Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Entwurf

Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin

Stand: 09. März 2015

03-2015

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Vorbemerkung: Auf einer Pressekonferenz am 10.3.2015 stellte sich eine Berliner Initiative "Mietenvolksentscheid e.V. (i.G)" mit ihrem Entwurf für ein "Berliner Wohnraumversorgungsgesetz" vor. Protagonist*innen dieses Vorhabens sind u.a. Hartmut Bräunlich von der "Mauerpark Allianz", Ulrike Hamann von "Kotti & Co", Jan Kuhnert von der KUB Kommunal- und Unternehmensberatung GmbH, Rouzbeh Taheri vom "S-Bahn-Tisch", Melanie Dyck von der Mieterini "23 GSW-Häuser".

 

Diese Kröten sind nicht zu schlucken!
Den Gesetzentwurf über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin kann mensch nur ablehnen!
Ein Kommentar von Karl-Heinz Schubert (Teil I)

Wir dokumentieren nachfolgend die Begründung für diesen Entwurf und stellen den kompletten Text zum Downlaod zur Verfügung.

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Begründung

Nach Artikel 28 Absatz 1 der Berliner Verfassung wirkt das Land darauf hin, dass die Bevölkerung mit angemessenem Wohnraum versorgt ist. Daher ist das Land verpflichtet, die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, zu fördern. Diese grundsätzliche Verpflichtung ist in der gesamtstaatlichen Handlungsverantwortung angesichts des deutlichen Mangels an preiswertem Wohnraum, vermehrter Zuzüge in die Stadt und der künftigen demographischen Entwicklung von besonderer Bedeutung.

Die Erfüllung dieses verfassungsrechtlichen Versorgungsauftrages ist daran zu messen, ob gerade Haushalten mit geringem Einkommen Wohnraum zu angemessen Bedingungen zur Verfügung steht. Dies ist derzeit nicht der Fall. Für diesen Bereich staatlichen Handelns soll deshalb durch das Berliner Wohnraumversorgungsgesetz (WoVG Bln) eine neue gesetzliche Grundlage geschaffen werden.

Problemlage

Durch die Verteuerung preiswerter Wohnungen, den Verlust von Mietpreis- und Belegungsbindungen, den Verkauf öffentlicher Wohnungsbestände und die deutliche Zuwanderung ist eine Dynamik entstanden, in der inzwischen auch Mittelschichtshaushalte Schwierigkeiten haben, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Aus den Mietspiegeldaten des letzten Jahrzehnts ist ein durchgängiger Anstieg der Mietpreise festzustellen. Seit 2003 sind die Bestandsmieten insgesamt um 29 Prozent gestiegen. Die Angebotsmieten sind seit 2009 sogar um mindestens 30 Prozent gestiegen (Berliner Zeitung, 29.10.2014). Die Defizite der sozialen Wohnungsversorgung haben sich durch diese Wohnungsmarktdynamik und die regressive Wohnungspolitik der letzten Jahre drastisch ausgeweitet. Angetrieben von der Privatisierung öffentlichen Wohnungsbestandes und einer hohen Ertragserwartung privater Eigentümer und Investoren, erfolgen bei jeder Möglichkeit Mieterhöhungen, wodurch die Spielräume für Haushalte mit geringen Einkommen sowohl im Bestand als auch im Angebot des Berliner Mietwohnungsmarktes immer kleiner werden. In einer Mieterstadt wie Berlin, in der 85 Prozent aller Haushalte zur Miete wohnen, haben diese Haushalte in der Regel das Nachsehen. Die Wohnungsversorgungqualität einer Stadt misst sich also daran, ob es gelingt, auch Haushalte mit geringen Einkommen mit angemessenen Wohnungen zu versorgen.

Die aktuellen Einkommensstatistiken Berlins weisen 18 Prozent aller Haushalte als armutsgefährdet aus. Darunter gefasst werden alle Haushalte, die mit weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens auskommen müssen. In Berlin müssen das nach aktuellen Daten der Einkommensstatistik fast 260.000 Haushalte mit Einkommen unterhalb der Armutsgrenze auskommen. Die größte Gruppe stellen die 143.000 Ein-Personen-Haushalte, die mit weniger als 705 Euro im Monat über die Runden kommen müssen, darunter viele alte alleinstehende Menschen.

Wenn aus diesem geringen Einkommen nur 30 Prozent für die Nettokaltmiete eingesetzt werden soll, dann könnten diese armen Ein-Personen-Haushalte maximal 211 Euro im Monat für die Miete ausgeben. Dabei muss auch noch zusätzlich für die Betriebs-, Heiz- und Energiekosten fast genau soviel aufgewendet werden, dass den meisten kaum der Regelsatz von Hartz IV zum Leben bleibt, weil von diesen Kosten zu wenig durch das Jobcenter auf Grundlage der Wohnaufwendungenverordnung übernommen wird. Wenn für Einpersonenhaushalte zumindest der durchschnittliche Wohnflächenverbrauch von 38,8 Quadratmetern pro Person angesetzt würde, dann könnten diese Haushalte höchstens eine Nettokaltmiete von 5,42 Euro/qm tragen. Für größere Haushalte wurden entsprechend größere Wohnungen als Berechnungsgrundlage angesetzt

Zur Beurteilung der Versorgungssituation auf dem Berliner Mietwohnungsmarkt ist daher zu prüfen, ob es für die oben abgeleitete Miete von 5,42 €/qm Nettokalt nach Preis und Größe überhaupt genügend angemessene Wohnungen für die Haushalte mit geringem Einkommen gibt. Um das zu erläutern, folgt eine Auswertung des Mietspiegels hinsichtlich der Anzahl an preiswerten Wohnungen für diese Haushalte.

Alleine für die ca. 143.000 alleinlebenden Menschen mit geringem Einkommen fehlen in Berlin über 100.000 preiswerte Wohnungen. Auch für die über 75.000 Zwei-Personen-Haushalte mit Einkommen unterhalb der Armutsschwelle gibt es nur knapp 60.000 laut Mietspiegel preislich passende Wohnungen. Damit fehlen in der Stadt Berlin über 120.000 preiswerte Wohnungen und deshalb gibt es für fast die Hälfte der armutsgefährdeten Haushalte zurzeit in Berlin keine angemessene und leistbare Wohnung. Aufgrund des besonderen Mietenanstiegs bei den bisher preisgünstigen Wohnungen löst sich dieses für die Wohnraumversorgung wichtige Wohnungssegment faktisch auf. Die Altbaubestände boten seit Jahrzehnten zuverlässig die preiswertesten Mietpreise und haben Berlin vor einer Konzentration der Armut in der Peripherie bewahrt. Unter den Wohnungsanzeigen sind ganze Stadtteile in der Innenstadt praktisch schon jetzt Zonen ohne Angebote für Menschen mit geringem Einkommen. Insbesondere Menschen im Alter, Menschen mit Behinderung, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen, die Transferleistungen beziehen sowie Menschen, die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigt sind, sind von dieser Wohnungsnotlage besonders betroffen.

Bisherige staatliche Instrumente im Wohnungsmarkt

Das Land Berlin ist aufgrund dieses Versorgungsdefizites verpflichtet, zur Sicherung des Versorgungsauftrages mit geeigneten Instrumenten in den Markt einzugreifen. In den vergangenen Jahrzenten sind eine Reihe von Instrumenten entwickelt worden, mit dem Versuch, politischen Einfluss auf den Wohnungsmarkt zum Schutz der Mieterinnen und Mieter und der Wohnraumversorgung zu nehmen. Die existierenden Instrumente haben sich jedoch angesichts der derzeitigen Wohnungsmarktnotlage als unzureichend herausgestellt. Hierunter fallen unter anderem: Das bundesrechtliche Mietrecht, insbesondere die unzureichende Kappung der Modernisierungsumlage und Beschränkung von Mieterhöhungsmöglichkeiten, kaum mietpreisdämpfende Regelungen des Mietspiegels, die fehlende Wohnungsgemeinnützigkeit, das mietentreibende Höchstpreisverfahren im Umgang mit dem Immobilienvermögen der BImA und eine zu geringe Mittelbereitstellung für den Sozialen Wohnungsbau im Rahmen der sog. Kompensationszahlen des Bundes. Diese bundesrechtlichen Instrumente können durch einen Volksentscheid auf Landesebene nicht verändert werden.

Vorhandene Instrumente zur Beeinflussung des Wohnungsmarktes auf Landesebene haben sich jedoch ebenfalls als unzureichend erwiesen: Die verfehlten Regelungen des Wohnraumgesetzes zur Beendigung des Sozialen Wohnungsbaus, das zahnlose und angesichts des Personalmangels wirkungslose Zweckentfremdungsverbotsgesetz, ein ineffektives Wohnungsaufsichtsgesetz sowie die mangelhafte Ausweisung von Erhaltungsgebieten und darin enthaltenen Möglichkeiten von Umwandlungsverboten und Vorkaufsrechten. Beim Liegenschaftsverkauf des Landes wird zu wenig auf die Schaffung von preiswertem Wohnraum geachtet. Die derzeit rechtlich umstrittenen Regelungen der Wohnaufwendungenverordnung sind keinesfalls ausreichend, um die tatsächlichen Kosten der Unterkunft in Berlin zu zahlen. Die Verbesserung bzw. Anwendung der aufgeführten Verordnungen kann leider nicht im Rahmen eines Volksentscheids stattfinden. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Beschränkungen der Volksgesetzgebung (Koppelungsverbot) können auch nicht alle landesgesetzlichen Instrumente gleichzeitig in einem Volksentscheid geändert werden.

Im Rahmen des hier vorgelegten Volksentscheid wird versucht, unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben, ein starkes Instrument für das Land Berlin einzuführen, um der
Fehlentwicklung auf dem Berliner Mietwohnungsmarkt energisch entgegenzuwirken. Denn der private Mietwohnungsmarkt in Berlin verweist bei der Versorgung von Haushalten mit geringen Einkommen auf ein systematisches Marktversagen. Eine soziale Wohnungspolitik des Landes Berlin muss sich jedoch an der angemessenen Versorgung eben jener Haushalte messen lassen. Neben einem Bestandsschutz der stark abgeschmolzenen preiswerten Wohnungsmarktsegmenten sind hier vor allem Strategien für die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und die Restbestände des Sozialen Wohnungsbaus sowie für eine Verstärkung von Modernisierungs- und Neubauförderung gefragt. Daher werden mit diesem Volksentscheid die beiden wichtigsten Instrumente des Landes, die städtischen Wohnungsunternehmen und die Wohnraumförderung miteinander verknüpft und neu ausgerichtet.

Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin Mit der landesgesetzlichen Verankerung eines Wohnraumförderfonds zur sozialen Wohnraumversorgung wird mithilfe von verschiedensten Instrumenten der Förderung des Wohnens eine neue Grundlage für das künftige Handeln des Landes Berlin geschaffen. Hier entsteht somit ein zentrales Instrument, mit dem das Land Berlin künftig die Mieten im Sozialen Wohnungsbau durch Senkung wieder tragfähig machen kann, durch verstärkte Förderung der Modernisierung des privaten Altbaus viele preiswerte Wohnungen in Berlin erhalten kann und durch eine deutlich erhöhte zielgruppenorientierte Neubauförderung notwendige zusätzliche Sozialwohnungen in Berlin finanzieren kann. Dem verfassungsrechtlichen Auftrag einer ausreichenden Wohnraumversorgung kann das Land Berlin aber nur dann nachkommen, wenn es neben ausreichender Förderung auch einen ausreichenden Bestand an langfristig sicherem, preiswertem und sozial gebundenem Wohnraum gewährleisten kann. Nach den bisherigen Erfahrungen ist dies durch unmittelbaren kommunalen Besitz, zum Beispiel durch städtische Wohnungsunternehmen, eher sichergestellt, als im Rahmen der klassischen Förderungen des sozialen Wohnungsbaus bei privaten Eigentümern.

Um das bei den städtischen Wohnungsunternehmen Berlins liegende Immobilienvermögen langfristig für den Versorgungsauftrag zu sichern und insbesondere angesichts der Marktsituation für die Versorgung besonders benachteiligter Haushalte verstärkt zu nutzen, wird in diesem Gesetz eine neue Rechtsgrundlage für diese Unternehmen geschaffen. Gleichzeitig werden sie im erforderlichem Umfang auf diese Aufgaben neuausgerichtet. Insbesondere im Bereich des Neubaus von gebundenem Wohnraum gefördert durch den Wohnraumförderfonds ist von einer künftig stärkeren Rolle der landeseigenen Immobilien auszugehen. Hiermit ist das Handlungsfeld des Landes Berlin so aufgestellt, dass der langfristige Versorgungsauftrag der Verfassung nach Artikel 28 Absatz 1 sichergestellt wird.


Weitere Infos bei:
http://mietenvolksentscheidberlin.de/