Kraushaars Enthüllungen
Die Verschwörung des Blocks der Haschrebellen und anderen Antisemiten gegen Israel (Teil 5)

von Karl-Heinz Schubert

02/06

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Der Kampf des Vietcong gegen den US-Imperialismus war zweifelsohne ein zentraler Focus für die Herausbildung einer anti-imperialistischen Grundhaltung in der Jugend- und Studentenbewegung zwischen 1966 und 1969, dem Jahr ihrer Transformation in die Bewegung der so genannten K-Gruppen.  

Daraus resultierte aber keine am Internationalismus orientierte bundesweite vereinheitlichte linke Politik, sondern so, wie sich die lokalen Zentren der Jugend- und Studentenbewegung  vermittelst der Widerspruchskonstellationen gestützt auf SDS-AktivistInnen vor Ort entwickelten, so konstituierten sich dort lose politische Zusammenhänge entlang ihrer Konfliktfelder vor Ort. Der Internationalismus war eben die Beigabe. Eine der wenigen Kampagnen, die überhaupt bundesweit ablief, war eine mit ausschließlich innenpolitischem Schwerpunkt. Nämlich 1968 die Kampagne gegen die Notstandsgesetze. Sie war kontinuierlich und bundesweit nur deshalb wirksam, weil ihr organisatorisches Rückrad bundesweite Organisationen jenseits der Uni (z.B. IG Metall, Falken, illegale KPD) waren. Zwar war der SDS auch eine bundesweite Organisation, aber im Gegensatz zu den vorgenannten eben nur eine mit regionaler bzw. lokaler Relevanz in gesellschaftlichen Teilsektoren. 

Absurde Befunde 

Vor dem Hintergrund dieser ungleichen und ungleichzeitigen lokalen Entwicklungen innerhalb der Jugend- und Studentenbewegung zwischen 1966 und 1969, die im Nachhinein gern unter dem Füllsel „68“ homogenisiert und mythologisiert werden, ist Kraushaars Versuch in seinem „Bombenbuch“ einfach absurd, das Entstehen eines politisch bundesweit virulenten Antizionismus in der Linken nach dem 6-Tage-Krieg zu behaupten. „Die Ablösung des Vietnamkrieges durch den Nahostkonflikt und die Ersetzung der Identifikation mit dem Vietcong durch die palästinensischen Freischärler hat sich bereits längere Zeit vor dem versuchten Bombenanschlag auf die jüdische Gemeinde abgezeichnet.“ (Kraushaar, S.79) Und es ist ebenfalls absurd, dafür die 22. SDS-Bundeslegiertenkonferenz als „deutlichsten“ Beweis anzuführen. (Kraushaar, S.80ff).  

Die 22. SDS-Bundes-DK, die vom 4. bis zum 8. September 1967 in Frankfurt/M. stattfand, hatte neben der brennenden Organisationsfrage (siehe dazu das Dutschke/Krahl-Referat) die Ausrichtung des Verbandes am Antiimperialismus vermittelst der Vietnamfrage zum Hauptgegenstand. Die DK tagte daher symbolträchtig unter einer riesigen FLN-Fahne, welches die bürgerlichen Medien als ungeheuerliche Provokation werteten. Schließlich besetzten am 7. September 1967 SDS´lerInnen während der DK das Frankfurter Amerikahaus, um eine US-Propagandaveranstaltung zu verhindern. Auch hier hissten sie als äußeres Zeichen für ihre antiimperialistische Orientierung die FLN-Fahne.

Quasi verschämt muss Kraushaar die historische Tatsache eingestehen, dass die angeblich so brennende Nahostfrage bei den Delegierten des SDS auf ihrer 22. Bundeskonferenz doch nur zur Bearbeitung in einer Kommission getaugt hatte. Um all diese Ex-ärmelo-Behauptungen dennoch plausibel erscheinen zu lassen, halluziniert Kraushaar einen  „Einstellungswandel“ (S.79) unter den Linken, indem er auf Martin Kloke, Redakteur für Bildungsmedien im Berliner Cornelsen Verlag, zurückgreift und bei diesem mehr oder weniger den roten Faden seines "Bombenbuches" abschreibt. (Vgl. dazu Kloke: Zwischen Ressentiment und Heldenmythos) 

Klokes Befunde,  die dieser aufgrund seiner „mentalitätsgeschichtlichen Studien“  über die „deutsche Linke“ und ihren Antisemitismus erarbeitet haben will, werden von ihm in drei „D´s“ zusammengefasst. Sie repräsentieren nach Kloke das „tief verwurzelte Schema von Wahrnehmungen“  der Linken: 

"1. Scharon, Israel oder „die Juden“ sind an allem schuld (Dämonisierung).

2. Die damaligen NS-Opfer sind die Täter von heute: Die Palästinenser sind die „Opfer der Opfer“ (Delegitimierung Israels).

3. Israel wird mit anderen Maßstäben gemessen als andere Länder (Doppelter Standard)."

Quelle: http://www.digberlin.de/SEITE/berichte_experiment.php

Es soll hier keinesfalls geleugnet oder heruntergespielt werden, dass es ab Mitte der 70er Jahre eine "Pali-Soli-Bewegung" innerhalb der BRD-Linken gegeben hat, deren Argumentationsmuster mittels dieser drei D´s zu formalisieren wären. Was meinerseits aber energisch bestritten wird, ist die Behauptung, dass die ideologischen Fundamente des Antizionismus bzw. des Antisemitismus der linken Pali-Soligruppen der 70er, 80er und 90er Jahre aus den  Denkmustern und Argumentationsfiguren der sog. 68er Bewegung abgeleitet sind.   

Erstens ist die 68er Bewegung ein Mythos, der konstruiert wurde, entweder um ihn für linke Politik zu funktionalisieren oder um linke Positionen zu delegitimieren. Zweitens war zwischen 1966 und 1969 die Beschäftigung mit internationalen Fragen wie auch mit der Nahostfrage gebunden an lokale Strukturen und deren politischen Besondertheiten, wie z.B. das (Nicht-)Vorhandensein von eher antiautoritären, anarchistischen und maoistischen Gruppen oder eher traditionalistischen, wie z.B. DKP/SEW oder Trotzkisten.

DIe Marginalität der Nahostfrage für die revoltierende Jugend zeigt sich allein schon an den Quellen, auf die Martin Kloke in seinen „mentalitätsgeschichtlichen Studien“  über die „deutsche Linke zurückgreift – übrigens Kraushaars Plagiat ist hier auch nicht fündiger. Und Klokes Quellen sind mehr als spärlich: 

  • Die 22. SDS-Bundesdelegiertenkonferenz  September 1967, die ESG-Nachrichten vom 28.10.1968 und die „Junge Kirche“ Nr.10 von 1968, das SDS-INFO, Nr.19 (1969),  Agit 883 vom 12.9.1969, Hans~Jürgen Krahl, zitiert nach: Süddeutsche Zeitung (SZ) 14./15.8.1969.
  • Sowie KONKRET: Michele Ray, Bei den Partisanen in Israel (Teil 1) vom 18.11.1968; dies., Palästina-Partisanen (Teil 2) vom 16.12.1968; Detlef Schneider, Die dritte Front vom 24.3.1969 und 8.4.1969. 
  • Schließlich noch der unvermeidliche Michael "Bommi" Baumann mit seiner linken Sesamstr. „Wie alles anfing“ Plus die Artikel aus der Agit 883 zum Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus.

Mit dieser Methode werden bewusst einzelne Erscheinungen zum Mainstream verfälscht, um die  „Linke“ als Träger reaktionären Gedankenguts erscheinen zu lassen. Schaut man zum Beispiel in die Agit 883, um sich über den so genannten Mainstream in der westberliner linksradikalen Szene zu informieren, dann zeigt sich für den Zeitraum von der ersten Ausgabe der Agit 883 bis zum Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus (Nr. 40), dass die Beschäftigung mit internationalen Fragen auch in der Westberliner Linken wie anderwo ein Nebenschauplatz war, während die Organisationsfrage in Verbindung mit der Hinwendung zum Proletariat, nämlich das eigene politische Selbstverständnis,  absoluten Vorrang vor allen anderen Fragen hatte. 

Agit 883 Nr. 1-40  insgesamt 414 Texte (nicht mitgezählt div. Anzeigen) 

Betrieb 25

Stadtteil  ( Wohnen, Schule, Kita)

25

Uni auch PH und Bau-Akademie

18

Repression  - Knast, Festnahmen Gesetzesverschärfungen, Überwachungen

89

Subkultur  
auch Konzerte, Lesehinweise, Posters

51

Aktionen
Demos. Besetzungen, Spenden, teach-ins

41

Ideologischer Kampf
Kritik an den Herrschenden, an anderen linken Gruppen (darunter: der Artikel "Schalom  & Napalm" und die RC-Presseerklärung wegen der Bombe im Jüdischen Gemeindehaus) Organisationsfragen, Schulung, politisches Selbstverständnis und Programmatik,

128
Guerilla und Bewaffneter Kampf
darunter zur
El Fatah ein Artikel   
10
Internationales gesamt 27

Europa

18

Amerika

3

Afrika

1

Nahost

3

Asien

2

Quelle: Auswertung durch den Verfasser, der im Besitz aller Agit 883 Ausgaben in digitalisierter Form ist, die er von den Autoren des im Herbst bei Association A erscheinenden Buches "Unruhe in der Öffentlichkeit" / Eine Kneipenzeitung zwischen Bewegung, Revolte und Underground in Westberlin 1969-72". Knud Andresen und Markus Mohr erhalten hat, die dem Buch als CD beigelegt werden. Dann wird die Agit 883 endlich einem breiteren Publikum zugänglich sein.

Von daher ist es nicht verwunderlich, dass es in dieser Zeit im Hinblick auf die Nahostfrage nur eine Handvoll von Broschüren und Texten aus dem Umfeld des SDS gab, die aus lokalen Zusammenhängen stammend und Partei für die Palästinenser ergreifend, überregionale Verbreitung fanden. Die Parteinahme für die Palästinenser erfolgte jedoch nicht auf der Grundlage einer eigenständigen Bearbeitung der Nahostproblematik, sondern war eher zufällig dadurch bestimmt, ob an der jeweiligen Uni Mitglieder einer bestimmten palästinensischen oder/und linken israelischen Organisation/Fraktion studierten.

So gehört es auch zu den gravierenden Mängeln des Kraushaarschen "Bombenbuches", dass die Bewegung des Palästinenser lediglich nur als reine Projektionsfläche für Antisemitismuszuweisungen und als Geburtshelfer für eine Stadtguerilla in der BRD vorkommt. Dass aber die Bewegung der Palästinenser infolge des 6-Tage-Krieges zwischen 1967 und 1969 sich aus der arabischen Nationalbewegung verabschiedete und dabei eine Zersplitterung erfuhr, findet beim Historiker Kraushaar keine Beachtung. Und dass diese Zersplitterungen schließlich noch etwas mit dem Zerfall der kommunistischen Weltbewegung in einen SU und einen VR China-Flügel zu tun hatten, ja dass Aufstandskonzepte aus Algerien, Kuba und Vietnam den Neuformierungsprozess der Palästinensischen Linken inhaltlich bestimmten (siehe dazu Baumgarten, Helga: Palästina, Befreiung in den Staat Ffm 1991, insb. ab S. 219), als nahezu zeitgleich - aber völlig unabhängig davon - in der BRD und Westberlin eine Rezeption dieser Konzepte einsetzte, liegt jenseits des Erkenntnishorizonts des Herrn Kraushaar. Wenn es um Palästinenser geht, dann kennt der Kraushaar nur das Mittel der dreckigen Denunziation gestützt auf Staatsschutzunterlagen und sogenannte. mündliche Auskünfte, wie er es an der Person des Said Dudin exemplarisch exekutiert (Kraushaar, vgl. S. 122-126).

Bezeichnende Tatsachen

Viel stärker als die internationalistische Orientierung waren in der Jugend- und Studentenbewegung antifaschistische Ansichten verbreitet. Freilich gab es wie bei der Imperialismusfrage keine kohärente Linie - etwa entlang der Dimitroffschen Faschismusdefinition vom 7. Weltkongress der KI und dem Schwur von Buchenwald, sondern der Abscheu vor den Verbrechen der Nazis und die Solidarität mit den vom Faschismus Verfolgten - insbesondere den Juden - bildeten die eher als emotional zu bezeichnenden Fundamente dieses Antifaschismus.

Wie ein Mehltau hatte sich in der Nachkriegsperiode der Philosemitismus über die politische Kultur der BRD gelegt, unter dem sich der Antisemitismus und seine Protagonisten aus der Zeit des Hitlerfaschismus, die in Massen öffentliche Ämter bis hinauf zum Bundeskanzler und Búndespräsidenten bekleideten, verbergen konnten.

Detlev Claussen verweist treffend auf diesen Zusammenhang, wenn er schreibt:

"Die Unterscheidung zweier Arten von Juden entlastet in Normalzeiten vom Schuldgefühl, das mit dem gewöhnlichen Antisemitismus einhergeht. Die antisemitische Propaganda versucht aus der Ambivalenz ihr Kapital zu schlagen: Der Agitierte kann sich zugleich als Herr und als Rebell gegen die Herrschaft fühlen. Ambivalenz aber ist auch wirksam in der Relation von Antisemitismus und Philosemitismus; beiden gemeinsam ist die unaufgeklärte affektive Beziehung zum Meinen. In Deutschland konnte das Umschlagen von Antisemitismus in Philosemitismus und umgekehrt mit den wechselnden Autoritätsverhältnissen in den letzten Jahrzehnten gut beobachtet werden. Die Grundstruktur bleibt die Korrelation von Antisemitismus und Gesellschaft; der erklärte "offizielle" Philosemitismus ist jederzeit kündbar. Als Lackmus können Auseinandersetzungen um kulturelle Phänomene gelten. Kultur gilt als positiver Wert in der spätkapitalistischen Gesellschaft; Protest gegen Antisemitismus, der sich in kulturellen Objektivationen niederschlägt, provoziert sofort antisemitisches Vorurteil. Ebenso wenn es um die "nationale Selbstachtung" oder Identität geht: Nationales Selbstgefühl gilt als natürlich; wird es gekränkt, schlägt der offiziell gepflegte Philosemitismus in Antisemitismus um."

Am 13. März 1968 meldet der Berliner Extradienst, dass sich am 8. März in Westberlin ein "Jüdischer Arbeitskreis für Politik" gegründet hat, dem "25 jüdische Bürger" als Gründungsmitglieder angehören. Deren Gründungserklärung hat den von Claussen festgestellten Umschlag des "offiziell gepflegten Philosemitismus in Antisemitismus" zum Gegenstand:

"Das Unbehagen an der politischen Entwicklung in Deutschland kann sich nicht länger als Schweigen manifestieren. Schweigen hieße, den rückläufigen Tendenzen des Status quo zuzustimmen. Schweigen hieße, eine Verantwortung zu mißachten, wie sie die Generationen von Dachau als Vermächtnis hinterließen. Der latente Antisemitismus schlägt verstärkt in offene Agressivität um. Die Emotionalisierung weiter Bevölkerungskreise deckt sich mit der Entdemokratisierung der gesellschaftlichen und politischen Vorgänge. Wenn ein Gespenst umgeht, dann ist es allenfalls das der Restauration. Mit Erschrecken beobachten wir, daß die Sprache des Völkischen Beobachters weiterlebt. Der Jude wird durch sie zum Arier, der Araber zum Juden. So wie hier steigt an vielen Stellen der politischen Realität der neue alte, der verwandelte, der latente Antisemitismus mit gesundem demokratischen Volksempfinden aus dem Massengrab der deutschen Tradition. Neger, Kommunisten, Studenten werden diffamiert, noch ist es nicht opportun, den Juden zu beleidigen. Die Faschisierung jedoch ist nicht mehr mahnende Vergangenheit oder drohende Zukunft, sondern unromantische Gegenwart. Die jüdische Öffentlichkeit in Deutschland ist bisher Teil der passiven Öffentlichkeit. Die allgemeine Gesellschaftskritik findet kaum Widerhall. Der Jüdische Arbeitskreis für Politik ist der Auffassung, daß mit diesem Gebaren gebrochen werden muß. Wir wollen nicht Bewegung um der Bewegung willen. Was wir von uns und anderen verlangen, ist ein klares und öffentliches Engagement. Wir halten nichts von Kritik, die nur kritisiert, was sie unmittelbar selbst betrifft. Moralische Entrüstung kann und darf nie partiell sein. In diesem Zusammenhang beabsichtigen wir, mit der außerparlamentarischen Opposition zusammenzuarbeiten, - betrachten wir uns selbst als ein Teil dieser Opposition."

In diesem Sinne bestand eine der ersten Aktivitäten des "Arbeitskreises" darin, den Alt-Nazi und Bundspräsidenten Heinrich Lübke wegen seiner Nazi-Vergangenheit mittels eines "Offenen Briefes" anzugreifen. Darin hieß es: "Am 1. März 1968 haben Sie in einer öffentlichen Ansprache Stellung genommen zu den gegen Sie erhobenen Vorwürfen, im Dritten Reich als Mitglied der Baugruppe Schlempp aktiv an der Konzeption von KZ-Bauplänen beteiligt gewesen zu sein. Durch diese Vorwürfe ist nicht nur Ihrem Ansehen, Herr Bundespräsident, sondern auch dem der Bundesrepublik Deutschland ein schwerer Schaden zugefügt worden." (Extradienst, ebd.)

Es steht außer Zweifel, dass die Gründung Israels - seit Ende des 19. Jahrhundert propagiert und als koloniales und nationales Projekt geplant und vorbereitet (siehe dazu Weinstock) - infolge des Holocaust zu einer unabwendbaren Notwehrhandlung wurde. Die Gründung Israels wurde daher zuvorderst von der politischen Linken unterstützt. Gerade auch die Sowjetunion gehörte zu den Protagonisten der Gründung Israels, obwohl dafür die Teilung Palästinas erforderlich war. Freilich erfolgte mit der Gründung Israels nicht automatisch eine Bestätigung des nationalistisch-völkischen Staatsverständnis der ZionistInnen. Mit der Gründung Israels gab es auch andere Optionen für einen Zusammenleben im Großraum Palästina - eher sozialistisch - eher in Richtung Assimilierung und eher im Sinne eines nachbarschaftlichen Nebeneinanders von Menschen aus verschiedenen kulturellen und sozialen Zusammenhängen. 

Im bundesdeutschen Nachkriegsklima der Vertuschung und Entschuldung von den deutschen Verbrechen an den Juden gab es keinen öffentlichen Raum, in dem die Entwicklung Israels mit der nötigen Parteilichkeit für diesen Staat bei gleichzeitiger Kritik an der aktuellen die Menschenrechte der Palästinenser verletzenden israelischen Regierungspolitik hätte diskutiert werden können.

Erst in den durch die teach-ins, sit-ins, Picketing-Lines, Demos und Happenings der Jahre 1966/67 massenwirksam zurück gewonnenen öffentlichen Räumen waren die Voraussetzungen für Linke geschaffen, sich des philosemitischen Blicks des herrschenden Personals der BRD zu entledigen. An die Stelle der völkischen oder kulturellen Behandlung einer sozialen Frage trat die Klassenfrage, wer - wen - cui bono?

Unter diesen neuen, d.h. klassentheoretischen Fragestellungen erschienen Israel und der palästinensische Widerstand nun in einem anderen Lichte, zumindest für diejenigen, die sich in ihren Minizusammenhängen mit dieser Frage näher befassten, während von der überwiegenden Mehrheit der radikalen Linken - exemplarisch anhand von Westberlin nachgezeichnet in meiner Studie "Aufbruch zum Proletariat" - die Klassenfrage auf die inländischen Verhältnisse angewandt und der Aufbau revolutionärer Organisationen in Angriff genommen wurde.. 

Unter diesen politischen Rahmenbedingungen trat an die Stelle des Philosemitismus - gerade auch unter Mitwirkung jüdischer und palästinensischer GenossInnen - ein holzschnittartiger Antizionismus. Doch so wenig, wie es eine in sich geschlossene Imperialismustheorie und einen theoretisch und klassengeschichtlich fundierten Antifaschismus  in der Jugend- und Studentenbewegung gab,  so schwach waren auch die theoretischen Fundamente des Antizionismus sein. Der Zionismus wurde nur eindimensional aus der aktuellen Konfliktsituation heraus kritisiert, während der Kampf der Palästinenser unter diesem Gesichtspunkt pauschal als links und fortschrittlich bewertet wurde. Beredte Zeugnisse für meine Ansicht sind die vom SDS- Bundesvorstand im Frühjahr 1969 herausgegebene Broschüre "Der palästinensische  Widerstand zwischen Israel und den arabischen Staaten" und die vom SDS Heidelberg im Februar 1969 in einer  Broschüre verbreiteten Schriften der "Demokratischen Volksbefreiungsfront für Palästina", einer marxistisch-leninistischen Organisation, die später übrigens Flugzeugentführungen vehement aus "humanitären Gründen" ablehnte, weil sich dieses Kampfmittel gegen "Personen, die nichts mit dem Konflikt zwischen Palästinensern und Zionisten zu tun haben" richte. (Baumgarten, S. 225)

Im Vorwort vom Heidelberger SDS heißt es in der Einleitung dieser Broschüre über die linken antizionistischen Strömungen in der BRD-Linken:

"In den Diskussionen innerhalb der linken Studenschaft herrschte vor und nach dem arabisch-israelischen Krieg 1967 keine allgemeine Übereinstimmung darüber, wie die Probleme des Nahen-Ostens gelöst werden können. Es gab und gibt immer noch verschiedene Strömungen innerhalb dieser Linken, die eine ist für den revolutionären Klassenkampf der Arbeiter, Bauern und Soldaten gegen die herrschenden Zwangsapparate und die andere, ist für die Anerkennung des Status-quo und zugleich für den Kampf in einem Lande. Diese Richtung argumentiert so:  Die Araber sollen Israel anerkennen und sich für die Bewältigung ihrer eigenen Probleme engagieren. Eine dritte Strömung schwankt dazwischen und repräsentiert im allgemeinen eine kleinbürgerliche Ideologie."

Hier zeigt sich, dass entgegen der heute gängigen Geschichtsfälschung, die sich in jedem antideutschen Flugi wieder findet, es habe im Anschluss an den 6-Tage-Krieg 1967 einen Mentalitätswechsel in der BRD-Linken hin zu einer uneingeschränkten Pali-Solidarität gegeben, die ideologischen Karten ganz anders angemischt waren. So ist es schließlich auch eine historische Tatsache, dass der Bundesvorstand des SDS, in seiner im November 1968(!!)  gewählten (Not-)Zusammensetzung, sich gerade nicht zu einer ungeteilten Solidarität mit den Palästinensern durchringen konnte, sondern dass der SDS-BV zur Behandlung der Nahostfrage auf einen differenzierten Text des Franzosen Gerard Chaliand zurückgriff, der im März 1969 in der Le Monde Diplomatique erschienen war. Eine der Kernaussagen darin lautete:

"Der Zionismus, der sich auf seine 'Weise bemühte, das jüdische Problem zu lösen, indem er in Palästina einen Nationalstaat schuf - ein Problem übrigens, das bis heute nicht völlig gelöst ist, weil viele Juden nicht in Israel leben - mußte mit dem anwachsenden arabischen Nationalismus in Konflikt geraten. Der Druck, der die arabischen Massen gegen den israelischen Staat treibt, ist, wie man oft glaubt, nur das Produkt von Regierungspropaganda, oder Ausdruck bloßen Anti-Semitismus europäischen Typs. Gewiß scheint heute die Grenze zwischen Antizionismus und Anti-Semitismus oft nur sehr schwierig ausgemacht werden können. Offensichtlich dient der Anti-Zionismus den arabischen Regierungen dazu, Unfähigkeit und Korruption der herrschenden Klassen zu verdecken, indem man den Druck gegen einen äußeren Feind richtet, um Arbeitslosigkeit und Elend vergessen zu machen. Aber der Hass,

den Israel hervorgerufen hat, ist - ob man will oder nicht - in den Augen der arabischen Massen das Ergebnis einer Einmischung, die von Europa ausging und die Araber eines Teils ihres Landes beraubte, und zwar mit Zustimmung und oft auch mit Hilfe des westlichen Imperialismus."

Im gleichen Jahr erschien die deutsche Übersetzung des "Kolloquiums arabischer Juristen über Palästina, welches unmittelbar nach dem 6-Tage-Krieg in Algier vom 22.7. bis 27.7.1967 in Algier stattgefunden hatte. Die Autoren legen in dieser Schrift ungeheuren Wert darauf rein formaljuristisch aufzuzeigen, dass die Staatsgründung Israels Unrecht gewesen sei und seitdem ein permanenter Kriegszustand zwischen Israel und den arabischen Anrainerstaaten herrschen müsse. Als Herausgeber fungierte der algerische Justizminister, gedruckt wurde diese Abhandlung in Bonn-Beuel. Der Adressat war augenscheinlich das politische Personal der BRD und weniger die Linke, in deren Zusammenhängen dieses Buch nicht auftauchte.

Über die politische Stoßrichtung dieser Schrift ließ der Herausgeber keinen Zweifel aufkommen. Darin heißt es im Vorwort:

"Das Schuldgefühl der Deutschen gegenüber den Juden, das aus den Verbrechen unter der Herrschaft des NS-Regimes gegen jüdische Bürger resultiert, darf nicht länger eine objektive Beurteilung der Palästina-Frage verhindern. Wir müssen uns darüber im klaren sein,, daß wir das Unrecht an den Juden nicht dadurch wiedergutmachen können, indem wir das Unrecht der israelischen Regierung an den Arabern Palästinas gutheißen....Ziel und Absicht dieser Dokumentation ist es, jedem zu ermöglichen, sich selbst ein vorurteilfreies Bild darüber zu machen, wer in Palästina Aggressor auf der einen und die Vertriebenen und Unterdrückten auf der anderen Seite sind."

Ähnlich argumentiert - wenig verwunderlich -  mit umgekehrten Vorzeichen, nämlich von der völkerrechtlichen Korrektheit der israelischen Staatsgründung ausgehend, eine Ende 1968 von der Presseabteilung der Botschaft in der BRD des Staates Israel herausgegebene Broschüre mit dem Titel "Der Frieden - Die Lösung des Flüchtlingsproblems" populistisch und formalistisch.

An das Nationalgefühl der bundesdeutschen LeserInnen appellierend, heißt es darin eingangs: "Die Welt der Nachkriegszeit hat umfangreiche Bevölkerungsverschiebungen erlebt......Mehr als 3 Millionen Sudetendeutsche, die aus der Tschechoslowakei vertrieben worden sind, haben sich in dem Land niedergelassen, das sie aufgenommen hat. Die Bundesrepublik Deutschland hat 9 Millionen Flüchtlingen aus Ostdeutschland Zufluchtsstätten gegeben. Dank der Gleichheit der Sprache, des Glaubens, des nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls und derselben Lebenseinstellung sind alle diese Flüchtlinge ermutigt und unterstützt worden, sich mit der Gesellschaft in ihrem Aufnahmegebiet zu indentifizieren, was für alle eine segensreiche Lösung war." (S. 6f).

Sodann folgt eine Darstellung der Geschichte der jüdischen Einwanderer nach Palästina. Jedoch kein Wort zum Holocaust, kein Wort über die Notwendigkeit der Besetzung eines fremden Territoriums, um sich ein für alle Mal einen sicheren Zufluchtsort zu schaffen. Dafür aber folgt fast 30 Seiten lang Formaljuristisches zur Einstimmung auf die danach dokumentierten Rede von Michael Commay, dem Chef der israelischen UN-Delegation, die dieser am 14.12.1967 vor der UNO gehalten hatte. Die zentrale Argumentationsfigur in beiden Texten ist die Reduzierung des Nahostkonflikts auf einen völkisch konstruierten Gegensatz Araber versus Juden, aufgehängt an der Flüchtlingsfrage. Bezeichnend jedoch ist die Tatsache, dass in diesem völkischen Gedankenbrei keine PalästinenserInnen vorkommen - außer an zwei Stellen ( S.17 und S.23) des Einleitungstextes nämlich  dargestellt als terroristische Handlager der arabischen Staaten. Für den israelischen Chef der UN-Delegation dagegen existieren in seiner Rede Palästinenser überhaupt nicht. Im seinem Schlusswort wird diese Ignoranz noch einmal deutlich, wenn er sagt:

"Mit Beginn des dritten Jahrzehnts der Existenz des wiedererstandenen Staates Israel richten wir an das arabische Volk einen glühenden Appell: Vereinigen wir unsere Bemühungen, um diese Region aufzubauen, mit ihrer reichen Kultur, aus der wir beide hervorgegangen sind. Groß ist die Aufgabe, die uns erwartet, um Krankheit und Hunger, Unbildung und Unterentwicklung zurückzudrängen. Beide besitzen wir die Schätze der Weisheit und des Wissens, die uns in ein besseres Morgen führen können."

Von der rein nationalistischen Orientierung arabischen Juristen und israelischer Diplomaten unterschied sich in diesem Zeitraum 1967 -1969 die Bewertung des Nah-Ost-Konfliktes durch die Al Fatah deutlich. Ihnen ging es um die Schaffung eines vom Imperialismus befreiten Palästina, um dort einen sozialistischen Staat zu errichten. Diese palästinensischen Revolutionären sahen sich daher in einem doppelten Widerspruch verwickelt. Auf der einen Seite lehnten sie das "zionistische Staatsgebilde" ab, während sie auf der anderen Seite, den "Weg für eine Revolution in der arabischen Welt" vorbereiteten. Diese Ansichten verbreitete die Al Fatah in der BRD  im November 1969 in der in Frankfurt/M erscheinenden Zeitschrift "Resistentia Schriften". Darin heißt es "Zur Judenfrage":

"Ohne Zweifel ist die israelische Gesellschaft durch den Zionismus rassistisch und imperialistisch orientiert, und wir kämpfen für die Demokratisierung dieser Gesellschaft. Israel hat sich von allen Freiheitsbewegungen der Welt isoliert, keine progressive Aktion in der Welt erhält von Israel Unterstützung oder hätte seine Sympathie. Daher ist unsere Forderung eines demokratischen palästinensischen Staates gleichzeitig als eine Aufforderung an alle demokratischen Kräfte Israels zu verstehen. Aber nicht an die Verbalisten, die Fortschritt sagen und damit Zionismus und Imperialismus meinen. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß in Israel ein fortschrittlicher Kern entstanden ist, der der gleichen Härte und Brutalität des Zionismus ausgesetzt sein würde, wäre er nicht bisher so zahlenmäßig gering. Der Anfang ist jedoch

da, und wir hoffen, daß aus dieser Minderheit eine Massenbewegung wird, die die Gründung eines demokratischen palästinensischen Staates vorantreibt. Eines Staates ohne Zionismus, Rassismus und religiösen Fanatismus: Einen Staat für alle!"

Dies waren in etwa die politischen Quellen des Antizionismus, auf die sich linke Minigruppen, wie z.B. das westberliner Palästinakomitee stützen konnten, um sich davon  bei ihren Untersuchungen zur Nahostfrage leiten zu lassen. So entstanden dann 1969 einige Aufsätze dieses Komitees, die - nachdem sie in kleinen Runden (z.B. im westberliner Republikanischen Club, wo der "Jüdische Arbeitskreis für Politik" regelmäßig tagte) diskutiert worden waren -  in der "Sozialistischen Politik" (Nr. 2 und 3,1969) und der Roten Pressekorrespondenz erschienen und mittels dieser überregionale Verbreitung erlangten. Schließlich erschien noch in der Dezemberausgabe der "Sozialistischen Politik" (4/1969) ein Aufsatz von Bassam Tibi, der eine kritische Darstellung des Verhältnisses von Militär und Nationalismus in den arabischen Ländern zum Gegenstand hatte.

Die Beschäftigung mit der Nahostpolitik durch die studentische Linke folgte also keinem besonderen Plan, war eher Ausdruck lokaler Besonderheiten (wie oben ausgeführt) und von daher auf informelle Kontakte zur Al Fatah oder Mazpen (israelische soz.Organisation) angewiesen. Anders dagegen verlief die Vermittlung der israelischen Interessen im Nahostkonflikt. Hier standen den Israelis die Informationskanäle der offiziellen Staatsbürgerkunde, wie z. B. die Bundeszentrale für Politische Bildung, zur Verfügung. Daneben verbreiteten die israelischen Vertretungen in der BRD etliches Propagandamaterial, womit sie versuchten, auf den Meinungsbildungsprozess der studentischen Linken Einfluss zu nehmen.

Editorische Anmerkungen:

Der Teil 1 erschien in der Septemberausgabe, Teil 2 in der Oktoberausgabe und der 3. Teil in der Novemberausgabe. Der vierte Teil erschien schließlich in der Dezemberausgabe 2005. Der 6. und letzte Teil wird sich mit der Frage befassen, inwieweit heute eine Parteinahme für eine der in Nahost kämpfenden Parteien vom Standpunkt einer klassenkämpferischen Politik überhaupt möglich ist.

Diese Artikelserie wird ergänzt durch die Aufsatzsammlung:


High sein, frei sein,
Terror muss dabei sein!!