Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Neue Arbeitsrechts-„Reform“
Der Bahnstreik wird auch am heutigen Mittwoch fortgeführt

Teil 32 – Stand vom 08. Juni  2016

06/2016

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Der Bahnstreik wird auch am heutigen Mittwoch fortgeführt, trotz klaren Seitenwechsels der CFDT und Zögerns der CGT * Alle Personalversammlungen bei der Bahngesellschaft SNCF stimmten für die Fortsetzung des Arbeitskampfs * Aufruf zur Störung des EM-Beginns * Die Dienstaufsichtsbehörde IGPN ermittelt in derzeit 48 Fällen (plus Dunkelziffer) wegen Polizeigewalt im Zusammenhang mit den Demonstrationen * Der gefährlich verletzte Photograph Romain D. ist inzwischen glücklicherweise aus dem Koma erwacht * Besetzung des Arbeit„geber“verbands MEDEF in Paris: Gewalt gegen Kulturprekären-Aktivisten * Regierungsmeeting in Paris am heutigen Abend, mit unverschämter Verarschung: „Gegen die rückschrittlichen Konservativen -> für das Arbeitsgesetz!“

Die gute Nachricht, die beste Nachricht zuerst: Der 28jährige Photograph Romain D., den eine Schockgranate der Polizei am Rande einer Demonstration am 26. Mai d.J. (in Paris) schwer verletzt hatte, ist am Montag aus dem Koma erwacht. (Angebliche) Informationen, die in den Tagen zuvor die Runde zu machen begannen und ihn als hirntot bezeichneten, haben sich glücklicherweise als unbegründet erwiesen. – Unterdessen wurde der Polizist, der für den Granatenabschuss zum fraglichen Zeitpunkt verantwortlich zeichnete, durch die Dienstaufsicht der französischen Polizei (IGPN, Inspection générale de la police nationale) vernommen; vgl. http://www.itele.fr/

Mutmaßlich, so der neueste Kenntnisstand – nach Informationen in der Tageszeitung Libération vom Montag, den 06.06.16 – war er vom Metallstöpsel einer Schockgranate an der Schläfe getroffen worden. Eine solche Granate explodiert in mehrere Einzelteile, die aus heiß werdendem Gummi bestehen und Prellungen sowie Verbrennungen verursachen, jedoch normalerweise nicht tödlich wirken. Laut gültigen Vorschriften für Polizeieinsätze dürfen sie theoretisch nur auf den Boden abgeschossen werden. Sie verursachen dann i.d.R. Wunden im Bereich der Beinknöchel, und sollen Demonstranten/Demonstrantinnen durch den ohrenbetäubenden Lärm abschrecken. Doch im Falle von Romain D. ist auf Bildaufnahmen eindeutig zu erkennen, dass Splitter der Granate in „Übermannshöhe“ circa drei Meter über dem Boden fliegen. (Vgl. die in Le Monde publizierte Aufnahme: http://www.lemonde.fr ; in der Papierausgabe der Zeitung waren die Splitter zusätzlich durch Kreise umrundet und dadurch deutlicher kenntlich gemacht worden.)

Im Französischen werden diese Polizeiwaffen als grenades de désencerclement (ungefähr: „Anti-Umzingelungs-Granaten“) bezeichnet. Ein anderer Typ von Granaten, die als grenades offensives bezeichnet werden und nicht nur Gummi-, sondern auch Metallteile verstreuen, war nach dem Tod des 21jährigen Demonstranten Rémi Fraisse vom Innenministerium aus dem Verkehr gezogen worden. Fraisse starb bei einer Umweltdemonstration im südwestfranzösischen Sivens in der Nacht vom 25. zum 26. Oktober 2014 (Labournet berichtete ausführlich). Offensichtlich hält dies die französische Polizei nicht vom weiteren Granateneinsatz zur Auflösung von Menschenmengen ab. (Vgl. auch http://www.lemonde.fr/ )

Insgesamt ermittelt die Dienstaufsicht – IGPN – derzeit laut offiziellen Zahlen in 48 Fällen wegen Polizeigewalt im Zusammenhang mit den Demonstrationen der vergangenen Wochen. (Vgl. auch http://www.lemonde.fr/ ) In Wirklichkeit dürfte es bereits erheblich mehr Fälle geben, in denen sie von Einzelpersonen, von Opfern polizeilicher Gewalt angerufen wurde. Die Direktorin der Behörde, Marie-France Monéger, spricht in diesem Zusammenhang von „1.500 Demonstrationen“ gegen das geplante „Arbeitsgesetz“, die bislang stattgefunden hätten. Dabei dürfte es sich allerdings allein um die Demonstrationen im Rahmen von „Aktionstagen“ mit gewerkschaftlicher Unterstützung handeln. Die sich häufenden dezentralen Aktionen, Mobilisierungen zu Blockaden, kleineren Demonstrationen sind dabei wohl kaum vollumfänglich mit erfasst.

Bewegung 8. Juni, ähm: 100. März!

Ansonsten schreibt man heute in Paris den 100. März. Wir erinnern uns: Zum Beginn der Platzbesetzerbewegung Nuit debout, ab dem 31. März dieses Jahres, hatten die Besetzer/innen auf der Pariser place de la République beschlossen, im Kalender die Märztage einfach fortzuzählen. Heute nun also steht der 100. März an. Ihn will man bei einer abendlichen Vollversammlung nutzen, um eine vorläufige Bilanz zu ziehen.

Die Platzbesetzerbewegung ist zwar (jedenfalls in Paris) zahlenmäßig ziemlich ausgedünnt, im Vergleich zu vor vier Wochen. Auch, weil viele Beteiligte jetzt an Blockadeaktionen, Streikversammlungen... an anderen Orten teilnehmen. Zugleich hat sie sich als erstaunlich, wirklich erstaunlich zählebig erwiesen. Am vergangenen Wochenende des 04. und 05. Juni ergriff die Pariser Platzbesetzerbewegung zudem eine neue Initiative. Am Spätnachmittag des Samstag (nach der Antifa-Demonstration zum dritten Jahrestag des gewaltsamen Todes von Clément Méric) zog sie, mit rund 400 Menschen, von der Pariser place de la République aus in Richtung östlichen Stadtrand. Dort hielt sie zunächst, im 20. Pariser Bezirk, eine Gedenkkundgebung für den im Juni 2007 durch die Polizei getöteten 25jährigen Franzosen senegalesischer Herkunft Lamine Dieng ab. Im Anschluss zog sie weiter an ein Arbeiterwohnheim in der rue Fernard Léger, in welchem überwiegend westafrikanische Arbeitsimmigranten (Mali, Mauretanien, Senegal..) leben. Der Betreiber, Coalllia,der das Wohnheim vor einigen Monaten übernahm und der insgesamt rund 100 davon betreibt, zerstört im Namen des geschuldeten Respekts „republikanischer Werte“ (sic) alle Gemeinschaftseinrichtungen, löst Gemeinschaftsräume und –küchen auf und versucht, alle Einwohner in ihren Zimmern zu isolieren. Dagegen richtet sich eine Protestbewegung. Viele der mehr oder minder wütenden Bewohner nahmen an einer Kundgebung zusammen mit der Nuit debout-Bewegung im Laufe des Samstag Abend teil. Am folgenden Tag aus zog die Protestkarawane von der Pariser Stadtgrenze (porte des Lilas) aus weiter in Richtung der Vorstadt Romainville, wo am Nachmittag eine Platzversammlung in einer Hochhaussiedlung stattfand.

Hinzu kommen zur Zeit interne Konflikte, die wir hier nur andeuten können. Zuerst entwickelte sich den ganzen Mai hindurch ein Konflikt mit Teilen des vorherigen Medienteams, das sich zu verselbständigen begann – und aus dem heraus Einzelne versuchten, den Begriff Nuit debout beim französischen Patentamt (INPI) für sich eintragen zu lassen. Dahinter stehen Vereinsstrukturen von Menschen, die solche Aktivitäten halbberuflich betreiben, die jedoch niemand zur Patentierung des Bewegungsnamens in Eigeninitiative autorisiert hatte. Derzeit senden eine Reihe von Aktiven Einschreibbriefe an das Patentamt INPI, um sich diesem Ansinnen im eigenen Namen zu widersetzen.

Ein neuerer Konflikt ist diese Woche mit dem Dokumentarfilmer, Journalisten und Aktivisten François Ruffin (dem Urheber des mittlerweile berühmten Films Merci, patron!) aufgebrochen. An diesem Montag publizierte die Tageszeitung Libération ein Interview mit ihm (vgl. http://www.liberation.fr/), in welchem er die Platzbesetzerbewegung Nuit debout für „tot“ erklärt. Auf leicht widersprüchliche Weise erklärt er einerseits, dass die Platzbesetzerbewegung – die er selbst durch einen Aufruf „Am 31. März gehen wird am Abends nicht nach Hause!“ mit angestoßen hatte – sei „ein wahres Wunder“; andererseits erklärt er auch, er habe sich „nicht viel erwartet“ von ihr. Daraus spricht sicherlich zum Teil Frustration über mitunter langwierige Diskussions- und Beschlussverfahren und eine bisweilen selbstreferenziell erscheinende Praxis. Zum Anderen scheint aber ein Stück weit auch ein geheimer Kontrollwunsch dahinter zu stecken, vielleicht auch ein etwas leninistisches Politikverständnis, in dem eine faktische Avantgarde existiert – sicherlich verkoppelt mit dem Wunsch, die Dinge voran zu bringen und nicht feststecken zu lassen.

Ruffin hat eine ganze Zeit lang eine ausgesprochen positive Rolle für die Bewegung gespielt,. Insbesondere als er durch eine (parallel zur Platzversammlung im Pariser Gewerkschaftshaus stattfindende, was ihm zum Vorwurf erhoben wurde) Veranstaltung am 20. April die Initiative dazu ergriff, dass die Gewerkschaften explizit auf den besetzten Platz eingeladen wurden. (Vgl. http://www.liberation.fr/und http://www.liberation.fr/france/ ) Dagegen gab es mindestens passive, hinhaltende Widerstände, doch wurden Vorbehalte auf beiden Seiten – unter den Platzbesetzer/inne/n und bei der CGT – letztlich überwunden. Daraus resultierten dann der Auftritt von CGT-Chef Philippe Martinez, wie auch der gemeinsame Auftritt von CGT und intermittents du spectacle (um ihre soziale Existenz kämpfenden „diskontinuierlich Beschäftigten“ der Kulturindustrie) am Abend des 28. April auf der place de la République. (Vgl. (Vgl. ua http://canempechepasnicolas.over-blog.com/) sowie https://www.youtube.com und http://www.huffingtonpost.fr/ )

Inzwischen hat François Ruffin neue Initiativen ergriffen, wiederum durch eine parallel zur Platzversammlung stattfindende Aktionsversammlung im Pariser Gewerkschaftshaus, welche am 31. Mai d.J. stattfand; der Verf. dieser Zeilen war dabei. (Vgl. https://blogs.mediapart.fr/ ) Dabei wurden eine Reihe von Aktionen beschlossen, allerdings nicht unbedingt spontan, vielmehr waren viele Initiativen im Vorfeld vorbereitet worden und sollten nur noch beschlossen und verbreitert werden. Dazu zählen eine „Aktion rote Karte“, die daran bestehen soll, während der am Freitag (10. Juni) beginnenden Fußball-Europameisterschaft sich an Fans und Öffentlichkeit zu wenden und rote Karten gegen die Regierung zu zücken. Ruffin startete eine Kampagne, die darauf hinausläuft zu proklamieren: „Wir stimmen nie wieder für den Parti Socialiste (PS)!“, also für die französische Regierungssozialdemokratie. (Vgl. http://www.lefigaro.fr) Am gestrigen Dienstag Abend manifestierte sich dies durch Versammlungen vor Parteizentralen des PS, jedenfalls in Paris und in Amiens – Sitz von François Ruffins Zeitung Fakir -, woran in Paris rund 100 Menschen teilnahmen. Unter den Augen einiger Kameras wurde an das Abstimmungsverhalten der sozialdemokratischen Abgeordneten in den letzten vier Jahren zu einer Reihe von Fragen erinnert. Dann wurden verwelkte Rosen (Parteisymbol des PS) über den Zaun in Richtung Gebäude geworfen. Eine Frage, die sich derzeit viele stellen, lautet allerdings, ob Ruffin auf Dauer auf eine außerparlamentarische Opposition oder aber auf eine Unterstützung für den (2008 aus dem PS ausgetretenen) Linkssozialisten und Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon hinarbeitet.

Themenwechel: Am gestrigen Dienstag, den 07. Juni fand ebenfalls eine Aktion vor dem Sitz des wichtigsten Arbeitgeberverbands MEDEF in der Pariser Avenue Bosquet, im großbürgerlich-vornehmen achten Bezirk, statt. Dort hatte, in unmittelbarer Nähe des Gebäudes, am Abend des Freitag, den 20. Mai bereits eine Sitzversammlung unter dem Motto „Für die Trennung von MEDEF und Staat!“ stattgefunden. Zu ihr hatte die Platzbesetzerbewegung Nuit debout aufgerufen, Redner/innen innen kamen unter anderem von ATTAC, aus Erwerbsloseninitiativen sowie aus der kritischen Hochschullehre im Arbeitsrecht (Emmanuel Dockès). Rund 500 Menschen nahmen daran teil.

Am gestrigen Dienstag nun besetzten rund 100 Aktive der sozialen Protestbewegung, die für die bedrohten Interessen der intermittents du spectacle (diskontinuierlich Beschäftigten der Kulturindustrie) kämpft, kurzzeitig das MEDEF-Gebäude. Es ging darum, symbolträchtig eine Versammlung mit dem – derzeit in den Medien allgegenwärtig und extrem aggressiven – Medef-Präsidenten Pierre Gattaz zu stören, be- oder verhindern. Hintergrund ist, dass der Medef unter Vorsitz von Gattaz derzeit das relativ günstige Abkommen für die intermittents du spectacle torpediert, das in der Nacht vom 27. zum 28. April abgeschlossen wurde. Diese Vereinbarung wurde zwischen den Gewerkschaften und den Arbeit„gebern“ im Kultursektor geschlossen. Um jedoch Teil des Regelwerks für die Arbeitslosenversicherung in den kommenden zwei Jahren zu werden, müssen die zentralen Verbände (auf Gewerkschafts- und Arbeit„geber“seite) ihm zustimmen und es in ihr Gesamt-Regelwerk integrieren. Dies verweigert der Medef nun seit circa einer Woche explizit, wodurch das Abkommen auf der Kippe steht – und die Kulturfestivals im Juli/August dieses Jahres in ganz Frankreich von streiks- und aktionsbedingten Ausfällen „bedroht“ werden.

Insgesamt 94 Teilnehmende an der Aktion wurden vorläufig festgenommen und zwecks Personalienkontrolle und erkennungsdienstlicher Behandlung (jedenfalls Photographieren) auf die Polizeiwache in der rue de l’Evangile im Pariser Norden gebracht. Der Chef des Sicherheitsdiensts am Zentralsitz des Medef, ein gewisser Philippe Salmon, wollte es dabei jedoch nicht bewenden lassen. Er suchte sich einen der vermeintlichen Anführer heraus, den in sozialen Bewegungskreisen sehr bekannten intermittent Loïc Canitrot (vgl. https://www.youtube.com/watch?v=v-9qGzrD9Y8 ) – Mitglied der linken Musik- und Theatergruppe Jolie Môme („Süßes Kind“), um ihm in einem mehr oder minder unbeobachteten Moment... mächtig in die Eier zu treten. (Pardon, liebe Leser/innen!) Vgl. https://gazettedebout.org

Laut dem einzigen in unmittelbarer Nähe stehenden Augenzeugen, einem anderen Mitglied von Jolie Môme, krümmte Loïc C. sich am Boden vor Schmerzen, während Philippe Salmon sich in seinem Büro einschloss, die Polizei anrief – und Strafanzeige erstattete, mit der Behauptung, er sei körperlich angegriffen worden. Loïc C., der auch ein bekanntes Mitglied des als Commission des sérénité bezeichneten Ordner/innen/diensts der Pariser Platzbesetzerbewegung ist, wurde zuerst zwecks Behandlung in ein Pariser Krankenhaus verbracht und anschließend auf eine Polizeiwache. Mehrere Stunden hindurch wussten seine Genoss/inn/en und Unterstützer/innen nicht, wo er sich befand, und versammelten sich zuerst vor einer Polizeiwache im 7. Bezirk in der Nähe des Invalidendoms; am späteren Abend dann vor einer anderen Wache im 15. Bezirk, wo er vermutet wurde. (Und wo der Verf. dieser Zeilen die Leute gegen Mitternacht verließ.)

Unterdessen gehen die Streikbewegungen, als derzeit wichtigstes Element im Kräfteverhältnis zwischen sozialer Bewegung einerseits und Regierung & Kapitel andererseits, in einigen wichtigen Sektoren unvermindert fort.

In der Nacht vom Montag zum Dienstag wurde ein Abkommen(svorschlag) zwischen der Direktion der französischen Bahngesellschaft SNCF und einem Teil der Gewerkschaften auf den Tisch gelegt. Es soll vor allem die strittige Frage der Arbeitszeitpolitik für die Bahnbeschäftigten regeln - auf Unternehmensebene in der SNCF (den bisherigen Quasi-Monopolanbieter), aber auch auf Branchenebene, da der Schienenverkehr bis 2023 vollständig auch für private Konkurrenten/Anbieter geöffnet werden soll. Im Laufe des Dienstag, 07. Juni erklärte die Branchengewerkschaft der CFDT – ja, typisch, typisch -, dass sie unterzeichne. (Vgl. http://www.europe1.fr und http://www.challenges.fr ) Hingegen verlautbarte die linke Basisgewerkschaft SUD-Rail (SUD Schienenverkehr) kurz darauf, dass sie den Inhalt der Vereinbarung ablehne und zum Weiterstreiken aufrufe. (Vgl. http://www.huffingtonpost.fr und http://www.lemonde.fr/) Ihr folgte die Branchengewerkschaft von FO (Force Ouvrière, drittstärkster Gewerkschaftsdachverband in Frankreich); vgl. Die CGT-Eisenbahner hingegen blieb noch offensichtlich hin- und hergerissen und erklärte, nun müssten die Personalversammlungen an der Basis entscheiden, um zunächst keine eigene Position angeben zu müssen. Doch am Spätnachmittag des Dienstag hatten alle, ja, ALLE Personalversammlungen der Streikenden beschlossen, ihren Arbeitskampf fortzuführen. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/ und http://lexpansion.lexpress.fr/ ) Er hatte am Abend des 31. Mai d.J. als unbefristeter Streik begonnen.

<< Il faut savoir terminer une grève >>

Es zeichnet sich also ab, dass dieser Streik und seine Folgen auch den Beginn der EM überschatten dürften. Diese explizit zu stören, dazu kursieren inzwischen auch Aufrufe; vgl. https://paris-luttes.info Die Regierungsspitze, Präsident François Hollande und Premierminister Manuel Valls, hatten explizit gefordert, doch bitte schön die Finger von dem ach so schönen nationalen Sportereignis zu lassen und bitte-bitte nicht zu stören.

Die Oberflasche François Hollande glaubte zudem, einen genialen Einfall zu haben, indem er einen früheren Chef der Französischen Kommunistischen Partei (des PCF) – aus der stalinistischen Ära - zitierte, Maurice Thorez. Er stand von Anfang der 1930er Jahre bis zu seinem Tod 1964 an der Spitze des PCF. Von ihm stammt der berühmte Ausspruch, welcher im Juni 1936 fiel, also auf dem Höhepunkt der damaligen Streikwelle und kurz nach Antritt der Regierung des Front populaire (grobschlächtig übersetzt mit „Volksfront“): Il faut savoir terminer une grève... Das bedeutet wörtlich übersetzt: „Man muss einen Streik beenden/aufhören können...“ (Der radikal-linke Flügel der damaligen Sozialdemokratie unter Maurice Pivert wollte damals weiterstreiken, weil er eine vorrevolutionäre Situation für möglich erachtete.) Vgl. u.a. http://www.marianne.net und http://www.huffingtonpost.fr

Allerdings stimmt es zwar, dass Thorez damals die sozialen Energien zu kanalisieren versuchte und zugleich die (durch die KP tolerierte) Linksregierung nicht stören wollte; und dennoch ist das Zitat, wie Hollande es wiedergab, unvollständig. Komplett lautet es nämlich: „Man muss einen Streik beenden können, wenn die wesentlichen Forderungen erfüllt wurden, oder auch wenn nicht alle Forderungen erfüllt worden sind, aber ein guter Kompromiss erzielt wurde.“ Daran erinnerte die CGT dann auch prompt François Hollande, indem sie darauf hinwies, dass im Sinne des Zitats dann eben auch gefälligst zuerst die Hauptforderung – Rücknahme des geplanten „Arbeitsgesetzes“ – erfüllt werden müsse. Vgl. http://www.leparisien.fr/ und http://www.lavoixdunord.fr/

Il faut savoir terminer un article!: Wir werden unsere Leser/innen schon an diesem Freitag früh über den Fortgang der Ereignisse unterrichten... Zum Ausblick: Heute Abend versammelt sich das Regierungslager in Paris, rund um den sozialdemokratischen Parteichef Jean-Christophe Cambadélis und Arbeitsministerin Myriam El Khomri, unter dem unverschämt demagogischen Motto: „Für den sozialen Fortschritt.“ Da die parlamentarische konservative Rechte den Entwurf für das „Arbeitsgesetz“ umschrieb, im Vorgriff auf die Senatsdebatte (welche vom 13. bis 28. Juni stattfindet), nutzt die Regierungssozialdemokratie dies nun, um sich selbst als moderatere Variante der Regression hinzustellen. Und um dies als Fortschritt zu verlaufen! Der dafür vorgesehene Saal bietet allerdings nur 200 Plätze, ein Massenzulauf wird also nicht erwartet. Unerbetener Zulauf könnte unterdessen vor den Türen stattfinden...

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.