Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Neue Arbeitsrechts-„Reform“
 Internationales Treffen lief am Samstag & Sonntag (07./08. Mai 2016) auf der besetzten place de la République in Paris

Teil 23 – Stand vom 09.Mai 2016

05/2016

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Internationales Treffen lief am Samstag & Sonntag (07./08. Mai 2016) auf der besetzten place de la République in Paris ab * Regierungsspitze will den Gesetzentwurf zum Arbeitsrecht nun vielleicht doch mit Hilfe des 49-3, der die Rechte des Parlaments aushebelt und jegliche Aussprache verhindert, durchdrücken * Neue Zahlen zur Repression
Wer hätte sich das noch vor zwölf Tagen denken lassen! Und nun das! Damals hockten die Platzbesetzer/innen noch bei Abendtemperaturen, die bis auf 2° Celsius absanken, auf der Pariser place de la République. Bevor man zu dem besetzten Platz auszog, kreisten die Gedanken um „Wintermantel oder nicht?“ und um lange Unterhosen. Aber jetzt: Stolze 27 Grad Wärme herrschten am gestrigen Sonntag, den 08. Mai am selben Ort. Und so breitete sich ein Gefühl der Annehmlichkeit aus.

Viele Menschen, auch mit Kindern, schienen ihren Sonntags- und/oder Feiertagsspaziergang (denn der 08. Mai ist, im Andenken an 1945, nach wie vor gesetzlicher Feiertag in Frankreich) hierher zu verlagern. Am Sonntag Nachmittag überbordete der Platz vor lauter Aktivitäten. Die Avocats debout (ehrenamtlich beratende Anwälte auf dem besetzten Platz) berieten, die Clowns debout spielten, die parents & enfants debout (Eltern & Kinder) konnten zwischen einer Spielburg und einer Kinderbuchbibliothek hin und herwandeln.

Die peintres debout (Maler) suchen zur Stunde noch nach Mitsteiter/inne/n, doch die Musées debout mit ihren ehrenamtlichen Kunstexpertinnen und Museumsführerinnen hatten vollen Erfolg mit ihren Gratiseinführungen zu Bildern aus Renaissance, Neuzeit, französischer Revolution oder Moderne (vor Kopien oder Farbausdrucken). Debattieren konnte man über den Widerstand gegen zerstörerische Bergbauprojekte in Peru (Cajamarca), über den Raubbau des französischen Konzerns COLAS – eine Filiale des Multikonzerns Bouygues – auf den Komoren, jenem Archipel, auf dem französische Söldner zwei Präsidenten ermordeten (1978 und 1989), oder über die Mitverantwortung Frankreichs beim Völkermord in Rwanda 1994. Auch die gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaftler/inne/n, die Alternativen zum Banksystem (mit Attac und der Basisgewerkschaft SUD aus dem Bankensektor) oder Wohnungslosenprotest waren Themen, die Debattierzirkel füllten.

Wer hätte sich das noch vor einigen Jahren denken lassen! Und nun das! „Damals“, ja damals hielt man die Sozialdemokratie noch für eine politische Kraft, die in irgend einer Weise eine soziale Basis, die – auch – aus Lohnabhängigen besteht, bedienen oder zumindest „ruhigstellen“ und befrieden muss. Sicherlich, man kennt die Kriminalgeschichte der organisierten Sozialdemokratie seit dem frühen 20. Jahrhundert; vom Mord an Rosa Luxemburg & Karl Liebknecht in Deutschland, von der Ausweitung des Algerienkriegs in seiner brutalsten Phase unt der Regierung des Sozialdemokraten Guy Mollet (1956-58) in Frankreich, über den Tod von Benno Ohnesorg 1967 in Westberlin bis zur NATO-Aufrüstung unter Helmut Schmidt oder der „Agenda 2010“ unter Gerhard Schröder. Geschenkt, aber nicht vergessen und nicht vergeben. Doch die Sozialdemokratie musste immer auch für ein bisschen Umverteilung (im Rahmen des Kapitalismus), ein bisschen politische Einbindung relevanter Teile der Lohnabhängigen sorgen. Aber jetzt, aber jetzt!

Aber jetzt droht der französische Premierminister Manuel Valls damit, das geplante „Arbeitsgesetz“ sogar unter Aushebelung fundamentaler Rechte des französischen Parlaments – des Rechts auf Beratung, inhaltliche Aussprache und Abstimmung – durchzudrücken. Nach wie vor lehnt, so sehr Umfragen auch durch die herrschende Klasse und ihre Medien manipuliert sein mögen (geschenkt, geschenkt), eine deutliche Mehrheit diesen Gesetzentwurf ab. In einer jüngsten Befragung waren es nun sogar ein bisschen mehr als in vorausgegangenen Umfragen, nämlich 74 %. Vgl. http://www.lefigaro.fr/ Sicherlich, bei Valls und Co. handelt es sich nicht nicht einmal mehr um einen Vertreter der „echten“ Sozialdemokratie im historischen Sinne, sondern eher einer bösartigen Mutation derselben; einer zum Äußersten degenerierten Unterform.

Brutalo-Methoden zur Durchsetzung des „Arbeitsgesetzes“

Nachdem er vor nunmehr einer Woche erklärt hatte, der Rückgriff auf den Verfassungsartikel 49-3 sei nicht die bevorzugte Lösung für ihn, brachte Manuel Valls denselben Artikel am Freitag, den 06. Mai wieder ins Spiel.(vgl. http://www.lefigaro.fr und http://rmc.bfmtv.com) Er erlaubt es, einen Gesetzentwurf ohne Sachdebatte durchs Parlament zu winken. Die Abgeordneten haben im Falle seiner Verwendung nur die Wahl, entweder ein Misstrauensvotum einzureichen und das regierende Kabinett – im Falle, dass es Erfolg hat – zu stürzen, oder aber (im Falle seines Misserfolgs oder Ausbleibens) den Gesetzestext en bloc zu schlucken. Bei einer Umfrage erklärten sich 71 % der befragten Französinnen und Franzosen darüber „schockiert“. (Vgl. http://www.lefigaro.fr) Am Sonntag Abend versuchte der räudige Hu..., hümmm: Monsieur le Premier ministre dann wieder, ein wenig beruhigend auf die Öffentlichkeit einzuwirken: Er suche nach wie vor nach einer parlamentarischen „Mehrheit“ (vgl. http://www.lefigaro.fr ) Allerdings werde er nicht hinnehmen, dass „die Grundphilosophie des Textes“ abgeändert werde, wenn es auch „Wege der Verbesserungen“ an Einzelpunkten zu ihm gebe.

Nach einer gesicherten parlamentarischen Mehrheit für die Annahme des Gesetzentwurfs sieht es bislang jedoch nicht aus. Es liegen der französischen Nationalversammlung derzeit 4.983 Änderungsanträge vor, von denen in der abgelaufenen Woche – die Parlamentsdebatte zum geplanten „Arbeitsgesetz“ begann am Dienstag, den 03. Mai – noch kein einziger beraten worden ist. Ursprünglich sollte die Abstimmung über den gesamten Text in der Nationalversammlung jedoch bereits am Dienstag, den 17. Mai stattfinden. Am gestrigen Sonntag Abend fand im Elysée-Palast eine Diskussion statt, in einer Runde, an welcher Staatspräsident François Hollande, Premierminister Valls, der Vorsitzende des „sozialpolitischen Ausschusses“ der Nationalversammlung – Christophe Sirugue – und Vertreter(/innen?) des zu dem Gesetzentwurfs kritisch stehenden Flügels der Sozialdemokratie teilnahmen. Dabei sollte ausgelotet werden, ob die innerparteilichen Kritiker/innen bereit seien, ihre Änderungsvorschläge in der Parlamentsdebatte auf eine begrenzte Anzahl einzudampfen, oder ob die Nationalversammlung durch den Einsatz des Artikels 49-3 geknebelt werden soll. Eine formale Entscheidung darüber wird nun voraussichtlich die Kabinettssitzung am Mittwoch früh, 11. April treffen. Da im Falle eines Rückgriffs auf Verfassungsartikel 49-3 der potenzielle Sturz des gesamten Kabinetts in der Waagschale liegt, muss dieses auch formal darüber bestimmen. Sollte es so weit kommen, dann wird mit Spannung zu erwarten sei, ob der so genannt linke Parteiflügel auch den Mumm finden wird, in einer Vertrauensabstimmung (für den Fall eines Misstrauensantrags, der jedoch von Seiten der konservativen Parlamentsopposition kommen dürfte) gegen Valls und seine Bagage zu stimmen. Dies gilt jedoch, jedenfalls für breitere Abgeordnetenkreise, bislang noch als relativ unwahrscheinlich. Abwarten und Tee trinken!

Internationales Treffen

Unterdessen fand auf der besetzten Pariser place de la République an diesem Wochenende des 07./08. Mai ein internationales Treffen statt. Ungefähr 300 internationale Vertreter/innen aus Bewegungen und Initiativen v.a. aus Spanien (Madrid & Barcelona), aus London, aus mehreren Städten Belgiens, übrigens flämischen wie französischsprachigen (mindestens Brüssel & Antwerpen), aus Deutschland (mindestens Berlin, Leipzig, Frankfurt) und aus Italien waren angereist. Auch aus den USA (ehemals Occupy Wall Street in Oakland/ Kalifornien) und Brasilien waren Personen angereist.

Aus Deutschland waren u.a. Kräfte aus dem Blockupy-Spektrum gut vertreten. Allerdings waren aus Berlin auch Kräfte aus dem Friedensbewegungsspektrum rund um Lars Mährholz, welches sich jedenfalls in der Vergangenheit als „gegenüber Links & Rechts & Verstrahlt weit offen“ erwies, angereist. (In Frankreich blieben einmal/r bislang etwa Alumiumhut- und Chem Trail-Diskussionen wie bei gewissen „Friedens-Mahnwachen“ in Deutschland im Allgemeinen erspart. Ein einziges Mal, am 04. Mai dieses Jahres, hörte der Verf. dieser Zeilen auf dem besetzten Platzin Paris von „Chem Trails“ faseln.) Bei den Diskussionen zeigten sie sich allerdings an Aktionen in einer grenzüberschreitenden nicht-nationalistischen Logik interessiert.

Am Samstag zwischen 10.30 und 13.30 Uhr sowie am Sonntag Vormittag nahmen die internationalen Gäste an einer transnationalen Vollversammlung mit einigen Menschen aus Frankreich teil. Am Samstag Nachmittag gab es eine gemeinsame Aktion, bei denen ein „Europaforum“ der Etablierten auf dem Vorplatz des Pariser Rathauses ein wenig aufgemischt wurde, und am Samstag Abend war die Vollversammlung vor allem den Redebeiträge der „Internationalen“ gewidmet. Am Sonntag Nachmittag verteilten diese sich zum Ausklang über die verschiedenen thematischen Arbeitsgruppen auf dem Platz, von denen circa 15 tagten. (Auf dem Papier sind inzwischen 90 thematische Kommissionen entstanden, von denen jedoch nicht alle arbeitsfähig sein dürfte,n und manche wieder verschwunden oder in andere Zusammenhänge hinein aufgelöst sind.)

Zum 15. Mai 16 gibt es nun den Aufruf in 500 Städten, an Platzbesetzungen pünktlich zum fünften Jahrestag der Okkupation an der puerta del Sol in Madrid teilzunehmen. Dafür gibt es in den neuen sozialen Medien inzwischen auch einen Twitter-„Hashtag“: #GlobalNuitDebout... Inhaltlich wird vor allem die Tatsache, dass man mit ähnlichen Angriffen auf die Situation der Lohnabhängigen in vielen EU-Staaten gleichzeitig konfrontiert ist, für „Konvergenzen“ sorgen. Aus Antwerpen etwa berichtete ein belgischer Redner mit beißender Ironie: „In Belgien hatte bereits eine Nuit debout-Bewegung in mehreren Städten begonnen, wie Brüssel, Charleroi, Namur, Antwerpen, Gent (...). Doch es fehlte es zum Zünden noch ein ,Arbeitsgesetz’ wie in Frankreich. Dank unserer Regierung (Anm.: in Belgien regierte eine Rechts-Rechts-Koalition aus Wirtschaftsliberalen und flämischen Rechtsnationalisten) haben wir jedoch eines bekommen! Es wird ,45-Stunden-Gesetz’ genannt, weil es Arbeitswochen von 45 Stunden Länge ermöglicht. Dagegen rufen die belgischen Gewerkschaften zu zwei Generalstreik-Daten am 24. Juni und am 07. Oktober auf.“

Aus London berichtete ein Redner, man habe nach einem öffentlichen Platz gesucht, um sich friedlich zu versammeln, doch man habe gar keinen gefunden, weil – dumm gelaufen!- mindestens siebzig öffentliche Plätze in London längst privatisiert worden seien. Nun gedenke man, sich der Einfachheit halber vor der Residenz des Premierministers in der berühmten Downing Street zu versammeln, es sei denn, David Cameron habe als Alternative einen besseren Platz anzubieten.

Repression

Neue Zahlen gibt es unterdessen zur Repression in Frankreich. Aus Paris wurden bislang 93 Fälle der Verhängung von Polizeigewahrsam, mit der behördlichen Absicht späterer Strafverfolgung, bekannt (sofern sie dem Ermittlungssausschuss oder Legal Team mitgeteilt wurden). Einige Verurteilungen fielen auch bereits – erstinstanzlich – in Eilverfahren. In der Mehrzahl der Fälle wurden Bewährungsstrafen, also Freiheitsentzug auf Bewährung, verhängt. In einigen Fällen auch TIG, also „gemeinnütze Arbeits“auflagen. In fünf Fällen fielen im Raum Paris Urteile mit Haftstrafen ohne Bewährung., und einzelne Verurteilte sitzen auch bereits in der Haftanstalt von Fleury-Mérogis. Das höchste Strafmaß beträgt bislang sechs Monate ohne Bewährung. Die 23. Strafkammer im Pariser Justizpalast, welche für Eilverfahren zuständig ist, legte dafür extra Sonderschichten ein, vgl. auch in der bürgerlichen Presse dazu: http://www.lejdd.fr/

Eine Hochburg der Repression ist ansonsten Nantes, mit massiver Polizeigewalt und mehreren bereits erfolgten Urteilssprüchen (vgl. http://www.20minutes.fr ). Dort ist auch bereits eine Verurteilung zu sechs Monaten Haft OHNE Bewährung zu verzeichnen, wegen tatsächlichen oder angeblichen Zerdepperns einer Bankschaufensterscheibe. Vgl. http://www.20minutes.fr/ Auch für einen Demonstranten, der die Hosen herunterließ – um den allerwertesten Polizisten die Hinterbacken zu veranschaulichen -, setzte es eine Haftstrafe OHNE Bewährung (einen Monat), vgl. http://www.20minutes.fr

An diesem Donnerstag, den 12. Mai findet nun in Paris ein Gerichtstermin gegen jenen Polizisten statt, welcher am 24. März dieses Jahres – für ihn dummerweise – dabei gefilmt wurde, wie er einen (schwarzen) Schüler der Pariser Oberschule Lycée Henri-Bergson boxte und schlug. Gegen ihn wird wegen Körperverletzung im Amt verhandelt. Unterdessen erstattete im westfranzösischen Rennes der 20jährige Student, der – wohl durch ein Gummigeschoss - am 28. April d.J. das Augenlicht auf einem Auge unwiederbringlich verlor, seinerseits Strafanzeige. (Vgl. http://www.lefigaro.frp und http://www.europe1.fr )

Fortsetzung folgt! Leider wohl auch zur Repression, und ansonsten „zum Glück“...

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.