Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Neue Arbeitsrechts-„Reform“ & Widerstände
Teil 1 (Stand vom 24. Februar 16)

03/2016

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Sogar die CFDT ist dagegen – also der zweitstärkste, sozialdemokratisch und an der Spitze knallhart pro-neoliberal ausgerichtete Dachverband. Ja, sogar der sozialdemokratische Parteichef Jean-Christophe Cambadélis, ein Berufszyniker und früherer Linker (respektive Kader einer besonders sektiererischen Unterströmung des französischen Trotzkismus bis 1986), erklärt, „im jetzigen Zustand“ könne er sich eine Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf nur „schwer vorstellen“. Und, ja, selbst die ansonsten François Hollande durchaus eher wohlgesonnene, linksliberale Pariser Abendzeitung Le Monde spricht von einem „Text, der direkt vom Arbeitgeberlager und durch die politische Rechte inspiriert“ wurde(1).

Die Rede ist von dem neuesten Entwurf(2) zur „Reform“, sprich: Demontage des bisherigen französischen Arbeitsrechts, dessen Grundzüge seit dem 17. Februar 16 bekannt gegeben wurden. Er soll nun am 09. März dieses Jahres im französischen Kabinett als Beschlussvorlage auf den Tisch kommen. (Nachträgliche Anmerkung BhS: Aufgrund der massiven Widerstände wurde der Termin um zwei Wochen auf den 23./24. März 16 verschoben.)

Neun französische Gewerkschaftsdachverbände und –zusammenschlüsse trafen sich aus diesem Grund am Dienstag, den 23. Februar 16 am Sitz der CGT, des stärksten Gewerkschaftsdachverbands in Frankreich, im Pariser Vorort Montreuil. Als zehnte, in den Einladungsprozess einbezogene Organisation blieb allein der christliche Gewerkschaftsbund (die CFTC) dem Treffen fern, erklärte allerdings seine Bereitschaft, eventuell „zusammen mit anderen Gewerkschaftsorganisationen“ an Protesten „auf der Grundlage unserer Werte und Orientierungen“ teilzunehmen. Bislang kam dabei allerdings bei den Beratungen noch nicht so viel heraus, wie man angesichts des massiven Charakters der Herausforderung hätte erwarten können. An den Dienstag (23. Februar d.J.) wurde ein gemeinsames Kommuniqué verabschiedet, das bekundete, „in unterschiedlichem Ausmaß zeigten die bei dem Treffen vertretenen Gewerkschaftsverbände sich „beunruhigt“ über den Inhalt des Reform-Entwurfs und unzufrieden damit, dass man bisher nur ungenügend konsultiert worden sei. Am 03. März 15 wollen die betreffenden Gewerkschaftsverbände sich nun erneut treffen, um über ein eventuelles weiteres gemeinsames Vorgehen zu beraten.

Doch worum geht es? Erst einmal der Reihe nach. Im Laufe des Sommers 2015 kündigte sich an, dass verschiedene Autoren für eine „Reform“ des französischen Arbeitsrechts zu Rate gezogen würden – vgl. dazu bereits http://www.labournet.de/ . Heraus kam dabei zunächst eine, im Juni 15 in Buchform präsentierte und später (im September 15) als „Untersuchungsbericht“ dem Premierminister Valls vorgelegte Studie von Ex-Justizminister Robert Badinter und Ex-Arbeitsrechtsprofessor Antoine Lyon-Caen. Diese verbreiteten viel Weihrauch und beschworen „61 Grundprinzipien“, an denen das Arbeitsrecht sich zu orientieren habe und welche die Grund- und Menschenrechte widerspiegelten(3). Diese Bekräftigung der Geltung fundamentaler Menschenrechte war zwar eine schön klingende Sache - diente jedoch letztlich nur als Hintergrundmusik dazu, um zu übertönen, dass an einigen etwas tiefer gehängten und sehr konkreten Regeln ganz gehörig herumgeschraubt werden sollte.

Was ist nun konkret geplant, in dem neuen Entwurf? Dazu einige zentrale Stichpunkte:

  • Nach bisherigem Recht könnnen Minderheitsgewerkschaften im Unternehmen oder in einer Branche ein Kollektivabkommen (eine convention collective) unterzeichnen, wenn sie – erstens – mindestens 30 Prozent der Stimmen bei den letzten Wahlen zur Personalvertretung auf die Waage bringen. Und, zweitens, wenn die Mehrheitsgewerkschaften, die ihrerseits mindestens 50 Prozent der Stimmen repräsentieren, dagegen kein Veto einlegen. Ein solches Vetorecht kann auf der Ebene des Unternehmens innerhalb von acht Tagen, und in der Branche – also bei einem Flächen-Kollektivvertrag – innerhalb von fünfzehn Tagen benutzt werden.

Was die Regierung nun plant, ist, dass künftig die Minderheitengewerkschaften nicht länger auf die Nicht-Opposition der Mehrheitsgewerkschaften bauen müssen, sondern diese umschiffen können, indem sie eine Abstimmung (ein „Referendum“(4) im Unternemen anberaumen. Diese Möglichkeit soll im einzelnen Unternehmen, nicht jedoch auf der Ebene der Branchen gelten. Damit jedoch auf der Ebene, wo die Gewerkschaften relativ am schwächsten aufgestellt sind, und wo das „Argument“ der Erpressung mit Arbeitsplätzen am ehesten zieht.

Die CFDT, die nun wirklich sehr häufig in der Position der „kompromissfreudigen“ Minderheitsgewerkschaft steckt, begrüßt diese Regelung (in einem Interview ihres Vorsitzenden Laurent Berger in Le Monde(5) ausdrücklich, lehnt jedoch die übrigen Neuregelungen in dem Gesetzentwurf zum Teil ab.

  • Nach bisherigem Recht müssen Überstunden mit einem Zuschlag von mindestens 25 Prozent abgegolten werden (jenseits von acht Überstunden in der Woche i.H.v. mindestens 50 Prozent); in Kleinbetrieben sind es mindestens 10 Prozent für die ersten vier Stunden jenseits der 35-Stunden-Durchschnittswoche. Was die Regierung plant, ist, dass dieser Zuschlag generell nur noch bei zehn Prozent liegen können soll, wenn ein Unternehmens-Kollektivvertrag dies so vorsieht. Sofern der Unternehmens-Kollektivvertrag dabei auf (für die Lohnabhängigen) ungünstige Weise vom Flächen-Kollektivvertrag abweicht, dann gilt nur noch der Unternehmens- und nicht länger der Branchen-Kollektivvertrag; Letzterer wird beiseite geschoben.

  • Ferner sollen Arbeitgeber nach Vereinbarung mit den Gewerkschaften, in Unternehmen mit unter fünfzig Beschäftigten aber auch im Alleingang, über so genannte ,forfaits-jours’ entscheiden könnes. Es handelt sich dabei um Pauschalregelungen zur Arbeitszeit, mit denen sämtliche geleisteten Arbeitsstunden als mit dem Lohn oder Gehalt abgeglichen gelten. Überstunden werden also nicht mehr gemessen, die konkrete Arbeitszeit wird nicht mehr erhoben.

  • Bislang gelten jedoch gesetzliche Obergrenzen für die wöchentliche oder jährliche Arbeitszeit. Diese Obergrenzen werden teilweise geschleift. So gilt bislang, dass die 35 Stunde – durchschnittlicher Arbeitszeit pro Woche - im Jahresmaßstab gemessen werden, sofern ein Abkommen im Unternehmen dies vorsieht; oder in einem Zyklus von vier Wochen ohne ein solches Abkommen mit Gewerkschaften. In Zukunft sollen sie jedoch nur noch im bis zu dreijährigen Mittel erreicht werden, was bedeutet, dass Überstunden entweder in einem sehr langen Zylus ausgeglichen werden müssen und (sofern überhaupt) nur nach einem sehr langen Zeitraum ausbezahlt werden. Jedenfalls sofern ein Abkommen dazu abgeschlossen wird. Ohne Abkommen soll der Arbeitgeber im Alleingang eine Berechnung über einen Zeitraum von 16 Wochen oder quasi vier Monate (statt bislang maximal vier Wochen) vornehmen können(6). Wird dabei ein Mittelwert von 35 Stunden im Vier-Monate-Durchschnitt erreicht, bei einer Allein-Entscheidung des Arbeitgebers – oder gar im bis zu dreijährigen Durchschnitt bei Abschluss eines Kollektivertrags -, dann entfallen die Überstunden für diejenigen Arbeitswochen, die länger als 35 Stunden ausfielen.

  • Bislang müssen Lohnabhängige, die einen Bereitschaftsdienst (französisch: eine astreinte) leisten, mindestens 14 Tage zuvor über das Herannahen einer Bereitschaftsperiode vorgewarnt werden. Künftig entfällt diese gesetzlich vorgeschriebene Vorwarnfrist; das neue Gesetz soll nur noch „einen vernünftigen Zeitraum“ als Vorwarnfrist vorschreiben. Und bislang regelte das Gesetz, in welchen Branchen Bereitschaftsperioden – also Zeiträume, in denen die Lohnabhängigen sich zur Verfügung ihres Arbeitgebers halten, jedoch nicht unbedingt auch real arbeiten müssen – nur für einen Teil der abgesessenen Stunden ausbezahlt werden dürfen. Dies soll künftig Verhandlungen (in den Branchen) überlassen werden.

  • Am stärksten für Zündstoff sorgt jedoch auch die Absicht der Regierung, im Falle ungerechtfertigter Entlassungen (aus betrieblichen Gründen) künftig keine Unter-, sondern eine Obergrenze für Abfindungszahlungen nach einer Verurteilung des Arbeitsgebers durch die Arbeitsgerichte, vorzusehen. Bislang gilt ab einer Betriebszugehörigkeit von mindestens zwei Jahren (und in Unternehmen mit mindestens zehn abhängig Beschäftigten) eine Untergrenze von mindestens sechs Monatslöhnen Abfindung – allerdings können die Lohnabhängigen im Prinzip ihren Arbeitsplatz nicht zurückerlangen. Künftig will die Regierung keine Untergrenzen mehr vorsehen, sondern OBERgrenzen, gestaffelt nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit: höchstens drei Monate Lohn (als Abfindung) bei bis zu zwei Jahren Beitriebszugehörigkeit, danach maximal sechs Monate bei einer Zugehörigkeit von zwei bis fünf Jahren usw., bis zu einem absoluten Höchstsatz von maximal fünfzehn Monatsgehältern ab einer zwanzigjährigen Betriebszugehörigkeit, im Falle einer sozial ungerechtfertigten Entlassung.

Dies hatte die Regierung bereits im Vorjahr im Rahmen der am 06. August 2015 verabschiedeten ,Loi Macron’ – ein nach dem amtierenden Wirtschaftsminister Emmanuel Macron benanntes „Gesetz für Aktvität & Wachstum“ – einzuführen versucht. Damals scheiterte sie damit jedoch vor dem Verfassungsgericht, weil als Kriterium seinerzeit neben der Dauer der Betriebszugehörigkeit auch noch die Betriebsgröße (bzw. Personalstärke des Unternehmens) herangezogen wurden. Dies werteten die Verfassungsrichter als unzulässige Ungleichbehandlung, da die Lohnabhängigen auf die Personalstärke „ihres“ Unternehmens keinen Einfluss hätten.

Alles in allem ein Bündel von Provokationen, denen gegenüber die Antwort bislang noch absolut unzureichend ausfällt.

Endnoten

 

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.