Als
unter meiner Leitung 1997 für den TREND das Textarchiv Aufruhr &
Revolte aufgebaut wurde, lautete der damals selbst gesetzte
Anspruch, die Textauswahl solle ohne besondere Schwerpunktsetzung
die
ganze Breite der außerparlamentarischen Bewegung darstellen.
Lediglich die Periodisierung in verschiedene Etappen war durch
unsere vorgängigen politischen Einschätzungen bestimmt. Mit der
Textsammlung sollte nämlich deutlich werden, dass der
Vietnam-Kongress eine Zäsur im Selbstverständnis und in der
politischen Orientierung der rebellierenden Jugend darstellte. Denn
nach dem Vietnam-Kongress wurde die Uni als politisches Praxisfeld
nachrangig, die Hinwendung zum Proletariat, die damit verbundene
Kampagnenpolitik, das Herumexperimentieren mit Organisationsmodellen
und der Internationalismus bildeten stattdessen den Mainstream. Die
1 1/2 Jahre bis zur Gründung der K-Gruppen glichen damit einer
Transformationsphase, in der die Aneignung theoretischer Kenntnisse
aus allen Bereichen des wissenschaftlichen Sozialismus und die
Gewöhnung an eine verbindliche, kollektive politische Praxis in den
Mittelpunkt der Jugend- und Studentenbewegung rückten.
Antiautoritärer Klamauk
á la Kommune 1 und Subkultur verschmolzen ab 1968 zu einer
Freizeitszene, in der die gewöhnliche persönliche Eskapade
aufgehoben wurde. Um von der Bewegung, aus der man stammte,
nicht entkoppelt zu werden, und um sich dort einen gewissen
Resonanzboden und Kundenkreis zu erhalten, etikettierte man sich
politisch im Sinne des Zeitgeistes. Der Zentralrat der
umherschweifenden Haschrebellen steht exemplarisch für diese
Symbiose (High sein,
frei sein, Terror muss dabei sein!!).
Bei der damaligen Textauswahl wurde diese Entwicklung mit
einigen exemplarischen Texten und Dokumenten belegt. Ebenfalls nur
am Rande erwähnt wurden der "bewaffneter Kampf", das
"Stadtguerillakonzept" und andere Formen der Propaganda der Tat, da
sie unseres Wissens nach nicht typisch für die politischen Konzepte
der Jugend- und Studentenbewegung anzusehen sind und in den
Transformationsdebatten keine Rolle spielten.
Anfang Juli 2005
erschien Wolfgang Kraushaars Enthüllungsstory über die misslungene
Brandlegung im westberliner Jüdischen Gemeindehaus am 9.11.1969 (Die
Bombe im jüdischen Gemeindehaus), worin er seiner geneigten
Leserschaft nicht nur den Täter mit dessen Geständnis präsentierte,
sondern eine mehr schlecht als Recht konstruierte Handlungskulisse,
die den Schluss aufdrängt, dass in diesem Anschlag der latente
Antisemitismus der Jugend- und Studentenbewegung gleichsam als die
Spitze eines Eisberges sichtbar wurde. Diese auf der Verdrehung
historischer Tatsachen beruhende Propaganda zum Zwecke der
Diffamierung der Jugend- und Studentenbewegung ist nicht neu.
Bereits 1994 - auch aufgehängt an diesem Anschlag - vertrat
Martin Kloke ähnliche Ansichten.
Während Kloke damals
eher unter Insidern diskutiert wurde und dann zu einem
Lieblingsautor in der antikommunistischen antideutschen Nische
aufwuchs, machte Kraushaars Buch sofort breit
Furore im bürgerlichen Medienwald und wirkte bis in
linke Zusammenhänge Verwirrung stiftend.
Sowohl
Kraushaar und als auch Kloke haben berufsbedingt leichten Zugang zu
den Archiven, in denen sich die Dokumente der Jugend- und
Studentenbewegung befinden - darüber hinaus können sie alle
Stasi-Archive für ihre Zwecke nutzen. Und so ist es ihnen ein
Leichtes, in ihren Schriften durch Weg- und Auslassen, durch
Vertauschung von Haupt- und Nebenseiten sowie durch Verschweigen
Geschichte umzuschreiben, um zeitgenössische
Interpretationsbedürfnisse zu erfüllen. Ich bin daher von der
TREND-Redaktion gebeten worden Material zu sichten und
zusammenzustellen, womit deutlich wird, wie und mit welchen Texten
deren Geschichtsklitterung - insbesondere die in Kraushaars neuem
Buch - funktioniert.
Ein großer Vorteil
für seine Klitterungen, die von der zentralen These leben, dass die
politisierte westberliner Kiffer-, Fixer- und Dealerszene der Jahre
1968-70 prägenden Einfluss auf die Jugend- und
Studentenbewegung besessen habe, war bisher möglich, weil die
Agit 883 als eine wesentliche Quelle für diese These nicht
zugänglich ist.
Das wird sich in
wenigen Monaten ändern. Derzeit arbeiten Knud Andresen und Markus
Mohr zusammen mit einem Autorenteam voller Begeisterung an einem
Lesebuch zu Agit 883. Der Arbeitstitel lautet:
"Unruhe in der Öffentlichkeit" / Eine Kneipenzeitung zwischen
Bewegung, Revolte und Underground in Westberlin 1969-72". Das
Buch soll im Herbst 2006 im Verlag A / Berlin erscheinen." Beigelegt
werden CD´s mit den Scans von allen erschienenen AGIT 883.
Dankenswerter Weise
haben mir die Herausgeber vorab bereits alle AGIT 883 zur Verfügung
gestellt, damit ich den Kraushaarschen Klitterungen mit
entsprechenden Dokumenten entgegen treten kann.
Gut Ding will Weile
haben, heißt es. Mit der Nr. 8-05 des TREND beginnt daher ein
Nachtrag zum virtuellen Textarchiv Aufruhr & Revolte, der Texte
wieder zugänglich machen wird, die grob zu folgenden drei
Themen-Bereichen gehören:
- Der
antiimperialistische Blick auf Nahost 1969
- Subkultur in
Westberlin 1968-70
- Die Rezeption
lateinamerikanischer Guerillakonzepte 1968-70
Je nach
Material-/Quellenlage wird sich die Arbeit an diesem Projekt einige
Monate hinziehen. Als erstes werde ich jedoch, meine Kritik an
Kraushaars "Bombenbuch", durch eine Artikelserie ein wenig substantiieren.
Kraushaars Enthüllungen
Die
Verschwörung des Zentralrats der umherschweifenden Haschrebellen und
anderer Antisemiten gegen Israel und die Juden.
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