Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Neue Arbeitsrechts-„Reform“: Aufschub zwecks Sondierungen mit der CFDT
Teil 3 – Stand vom 29. Februar 2016

03/2016

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Wird die Vorlage des heftig umstrittenen Entwurfs zu einer „Reform“ des französischen Arbeitsrechts im Kabinett verschoben? Das könnte passieren. Die Nachrichtenagentur AFP kündigte jedenfalls eine „eventuelle Aufschiebung“ an // vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2016/02/26/97001-20160226FILWWW00299-loi-travail-vers-un-eventuel-report.php // , die den Zweck verfolge, in einer „zweiten Runde“ nochmals „die Sozialpartner anzuhören“. (Nachträgliche Anmerkung BhS: Tatsächlich, ja, die Vorlage im Kabinett wurde um zwei Wochen auf den 23./24. März 16 verschoben, statt des ursprünglich vorgesehenen Datums 09. März.)

In Wirklichkeit wird es dabei wohl vor allem darum gehen, zu erörtern, welchen Preis eine Zustimmung insbesondere durch die CFDT kosten wird. Dieser zweitstärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich – zwischen 1968 und 1978 einmal der linkeste Dachverband, doch heute an der Spitze knallhart rechtssozialdemokratisch und pro-neoliberal geführt – protestiert gegen manche der Bestimmungen in dem Vorentwurf. Insbesondere gegen das Vorhaben, die Abfindungzahlungen, welche ein Arbeitsgericht im Falle einer ungerechtfertigten Entlassung (aus betrieblichen Gründen) verhängen „darf“, durch die Einführung gesetzlicher Obergrenzen zu „deckeln“.

Andere Bestimmungen wiederum gefallen der CFDT und kommen ihr, also ihren Sonderinteressen als Apparat, weit entgegen. Dies gilt insbesondere für das Vorhaben, den Minderheitsgewerkschaften im Unternehmen zu erlauben, die Ablehnung eines (aus ihrer Sicht schlechten) Abkommens durch die Mehrheitsgewerkschaften zu umschiffen, indem sie eine „Abstimmung“ im Unternehmen anberaumen. Bislang konnten die Mehrheitsgewerkschaften eine schlechte Kollektivvereinbarung (convention collective oder accord collectif, Entsprechung zum deutschen Tarifabkommen) zu Fall bringen, indem sie ein gesetzlich anerkanntes „Vetorecht“ oder droit d’opposition ausüben. In seinem Interview mit der linksliberalen Pariser Abendzeitung Le Monde kündigte CFDT-Generalsekretär Laurent Berger – bei aller sonstigen verbalen Kritik an dem Entwurf – bereits an(1), diese neue Vorschrift dürfe auf keinen Fall zum Scheitern gebracht werden.

Unterdessen kommt die Regierungsoffensive gegen bisherige arbeitsrechtliche Vorschriften – gegen Schutzbestimmungen zugunsten der Lohnabhängigen – nicht richtig voran. Eine vor nunmehr zehn Tagen veröffentlichte Petition gegen den Gesetzentwurf erhielt bis zum Wochenende täglich im Durchschnitt knapp 100.000 Unterschriften und liegt inzwischen bei 768.000 Unterzeichner/inne/n, am Montag früh ((29. Februar d.J.)). // Vgl. https://www.change.org/p/loi-travail-non-merci-myriamelkhomri-loitravailnonmerci //

Eine unfreiwillig witzige Gegenpetition wurde vergangene Woche unter dem Titel „Ja zum Arbeitsgesetz, nein zur Arbeitslosigkeit!“ publiziert. // Vgl. die Ankündigung von AFP dazu: http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2016/02/26/97001-20160226FILWWW00365-une-contre-petition-favorable-a-la-loi-el-khomri.php // Ihr einziger Erstunterzeichner war der Pariser Politikwissenschaftler Dominique Reynié, ein arroganter Sack, der im Dezembr 2015 (erfolglos) als Spitzenkandidat für die Konservativ-Wirtschaftsliberalen zu den Regionalparlamentswahlen im Raum Toulouse antrat. Seine Petition liegt mittlerweile bei stolzen 7.898 Unterschriften. // Vgl. https://www.change.org/p/oui-à-la-loi-travail-non-au-chômage // Doch so viele! Also glatt ein Prozent so viel wie die Petition der Kritiker/innen! ((Nachträgliche Anmerkung BhS: Am Abend des 02. März 16 kurz vor Mitternacht liegt die Befürwortetr/innen-Petition, also jene zugunsten des Gesetzentwurfs, nunmehr bei 13.666 Unterschriften. Jene der Gegner/innen der geplanten rückschrittlichen „Reform“ liegt zum selben Zeitpunkt bei 909.531 Unterschriften, es fehlen also nur noch circa 90.000 bis zur angestrebten Million.//

Die Regierung scheint sich dabei taktisch ein bisschen selbst einen Fuß gestellt zu haben. Inzwischen ist es auch etwas klarer geworden, wie der Entwurf zustande kam. Die erst seit Anfang September 2015 amtierende, und bis dahin in Sachen Arbeits- und Sozialrecht eher ahnungslose (stattdessen auf Diskriminierungsbekämpfung sowie „Innere Sicherheit“ spezialisierte), Arbeitsministerin Myriam El-Khomri wurde dabei offenkundig selbst überrollt. Ihr wurden die im Zentrum der jetzigen Kontroverse stehenden Vorschriften direkt von Manuel Valls, dem rechten Spinner im Amt des Premierministers (als Rechtsaußen-Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur der französischen Sozialdemokratie erhielt er bei der Urabstimmung im Oktober 2011 noch keine sechs Prozent), und seinem Umfeld in die Feder diktiert. Ansprechpartner Valls’ und seiner Combo war dabei Pierre-André Imbert, amtierender Chefberater im Arbeitsministerium, dessen Ernennung durch Valls persönlich durchgedrückt worden war. Imbert arbeitete zuvor für Raymond Soubie, der wiederum in den Jahren um 2008 als Berater für Sozialpolitik... des konservativ-wirtschaftsliberalen Präsidenten Nicolas Sarkozy firmierte. Myriam El-Khomris Ministerialberater für Arbeits- und Sozialrecht, Pierre Jacquemin, trat daraufhin am Freitag, den 09. Februar von seinem Posten zurück. Leider machte er in der Öffentlichkeit keinerlei Aufhebens darum, und sein Rücktritt wurde erst durch die Wochenzeitung ,Le Canard enchaîné’ vom 24. Februar 19 überhaupt bekannt. ((Nachträgliche Anmerkung BhS: Inzwischen hat Jacquemin, am 1. März in der linksliberalen Abendzeitung ,Le Monde’, ausführlich seine Position und seinen Rücktritt öffentlich begründet. Er nennt die von der rechtssozialdemokratischen Regierungsspitze genannte „Reform“ im Arbeitsrecht dortselbst einen „historischen Verrat.“)

Sozialdemokratisches Urgestein ausmachende Politiker/innen wie die frühere Arbeitsministerin und ehemalige Parteivorsitzende von 2008 bis 2012, Martine Aubry – keinesfalls eine Linke! -, die am Wochenende des 27./28. Februar 16 aus dem Parteivorstand der Sozialdemokratie zurücktrat und ihren möglichen Austritt aus der Partei ankündigte, opponieren mittlerweile offen gegen einen Teil der eingeschlagenen Orientierung. Aubry ist zwar die verkorkste Arbeitszeitreform von 2000 zu verdanken, die die schöne Idee der 35-Stunden-Woche nachhaltig diskreditiert hat, u.a. weil sie deren Einführung (als Arbeitszeitnorm IM MONATS- oder, falls ein Abkommen dazu auch mit Minderheitsgewerkschaften dazu zustande kommt, auch IM JAHRESMITTEL) mit der Ausweitung variabler Arbeitswochen komibinierte. Und dies in der Hoffnung auf einen Deal mit dem modernierungswilligen Flügel des Kapitals: Arbeitszeitverkürzung versus „Flexibilität“ der Lohnabhängigen. Doch der derzeitige Rechtsruck in der Arbeitspolitik geht selbst ihr zu weit.

Rund 70 Prozent der Befragten in einer Umfrage vom Wochenende des 27./28. Februar rechnen derzeit damit, dass es die französische Sozialdemokratie sogar auseinanderhauen dürfte. // Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2016/02/26/97001-20160226FILWWW00387-pour-7-francais-sur-10-le-ps-risque-d-imploser.php // Um den Verein wäre es mitnichten schade, fraglich ist nur, was für eine Politik – und mit wem – die rechte Camarilla um Valls bis dahin durchsetzt. Allerdings dürfte das Harmoniebedürfnis vieler amtierender sozialdemokratischer Abgeordneten einem raschen Auseinanderfliegel noch entgegenstehen. Zumindest, bis diese Parlamentierer/innen ihr Mandat nach dem nächsten Wahltermin zugunsten von Konservativen oder Anderen verloren haben dürften...

Die Regierungsspitze ist nun um Schadensbegrenzung bemüht, stellt sich dabei jedoch selbst noch ein Bein. Präsident François Hollande machte ihr zur Auflage, nunmehr an einigen Stellen zurückzurudern und eine Zustimmung jedenfalls in Teilen der Sozialdemokratie – und wohl bei der CFDT – einzuholen. Auch Parteichef Jea-Christophe Cambadélis sprach schon zu einem frühen Zeitpunkt nach dem Bekanntwerden der konkreten „Reform“pläne, welche am 17. Februar 16 publik wurden, davon, er werden sich in seiner Position tendenziell nach den Stellungnahmen der CFDT richten.

Doch wie die Tageszeitung Libération am Wochenende (27./28. Februar) analysiert hat, ist auch eine solche Operation nicht ungefährlich für die Regierung. Diese befürchtet nämlich, wenn nun in dier Diskussion mit den „Sozialpartnern“ nachgegeben werde, dann habe man die ohnehin im Voraus einberechneten „Zugeständnisse“ aufgebraucht. Danach kämen aber noch die, teilweise ziemlich aufgebrachten, Abgeordneten der Sozialdemokratie an die Reihe, und die würden dann ihrerseits Kurskorrekturen einfordern. Nun kann die Regierung entweder gegenüber den Gewerkschaften (jedenfalls der CFDT) teilweise nachgeben, muss dann aber mit einer noch weiteren und stärkeren Korrektur am Entwurf rechnen; oder aber sie bleibt hart, dann bekommt sie es aber möglicherweise mit handfesten sozialen Protesten zu tun.

Wenn denn die Führungen der Gewerkschaftsapparate dem nicht im Weg stehen... Und wenn denn Libération die Bereitschaft der, in ihrer Mehrheit überaus harmoniesüchtigen (und auf Erhalt ihrer politischen Karriereaussichten bedachten), sozialdemokratischen Abgeordneten zum Konflikt nur mal nicht überschätzt hat!


Fortsetzung folgt...!

 

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.