Editorial
Geschichte wird gemacht...

von Karl-Heinz Schubert

10/2019

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In dieser Ausgabe wird an die Gründung der DDR und der Volksrepublik China vor 70 Jahren erinnert. Hierbei liegt es auf der Hand, die durch diese Ereignisse in Gang gesetzten geschichtlichen Prozesse von ihren heutigen Resultaten her zu betrachten. Unsere Serie, die Schlaglichter auf den Zusammenbruch der bürokratisch-staatskapitalistischen DDR wirft, erhält damit einen besonderen Stellenwert.

Wir gehen bei der redaktionellen Gestaltung solcher Themen davon aus, dass nicht ein "höheres Wesen" historische Prozesse vorantreibt und formt, sondern die Menschen diese selber produzieren - ausgehend von den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen, die sie als handelnde Subjekte vorfinden. Bei diesen beiden historischen Ereignissen waren es die Bedingungen des Kapitalismus, allerdings auf einer sehr unterschiedlichen Entwicklungsstufe. Gleichwohl galt in beiden Fällen, was Marx in seinem Vorwort zur 1. Auflage des Kapitals Band 1 festhielt, dass nämlich diese ökonomische Gesellschaftsformation als ein "naturgeschichtlicher Prozess" (MEW 23/16) aufzufassen sei.

Diese Konsequenz ernst nehmend, bedeutet zu akzeptieren, dass die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus, die in der Verwertung des Werts wurzeln, nicht durch einen voluntaristischen Akt außer Kraft zu setzen sind, wie uns DDR-Ökonom*innen mit der Behauptung von der sozialistischen Beherrschung des "Wertgesetzes" Glauben machen wollten (Lehrbuch Politische Ökonomie Kapitalismus Sozialismus, Berlin 1988, S.628).

Das historische Resultat ist bekannt: Staatskapitalismus.

Auf dem Weg der sozialistischen Umgestaltung gab es zwar "Kooperativfabriken der Arbeiter", aber diese erwuchsen aus den alten ökonomischen Formen, wodurch alle Mängel des bestehenden Systems nur reproduziert wurden. Gleiches galt für das Kredit- und Aktienwesen. Es handelte sich insgesamt um Veränderungen, worin die gesellschaftlichen Produktionsmittel überwiegend als formelles Eigentum des Staates fungierten, dessen politisches Personal sich als das ideelle Gesamtproletariat verstand. Oder wie Marx formulierte: Es fand "Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums" (MEW 25/454) statt.

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Wilma Ruth Albrecht behandelt in ihrem Beitrag "Psychologie ohne Logos" in ideologiekritischer Weise die drei Hauptrichtungen der Psychologie: Behaviorismus, Gestaltpsychologie und Tiefenpsychologie. Dabei gelangt sie zu dem Fazit, anschließend an Kant unter Berücksichtigung von Marxens "Feuerbachthesen", dass "die aktive Tätigkeit des Menschen in der materiellen produktiven Auseinandersetzung" nicht nur ein zentraler Bezugspunkt für die Psychologie sondern gerade auch für das "therapeutische Handeln" sein sollte.

Wenn wir davon ausgehen, dass in diesem Sinne die Menschen ihre Geschichte selbst machen, dann gilt dies natürlich erst recht auch für den Einzelnen. Die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft, trennt hingegen mit ihren Ideologien die gesellschaftliche Vermitteltheit persönlichen Handelns in besonderer Weise ab. Mit der gezielten Betonung der "Struktur der individuellen Persönlichkeit" verschwindet das Wissen über Persönlichkeit determinierende, gesellschaftliche (Klassen-) Verhältnisse, um sie als Produkt pseudoindividueller Leistung neu zu inszenieren.

Eine Paradebeispiel dafür ist zur Zeit das Medienprodukt "Greta Thunberg".

Maria Weiß bringt es in ihrem Kommentar auf den Begriff, wenn sie schreibt: "Die Klimakampagne wird global finanziert von den obersten internationalen Spitzen des Finanzkapitals... Die Lebensverhältnisse und Ausbeutung der Milliarden in Afrika und Asien, aber auch in Europa und Amerika interessiert diese Bewegung einen feuchten Kehricht."

Allerdings hieße es, dazu die empirischen Tatbestände zu recherchieren und analysieren, um jene Verallgemeinerungen inhaltlich tragfähig machen. Stattdessen beamt sich die Bewegungslinke auf die Welle dieser Massenkampagne und propagiert unsubstantiierte Parolen wie z.B. "Gegen das “Klimapaket” für die Bosse!" Wenn allerdings die Parole lautet "System change not climate change" kann es schon passieren, dass das informelle Netzwerk der Kampagne seine Ordner losschickt, um Kommunist*innen aus der Demo zu entfernen.

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Für Linke, die nicht DDR-nostalgisch aufgestellt sind, wäre der 70zigste Jahrestag der DDR-Gründung ein guter Anknüpfungspunkt, um die Behandlung der Umweltfrage in der DDR als Problem unproduktiver Kosten, die quer zur Politik der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" der Honnecker Ära standen, zu untersuchen. Dies könnte die Einsicht befördern, dass im nicht staatskapitalistisch sondern privatkapitalistisch verfassten "Westen" der Fall ähnlich lag, nur konnte die Finanzierung von Umweltschutz dank eines kräftigeren Bruttosozialprodukts auf die lohnabhängigen Massen abgewälzt werden.

Heute bekommen aufgrund der Weiterentwicklung kapitalistischer Verwertungsmethoden und der dazugehörigen Produktivkräfte, die Umweltkosten unter dem Begriff "Naturkapital"  eine neue volks- und betriebswirtliche Bedeutung. Sie bilden eine Verwertungsmöglichkeit mit hohen Renditen für Geldkapitalmengen, die im klassisch-industriellen Sektor (z.Z.) nur mit geringen Profitraten auskommen müssen. Im Februar 2019 schlug EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker daher vor, dass zwischen 2021 und 2027 - so verlautbarte die Presse - "jeder vierte Euro, der innerhalb des EU-Haushalts ausgegeben wird, in Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels fließen soll".

Solche Entwicklungstendenzen, die der Kapitalverwertung eine neue innere Struktur vermitteln, gehören vom Standpunkt der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie analysiert, damit es möglich wird, in der Umweltfrage eine sozialistische Alternative auf der Höhe der Zeit zu formulieren, die antikapitalistische Allgemeinplätzchen hinter sich lässt. Der informative Artikel "Das Emissionshandelssystem der EU" von Franz Garnreiter zielt genau in diese Richtung.

Geschichte wird gemacht...
Wenn nicht wir - wer dann?