Kraushaars Enthüllungen
Die Verschwörung des Blocks der Haschrebellen und anderen Antisemiten gegen Israel (Teil 2)

von Karl-Heinz Schubert

10/05

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„Nach dem Buch Kraushaars wird man über 1968 und die Folgen noch einmal neu nachdenken müssen.“ verlautbarte Benedict Maria Mülder  für die 3Sat-Sendung Kulturzeit am 29.06.2005.

Zweifellos zielt diese Prognose auf die aktuell notwendig gewordene Uminterpretation der Jugend- und Studentenbewegung. Und dass dafür das Konstrukt des bindungs- und haltlosen Sozialschweins  eine der tragenden „historischen Koordinaten“ ist, hebt Kraushaar bereits in der Einleitung hervor, wenn er schreibt: „Es rückten mehr und mehr Akteure ins Zentrum der bereits separierten Bewegungsströmungen, die kaum noch etwas oder gar nichts mehr mit der Universität zu tun hatten. Ausgestoßene, Marginalisierte, Trebegänger, Tramps.“(S.16) 

Anders dagegen Gerd Langguth (CDU), der kaum in Verdacht stehen dürfte, irgendetwas mit der Linken am Hut zu haben, in seiner umfassenden Untersuchung „Protestbewegung – Entwicklung, Niedergang, Renaissance“ (1983).  In seiner dem Zeitgeist der 80er Jahre geschuldeten Untersuchung stellt er exakt das Gegenteil fest: Der Organisationsfeindlichkeit des SDS folgte ein Organisationsfetischismus, an die Stelle freiwilliger und spontaner Aktivität trat der Aufruf zu revolutionärer Disziplin. Als revolutionäres Subjekt in dieser Phase des Niedergangs der Protestbewegung wurde nicht mehr der Student oder der »Intellektuelle« als Agent der Befreiungsbewegungen der Dritten Welt gepriesen, sondern das bisher für völlig entmündigt gehaltene Industrieproletariat selbst.“ (S.278) 

Während Kraushaar die historischen Fakten sich zu recht biegt, bis sie durch sein ideologisches Nadelör passen, hat der langjährige Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung freilich die Empirie der Verhältnisse auf seiner Seite. Die Träger des „Organisationsfetischismus“, wie sie sich ab 1969 in der Jugend- und Studentenbewegung entwickelten, waren die auf das Proletariat politisch bezogen arbeitenden K-Gruppen. Sie brachten bereits 1970  rund 11,2 Millionen gedruckter Exemplare ihrer Zentral- und Theorieorgane unter die Leute (Langguth, S.31) und zählten im Jahr darauf etwa 70.000 Mitglieder (ebd. S.57). Angesichts dessen sind dem Languth die westberliner Haschrebellen nur ganze fünf Druckzeilen wert. (S.202/3). 

Frei von solchen Überlegungen würdigten seit Erscheinen im Juli 2005  die Rezensenten aus dem linken Medienlager das „Bombenbuch“. So bewerte die Zeitschrift „Analyse & Kritik“  im krassen Gegensatz zu ihrem im Zeitungsnamen formulierten Anspruch Kraushaars Schreibe als „insgesamt solide recherchiertes Buch“  Für Götz Aly hatte Kraushaar sogar eine “Aufsehen erregende Studie“ fabriziert. Dem Fass die Krone der Kritik ins Gesicht schlug der „antideutsche“ Tjark Kunstreich. Für den war Kraushaars „Bombenbuch“ nur noch der untaugliche Versuch, die „antiautoritäre Revolte“ vom Antisemitismus reinzuwaschen. Dafür, so Kunstreich, wird bei Kraushaar der Antisemitismus „aus der 68er Geschichte exterritorialisiert“ und bei „einer abgefallenen Fraktion“  - nämlich bei Kunzelmann & Co. - verortet. Trotz des Generalverriss mit antideutschem Impetus lobhudelt Kunstreich die Exaktheit und Faktentreue im „Bombenbuch“, die nicht zu widerlegen sei.

Und genau das ist nicht zutreffend. Man mag vieles in seinem Buch - je nach politischem Standort - zurückweisen, der eigentliche Mangel bei Kraushaar besteht aber darin, dass er sich in der entscheidenden Frage - nämlich nach der Bombe im jüdischen Gemeindehaus - eben nicht auf Fakten stützt. 

Bombenfund  und Bombenleger

Als viele der revoltierenden Studenten Anfang der 70er Jahre, motiviert durch die Generalamnestie der Brandt-Regierung, an die Uni zurückkehrten, um dort eine wissenschaftliche Karriere zu starten, entstand dort pilzartig die Kultur des Bluffens und Täuschens. Wolf Wagner veranlasste dies,  in der Prokla Nr. 7 (1973) unter dem Titel "Der Bluff" eine Untersuchung dieser Bewusstseins- und Verkehrsformen zu veröffentlichen. Darin heißt es zutreffend:

"Man könnte demnach die universitäre Intelligenz genauso, wie sie mit Kleinbürgern in Analogie gesetzt wird, auch mit Schatzbildnern oder besser noch mit Kleinbauern vergleichen: Je größer der Misthaufen vor dem Haus, desto größer das Ansehen im Dorf." (S.60)  

Ein Schelm, wer hier Zusammenhänge sieht?  In dem 300 Seiten starken "Bombenbuch" finden sich insgesamt 406, teilweise über zwei Seiten reichende Fußnoten. Davon sind allein gut ein Viertel völlig belanglose Meinungsäußerungen aus der Boulevardpresse, vornehmlich aus der damaligen Springer Presse. In diesen nichts sagenden Wust eingewoben ein weiteres Viertel von Anmerkungen, deren Gehalt bzw. deren Richtigkeit schwer nachprüfbar sind, wie etwa Gerichtsunterlagen, Stasiakten, mündliche Zeitzeugenaussagen. Dies hat Methode.

Da der Textumfang jener Fußnoten pro Seite oft länger ist als der Haupttext, und daher beim Lesen formal wie inhaltlich eher hinderlich, wird sukzessive beim Lesen auf die Zurkenntnisnahme der Fußnoten verzichtet. So fällt zunächst gar nicht auf, wenn auf Seite 29-39 erzählt wird, wie die Bombe gefunden wurde, dass die einzige Quelle ein von Kommissar Wolfgang Kotsch "anschließend verfasster Bericht"(S.29) sein soll;  ergänzt durch Kolportagen aus der Springerpresse, die ihrerseits den damaligen Polizei-Pressemitteilungen oder nur der Phantasie der Journalisten entsprangen.

Doch was heißt "anschließend"? 1969 oder 2004, als das Buch entstand?

Wolfgang Kotsch, Kraushaars Kronzeuge aus dem "westberliner Geheimdienstsumpf", kam vor nicht allzu langer Zeit ins Gerede, als er laut Presseberichten  einem DDR-Dissidenten trickreich und gestützt auf merkwürdige Seilschaften ein Grundstück in Brandenburg streitig machte. In der Presse hieß es dazu:

"Diese rechtskräftigen Urkunden wurden allerdings von den zuständigen Behörden unterschlagen, als sich ein Westberliner Verfassungsschutzbeamter namens Wolfgang Kotsch - der sich bei seinem ersten Auftritt 1990 als Angehöriger der »Weststasi« vorstellte - meldete und die gefälschten Bescheide heranziehen ließ, um selbst »Eigentümer« zu werden."

Um der zusammenphantasierten Darstellung des Bombenfundes Authentizität zu verleihen, werden von Kraushaar genaue Uhrzeiten in den Text montiert und angebliche Zeugenaussagen resumiert. Und die Quellen? Wie gesagt: Herr Kotsch, der "Weststasi".

Um nicht falsch verstanden zu werden. Es geht hier nicht darum, den Fund der Bombe im Jüdischen Gemeindehaus in Frage zustellen, sondern aufzuzeigen, dass bei Kraushaar nicht die Faktentreue im Vordergrund steht, sondern der Versuch eine Mischung aus Dichtung und Wahrheit hinzukriegen, die der politischen Absicht des Buches nicht zuwiderläuft. Diese - in der Einleitung fixiert - wird auf den folgenden 200 Seiten (weiter) entwickelt, bis Kraushaar auf der Seite 248f den Bombenleger, Albert Fichter, selber mit seinem späten Geständnis vom Sommer 2004 zu Worte kommen lässt.

Fichter erinnert sich, dass er eine nicht funktionstüchtige Rauchbombe am 9.11.1969 gegen 10.30 Uhr am Cola-Automaten im Garderobenraum des Jüdischen Gemeindehauses eingewickelt in einen Regenmantel abgelegt haben will. Jene Bombe stammte, so Fichter, von Peter Urbach, dem Waffen- und Drogenlieferanten des westberliner Verfassungsschutzes (siehe dazu auch: Mohr / Viehmann: Spitzel - Eine kleine Sozialgeschichte)  - übrigens die selbe Dienststelle wie die des damaligen Ermittlers, Herrn Wolfgang Kotsch.

Und eben mal zurückgeblättert auf Seite 29-39, da heißt es, dass die von Kotsch gefundene Bombe, eine äußerst gefährliche Sprengbombe gewesen sein soll. Und die Quelle für diese Behauptung? Fehlanzeige. Stattdessen ein argumentatives Mäandern entlang von zeitgenössischen Medienberichten.

Anders als bei der Pseudo-Quelle Wolfgang Kotsch werden über etliche Seiten die von Kraushaar aufbereiteten Lebenserinnerungen des ehemaligen Junkies Albert Fichter quasi als Beweis abgedruckt. Der berufene/bezahlte Zeitzeuge darf erzählen, was er subjektiv für wichtig hält und der Historiker ist Stichwortgeber und aufsaugender Schwamm, der aus den Einlassungen später macht, was er will. Kraushaar jedenfalls schafft es mit dieser Methode eine Story zu präsentieren, wo ein willenschwacher Polit-Junkie zum Werkzeug eines durchgeknallten Antisemiten wird.

Nun könnte man meinen die Wahrheit läge irgendwo zwischen Kotsch und Fichter in der Mitte. Doch die Kraushaarsche Inszenierung, die sich begierig der Mythen bedient, die die Handvoll so genannter Haschrebellen in den Jahren zuvor über sich verbreitet haben, lässt diesen Schluss nicht zu. Eindeutiger Punktsieger sind im "Bombenbuch"  Kotsch und die antikommunistischen westberliner Journalisten. Folgerichtig beschwört Wolfgang Kraus im Schlußteil seines Buches (S. 262) die erneute Aufnahme von Ermittlungen gegen die von ihm geouteten Bombenleger und Drahtzieher:

"Da es sich um Planung, Vorbereitung und Ausführung von Terroranschlägen handelt, die als Mordanschläge auch nach mehr als drei Jahrzehnten noch nicht verjährt sind und wegen den erneut Ermittlungen aufgenommen werden müssten, unterliegen sie bis auf den heutigen Tag und darüber hinaus einer besonderen Geheimhaltung." (Unterstreichung von mir)

Die am Obskurantismus klebende bürgerliche Geschichtswissenschaft nennt Kraushaars Methode „mündlich erfragte Geschichte" - oral history. Sie bildet in der zeitgenössischen bürgerlichen Geschichtswissenschaft den erkenntnistheoretische Ausweg aus der Sackgasse, den Gang der Geschichte und ihre Struktur analytisch nicht durchdringen zu können, und ist gleichzeitig die offene Kampfansage an eine dialektisch-materialistische Geschichtswissenschaft. Hier zeigt sich eben nicht nur an den Inhalten, sondern gerade auch an der Methode, wo der Autor Wolfgang Kraushaar ideologisch steht: rechts - im bürgerlichen Lager.

...wird fortgesetzt 

Editorische Anmerkungen

Der Teil 1 erschien in der Septemberausgabe. Teil 3 wird sich mit dem Mythos der Haschrebellen befassen.

Dieser Artikel wird ergänzt durch die Aufsatzsammlung:


High sein, frei sein,
Terror muss dabei sein!!