Editorial
Sozialstaatsillusionen

von Karl Mueller

04-2015

trend
onlinezeitung

Die Kämpfe im Stadtteil verschärfen sich zusehends, die Repressionen nehmen zu, Profitmacherei kennt keine Grenzen mehr: Die Evangelische Kirche setzt Polizei gegen Flüchtlinge ein, Mieter*innen wehren sich gegen den Abriss ihrer Häuser, Zwangsräumungen werden von gewaltätiger Polizei abgesichert, Anthroposophen verklagen ihre Mieter, um die Profite zu steigern usw. usf.

In dieser angespannten Situation, wo es gilt, sich auf die Ausweitung der Stadtteilkämpfe gegen weitere massive soziale Verwerfungen vorzubereiten - politisch, ideologisch und praktisch -, um aus der Defensive herauszukommen, starten sogenannte Linke eine Kampagne für einen Mietenvolksentscheid. Gezielt werden damit soziale Hoffungen auf das Parlament ausgerichtet, welches tagtäglich beweist, dass es ökonomisch ein Instrument zur fiskalischen Regulierung von Kapitalströmen ist, um die Verwertungsbedingungen des produzierenden Kapitals am Laufen zu halten. Skrupellos suggerieren diese Akteure, durch Gesetzesänderungen Wohnungsnot im Kapitalismus eindämmen und Mieter*innenmitbestimmung befördern zu können. So werden untergegangene Sozialstaatsillusionen wieder erweckt.

Karl-Heinz Schubert hat sich ihren Gesetzentwurf angesehen und darin Kröten (z.B. Hartz IV und ASOG) gefunden, die nicht zu schlucken sind. Im Hinblick auf die Mitbestimmung erreicht der Entwurf nicht einmal durchschnittlich sozialdemokratisches bzw. tradeunionistisches Niveau. Im zweiten Teil seiner kritischen Inaugenscheinnahme des Entwurfs, der im Laufe des Monats vorgelegt wird, wird er zeigen, dass es mit diesem Entwurf nur darum geht, gewöhnliche kapitalistische Geschäftemacherei mit Wohn- und öffentlichen Räumen am Laufen zu halten. Kurzum: die Kampagne für einen Mietvolksentscheid ist ein reines Befriedungsinstrument, womit die berechtigte Wut über die Profitmacherei mit Wohn- und öffentlichen Räumen umgebogen werden soll in staatsbürgerliches Mittun.

Was es heißt, wenn soziale Verbesserungen zu Befriedungszwecken versprochen werden, obwohl sie gar nicht greifen können, können wir sehr gut am Niedergang der Sozialisten in Frankreich ablesen. Das Bestürzende jedoch daran ist, wie Bernard Schmids Berichte aus Frankreich anlässlich der Départmentewahlen zeigen, dass dadurch der konservative Block in die Lage versetzt wird zu triumphieren, während die politisch-praktisch und ideologisch unfähige, antikapitalistische Linke am Boden liegt.

Linke Politik, die die Aufhebung des Kapitalismus, stattdessen als das Alltagspraxis orientierende Ziel schlechthin ansieht, wird nicht umhinkommen, sich auch der Frage nach Unterdrückungs- und Ausbeutungsformen jenseits der unmittelbaren Produktion zu widmen. Von daher sind Fragestellungen, wie sie in dieser Ausgabe von Detlef Georgia Schulze (DGS) zum Verhältnis von Marxismus und Feminismus aufgerufen werden, genuiner Bestandteil programmatischer Bemühungen linker Politik, die eben nicht in Sozialstaatsillusionen verenden will.

In diesem Zusammenhang empfehlen wir, quer dazu den Artikel "Die Linke in Kosova" zu lesen, weil wir meinen, dass sich Macht, wie sie in diesem Artikel darstellt wird, nicht aus einer Besonderung von Ökonomie und Patriarchat begreifen lässt, was letztlich auf die von DGS nicht behandelte Grundfrage hinweist, ob es sich bei der ahistorischen gedanklichen Konstruktion zweier angeblich autonomer (Ver-)Gesellschaftsstrukturen um ein mystifizierendes Abbild tatsächlich zusammenhängender und historisch begrenzter Strukturen handelt.

Wenn sich rund 20.000 Menschen nach Frankfurt aufmachen, um  am 18. März anlässlich der  Eröffnungsfeier der neuen Europäischen Zentralbank (EZB) gegen das internationale Bankkapital zu demonstrieren, um ihren Antikapitalismus aufs Leihkapital zu verkürzen, dann geschieht dies nicht, weil durchgeknallte Antideutsche mit ihrer Behauptung recht hätten, hier zeige der Antisemitismus seine Fratze, sondern weil es den Protagonisten dieser Kampagne um die Durchsetzung von Reformen geht, die angeblich die schlimmsten Seiten des Kapitalismus zu zügeln in der Lage sind. Wir haben zwei Kommentare dazu ausgewählt, die diese Verkürzungen kritisieren und stattdessen vorschlagen, von den Belangen der Arbeiter*innenklasse ausgehen und den Kampf an der grundlegenden Schnittstelle - nämlich zwischen Lohnarbeit und produzierendem Kapital - aufzunehmen.

Von daher schließt sich hier der Kreis zu der eingangs kritisierten Illusionsmacherei der Volksentscheidakteur*innen. Insofern wird es immer dringlicher, dass die Linke in eine theoretisch fundierte Auseinandersetzung mit den Kräften eintritt, die mit ihren Vorschlägen und Praxen linke Politik im Hier und Jetzt fixieren wollen und damit - gewollt oder ungewollt - die Aufhebung des Kapitalismus als historische Perspektive delegitimieren. Dass es bis heute - 1.4.2015 - keine nennenswerten Aufrufe für revolutionäre 1. Maidemonstrationen gibt, könnte auch ein Indiz für diese theoretische Schwäche der antikapitalistischen Linken in der BRD sein.

TREND(s) im Netz - hier die jüngsten Zahlen:

Die BesucherInnenzahlen vom März 2015, in Klammern 2014, 2013

  • Infopartisan gesamt: 174.278 (181.081, 118.623)
  • davon TREND: 116.549 ( 123.527, 83.816)

Diese Auswertung fasste alle Seitenaufrufe eines Besuchers,  gekennzeichnet durch seine IP-Adresse und seine Browserkennung, zu einem Besuch (unique visit) zusammen. Ein Besucher wurde nur gezählt, wenn er mindestens eine Page-Impression, d.h. eine vollständig geladene Seite mit dem Rückgabewert 200 oder 304, ohne Bestandteile wie Bilder und Dateien mit den Endungen .png, .jpg, jpeg, .gif, .swf, .css, .class oder .js auslöste. Liegen mehr als 30 Minuten zwischen den einzelnen Page-Impressions, so wird der Besucher mehrfach gezählt. Ein Besuch kann maximal 30 Minuten dauern.

Seitenaufrufe bei INFOPARTISAN gesamt im März 2015: 318.127
Seitenaufrufe bei TREND im März  2015: 201.386

2.068  BesucherInnen verbuchte die Agit 883 Seite.
Es wurden
 1.706 Ausgaben der Agit 883 aufgerufen
6.061 BesucherInnen besuchten das Rockarchiv
9.972
Seiten wurden im Rockarchiv abgerufen

Die am meisten gelesene Seite im März 2015 bei Infopartisan war:

Der am meisten gelesene TREND-Artikel im März 2015

Weitere stark nachgefragte TREND-Artikel aus vorherigen Ausgaben im März 2015: