre“:“Niemand hier in Brasilien ist für diesen Krieg - die große Mehrheit stellt sich klar dagegen. Das sage ich als Minister, aber auch als Musiker“, so Gil zum Trend. „Sogar jene Brasilianer, die anfangs ziemlich gleichgültig waren, sahen es bald anders - nachdem die Nachrichten von den Massakern, den toten irakischen Zivilisten, auch den toten Soldaten beider Seiten eintrafen. Das bringt die Leute hier sehr, sehr auf.“-

Gilberto Gil ist bis heute einer der musikalisch genialsten, kreativsten Köpfe Brasilien - weiter ganz, ganz oben in der Popularität. Musiker, die mit ihm zusammenarbeiten, für ihn komponieren, betonen seinen Teamgeist, seine Jugendlichkeit, diese sympathische Art eines großen Jungen - die auch beim deutschen Publikum so ankommt.

Indessen - Gilberto Gil ist in Brasilien auch umstritten, gilt vielen als opportunistisch, sehr widersprüchlich.

Man stelle sich dies in Deutschland vor - Musiker wie Konstantin Wecker, Herbert Grönemeyer, gar Bands wie die Prinzen mit allerengsten, sehr freundschaftlichen Kontakten zu Politikern der Rechten, gar der extremen Rechten - alle wären ziemlich out, progressive Sprüche und Lieder würde ihnen kaum jemand abnehmen. Ähnlich verhält es sich mit Gilberto Gil und einem anderen Brasil-Star, Caetano Veloso, der sich derzeit über die „starke Welle des Antiamerikanismus“ ärgert. Ihr freundschaftlicher Kontakt, die auch geschäftliche Kooperation mit Kongreßsenator Antonio Carlos Magalhaes, einem der übelsten rechtsextremen, oligarchischen Figuren Brasiliens, dazu Diktaturaktivist, neofeudaler Oligarch von Bahia, derzeit grade wegen einer gigantischen Abhöraffäre wieder mal im Zwielicht - freundschaftliche Beziehungen Gilberto Gils und Caetano Velosos zu solchen Leuten und deren Umfeld machen viele Brasilianer sprachlos. Jener Oligarch Magalhaes ist hier der starke Mann der größten, politisch einflußreichsten Rechtspartei PFL.

Gilberto Gil war bereits einmal Regionalabgeordneter - machte indessen eine extrem schlechte Figur - fehlte bei sage und schreibe 63 Prozent aller Parlamentssitzungen - bastelte lieber weiter an seiner Karriere, gab Konzerte, mehrte seinen Reichtum, ist ja Millionär. Auch als Kultursekretär von Bahias Hauptstadt Salvador hat er sich nicht mit Ruhm bekleckert.

Als Hammer gilt indessen seine politische Unterstützung für Staatschef Lulas Amtsvorgänger Fernando Henrique Cardoso schon in dessen Wahlkampf 1994 - übrigens gegen den damaligen Präsidentschaftskandidaten Lula. Cardoso, Ehrendoktor der Freien Universität Berlin - ein knallharter Neoliberaler, in seiner achtjährigen Amtszeit politisch hauptverantwortlich für Landlosenmassaker, Killerkommandos, schlimmste, gravierendste Menschenrechtsverletzungen - und eine extrem unsoziale Wirtschaftspolitik zugunsten des Auslandskapitals, für fragwürdigste Privatisierungen. Gilberto Gil hat zu all dem geschwiegen, sich nie von Cardoso distanziert. Daher der Opportunismus-Vorwurf - zumal Ex-Betriebswirtschaftler Gil für eigene Firmen, teils von seiner Frau Flora geleitet, kräftig Staatsknete, staatliche Förderung, Sponsorengelder einsackte, mit den Geldeliten Brasiliens verbandelt ist.

Der befreiungstheologische Dominikaner Frei Betto, einer der progressivsten Intellektuellen Brasiliens, während der Diktatur gefoltert, jahrelang eingesperrt, hat Künstler wie Gilberto Gil stets als Komplizen der Macht bezeichnet - damit mitschuldig an dem bösen Erbe von Lula-Amtsvorgänger Cardoso. Logisch, daß Frei Betto zu jenen gehörte, die vehement gegen die Ernennung Gilberto Gils zum Kulturminister waren. Das Interessante - Frei Betto ist heute Präsidentenberater, hat seinen Schreibtisch neben Lulas Kabinett.

Von Kulturminister Gilberto Gil erhoffen sich viele Brasilianer im Grunde Übermenschliches, Unmögliches - denn dessen Etat ist lächerlich gering. Gil müßte den bislang höchst elitären Kulturbetrieb - weit kommerzieller als etwa in Deutschland - völlig umkrempeln, demokratisieren, den Ärmsten, jenen Millionen und Abermillionen in den riesigen Slums, Zugang zum Theater, zum Kino, zur Bibliothek, zum Museum ermöglichen. Denn bislang nimmt eigentlich nur die kleine Mittel-und Oberschicht am Kulturleben teil - für die übergroße Mehrheit der 175 Millionen Brasilianer ist dies wegen der absurden Einkommensverteilung, in einem Land mit fortdauernder Sklavenhaltermentalität - völlig unerschwinglich.

Mehr Musikexport in die Erste Welt?

Minister Gil müßte auch seine eigene Branche, den Musikbetrieb, demokratisieren, dort die Korruption ausmerzen. Doch nicht wenige Kollegen werfen ihm vor, zu den Machenschaften der großen Musikmultis, bei denen er ja unter Vertrag ist, geschwiegen zu haben - weil er als Star ja nur Vorteile genieße. In Brasilien zahlen die Plattenfirmen an die Radios, bestechen Redakteure, damit die bestimmte Titel rauf - und runterspielen - und damit populär machen, Plattenverkäufe hochtreiben. Böse Zungen behaupten, sowas gäbe es in Deutschland längst auch.

Gil regte sich anfangs über das geringe Ministergehalt auf - immerhin das Vierzigfache des derzeitigen brasilianischen Mindestlohns von umgerechnet an die sechzig Euro monatlich. Das nahm man ihm schwer übel, das machte hier Schlagzeilen - denn viele Millionen Brasilianer bekommen bei weitem nicht mal jenes „Salario Minimo“ - über zwanzig Millionen Brasilianer leiden Hunger.

Zu den Stärken des Tropenlandes zählt die Musica Popular Brasileira, kurz MPB genannt - völlig unbegreiflich, daß der Musikexport bislang noch so schwach ist, einfach nicht gefördert wurde, beklagen viele Künstler. Dies sei absolut unentschuldbar, auch angesichts der Wirtschaftslage. Großbritannien, heißt es, holt heute über den Musikexport mehr Devisen herein als durch Stahlausfuhren - auch die USA stimulieren seit jeher gezielt ihren Kulturexport, schalten jeden neuen Trend weltweit durch, daß die Kassen nur so klingeln. Gilberto Gil interessierte diese Problematik bisher nicht gerade - jetzt fordern seine Kollegen, sich endlich auch darauf zu konzentrieren. Damit, wie im Falle Bossa Nova oder Lambada, nicht immer nur Musikmultis der Ersten Welt den großen Reibach machen.

Editorische Anmerkungen

Der Autor schreibt regelmäßig Berichte aus Brasilien, die er auch dem Trend zur Verfügung stellt. So. z.B.:

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