Israel
Der neue Staat des jüdischen Volkes

von Paul Merker
12/04

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Die Freude der jüdischen Bevölkerung Palästinas über ihren neuen Staat wird durch die Trauer über die neuen Opfer und über die drohende Vertiefung der Kluft zwischen ihr und der arabischen Bevölkerung getrübt. Ihre Lage ist nach wie vor eine kritische. Es wird noch viele schwere Kämpfe erfordern, um die Ruhe und Sicherheit herbeizuführen, welche die jüdische Bevölkerung Palästinas so dringend benötigt, um ihr Land aufzubauen und es zu einer solchen Blüte zu entwickeln, damit Raum und Möglichkeiten für die Existenzsicherung der vielen Tausenden heimatloser Juden geschaffen werden, die sich heute noch auf Cypern und als „Displaced persons" in Europa befinden und die sich für die Übersiedlung nach Palästina entschieden haben.

Der jüdischen Bevölkerung gehören die Sympathien und die tatkräftige Hilfe aller fortschrittlichen Kräfte. Besonders die demokratischen Kräfte Deutschlands haben die Verpflichtung, ihre Sympathie und Hilfsbereitschaft offen zum Ausdruck zu bringen. Die Errichtung eines jüdischen Staates in einem Teil Palästinas mit seinen fortschrittlichen Ideen und den sozialistischen Bestrebungen seiner Arbeiterbewegung wird nicht ohne Auswirkungen gegen die feudale Reaktion der arabischen Könige, Fürsten und Mufftis bleiben. Das aber ist der Grund, der diese absoluten Herrscher versuchen läßt, arabische Arbeiter und Bauern nationalistisch aufzureizen und sie in einen reaktionären Krieg gegen den neuen jüdischen Staat zu hetzen. An einem Krieg der arabischen Länder gegen den neuen jüdischen Staat würden nur die arabischen Feudalherren und bestimmte imperialistische Interessengruppen den Nutzen haben. Er würde dagegen die furchtbare Notlage und die an Leibeigenschaft grenzenden Lebensbedingungen der Massen der arabischen Bevölkerung nur noch verschärfen.

Die englische Regierung hat zwar durch ihren Kolonialminister Creech Jons(1) mitteilen lassen, daß sie entschlossen sei, alle notwendigen Schritte zur Befriedung des Landes zu unternehmen. Bisher ist jedoch in dieser Hinsicht nichts Ernstliches geschehen. Das hat seine Ursache unter anderem auch in der Tatsache, daß der übergroße Teil der palästinischen Polizei aus Arabern besteht. Man sagt, die englische Regierung werde ihr Mandat über Palästina am 15. Mai 1948 aufgeben, damit am l. Juni der neue jüdische und der neue arabische Staat proklamiert werden können. Die Evakuierung der englischen Truppen solle bis Ende August beendet sein. Unterdessen wurde jedoch diese Mitteilung wieder dementiert. Das amerikanische State-Department hat unterdessen ernste Warnungen an die arabischen Länder wegen der Demonstrationen vor den USA-Konsulaten gelangen lassen und darauf hingewiesen, daß es den Schutz seiner Konsulate selbst übernehmen werde, wenn sich weiter solche Vorfälle ereignen sollten. So bieten sich durch die Ereignisse für die amerikanische Reaktion gute Möglichkeiten, mit einem Schein des Rechts die Durchdringung der arabischen Länder mit ihren Kräften zu beschleunigen.

Die Sowjetunion tritt für die Bildung eines unabhängigen jüdischen Staates ein. Sie hält die Teilung Palästinas für erforderlich, weil sich die Gegensätze zwischen der jüdischen und arabischen Bevölkerung vertieft haben. Die Sowjetunion hat nichts dagegen einzuwenden, wenn Palästina sich zum kulturellen und religiösen Zentrum der Juden der ganzen Welt entwickeln sollte. Nach Äußerungen von Mitgliedern der sowjetischen UN-Delegation, die an der Bearbeitung der Palästinafrage teilnahmen, wird die Sowjetunion auch die Alijah sowjetischer Juden nach Palästina gestatten. Die Führer des Judentums in der Sowjetunion werden von nun an im direkten Kontakt mit dem jüdischen Zentrum in Palästina stehen.

Was die Sicherung der Bevölkerung des neuen jüdischen Staates nach der Zurückziehung der britischen Besatzung betrifft, so steht vor der UN das Problem der Bildung und Entsendung einer internationalen Polizeitruppe. Über diese Frage finden zwischen der Sowjetregierung und Washington Verhandlungen statt, bisher noch zu keinem Resultat geführt haben, weil über die Stärke der Polizeitruppe keine Verständigung erzielt werden konnte. Washington vertrat den Standpunkt, daß sehr starke Formationen mit modernster Ausrüstung, mit Tanks und mit Flugzeugen in größerer Zahl notwendig seien. Die Sowjetunion plädierte dagegen für eine bescheidenere internationale Polizeitruppe und für den Ausbau der eigenen bewaffneten Kräfte des neuen jüdischen Staates.

Auf Seiten reaktionärer Kreise Amerikas stößt die Bildung einer solchen internationalen Polizeitruppe aber überhaupt auf Ablehnung. Sie möchten unter allen Umständen vermeiden, daß sich sowjetische Kräfte als Angehörige einer internationalen Polizeitruppe an einem für den amerikanischen Imperialismus so wichtigen strategischen Punkt des Nahen Ostens einfinden. Infolgedessen machte der Senator Owen Browster den Vorschlag, ein USA-Freiwilligenkorps zur Wahrung von Ruhe und Ordnung in Palästina zu formieren. Als Mitglieder des Korps sollen 250 000 amerikanische Juden gewonnen werden. Die Führung des Korps soll aus amerikanischen Offizieren und seine Waffen aus amerikanischem Material bestehen.

Es sind auch noch andere Bestrebungen im Gange, den neuen jüdischen Staat unter den Einfluß des amerikanischen Imperialismus zu stellen. Zum Beispiel hat die Jüdische Agentur beschlossen, vorläufig keine Einwanderer aus den osteuropäischen Ländern und den Balkanstaaten nach Palästina zuzulassen. Daraufhin erklärte der jüdische Arbeiterführer und frühere Oberbefehlshaber der Haganah, Dr. Moshe Sneh (2), der Beschluß sei eine von antisowjetischen Kreisen in USA geforderte Maßnahme. Er trete aus Protest dagegen aus der Exekutive der Jüdischen Agentur aus, da der neue jüdische Staat keine Politik betreiben dürfe, die sich gegen die Sowjetunion richtet, wenn er seine Unabhängigkeit bewahren und seinen demokratischen Aufbau entwickeln wolle.

Soweit imperialistische Mächte über das Schicksal des jüdischen Staates in Palästina entscheiden, haben sie natürlich dabei ihre eigenen Interessen im Auge. Der neue jüdische Staat wird sich infolgedessen nur dann frei entfalten können, wenn seine Bevölkerung erkennt, daß ihre nationale Zukunft von ihrer eigenen Politik und ihren eigenen Maßnahmen abhängig ist. Bei dieser Politik und diesen Maßnahmen stehen die folgenden grundlegenden Probleme im Mittelpunkt: alles für eine Verbesserung des Verhältnisses zu der arabischen Bevölkerung einzusetzen, die eigenen Kräfte zur Abwehr der Angriffe arabischer Reaktionäre und ihrer Helfershelfer zu stärken; sich nicht in die politische oder wirtschaftliche Abhängigkeit der einen oder der anderen imperialistischen Großmächte zu begeben, enge freundschaftliche Beziehungen mit der Sowjetunion, den Ländern der neuen Demokratie und der um ihre nationale Freiheit kämpfenden asiatischen Völker herbeizuführen; die Kräfte des Fortschritts in der ganzen Welt zu unterstützen und den neuen Staat in deren Front einzureihen.

Anmerkungen

1) Arthur Creech-Jones war Undersecretary for Colonial Affairs der britischen Regierung.

2) Mosche Sneh trat im Juli 1946 als Oberbefehlshaber der militärischen Untergrundorganisation Haganah zurück; er war 1947/48 Leiter des für Europa zuständigen Zweigs der Politischen Abteilung der Jewish Agency for Palestine und zugleich Leiter der Einwanderungsabteilung.

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien am 24.2.1948 in "Neues Deutschland", S. 2. Er ist ein Ausschnitt aus dem Artikel Merkers „Der neue Staat des jüdischen Volkes entsteht", veröffentlicht in: Die Weltbühne 3(1948)5-6, S. 110-116. Paul Merker war damals Mitglied des Parteivorstandes und des Zentralsekretariats der SED.

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