Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Diese Kröten sind nicht zu schlucken!

Den Gesetzentwurf über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin kann mensch nur ablehnen!

Ein Kommentar von Karl-Heinz Schubert (Teil I)

04-2015

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onlinezeitung

Der Gesetzesenwurf über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung ist ein bürokratisches Monster, das vier wohnungspolitische Bereiche durch ein (!!!) Gesetz regulieren will, nämlich einen revolvierenden Fonds zur Wohnraumförderung, die formelle Umwandlung von sechs Wohnungsbaugesellschaften in Anstalten öffentlichen Rechts, eine Mietensubvention durch Subjektförderung sowie die Mitbestimmung und Mitwirkung von Mieterräten.

Eine ernsthafte Beschäftigung mit diesem Entwurf, der 52 Paragrafen, teilweise mit bis zu mehr als 20 Unterpunkten umfasst und mit den dazugehörigen Begründungen auf 54 Druckseiten kommt, wobei etliche Punkte nur genannt, aber zur Regelung pauschal dem Senat übertragen werden, ist für eine lohnabhängig arbeitende Einzelperson zeitlich wohl unter einer Woche Feierabendbeschäftigung mit diesem Entwurf nicht zu leisten.

Von daher käme eine Zustimmung zu dem Entwurf, die sich solchen Mühen nicht unterzogen hat, einem unverantwortlichem Blankoscheck für ungenießbare Kröten gleich, die sich zu hauf in dem Entwurf finden lassen.

So denn - beginnen wir mit den drei schlimmsten Kröten, die wir gefunden haben.

§ 41 Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins

„Einen Wohnberechtigungsschein erhalten nur Wohnungssuchende, die sich nicht nur vorübergehend im Bundesgebiet aufhalten oder aufhalten wollen und rechtlich und tatsächlich in der Lage sind, auf längere Dauer einen Wohnsitz als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu begründen und dabei einen selbständigen Haushalt zu führen.“

Im Klartext: No Chance for Refugees.

Und wer einer solchen „nichtberechtigten Person“ geförderten Wohnraum überlässt, riskiert eine Geldbuße bis zu 50.000 € (§51,1.1.).

§ 12 Bildung von Tochterunternehmen

„Errichten und Betreiben einer gemeinschaftlichen Wohnberatungsstelle, wodurch die Anstalten in diesem Zusammenhang zielgerichtete Sozialarbeit in den bewirtschafteten Wohnungsbeständen im Sinne des § 11 SGB XII leisten.“

Im Klartext: Zwang unter das Hartz IV Regime durch den Vermieter.

Denn im § 11 SGB XII heißt es dazu unzweideutig:

„Auf die Wahrnehmung von Unterstützungsangeboten ist hinzuwirken. Können Leistungsberechtigte durch Aufnahme einer zumutbaren Tätigkeit Einkommen erzielen, sind sie hierzu sowie zur Teilnahme an einer erforderlichen Vorbereitung verpflichtet.“

§ 13 Aufgaben und Ziele der Anstalten

die Bezirke als örtliche Ordnungsbehörden im Bereich des Wohnungswesens zu unterstützen und in akuten oder drohenden Fällen von Wohnungs - oder Obdachlosigkeit, namentlich solchen, in denen Zwangsräumungen nicht abgewendet werden können, zur Gefahrenabwehr im Rahmen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß §§ 1, 13 und 17 des Berliner Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes Gelegenheiten zur Unterbringung der Betroffenen bei sich oder den anderen Anstalten zur Verfügung zu stellen“

Im Klartext: Der Vermieter kümmert sich an der Seite der Polizei um Sicherheit und Ordnung.

Übrigens: Zwangsräumungen von Haushalten mit „Leistungsbezug“ sind ausgeschlossen, aber nur - so die Begründung - weil „für die Kosten der Räumung und der neuen Unterbringung durch die öffentliche Hand zusätzlich gezahlt werden müsste.“ (S. 36)

Merke: Familie Gülbol wäre wie bisher geräumt worden. Der Versuch, ihre Räumung zu verhindern, würde wie gehabt, mit dem ASOG kriminalisiert werden.


Polizei sichert die Zwangräumung der Wohnung der Familie Gülbol / Screenshot youtube

Damit wären bereits drei „Kröten“ in diesem Entwurf gefunden, die nicht geschluckt werden dürfen, selbst wenn die anderen Regelungen einen vermeindlich fortschrittlichen Charakter hätten.

Daher bereits an dieser Stelle: NEIN zu dem Entwurf.

Doch es gibt weitere Kröten in diesem Entwurf, von denen ich noch einige exemplarisch nennen möchte.

Die Mieterräte (§20-22)

Bei der Umwandlung der bestehenden städtischen Gesellschaften in „Anstalten des öffentlichen Rechts“ soll die Möglichkeit von Mieter*innenbeteiligung an ökonomischen und damit sie betreffenden sozialen Entscheidungsprozessen gesetzlich verankert werden. Als großer Hit des Entwurfs gilt daher die gesetzlich angestrebte Verankerung von „Mieterräten“.

Mal abgesehen davon, dass es diese nur exklusiv bei den neuen Anstalten geben soll, handelt es sich beim Studium der ihnen zugestandenen Kompetenzen, um von „oben“ verordnete und auf ein Minimum beschränkte.

„Zur Vertretung der Interessen der Mieterinnen und Mieter der jeweiligen Anstalt wird ein Gesamtmieterrat gebildet. Das Nähere regelt eine vom Senat zu erlassende Satzung.“ (§20,1)

Also ein klassischer Fall von Pseudodemokratie, denn die Mieter*innen bleiben das, was sie sind: für den Profit der Vermieter Mietzins zahlende Kunden.

Merke: „Die Häuser denen, die drin wohnen“ soll es mit diesem Entwurf nicht geben.

Es wird nicht einmal der Versuch unternommen, Strukturen, die in diese Richtung weisen, zu installieren. Ganz im Gegenteil! Wenn der Gesamtmieterrat nach den exklusiven Richtlinien des Senats gebildet worden ist, darf er sich „Gebietsmieterräte“ schaffen (nach §23,1 pro 1000-2000 Mieter*innen ein Mandat). Die dürfen dann Stellungnahmen zu so gewichtigen Fragen wie Hausordnungen oder Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen abgeben. Sie dürfen auch Bürgernähe inszenieren, indem sie „Bezirksmieterräte“ bilden.

Solche Strukturen bilden gleichsam einen demokratischen Nebelvorhang, womit verschleiert wird, wer in diesen „Anstalten“ das Sagen hat.

Die Entscheidungsstrukturen (§15-24)

„Der alleinige Gewährträger der Anstalten ist das Land Berlin“, heißt es in § 15.

Diese Tatsachenfeststellung zeigt in ihrer Schlichtheit, dass der Formwechsel zur „Anstalt öffentlichen Rechts“ an der bisherigen ökonomischen Funktion und an den Eigentumsverhältnissen, nämlich ein staatskapitalistischer Betrieb zu sein, nichts geändert hat. Geändert haben sich gewisse betriebswirtschaftliche Spielregeln, die es auch zu bewerten gilt, was im Teil II erfolgt.

Hier geht es zunächst nur darum festzuhalten, dass die Lohnarbeiter*innen dieser Anstalten nicht einmal gewerkschaftliche Mitbestimmungsrechte haben sollen, wie sie in vergleichbar großen privatkapitalistischen Unternehmen gang und gäbe sind.

Diese Feststellung ergibt sich unmittelbar aus der Zusammensetzung und den Aufgaben des Verwaltungsrats (§18 und §19), der gleichsam der dirigierende Kapitalist ist. In ihm haben von 16 Sitzen die Belegschaftsvertreter*innen zwei(!) Sitze. Der „Gewährträger“ verfügt dagegen über 10 Sitze ( 8 Senatsvertreter plus 2 Vertreter des „Fachbeirats“, dessen sechs Mitglieder vom Abgeordnetenhaus gewählt werden, siehe §24). Vier Sitze entfallen auf den „Gesamtmieterrat“.

Merke: Damit erfüllt dieser Entwurf nicht einmal die Maßstäbe des Berliner Betriebe-Gesetzes (BerlBG), das für die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR), die Berliner Verkehrsbetriebe und die Berliner Wasserbetriebe (BWB) gilt, wo der Aufsichtsrat halbparitätisch zusammengesetzt ist.

Nun könnte ein findiger Apologet dieses Entwurfs einwenden, dass ja auch die Mieter*innen im Verwaltungsrat vertreten sein müssten, was nach einer halbparitätischen Aufsichtsratskonstruktion gar nicht möglich sei.

Wenn hier mit Strukturen und Aufgabenstellungen als Sachzwang argumentiert wird und damit die Mieter*innen gegen die Belegschaft der Wohnungsanstalten ausgespielt werden, dann hätte es zur Vermeidung dessen freilich das Berliner Hochschulgesetz als orientierende Vorlage gegeben. In Analogie dazu wären die Mieter*innen und die Beschäftigten als Mitglieder der „Anstalt“ definiert worden, woraus Mieter*innen-Selbstverwaltungs- und Beschäftigen-Mitbestimmungsregelungen hätten abgeleitet werden können. So wären Gremien begründbar geworden, in denen keine der beteiligten Gruppen - so auch der „Gewährträger“ - allein die Mehrheit gehabt hätte.

Im übrigen wären die Mieter*innen nach einer Logik, wo sie per Mietvertrag automatisch als Mitglieder der Anstalt gelten, auch nicht mehr in der Bittstellerrolle, die ihnen dagegen dieser Entwurf explizit zuweist.

Es ist einfach beschämend, wenn solch ein Papier, bei dem die Verfasser*innen es sogar vorziehen, ungenannt zu bleiben, in kiezigen wohnungspolitischen Spektren als politisch „links“ gelabelt wird, obgleich es offensichtlich ist, dass der Entwurf nicht einmal durchschnittlich sozialdemokratisches bzw. tradeunionistisches Niveau erreicht. Übrigens hätte mensch dies bereits daran merken können, dass mit diesem Entwurf deutlich NICHT an Erfahrungen der Arbeiter*innenbewegung angeknüpft wird. Dafür gibt es bezeichnender Weise volle Unterstützung vom kleinbürgerlichen „Berliner Mieterverein“.

Teil II des Kommentars wird sich schwerpunktmäßig mit dem revolvierenden Fonds als fiskalische Stütze staatskapitalistischer Wohnungwirtschaft und der „Subjektförderung“ als Miethöheninstrument befassen.

Berlin im März 2015