Für Befreiung und Emanzipation!
Kritik der marxistisch-leninistischen Organisierung - oderNur wer das Ziel kennt, findet den Weg!


von
Harry Waibel

04/11

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Welches dialektische Verhältnis besteht zwischen einer revolutionären Organisation und dem Proletariat? Was ist aus den Fehlern und Niederlagen des marxistisch-leninistischen Flügels der Inter­nationalen Arbeiterbewegung zu lernen?

Durch meine Studien auf der Grundlage von Archivmaterial zum Rassismus und Anti-Semitismus in der DDR, habe ich Einblicke in interne Abläufe der gesellschaftspolitischen Hierarchie im All­gemeinen und der SED im Besonderen. Dabei wurde ich in Lernpro­zesse verwickelt, mit deren Hilfe ich die furchtbare Praxis des „Demo­kratischen Zentralismus“, als wesentlichen Bestandteil der marxistisch-leninistische Ideologie, verstehen konnte. Die daraus entwickelte historisch begrün­dete Kritik der marxistisch-leninistischen Ideologie be­schreibt die Auswirkungen dieser autoritären Konzeption auf das Modell einer Kommunis­tischen Partei, also der KPdSU, so wie es auch von Le­nin und Trotzki vertreten wur­de. Welche historisch-politischen Folgen sind dabei zu gegenwärtigen, besonders seit sich J. Stalin der leninistischen Organisationsform willkürlich bedienen konnte.

I.

In ihrem kritischen Aufsatz „Zur russischen Revolution“ (1918 ge­schrieben und 1922 post­hum durch Paul Levi veröffentlicht), beschreibt die Genossin Luxem­burg beinahe prophetisch die Aus­wirkungen eines „Diktatorischen Sozia­lismus“, wie er bis dahin von Lenin und Trotzki vertreten wurde:

„Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versamm­lungsfreiheit, freien Mei­nungskampf erstirbt das Leben in jeder öf­fentlichen Institution, wird zum Scheinleben, in dem die Bürokratie allein das tätige Element bleibt. Das öf­fentliche Leben schläft all­mählich ein, einige Dutzend Partei­führer von uner­schöpflicher Ener­gie und grenzenlosem Idealismus diri­gieren und regieren, und eine Elite der Arbeiterschaft wird von Zeit zu Zeit zu Versammlun­gen aufgebo­ten, um den Reden der Führer Beifall zu klatschen, vor­ge­legten Resolutionen ein­stimmig zuzustimmen, im Grunde also ei­ne Cliquenwirtschaft - eine Diktatur allerdings, aber nicht die Dikta­tur des Proletariats, sondern die Diktatur einer Handvoll Politiker, d.h. Diktatur im rein bürgerlichen Sinne […] Ja noch weiter: Sol­che Zustände müssen eine Verwilderung des öffentlichen Lebens zeitigen: Attentate, Geiselerschie­ßungen, etc. Das ist ein übermächti­ges, objektives Ge­setz, dem sich keine Partei zu entziehen ver­mag.“1

Diese Kritik der Genossin Luxemburg trifft den entscheidenden Punkt re­volutionärer Auffas­sung: Die Di­a­lektik zwischen einer kommunistischen Partei zu den Massen. Le­nin und Trotzki setzten auf autoritäre Unterwerfung, also auf den „Demo­kratischen Zentralismus“, einer Befehlsstruktur die sie dem Militärischen entlehnten. R. Luxemburg konnte jedoch bei aller theoretischen Klar­heit und präziser Formu­lierkunst nicht voraussehen, dass sich die von ihr kritisierte Entwicklung in eine blut­rünstige Mordmaschine verwandelte, mit der jeder innere oder äußere Wider­spruch, ob voll­zo­gen oder nicht, vernichtet werden konnte.

II.

Das erste Exempel auf dieser Linie war die Zerschlagung des Aufstands der Kronstädter Kommune von Ende Februar bis zum 18. März 1921, durch regie­rungstreue bol­schewistische Truppen. Die bolschewistischen Führer hätten eine Wahl gehabt, und das sie hier keine Ver­handlungslösung an­gestrebt haben, ist nur mit ihrer dogmatischen und autoritären Haltung zu verstehen! Zum besseren Verständnis stelle ich hier auszugsweise Forderungen der Kron­städter Mat­rosen und Arbeiter vor, ge­gen die die Bolschewisten ihre Truppen in Marsch gesetzt hat­ten:

  • „Neu-Wahlen mit geheimer Abstimmung
  • Rede- und Pressefreiheit für Arbeiter, Bauern, Anarchisten und linksste­hende sozialisti­sche Parteien
  • Sicherung der Versammlungsfreiheit für Arbeitergesellschaften und Bauern­organisatio­nen
  • Einberufung einer Konferenz parteiloser Arbeiter, Soldaten der Roten Ar­mee und Matro­sen von Petrograd, Kronstadt und der Petrograder Provinz für nicht später als den 10. März 1921
  • Befreiung aller politischen Gefangenen der sozialistischen Parteien und al­ler in Verbin­dung mit Ar­beiter- und Bauernbewegungen eingesperrten Arbeiter, Bauern, Soldaten und Mat­ro­sen
  • Wahl einer Kommission zur Revision der Fälle von Inhaftierten (in der deut­schen Über­set­zung: „in Gefängnissen und Konzentrationslagern“ be­findlichen“)

[…]“

Das Programm der Kronstädter Kommune stellt den letzten Versuch dar, die proletari­schen, revolu­tionären Ideale des Oktober 1917 zu verwirklichen und der Vergleich mit der Pariser Commune von 1871 drängt sich auf. An diesem Programm war nichts konterrevolutio­när, konterrevolutionär wa­ren die Bolsche­wisten unter der Führung von Lenin und Trotzki, die die humanistischen und demo­kratischen Ideale der Internationalen Arbeiterbewegung verraten hat­ten.

Lenin forderte auf dem 10. Parteitag der KP Russlands in Moskau vom 8. bis 15. März 1921:

„Wir brauchen jetzt keine Opposition. […] Und ich denke, der Parteitag wird diese Schluss­folge­rung ziehen müssen, dass es jetzt mit der Op­position zu Ende sein, ein für allemal aus sein muß, daß wir jetzt der Opposition müde sind!“.

Daraufhin beschloss der Parteitag, dass alle oppositionellen Grup­pen in der Partei aufgelöst wurden und/oder aus der Partei ausge­schlossen wur­den. Opposition wurde somit zum Verbre­chen erklärt. Der Aufstand von Kron­stadt zerstörte einen sozialen Mythos: den Mythos, daß im bolschewisti­schen Staat die Macht in den Händen der Arbeiter liegt. Weil dieser Mythos unzer­trennlich mit der gan­zen bolsche­wistischen Ideologie verbunden war und ist, weil in Kronstadt mit der Ver­wirkli­chung der echten Arbeiter­demo­kratie ein bescheidener Anfang gemacht wurde, des­halb bildet Kronstadt für die an der Macht befindenden Bolschewiki eine tödliche Ge­fahr. Aus diesem Grund waren die bolschewistischen Führer „ge­zwungen“, den Auf­stand in Kronstadt niederzuschlagen. In ihrer Presse be­zeichneten die Füh­rer der Bol­schewisten den Aufstand in Kronstadt als Konter­revo­lution und dieser Schwindel wird seither von Trotzkisten und Stalinisten bis heute verbreitet.

Die bolschewistische Partei holte sich ihre geistigen Waffen beim Marxismus, der einzi­gen radika­len Theorie, bei der sie anknüpfen konnte. Dies war aber der theoretische Aus­druck ei­nes hochent­wickelten Klassenkampfes, wie ihn Ruß­land nicht kannte und für den in Rußland auch das richtige Verständnis fehlte. So geschah es, daß das, was sich auf rus­sischem Boden als „Marxismus“ entwi­ckelte, mit dem Marxismus nur den Namen gemein hatte, in Wirklich­keit aber dem jakobinischen Radikalismus eines Auguste Blanqui zum Beispiel viel näher stand, als den Auffassungen von Karl Marx und Friedrich Engels. Der Marxis­mus wurde in Ruß­land zu einer staatstragenden Ideologie, und entwickelte sich unter Stalin zum pseudo-the­o­retischen Marxismus-Leni­nismus. Der kaum entwickelte Kapitalismus wurde nicht gestürzt; es blieb die Lohnar­beit. Nicht die russische Arbei­terklasse bekam die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, son­dern sie fiel der bolschewis­tischen Partei bzw. dem Staat zu. Von einer Machtausübung durch die Arbeiter­klasse kann keine Rede sein. Aufgrund des Fehlens einer wirklichen Arbeitermacht entwi­ckelte sich die politische Herr­schaft nicht in die Richtung einer von ökonomischer Ausbeutung und politischer Unterdrü­ckung befreiten Gesellschaft, sondern wurde selbst zu einem neuen, anderen In­stru­ment der Aus­beutung und Unterdrückung. In Kronstadt zwangen russische Matrosen und Arbeiter die bolsche­wistische Partei dazu, in ihrem wah­ren Gewande aufzutreten: als eine unverhüllt arbeiterfeindliche In­stitution, deren ein­ziger Zweck die Errichtung einer staatskapitalistischen Ord­nung war. Mit der Niederwerfung des Auf­stands unter der Führung von Trotzki wurde dafür der Weg frei. [1]

III.

In den 1920er Jahren wurden echte oder vermeintliche po­litische Gegner aus der KPdSU ausge­schlossen. Ab den 1930er Jahren wurden vom staatlichen Terror Betroffene zunehmend mit ge­fälschten Vor­würfen in Schau- und Geheimprozessen zum Tod oder zu Lagerhaft und Zwangsarbeit im GuLag verurteilt. Dafür wurden regelmäßig entsprechende Geständ­nisse un­ter Folter erpresst. Die politischen Säuberungen erreichten ih­ren Höhe­punkt im „Großen Ter­ror“ in den Jahren 1936 bis 1938. In dieser Zeit wur­den täglich etwa 1.000 Menschen ermor­det. Zu Beginn des Jahres 1953 zählte das GuLag-System dann über 2,7 Mio Häftlinge.[2] Die zweite „Säuberungswelle“ setzte Ende des Jahres 1947 ein und war haupt­sächlich auf Ju­den gerichtet, die als „wurzellose Kosmopoliten“ denunziert wor­den waren. Am 19. Dezem­ber 1947 wurden mehrere Mitglieder des „Jüdisch-Antifa­schistischen-Komitees“ verhaftet. Wenige Wochen später, am 13. Ja­nuar 1948 wurde der Vorsit­zende des Komitees, Salomon Michoels, in Minsk er­mor­det aufgefunden. Nach offiziellen Anga­ben war er bei einem Auto­unfall ums Leben ge­kommen. Ein paar Monate später, am 21. No­vember 1948, wurde das „Jüdisch-Antifaschisti­sche Komitee“ unter dem Vorwand aufgelöst, es sei zu ei­nem „Zentrum antisowjetischer Pro­paganda“ geworden. In den darauffolgenden Wochen wurden alle Mit­glieder des Komitees verhaftet. Im Februar 1949 star­tete die sowjetische Presse eine breite „antikosmopolitische“ Kam­pagne. In den ersten Monaten des Jahres 1949 wurden, vor allem in Le­ningrad und Moskau, Hunderte von jüdischen Intellektuellen ver­haftet. Juden wurden systematisch kaltgestellt, vor allem in der Kultur, dem Informati­onswesen, der Presse, dem Verlagswesen, der Medizin, kurz: in all den Bereichen, in denen sie an verant­wortlichen Stellen gesessen hatten. Der Prozess gegen die Mitglieder des „Jü­disch-Antifaschistischen Komitees“ fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit und unter strengster Geheimhaltung vom 11. bis 18. Juli 1952 statt, das heißt zwei­einhalb Jahre nach Festnahme der Angeklagten. 13 Angeklagte wurden zum Tode verurteilt und am 12. August hingerichtet, gleichzeitig mit zehn anderen „Sabotage-Ingenieu­ren“ der Stalin-Auto­werke, die alle Juden waren. Insgesamt kam es in der „Sache“ des „Jüdisch-An­tifaschistischen Ko­mi­tees“ zu 125 Ver­urteilungen, da­von 25 Todesurteile, die alle vollstreckt wurden und zu 100 Ver­urteilungen zu Lagerhaft zwi­schen 10 und 25 Jahren.

Im Oktober 1951 ließ Stalin eine Gruppe alt­gedienter jüdischer Funktionäre aus dem Sicherheits­dienst und aus der Staatsanwaltschaft verhaften. Zu den Verhafteten gehörte u. a. der sowjetische Geheimdienstoffizier Oberstleutnant Naum I. Ei­tingon, der 1940 auf Befehl von Lawrenti Be­rija, damals Minister für Staatssicherheit, die Ermor­dung Trotzkis organisiert hatte. Weiterhin gehörten zu den Verhafte­ten General Leonid L. Schwarzmann, der Folterer des Journalisten und Schrift­stel­lers Isaak Babel und des Re­gisseurs und Schauspielers Wsewolod Meyer­hold, sowie der Untersu­chungsrichter Lew Schei­nin, er war der rechte Arm von Andrej J. Wy­schinski, Staatsanwalt der Moskauer Prozesse von 1936 bis 1938. Unter der Leitung von Wiktor S. Abakumow, er war von 1946 bis 1952 Minister für Staatsicherheit und Nachfolger von Lawrenti Berija, wurden die Ange­klag­ten beschuldigt, eine großangelegte „jüdisch-natio­nalistische Verschwörung“ organisiert zu ha­ben.  

Von Ende 1952 bis zum Tod von Stalin am 5. März 1953, haben Stalin und die KPdSU unter der Überschrift „Ärztever­schwö­rung“, einige der angesehensten und bekanntesten Ärzte der UdSSR be­schul­digt, sie wären beteiligt an einer rie­sigen, „jüdisch-zionistischen Verschwö­rung“, deren Ziel es gewesen sei, im Auftrag US-amerikanischer Geheim­dienste, die oberste sowjetische Po­litik- und Militärführung zu vergiften. Es kam zu Massen­verhaf­tungen von sowjetischen Ju­den, die in Lager verbracht oder hingerichtet wurden. Die Prawda verkündete am 13. Januar 1953, dass die Ver­schwörung einer „terroristischen Ärzte­gruppe“, die aus neun, später aus 15 angesehen Ärzten be­stand, aufgedeckt worden war. Sie wurden beschuldigt, ihre hohen Ämter im Kreml genutzt zu ha­ben, um das Leben von Andrej Schdanow, dem im Au­gust 1948 verstorbenen Mitglied des Politbü­ros, und das Leben des 1950 ver­stor­benen Ale­xander Scherbakow „abge­kürzt“ zu haben. Außerdem sollten sie auf Befehl des US-Intelli­gence-Ser­vice und der jüdischen Hilfsorganisation „American Joint Dist­ribution Committee“ versucht haben, hohe sowje­tische Militärführer zu ermorden. Wie bei den „Säu­berungen“ von 1936 bis 1938 organisierte die KPdSU Tau­sende von Kundge­bungen, auf denen u. a. die Be­strafung der Schul­digen sowie die Rück­kehr zur wahren „bolschewistischen Wach­samkeit“ gefordert wurde. Auf die­sem para­noiden Nährboden entwickelten offizielle Stellen der Sow­jet-Union anti-zionis­tische und anti-semitische Vorstellungen, die in der Abteilung Agita­tion und Propaganda des Zentralkomitees (ZK) der KPdSU beson­ders stark vertreten waren. In die­ser Abtei­lung war bereits im August 1942 ein internes Schreiben verfasst worden, in dem über eine angeblich „beherrschende Stellung der Juden in künst­lerischen, literarischen und journa­listischen Kreisen“ fantasiert wurde. Nach dem Tod Stalins, wurden am 3. April 1953 die Verhafteten vom Präsidium der KPdSU offi­ziell freigesprochen.

Parallel zu diesen Ereignissen in der Sowjet-Union, wurde in der CSSR, in Prag, am 22. No­vember 1952 ein Prozeß eröffnet gegen Rudolf Slansky, dem ehema­ligen Generalsekretär der tschechoslo­wakischen KP und gegen 13 andere kom­munistische Parteifunktionäre. Elf von ihnen wurden zum Tode verurteilt und gehängt. Eine der Besonderheiten dieser Justizfarce, die von Anfang bis Ende von den sowjetischen Beratern der politischen Polizei inszeniert worden war, war ihr offen anti-se­mitischer Charakter. Elf von den 14 Angeklagten waren Ju­den, und was man ihnen vorwarf, war die Bildung einer „trotz­kistisch-ti­toistisch-zionistischen Terrorgruppe“.

Auch in der DDR kam es durch die SED zu Verfolgungen von jüdischen Funk­tionären und Kom­munisten, ohne das es dort jedoch zu Todesurteilen gekom­men war. Einer der promi­nenten Fälle war hier die Verurteilung und Inhaftie­rung des nicht-jüdischen Kommunisten Paul Mer­ker. Hun­derte von Jüdinnen und Juden verließen in diesem Klima der Verfolgung Anfang der 1950er Jahre die DDR und flüchteten nach West-Berlin. Die Entwicklung der sogenannten anti-zionistischen Außenpolitik gegenüber Israel und den arabi­schen Staaten, hat in diesem anti-semitischen Klima ih­ren Anfang genommen.

IV.

Der Militarismus blieb eine mögliche Variante der bolschewistischen Führung der KPdSU auch über den Tod Stalins hinweg und zeigte sich in den militäri­schen Interventionen gegen oppositio­nelle Bewegungen in der Sowjet-Union selbst und in den Staaten, die von der Sow­jet-Union kon­trolliert worden waren. So kam es im Juni 1953 Juni in der DDR zum Einsatz von Ein­heiten der Volks­polizei und der Sowjetischen Armee, die den Aufstand der ost-deut­schen Ar­beiterInnen blutig niederschlugen. Im März 1956 geschah in der Hauptstadt Ge­or­giens, in Tiflis, ein Massaker durch Einheiten der Sowjetischen Armee. Eben­falls im Oktober und No­vember 1956 wurde die Opposi­tion in Ungarn, u. a. wurden dort „Freie Wahlen“ ge­fordert, von Ein­heiten der Sowjetischen Armee blutig niedergeschlagen. In der SED wurde damals über­legt, ob Freiwil­ligen-Verbände nach Ungarn geschickt werden sollten, um den ungarischen Wider­stand zu brechen. Im August 1968 beendeten Truppen des Warschauer Paktes den Versuch in der CSSR einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz zu schaf­fen mit bra­chialer Militärge­walt. Die SED hatte Truppen der „Nationalen Volksar­mee“ (NVA) und der Grenzschutzeinheiten mobilisiert, die in Sachsen in Bereitschaft gehalten wurden.

Gleiches geschah bei der Niederschlagung der pol­nischen Arbei­terbewegung von 1981 bis 1983 durch eine Diktatur des polnischen Militärs. Auch hier hatte die SED Truppenteile der „Nationalen Volksar­mee“ (NVA) an der Grenze zur VR Polen in Bereit­schaft gestellt, um bei Bedarf in Polen einmarschieren zu können.

Roter Terror gegen Angehörige von KPD bzw. SED und KPdSU

Die Beziehungen der KPD bzw. SED zur KPdSU haben ihre Anfänge in den 1920er Jahren und sie waren geprägt von der Unterwerfung der deutschen Kommunisten unter die KPdSU bzw. unter die Knute der Kommunistischen Internationale. Die Ermordung deutscher Kommunisten im sowjeti­schen Exil ist nur im Zusammenhang mit den Stalinschen „Säuberungen“ zu verstehen, bei denen nicht nur über 1 Million sowjetischer Kommunisten er­mordet worden waren, sondern bei denen im Sinne der Sippenhaftung auch Famili­en­angehörige der Verhafteten von Repressalien betroffen wa­ren. Von den 32 Mit­glie­dern des Politbüros der KPdSU zwischen 1919 und 1938 fielen 17 den „Säuberungen“ zum Opfer. 40 Mit­glie­der des Zentralkomitee (ZK) der KPdSU wurden liquidiert, 18 frühere Volkskommissare, 16 Botschaf­ter und Gesandte, fast sämtliche Vor­sitzende der einzel­nen Republiken wurden erschossen oder ka­men in der Ver­bannung in Sibirien um. Auch in der sowjetischen Armee wütete der Terror: Ihm fielen fast alle 80 Mitglieder des 1934 geschaffenen obersten Kriegsrates und circa 40.000 höhere Offiziere zum Opfer. Allein aus dem höheren Offi­zierskorps verschwan­den drei von fünf Marschällen, sowie 13 von 15 Armee­kommandeuren. Die Willkürherrschaft Stalins und der Bolschewiki forderten nicht nur Opfer in der KPdSU. Repressa­lien richteten sich auch gegen die Führer der Kommunisti­schen Internationale. Die beiden Vorsit­zenden der Kommunistischen Internatio­nale, Grigori J. Sinowjew und Nikolai I. Bucharin wurden hingerichtet, zugleich wurde das Personal des Ap­parates der Komintern fast völlig dezimiert, die wichtigsten Führungskräfte wurden li­qui­diert.

Vor allem auch deutsche Kommunisten wurden verfolgt. Die KPD war seit 1933 durch das NS-Re­gime in die Illegalität gedrängt und die Führung und viele Funktionäre flüchteten ins Ausland um von dort den Kampf gegen den NS-Fa­schismus fortzusetzen. Nur ein Teil der emigrierten deutschen Kommunisten gelangte in die Sowjet-Union, die vor 1933 als „Vater­land“ ange­sehen worden war. Seit 1935 residierte der Kern des Politbüros der KPD in Mos­kau. Während der Stalinschen „Säube­rungen“ ab 1936 sind von den dort weilenden mehreren tausend deut­schen Kommu­nisten, vermut­lich Tausende inhaftiert und davon etliche Hundert ermordet worden. So be­stand ihre Tragödie vor allem darin, daß sie von Gleichge­sinnten, auf Be­fehl ihres Idols Stalin fälschlich als Agenten der SS und der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) beschimpft, ihrer Ehre beraubt und schließlich ermordet wurden. Nach der Niederlage des NS-Faschismus ver­schwiegen die deutschen Kommu­nisten zu­nächst, daß in den Moskauer „Säuberungen“ auch Funktionäre der KPD verhaftet und ermordet worden waren. Margarete Buber-Neumann be­rich­tete 1949 erst­mals über die Geschehnisse um deutsche Kommunisten in der Sowjet-Union in ihrem Band: „Als Gefan­gene bei Stalin und Hitler“. Durch sowjetische Behörden wurden deut­sche Kommunisten, darunter auch Juden, an Hitler-Deutschland ausgeliefert (ca. 4.000 Personen). West-Deutsche Kommunisten hatten die Schilderun­gen Buber-Neumanns als Fälschung denun­ziert und es kam deswegen sogar zu einem Gerichtsver­fahren in Frankfurt (Main). Alle DDR-Ver­öffent­lichungen der 1960er Jahre praktizierten die Me­thode, die von der SED später als „Re­habili­tierung“ umgedeutet worden war: Namen und Funktio­nen wurden wieder genannt und Bildretuschierungen wurde unterlassen, doch über das Schicksal der Stalin-Opfer, über ihre Er­mor­dung wurde weiterhin, bis 1989, nichts geschrieben.[3]

V. Schluss und Ausblick

Wie wird ein Ausweg aus dem krisenhaften Auf und Ab der kapita­listi­schen Volkswirtschaft ausse­hen können? Immer wieder stehen neue Generati­onen von Ar­beiterinnen und Ar­beite­rn vor der bitte­ren Tatsache, dass die kapitalistische Pro­dukti­ons­weise nur zu haben ist, mit ihren periodisch auftretenden Krisen und der strukturellen Un­terprivilegierung der Proletarier und ihrer Familien auf fast allen wesentlichen Gebieten des politischen und sozialen Lebens unter kapita­listischen und bürgerlichen gesellschaftlichen und staatlichen Bedingungen. Welche Kon­sequenzen erge­ben sich daraus für den proletarischen Klas­senkampf und für die Verände­rung der politi­schen und ökonomi­schen Ordnung des Kapi­ta­lismus? In ihrer berühmt gewor­denen Schrift „Zur russischen Revolu­tion“ re­flektiert die Genossin Luxemburg den Zusam­menhang von demokratischen und sozialisti­schen Struk­turen:

„Sozi­alistische Demokratie beginnt mit dem Abbau der Klassenherrschaft und dem Aufbau des So­zialismus. Sie beginnt mit dem Moment der Machteroberung durch die sozialistische Par­tei. Sie ist nichts anderes als Diktatur des Proletari­ats.“[4]

Vorstellungen über eine sozialistische Revolution sind eng verbunden mit Vor­stellungen über Ge­walt, also über Straßenkampf, brennende Barrikaden oder ter­roristisches Vorgehen. Diesen falschen Vorstellungen hat Luxemburg einen Riegel vorgeschoben, und sie hat die proletari­sche Revolution an die Bewegung von Millionen von Menschen geknüpft, die revolutionäre Veränderungen wol­len:

„Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele kei­nes Terrors, sie haßt und verabscheut den Menschenmord. Sie bedarf dieser Kampfmittel nicht, weil sie nicht Individuen, sondern Institutio­nen bekämpft, weil sie nicht mit naiven Illu­sionen in die Arena tritt, deren Enttäu­schung sie blutig zu rächen hätte. Sie ist kein verzwei­felter Versuch einer Minderheit, die Welt mit Gewalt nach ih­rem Ideal zu modeln, sondern die Aktion der großen Millionenmaße des Volkes, die berufen ist, die geschichtliche Mission zu erfüllen und die ge­schichtliche Not­wendigkeit in Wirklichkeit umzuset­zen.“[5]

Karl Marx beschreibt 1880 in der Einleitung zum Programm der französischen Arbeiterpartei nö­tige Überlegungen für Subversive, die sich an bürgerlichen Wahlen beteiligen:

„[…] in Erwägung, daß die kollektive Aneig­nung nur von einer revolutionären Aktion der Klasse der Produzenten – dem Proletariat –, in einer selbständigen politischen Partei organi­siert, ausge­hen kann; daß eine solche Orga­nisa­tion mit allen Mitteln, über die das Proletariat verfügt, an­gestrebt werden muß, ein­schließlich des allgemeinen Wahlrechts, das so aus einem Instrument des Be­trugs, daß es bis­her gewesen ist, in ein Instrument der Emanzipation umge­wan­delt wird;[6]

Für Sozialisten/Kommunisten ist es nicht nur die Aufgabe selbstkritisch aufzuklären über die Nie­der­lagen, Fehler und Irrtümer der alten Ar­beiterbe­we­gung, sondern es gilt die Klasse der Lohnab­hän­gi­gen darüber zu infor­mieren, dass es für sie erst dann eine Chance für eine individuelle und kollektive Emanzipation, für ein Le­ben ohne ökono­mische Ausbeutung und politische Un­terdrü­ckung geben kann, wenn der Ka­pitalismus abge­schafft und eine neue, so­zialistische Gesellschaft erkämpft sein wird, wenn also politische und so­ziale Voraussetzun­gen geschaffen worden sind, die es ermögli­chen die alten Träume der Menschheit für gerechte Ver­hältnisse zu verwirklichen.

Rudi Dutschke beendete seine Analyse „Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen. Über den halbasia­tischen und den westeuropäischen Weg zum Sozialismus“ mit einem Ausruf:

„Abschaffung des Herrschaftsstaates und Abschaffung der Lohnarbeit als höchstes Ziel. Ent­wick­lung konkreter Übergangsprogramme, damit die histori­schen Schritte immer auch die Schritte der Annährung an eben diese Utopie sind. Diese Programme haben wir nicht. Wir brauchen sie. Wir brauchen sie jetzt. […] Sozialismus mit konkreter Freiheit oder moderni­sierte Barbarei – das ist er­neut die Frage.“[7]

Die hier vorgestellten sechs Thesen sind als Begründung zu verstehen, für die Notwendigkeit einer pro­letarischen Organisierung, deren we­sentlichstes Merkmal eine horizontale Struktur ist, die also ohne Führer aus­kommt. Die Rolle der Kommunisten im Klassenkampf ist, so wie ich es sehe, nicht wie die von Chefs über ihre Arbeiter bzw. An­gestellten oder wie die von Offizieren über ihre Solda­ten. Das ist im Kern die wesentliche Differenz zum Parteikonzept des „De­mokratischen Zentralis­mus“, so wie es von Lenin und Trotzki entwickelt und durchgesetzt worden ist. Im Grunde genom­men ist das der Kern einer nicht autoritären Partei, bei der die proletarische Basis die Bedingungen des Klassenkampfs selbst formuliert und durchsetzt.  


Anmerkungen
1 Luxemburg, GW 4, 1983, S. 362.
[1] Vgl. Klaus Gietinger: Die Kommune von Kronstadt, in: www.bone-net.de/textgut/kronstadt1.htm; Vgl. Volin (Ps. Wsewo­lod Michailowitsch Eichenbau): Der Aufstand von Kronstadt, neu herausgegeben und bearbeitet von Jo­chen Knoblauch, Münster 1999; Vgl. Cajo Brendel: Kronstadt: Proletarischer Ausläufer der Russischen Revolution, in: www.infopartisan.net/archive/brendel/crnstadt.html
[2] Vgl. Nicolas Werth: Ein Staat gegen sein Volk. Gewalt, Unterdrückung und Terror in der Sowjet-Union, in: Stéphan Courtois u.a.: Schwarzbuch des Kommunismus, München 2004, S. 51-295; Vgl. Victor Serge (Ps. Wiktor Lwowitsch Kibaltschitsch): Für eine Erneuerung des Sozialismus, Hamburg 1975; Vgl. Victor Serge: Für eine Erneuerung des Sozialismus. Unbekannte Aufsätze. Hamburg 1975.
[3] Vgl. Hermann  Weber: „Weiße Flecken“ in der Geschichte. Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung, Berlin 1990.
[4] Rosa Luxemburg: Zur russischen Revolution, GW, Band 4, S. 362-365.
[5] Rosa Luxemburg: Was will der Spartakusbund?, GW, Band 4, S. 442-443.
[6] Karl Marx: Einleitung zum Programm der französischen Arbeiterpartei, Anfang Mai 1880, MEW 19, S. 238.
[7] Rudi Dutschke: Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen. Über den halbasiatischen und de westeuropäischen Weg zum Sozialismus. Lenin, Lukács und die Dritte Internationale, Berlin 1974, S. 334.

Editorische Hinweise

Der Text ist das überarbeitete Manuskript des Vortrags, den Harry Waibel am 25.1.2011 zur Eröffnung des Veranstaltungswochenendes 15 Jahre TREND Onlinezeitung gehalten hat.

Wir bekamen ihn vom Autor für diese Ausgabe.