Über die Verdoppelung des Antikapitalismus und die Wiederauferstehung des Linksradikalismus an der falschesten Stelle
Ein Kurz-Kommentar zum „linksradikalen Block“ bei der Berliner 8. März-Demonstration 2015

von Detlef Georgia Schulze / TaP (*)

03-2015

trend
onlinezeitung

Um es vorwegzusagen: Ich fand die Demo diesmal nicht ganz so mißgelungen, wie im vergangenen Jahr (1) – vielleicht aber nur deshalb, weil ich diesmal vorab ‚wußte’ (an Hand des Eindrucks vom vergangenen Jahr: ahnte) was mir bevorsteht. – Wie dem auch sei, diesmal hielt es bis zum Ende aus – und ich hatte mich diesmal zusammen mit den GenossInnen der Gruppe Revolutionäre Perspektive Berlin, die mich für Dienstag 19 h (den 11. März 2015 - red. trend)  als ReferentIn für einen Vortrag zum Thema „Frauenkampf heißt Klassenkampf?“ zu ihrem Tresen-Abend ins Bandito Rosso eingeladen hat (2), dem vor allem von TOP, IL Berlin und noch einigen anderen Gruppen initiierte „linksradikalen Block“ (3) angeschlossen.

Vom „Klassenkampf“ war zwar nicht soviel die Rede – außer, daß die SDAJ mit einem Transpi mit nämlicher Parole (allerdings OHNE Fragezeichen) hinter uns lief. Das, finde ich, ist – wie ich am Dienstagabend begründen werden – am 8. März allerdings auch kein großer Verlust.

Eindeutig zu viel war mir in dem linksradikalen Block aber von „Antikapitalismus“ die Rede – und zwar sowohl seitens der nach herrschenden Maßstäben weiblichen Stimmen im Lauti als auch seitens „A-, A-, Anticapitalista“ rufender – nach herrschenden Maßstäben – männlicher Stimmen außerhalb des Lautis. Absolut betrachtet, kann es zwar nie genug Antikapitalismus geben. Aber angesichts dessen, daß es sich beim 8. März um den Internationalen Frauenkampf handelt, und relativ dazu, wie wenig von „antipatriarchal“ die Rede war, ging mir der lautstarke und plakative „Antikapitalismus“ doch ziemlich auf meine nicht vorhandenen Eierstöcke.

Nun finde ich zwar auch gut, wenn Feministinnen nicht nur Feministinnen, sondern auch Antikapitalistinnen und Antirassistinnen und gegen Trans- und Homophie und auch gegen alle existierenden Diskriminierungs-ISMEN sind. Aber zum einen finde ich, daß sie (daß WIR!) dies dann nicht ALS Feministinnen, sondern unter dem Motto „sowohl Feminismus als auch …“ sein sollten. Warum ich auf spezifische Analysen (Theorien) und auf spezifische politische Bewegungen in Bezug auf jeweils spezifische Herrschafts- und Ausbeutungs- (und auch bloße Diskriminierungs)verhältnisse Wert lege, hatte ich bereits im vergangenen Jahr begründet (4).

Die Verdoppelung des Antikapitalismus

Hinzukommt – und das ist mir erst dieses Jahr deutlich geworden –, daß auch bei der „sowohl Feminismus als auch …“-Methode die Proportionen durcheinander geraten, wenn am 8. März mehr vom Kapitalismus als vom Patriarchat die Rede ist. Dann sagen nämlich die MarxistInnen oder die Lohnabhängigen oder die Billig-und-Gerecht-Denkenden, daß sie gegen „den Kapitalismus“ sind (und meistens sagen sie nicht mehr). Und die Feministinnen wiederholen das noch mal – in der Regel, ohne daß die Antikapitalisten ihrerseits – z.B. am 1. Mai – den Antipat-Kampf gleichermaßen betonen und ‚wiederholen’ würden.

Diese einseitige Verdoppelung des Antikapitalismus (oder: Verdoppelung des Antikapitalismus ohne Gegenleistung) bedeutet in der einen Variante, auch wenn sich die Sprechenden für subjektiv feministisch halten, zur alt-bekannten marxistischen Nebenwiderspruchs-Position zurückzukehren: Frauen müßten gegen den Kapitalismus (darin als Botschaft eingeschlossen: und nicht oder nicht so sehr gegen Männer) sein, weil das Privateigentum bzw. die Entstehung der Klassengesellschaft auch die ‚Knechtung der Frau’ (Friedrich Engels; MEW 21, 61) hervorgebracht habe. Das ist aber schon unter chronologischen Gesichtspunkten äußerst fragwürdig – und von den Kausalitätsgesichtspunkten gar nicht erst zu reden… (5) – Oder es wird irgendeine andere Ableitung des Geschlechterverhältnisses aus den Eigentums- bzw. Klassenverhältnissen geboten.

Diese Variante der Verdoppelung des Antikapitalismus – ich nenne sie im Kontext des linksradikalen Blocks mal lax die „Variante TOP“ (auch wenn die TOP-Variante wahrscheinlich noch mal ein bißchen anders geht, als die Engels-Variante) – ist zumindest insofern die theoretisch anspruchsvollere und im Ergebnis politisch radikalere, als sie überhaupt noch an einem Denken in Ursachen und Wirkungen, Strukturen und Symptomen festhält und damit über einen Begriff von der politischen Notwendigkeit, die gesellschaftlichen Strukturen zu revolutionieren verfügt, auch wenn sie über keinen Begriff der patriarchalen Strukturen verfügt.

In DIESER Variante wiederholt der „Feminismus“ aber nur, was wir auch schon nach der Lektüre der Marxschen Schriften zur Kritik der Politischen Ökonomie oder von UG-Transpis wußten: „Kapital? Scheiße!“

Die andere Variante möchte ich – genauso lax – die „Variante IL“ nennen. Deren Kapitalismus-Begriff ist eher nicht so auf der Höhe der marxschen Kritik der Politischen Ökonomie (auch wenn ich Ende vergangenen Jahres positiv überrascht war, daß im IL-Zwischenstandspapier auf einmal von „Produktionsmitteln“, „Mehrwert“ und „Klassenkampf“ die Rede ist [6]). Vor allem versucht die IL nicht Kämpfe theoretisch-argumentativ gegen Ursachen = Strukturen zu richten, sondern mobilisiert populistisch an Symptomen (7).

In DIESER Variante der Verdoppelung des Antikapitalismus ist z.B. die überwiegend von Frauen – schlecht oder gar nicht entlohnt – geleistete Care-Arbeit auch nur ein weiterer von Tausenden von Mißständen, die uns „wütend“ machen.

Der Linksradikalismus an der falschesten Stelle

Damit kommen wir zur Wiederauferstehung des Linksradikalismus. – Das Wort „Linksradikalismus“ war zwar nie so richtig verschwunden, aber das, was den Linksradikalismus, sowohl in der klassischen, leninschen Kritik von 1920 (8) als auch im autonomen Selbstverständnis der 1980er und frühen 90er Jahre ausmachte – „Wir haben keine Forderungen und sind einfach da.“ (9) oder etwas weniger lax ausgedrückt: Der Verzicht auf den Kampf um Reformen, auch wenn eine Revolution gerade nicht möglich ist – hat seit besagtem Anfang der 90er Jahre massiv an politischer Relevanz verloren. Die damaligen Autonomen sind statt dessen überwiegend zum „‚lückenfüller‘ für funktionen, die kirchen, parteien, humanitäre kräfte nicht mehr besetzen“ (10) geworden.

Dieser – ich nenne ihn mal, wenn ich mir eine weitere laxe Formulierung erlauben darf: – ‚Daseins-Linksradikalismus’ feierte nun am Sonntag im „linksradikalen Block“ bei der 8. März-Demo Wiederauferstehung: Eine Quotierung (ich bin mir nicht sicher, ob nur die von Aufsichtsräten oder überhaupt die Quotierung von Lohnarbeitsplätze) wurde mit dem Argument abgelehnt, daß „wir“ doch eh gegen Lohnarbeit seien.

Da uns allen – egal, ob wir IL, UG, Perspektive Kommunismus, RIO, NAO, SAV, MLPD, DKP oder einfach TaP heißen – nun so ziemlich alles fehlt, um in absehbarer Zeit die Lohnarbeit abzuschaffen, wird der doppelt- und dreifach gemoppelte Antikapitalismus hier und heute zum Antifeminismus. – Eine Forderung (im reformerischen Optimalfall: eine durchgängige 50:50-Quotierung aller Erwerbsarbeitsplätze und politischen Funktionen auf allen Stufen der jeweiligen ‚Pyramide’), deren Durchsetzung hier und heute die Lage von vielen Frauen verbessern würde, aber unsere langfristigen Chancen, die Lohnarbeit irgendwann mal abzuschaffen, nicht schmälern würde, wird im Namen des wiederauferstandenen ‚Daseins-Linksradikalismus’ verworfen…

(*) http://theoriealspraxis.blogsport.de/category/queer-gender/

Anmerkungen

(1) Siehe meine damalige Kritik: http://theoriealspraxis.blogsport.de/2014/03/08/eine-feministische-kapitulation-warum-ich-die-8-maerz-demo-in-berlin-verlassen-habe-bevor-sie-losging/

(2) Siehe: http://www.perspektive.nostate.net/475

(3) Siehe: http://makingfeminismathreat.blogsport.eu/unterstuetzerinnen/

(4) Siehe sowohl in meiner Kritik an dem damaligen „queerfeministischen“ Flugblatt als auch an dem damaligen Flugblatt von TOP: https://linksunten.indymedia.org/de/node/108153 („Es reicht bei weitem nicht, immer nur alles ‚mit[zudenken] und [zu] reflektier[en]’ und mit allen – oder fast allen – solidarisch zu sein.“ / „Queerfeminismus ist also für (fast) alles ‚zuständig’: […]. Ich halte das für keinen Gewinn“ usw.) und https://linksunten.indymedia.org/de/node/110989 („Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus – unterschiedlich, aber weder getrennt noch von einander verursacht“ – und drumherum).

(5) Siehe dazu: https://linksunten.indymedia.org/node/136552 – zu den chronologischen Gesichtspunkten siehe: Abschnitt 2.a) und b); und zu den Kausalitätsgesichtspunkten: Abschnitt 3.b) – ab „Aber was ist Engels’ Argument…?“.

(6) http://interventionistische-linke.org/die-bedingungen-unter-denen-wir-leben-und-kaempfen und http://interventionistische-linke.org/was-uns-eint. Z.B. die Begriffe „Gesellschaftsformation“, „Produktionsweise“, „Produktivkräfte“ und „Klassenherrschaft“ fehlen der IL aber weiterhin; und es wird vermutlich eine Weile dauern, bis die im ‚Sonntags-Zwischenstandspapier’ vorhandenen Begriffe mal in ein ‚Werktags-Flugi’ der IL vordringen…

(7) So die von mir weiterhin für richtig gehaltene Kritik an der IL: http://www.nao-prozess.de/blog/in-kuerze-auch-als-flugi-nao-muss-das-wirklich-sein-von-ik-rsb-sib-u-soko/ (Abschnitt „Warum Organisation – wenn es doch Bündnisse gibt?“) – auch wenn die „NAO“ selbst inzwischen auf die merkwürdigsten populistischen – Abwege geraten ist (nur mit deutlich weniger Resonanz als die IL), auf denen es anscheinend nur noch „Völker“, aber keine Klassen mehr gibt: „in diesem Krieg [zwischen Israel und Hamas] geht es nicht darum, dass zwei Formen bürgerlicher oder reaktionärer Ideologie aufeinander treffen, […]. Es geht um den Kampf einer unterdrückten Nation gegen einen rassistischen Unterdrückerstaat.“ (7.8.14), „Solidarität mit dem kurdischen Volk!“ (26.9.14).

Siehe demgegenüber Lenin: „Die kommunistische Partei, [… muß] auch in der nationalen Frage […] ausgehen: […] von einer klaren Herauslösung der Interessen der unterdrückten Klassen, der Werktätigen, der Ausgebeuteten, aus dem allgemeinen Begriff der Volksinteressen schlecht hin; […].“ (LW 31, 133).

(8) https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1920/linksrad/index.html

(9) zit. n. PROWO, Nr. 2, Mai ’90, S. 2. – Die Zeitung fragte u.a. damals: „Wie ist das zu verstehen, wenn Ihr in Eurem Flugblatt schreib, ‚Wir haben an die Herrschenden keine Forderungen. Wir sind einfach.’? – und erhielt vom Vorbereitungskreis der damaligen revolutionären 1. Mai eine Absage auf ihre Interview-Anfrage.

(10) http://theoriealspraxis.blogsport.de/2010/07/06/doku-serie-revolutionaerer-feminismus-teil-i/

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Kommentar von der Autor*In für diese Ausgabe