Editorial
1921 "Schicksalsjahr" für die deutsche und internationale ArbeiterInnenbewegung

von Karl Mueller

05/11

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Wer in die vorliegende Ausgabe reinschaut, wird schnell feststellen, dass Fragen der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung mit mehreren Artikeln quasi einen Schwerpunkt dieser Ausgabe bilden. Der Anstoß dazu kam durch Harry Waibels Referat Für Befreiung und Emanzipation, das in der vorigen Ausgabe veröffentlicht wurde, und worin er sich mit der Organisationsfrage als eine wesentliche Grundfrage der revolutionären Arbeiterbewegung beschäftigt. Konkret waren es dann die dabei angesprochenen Notizen Rosa Luxemburgs über die russische Revolution. Sie führten uns durch ihren Herausgeber Paul Levi ins Jahr 1922. In diesem Zusammenhang stellten wir fest, dass Paul Levi 1921 noch KPD-Vorsitzender gewesen war und nun die Partei zentral mit der Herausgabe von Rosa Luxemburgs Notizen von außen anzugreifen versuchte. Das zu verstehen brachte uns zu einem wahren Knäuel an Ereignissen, die wir durch die Chronologie der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in einem ersten Anlauf zu strukturieren versuchten. Nun zeigte sich, dass das Jahr 1921 eine Art "Schicksalsjahr" für die deutsche und internationale ArbeiterInnenbewegung war.

Als die zentralen Ereignisse des Jahres 1921 erwiesen sich aus unserer Sicht: Das Scheitern des Mitteldeutschen Aufstands sowie der Abschied von der Offensivtheorie und die Hinwendung zur Einheitsfrontpolitik, eingeleitet durch die Beschlüsse des III. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale. Das Ende des Kriegskommunismus in Russland und der Übergang zur "Neuen Ökonomischen Politik", verbunden mit der Einführung des Fraktionsverbots ("Plattformverbot") in der russischen kommunistischen Partei. Schließlich der Kronstädter Aufstand, der heute im linksradikalen Spektrum einerseits als konterrevolutionär andererseits als Versuch, "die proletarischen, revolutionären Ideale des Oktober 1917 zu verwirklichen" (Waibel), bewertet wird.

Um diese drei Ereignisse gruppieren sich folgende Artikel:

Das Ende der Rätebewegung von Oskar Anweiler - eine Darstellung der Kronstädter Ereignisse von 1921 aus der Sicht eines bürgerlichen Historikers. Dieser Artikel sollte in Verbindung mit Meinhard Creydts Kommentar zum Mythos Kronstadt gelesen werden. Parallel zum Kronstädter Aufstand tagte der X. Parteitag der KPR (B) und beschloss das so genannte Fraktionsverbot. Dem widmet sich Wolfgang Harich mit seinem Aufsatz: Kommunistische Parteien brauchen kein Fraktionsverbot. Über die vermeindlichen ideologischen Grundlagen der Leninschen Politik informiert Ulf Wolters Abhandlung über das Verhältnis von Kontinuität und Bruch zwischen Jakobinismus, Sozialdemokratismus, Leninismus und Marxismus-Leninismus. Karl-Heinz Schuberts Replik auf Harry Waibel Geschichte als Steinbruch integriert gleichsam mehrere in den zuvor genannten Artikeln enthaltenen Aspekte.

In der  Philosophie-Rubrik findet sich der Text Maoismus versus Stalinismus, der im weiteren Sinne ebenfalls dazugehört, weil er die Behandlung der Widersprüche in Klassenkämpfen durch Stalin kritisch hinterfragt, der bekanntlich Lenins theoretische Leistungen unter dem Label "Leninismus" - d.h. seine Interpretation - für sakrosankt erklärte. Der Text ist darüber hinaus eine interessante Quelle, weil durch ihn deutlich wird, dass die Jugend- und Studentenbewegung bei ihren Transformationsversuchen 1969-1970 in eine revolutionär-kommunistische Bewegung verstehen wollte, warum die "sozialistischen Staaten" des Warschauer Paktes revisionistische, d.h. abzulehnende Projekte sind/waren.

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Bei unserer Beschäftigung mit der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung sehen wir uns nicht als Quasi-HobbyhistorikerInnen, sondern wir reagieren damit publizistisch auf das zunehmend formulierte Bedürfnis nach Schaffung einer Organisation, die fähig ist, in die Klassenauseinandersetzungen so einzugreifen, dass die Kämpfenden sich in Betrieb, Stadtteil, Schule und Hochschule zusammenschließen - d.h. aus einer Klasse an sich zu einer für sich werden. Für diese Tendenz steht nicht nur der Aufruf zur Gründung einer antikapitalistischen Organisation, den wir in der Nr.3/11 veröffentlichten, sondern auch die beiden Grundsatzpapiere  der Anarchistische Gruppe/Rätekommunisten  und der Sozialistische Linken, die wir in dieser Ausgabe dokumentieren.

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Nachdem ich im letzten Editorial gegen die AutorInnen des "Gründungsaufruf" polemisiert hatte, erhielt die Redaktion einen ähnlich polemischen LeserInnenbrief als Antwort, der dankenswerterweise mit einer Einladung  zu einem öffentlichen Disput verbunden war. Zwischenzeitlich haben wir uns getroffen, um diesen vorzubereiten.

Zunächst ergab das persönliche Gespräch, dass nicht die AutorInnen von „Aufruf zur Gründung einer neuen antikapitalistischen Organisation“ einen Parteibildungsprozess anschieben (wollen), so wie es das Papier vermittelt, sondern die Gruppe Avanti. Ihr Papier soll den dortigen Diskussionsprozess begleiten und weitere Kräfte in diesen Prozess einbinden. Vor diesem Hintergrund ging natürlich meine Polemik gegen dieses Papier über das Ziel hinaus. Nach dieser Abklärung verständigten wir uns ohne besondere ideologische Verrenkungen über eine öffentliche Veranstaltung, wo der "Gründungsaufruf" in einer Pro & Contra-Form diskutiert werden wird. Der Termin soll in der 25. Kalenderwoche sein. Der Disput soll sich schwerpunktmäßig auf den Klassenbegriff und das Parteikonzept des Aufrufs beziehen. Der LeserInnenbrief auf meine editoriale Polemik wird zusammen mit dem Material zur Veranstaltung, wenn Ort und Zeit genau feststehen, veröffentlich.

Bleiben wir abschließend noch kurz beim Thema LeserInnenbriefe.

Ende März erhielten wir von  Claudia Kratzsch (BASTA, BAG PLESA), Frank Jäger (Tacheles e.V., Bündnis für ein Sanktionsmoratorium), Angelika Wernick (Berliner Kampagne gegen Hartz IV, Bündnis für ein Sanktionsmoratorium), Guido Grüner (ALSO), Jürgen Freier (Berliner Kampagne gegen Hartz IV, Bündnis für ein Sanktionsmoratorium) einen Artikel als Antwort auf Anne Seecks Artikel "Aufstand der Armen" erschienen in TREND 1/2011.

Im HerausgeberInnenkreis  wurde nach eingehender Diskussion beschlossen, den Antwortartikel nicht zu veröffentlichen, da mit ihm keine sachliche Auseinandersetzung versucht wird, sondern Schmähungen den Hauptteil des Artikels ausmachen. Dies teilten wir - verbunden mit dem Angebot eines persönlichen Gesprächs - am 3. April gleichzeitig zum Erscheinen der Nr. 4/2011 den AutorInnen mit. Am 2. Mai erhielten wir als Antwort eine Mail von Guido Grüner, worin er sich über den Nichtabdruck beschwert. Die Beschwerde endet mit dem Satz: "Sich auskotzen (gemeint ist Anne Seecks Artikel - kamue), was einer/m alles nicht gefällt ist einfach aber kein "anderes politisches Konzept" (Eure Formulierung), das diskutiert werden könnte."

Wir sind für die Austragung von politischen Widersprüchen, um sie aufzulösen. Dazu sind auch Polemiken manchmal hilfreich. Wenn jedoch eine Seite nur aufrechnen will, um die andere ins Abseits zu stellen, dafür sind wir nicht zu haben - auch nicht unter dem Vorwand lediglich nur  "Falschinformationen" richtig stellen zu wollen.

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