Texte zu Klasse & Partei
Der Beitrag Antonio Gramscis

Parteitheorie in geschichtlicher Darstellung (Teil 6)

Diskussionsvorlage des ZK der KPD (1979)  

08/2016

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Die Auseinandersetzung mit der Niederlage der italienischen Arbeiterbewegung gegenüber dem Faschismus 1922 ist eine wesentliche Antriebskraft für die Über­legungen Gramscis.

Dabei knüpft Gramsci direkt an Lenin an, den er für den größten modernen Theoretiker des Marxismus ( = Theorie der Praxis) hält, insbesondere an dessen politisch-strategische Schriften wie „Zwei Taktiken...". „Der 'größte moderne Theoretiker der Philosophie der Praxis' (hat) auf dem Gebiet der politischen Organisation und des Kampfes, gegen die verschiedenen 'ökonomistischen' Tendenzen, die Front des kulturellen Kampfes in politische Terminologie ge­faßt, aufgewertet und die Lehre von der Hegemonie als Ergänzung zur Theorie des Gewaltstaates und als aktuelle Form der Lehre von 1848, der Lehre von der 'permanenten Revolution' entwickelt." (Philosophie der Praxis, S. 258).

Bisher in der Rubrik Texte zu Klasse & Partei erschienen:

Insbesondere unterstützt er Lenins Beitrag, der eine eigene politische Sphäre und Theorie der Politik im strategischen Sinn konstituierte, und sagt, daß zu­nächst ,,die Frage der Politik als autonomer Wissenschaft gestellt und beant­wortet werden (muß), das heißt, der Platz muß bestimmt werden, den die poli­tische Wissenschaft innerhalb einer systematischen (kohärenten und konsequen­ten) Weltanschauung, innerhalb einer Philosophie der Praxis, einnimmt und einnehmen soll. " (a.a.O., S. 290)

Denn, so betont er, sich auf Machiavelli beziehend, ,,die Politik sei, mit ihren von der Moral und der Philosophie abweichenden Prinzipien und Gesetzen, eine autonome Aktivität. Dies ist ein Satz von großer philosophischer Bedeutung, weil er implizit die Konzeption von Moral und Philosophie, das heißt die gesam­te Weltanschauung erneuert." (a.a.O., S. 288)

Die Bestimmung der politischen Wissenschaft als autonom und der Bezug aus Lenin ist deshalb für Gramsci wichtig, weil die italienische Gesellschaft mit der scharfen Trennung zwischen Nord und Süd, dem notwendigen Arbeiter/-Bauern-Bündnis, dem Einfluß der katholischen Kirche und den aus dem Eini­gungsprozeß Italiens überkommenen Problemen die italienischen Kommuni­sten und damit auch Gramsci vor die ähnliche komplizierte Situation stellt, sehr differenzierte Wechselbeziehungen zwischen den Klassen und Schichten richtig-zu behandeln. Deshalb — und auch beeinflußt durch seine geschichtlichen Stu­dien über den italienischen Einigungsprozeß und Machiavellis ,,Principe" („Der Fürst", 1513, deutsch z.B. Stuttgart (Reclam), 1961) kommt Gramsci zu einer ähnlich scharfen Bestimmung der Aufgaben der politischen Partei wie Le­nin:

Der moderne Fürst, der Fürst-Mythos, kann keine wirkliche Person, kein kon­kretes Individuum sein, sondern nur ein Organismus, ein komplexes Element der Gesellschaft, in dem ein anerkannter Kollektivwille sich zu konkretisieren beginnt und sich schon zum Teil in die Tat umgesetzt hat. Dieser Organismus ist von der geschichtlichen Entwicklung bereits gegeben. Es ist die politische Partei: die erste Zelle, in der sich jene Ansätze des Kollektivwillens zusammen­finden, die dahin tendieren, universell und total zu werden. " (S. 285) Die Aufgaben dieses „modernen Principe "bestehen in „der Initiative zur Grün­dung neuer Staaten und neuer nationaler und gesellschaftlicher Strukturen " (S. 285), womit Gramsci das Moment der gesamtnationalen Führung der Partei konstituiert:

Es wurde gesagt, der neue principe der modernen Epoche könne sich nicht in der Person eines Helden verkörpern, sondern in der politischen Partei, das heißt jeweils — und den verschiedenen inneren Verhältnissen der einzelnen Nationen entsprechend — jene bestimmte Partei, die einen neuen Staatstyp zu schaffen beabsichtigt (und rational und geschichtlich zu diesem Zweck gegründet wurde). " (S. 300)

Gramsci betont dieses Führungselement sehr stark, gerade auch in der Führung innerhalb der Partei, so wenn er die Funktion der führenden Gruppe der Partei beschreibt als „das Hauptelement des Zusammenhalts, das auf nationaler Ebe­ne zentralisiert und ein Ensemble von Kräften wirksam werden läßt, die sich selbst überlassen nichts oder wenig bedeuteten. Dieses Element ist mit einer höchst kohäsiven, zentralisierenden und auch — vielleicht gerade deswegen — erfinderischen Kraft begabt (wenn man 'erfinderisch' versteht als ein auf etwas bestimmtes Ausgerichtetes, gewissen Kraftlinien, gewissen Perspektiven, auch gewissen Prämissen Entsprechendes). "(S. 304)

Der wesentliche, über Lenin hinausgehende Beitrag Gramscis zum Marxismus und zur Parteitheorie besteht darin, daß er diese Vorstellungen auf die westeu­ropäischen Verhältnisse bezieht und den Hegemoniebegriff theoretisch berei­chert und erweitert. Ausgangspunkt ist auch hier Lenin und zwar der der Kor­rekturen und Problemstellungen in den Spätschriften:

Mir scheint, Ilici (Lenin) hatte verstanden, daß eine Wendung vom Bewe­gungskrieg, der 1917 im Osten erfolgreich war, zum Stellungskrieg, als dem im Westen einzig möglichen, nötig war, wo — wie Krasnow bemerkt — die Ar­meen auf engem Raum unbegrenzte Mengen von Munition aufhäufen, wo die gesellschaftlichen Strukturen von selbst zu wohl ausgerüsteten Schützengräben werden konnten. Dies, so scheint mir, ist die Bedeutung der Formel von der .Einheitsfront'... Nur hatte Ilici (Lenin) nicht die Zeit, seine Formel zu vertie­fen, wobei zu bedenken ist, daß er sie nur theoretisch vertiefen konnte, während die Hauptaufgabe national war, nämlich, das Terrain mußte sondiert und die von der bürgerlichen Gesellschaft gebildeten Schützengräben- und Befestigungselemente mußten festgestellt werden. Im Osten war der Staat alles, die bürgerliche Gesellschaft steckte in ihren Anfängen und ihre Konturen waren fließend; im Westen herrschte zwischen Staat und bürgerlichen Gesellschaft ein ausgewogenes Verhältnis und — erzitterte der Staat — so entdeckte man sofort die kräftige Struktur der bürgerlichen Gesellschaft. Der Staat war ein vorge­schobener Schützengraben, hinter dem eine robuste Kette von Befestigungswer­ken und Kasematten lag, natürlich mehr oder weniger von Staat zu Staat, aber gerade dies erforderte eine eingehende Erkundung nationalen Charakters. " (S.347)

Damit ist das theoretische Problem aufgeworfen, das von Lenin angerissen wur­de, aber von den westeuropäischen Parteien der Kommunistischen Internatio­nale nicht theoretisch weiterverfolgt wurde. Gramscis Trennung zwischen Staat als Gewaltstaat (oder societa politica) und bürgerlicher Gesellschaft (societa ci-vile) versucht gerade den materiellen und ideologischen Boden der relativen Stabilität entwickelter kapitalistischer Gesellschaften über das Phänomen der Arbeiteraristokratie hinaus zu bestimmen und damit einen Beitrag zur Analyse der Bedingungen für dieVorherrschaft bürgerlicher Ideologien in der Arbeiter­bewegung zu leisten. Bürgerliche Gesellschaft schließt hier begrifflich an Hegel und Marx an, wobei Marx unter diesem Begriff in der „Deutschen Ideologie" die Produktion und ihre Verkehrsform, d.h. die Gesamtheit der Produktions­verhältnisse annimmt, während Gramsci die „bürgerliche Gesellschaft" ah un­teres Stockwerk des Überbaus annimmt. Wenn Gramsci also Lenins Hegemonie-Theorie als notwendige Ergänzung zur Theorie des Gewaltstaats versteht, dann meint Gramsci bei Hegemonie nicht allein eine direkt politische, sondern eine „kulturelle Bewegung", eine Weltanschauung", „die sich impli­zit in der Kunst, dem Recht, der ökonomischen Tätigkeit, in allen individuellen und kollektiven Lebensäußerungen manifestiert. "(S.134) Diese „ Weltanschau­ung", die von den philosophischen Höhen bis zum Alltagsverstand durchgängig sein muß, sichert den Konsens der Regierten — auf ihr beruhen die Vorlieben, der Geschmack, die Moral, die Sitten, der „buonsenso"(das, was recht ist), die Folklore und die philosophischen und religiösen Prinzipien der Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder. Deshalb bleibt die materielle repressive Gewalt auf au­ßergewöhnliche Krisenmomente begrenzt. Der Staat ist so Hegemonie, gepan­zert mit Zwang oder Diktatur plus Hegemonie (S.349). Eine solche in allen ge­sellschaftlichen Bereichen durchgesetzte „ Weltanschauung" garantiert „die ideologische Einheit zwischen oben und unten" (S.134) und befestigt so einen „historischen Block" als Einheit zwischen der ökonomischen Basis und dem Überbau unter der Hegemonie der führenden Klasse. Diese Weltanschauung materialisiert sich in ideologischen Strukturen und Institutionen privater oder halbstaatlicher Art, zu denen Gramsci von den Medien, Kirchen, Schulen bis zur Architektur, der Anlage von Straßen und deren Namen zählt. Wie muß die politische Partei angesichts dieser tiefgestaffelten Strukturen in den hochent­wickelten kapitalistischen Gesellschaften reagieren, wie muß sie aussehen und welche Strategie muß sie haben?

Zweigrundsätzliche Punkte: Die Bildung eines national-volkshaften Gesamt­willens, dessen Organisator und zugleich aktiv wirksamer Ausdruck der moder­ne principe ist, sowie die intellektuelle und moralische Reform. " (S.287) In der Strategie muß es nach Gramsci um die Herstellung eines neuen histori­schen Blocks gehen, einer neuen Einheit von Basis und Überbau, in der ökonomisch-sozialer Inhalt und ethisch-politische Form (als methodische, nicht wirkliche Unterscheidung) konkret zusammenfallen. Dieser historische Block ist nicht nur ein System klassenmäßiger Allianzen, sondern eine bewußte Einheit, eine gemeinsame politisch-moralische Identität und eine „Weltanschauung". Die Eringung der Hegemonie stellt Gramsci angesichts seiner Analyse als zentra­le Aufgabe in den entwickelten Ländern.

Die politische Partei steht zwar im strategischen Sinne als Koordinator und Füh­rung der Klasse und den Massen gegenüber, und Gramsci betont ihre Vorhutrolle. Aber gerade weil der Kampf um Hegemonie und einen neuen hi­storischen Block bedeutet, eine integrale Weltanschauung zu vermitteln, die sich auf allen Ebenen durchsetzt, behandelt Gramsci das Verhältnis von Theo­rie und spontanen Massenbewußtsein so:

Kann die moderne Theorie im Widerspruch zu den 'spontanen' Gefühlen der Massen stehen? (Spontan in dem Sinn, daß sie nicht von einer systematischen Erziehungsarbeit einer bereits bewußten Führungsgruppe abhängen, sondern daß sie durch tägliche Erfahrung entstanden, die vom 'gesunden Menschenver­stand' bestimmt war, d.h. von der traditionellen volkshaften Weltanschauung, von dem, was gemeinhin Instinkt'genannt wird und auch seinerseits nur eine ursprüngliche und elementare geschichtliche Errungenschaft ist). Die moderne Theorie ist dazu kein Gegensatz: Zwischen ihr und den 'spontanen' Gefühlen gibt es einen graduellen, 'quantitativen', keinen qualitativen Unterschied: Es muß sozusagen eine wechselseitige Reduktion möglich sein, ein Übergang vom einen zum anderen und umgekehrt. " (S.371)

Diese Feststellung kann nur im Zusammenhang mit den strategischen Vorstel­lungen Gramscis verstanden werden. Die moderne Theorie muß, um hegemo-niale Kraft zu gewinnen, eben nicht nur Philosophie, Wissenschaft, Politik sein, sondern bis zur „Folklore" des Alltagsverstands durchdringen, da es Gramsci um die Entwicklung einer neuen integralen Kultur geht. Das bedeutet eine Er­weiterung der Aufgaben der politischen Partei, ein anderes Politikverständnis, das auf die gesamte Lebensweise, die Kultur usw. ausgedehnt werden muß. Mit diesen strategischen Vorstellungen und seiner Analyse der Struktur der Ge­sellschaften in Westeuropa hat Gramsci wesentliche Hinweise für die Strategie und Aufgaben der Parteien in Westeuropa gegeben und Lenins Auffassungen bereichert. Gegenüber der Entwicklung der KI nach Lenins Tod hat er einmal die Parteitheorie dadurch bereichert, daß er die Theorie der Partei weiterent­wickelte und ergänzte, über Lenin hinausging. Mit seinem Konzept des histori­schen Blocks und dem Hegemoniebegriff hat er die Führungsrolle der kommu­nistischen Partei genauer definiert: Eine Führung auf gesamtnationalem Nive­au, die vor allem ideologisch und politisch dieses System von Bündnissen so zu führen verstehen muß, daß sie „einen neuen Staat" schafft, Herrschaft und Führung miteinander vereint. Gegenüber den theoretischen Auffassungen der KI bis zum VII. Weltkongreß über den revolutionären Prozeß als direktem An­sturm und der Diktatur des Proletariats mit der kommunistischen Partei als al­lein existierender politischer Kraft sind Gramscis Vorstellungen auch deshalb ein Fortschritt, weil sie nicht nur die relative Stabilität und den langsameren Prozeß im Westen erklären, sondern auch die politische Spaltung in der Arbei­terbewegung sowie die Widersprüche zwischen verschiedenen Schichten des Volkes aufarbeiten und diesen Widersprüchen einen selbständigen politischen Ausdruck zubilligen. Eine solche Strategie muß auch gegenüber Vorstellungen der KI notwendig den nationalen und besonderen Charakter hervorheben: „Nach der Philosophie der Praxis (in ihrem politischen Aspekt) muß — wie ihr Begründer formulierte und ihr großer Theoretiker der letzten Zeit (Lenin), be­sonders präzisierte — die internationale Situation in ihrem nationalen Aspekt betrachtet werden. In Wirklichkeit ist das nationale' Verhältnis das Resultat ei­ner (gewissermaßen) einzigartigen, 'originären' Kombination. Sie muß in ihrer Originalität und Einzigartigkeit verstanden und begriffen werden, um beherrschbar zu sein. Gewiß treibt die Entwicklung auf den Internationalismus zu, aber der Ausgangspunkt ist,,national', und man muß von dort ausgehen. Deswegen ist die Kombination nationaler Kräfte genau zu studieren, die von der internationalen Klasse nach internationalen Perspektiven und Direktiven gelei­tet und entwickelt werden muß. Die Führungsklasse ist als solche nur zu be­zeichnen, wenn sie genau diese Kombination interpretiert, deren Komponente sie selbst ist, denn dergestalt kann sie der Bewegung eine Richtung auf be­stimmte Perspektiven hin geben. " (S.358f)

Deren Komponente sie selbst ist" — diese Aussage deutet auf einen weiteren wichtigen Hinweis Gramscis hin. Die politische Partei soll nicht nur auf gesamt-nationaler Ebene führen, sie ist selbst Teil des Systems der Klassenkräfte, das sie gruppieren soll. Ebenso steht die Theorie der Partei nicht über allem, sondern ist Bestandteil des Uberbaus:

Die Philosophie der Praxis ist selbst ein Überbau, sie ist das Terrain, in dem bestimmte soziale Gruppen Bewußtsein des eigenen gesellschaftlichen Seins, der eigenen Aufgabe und des eigenen Werdens erlangen, "(zitiert nach 'Positionen' 11/77, S.6)

Damit wird sowohl die Partei als auch ihre Theorie in den konkreten gesell­schaftlichen und historischen Zusammenhang gestellt und das historische Mo­ment betont, daß Partei und Theorie ständiger kritischer Reflexion bedürfen und nicht nur die Klassen und Schichten objektiv beurteilt werden müssen, son­dern auch die Stellung und das Gewicht der Partei und der Theorie im gesell­schaftlichen Leben des Landes. So wird einmal der bei Gramsci vorhandenen Tendenz entgegengesteuert, die Partei als „modernen Fürst" über die Klassen und Schichten des Landes zu erheben, andererseits aber auch vermieden, die Rolle der Partei entlang der Resolutionen und Parteitagsgeschichten zu beurtei­len.

Gramsci erarbeitete sich auch auf der grundlegenden Ebene des historischen Materialismus und der Dialektik einen eigenen kritischen Standpunkt gegen­über dem Mechanismus, der in der Kommunistischen Internationale vertreten wurde. Er kritisiert in den bereits oben zitierten „Heften aus dem Kerker" an Bucharins „Theorie des historischen Materialismus", „den Versuch, den Mar­xismus auf eine am Modell der Naturwissenschaften orientierte Soziologie zu re­duzieren, die den historischen und politischen Tatsachen — indem sie sie nach bestimmten, ihnen äußerlichen Kriterien klassifiziert, — 'eine bloß mechani­sche Kohärenz verleiht'... Marxistische Theorie wird so auf eine mechanische Formelsammlung reduziert, 'die den Eindruck vermittelt, man habe die ganze Geschichte in der Tasche. "' (zitiert nach Annegret Kramer, „Gramscis Interpretation des Marxismus" Gesellschaft 4, S.1f)

Gegenüber mechanischen Interpretationen des historischen Materialismus, der einseitigen und direkten Ableitung aller Überbauphänomene aus der Basis, die die ökonomische Basis, die Materie metaphysisch auffaßt und zum 'verborgenen Gott' stilisiert, verweist Gramsci auf die 3. Feuerbach-These: ,, Wird die Basis vielleicht als etwas Unbewegliches und Absolutes gefaßt oder nicht vielmehr als die bewegte Realität selbst, und setzt die Behauptung der Feuerbach-Thesen vom 'Erzieher, der selbst erzogen werden muß', nicht eine notwendige Beziehung aktiver Reaktion des Menschen auf die Basis, und be­deutet sie so nicht die Einheit des Prozesses des Realen?" (Positionen S.5)

Die Unterscheidung von Basis und Überbau kann nur analytisch gemacht wer­den, in der Realität bilden sie eine widersprüchliche Einheit: „Die Analyse dieser Aussagen führt, wie ich glaube, dazu, die Konzeption vom 'historischen Block' zu untermauern, in dem die materiellen Kräfte der Inhalt und die Ideologien die Form — eine rein didaktische Unterscheidung von Form und Inhalt — da die materielle Gewalt historisch nicht ohne Form begreifbar wäre und die Ideologien ohne die materielle Gewalt Schrullen von einzelnen bleiben. " (Philosophie der Praxis, S.170)

Gramsci betont, daß der Überbau „eine objektive und wirksame Realität" (dgl., S.279) ist und eine aktive Rolle einnimmt.

Der Satz aus dem Vorwort der Kritik der politischen Ökonomie, daß die Men­schen das Bewußtsein der strukturellen Konflikte auf dem Gebiet der Ideologien gewinnen, muß als eine Feststellung von erkenntnistheoretischem Wert betrach­tet werden." (S.163)

Ist so der erkenntnistheoretische Zusammenhang hergestellt, wird zur grundle­genden Frage: Wie entsteht die geschichtliche Bewegung auf Grundlage der Basis?... Dies ist der entscheidende Punkt aller zur Philosophie der Praxis ent­standenen Fragen... Nur auf dieser Ebene kann jeder Mechanismus und jede Spur abergläubischer 'Wunder' eliminiert werden, muß die Frage nach der Bil­dung politisch aktiver Gruppen gestellt werden. " (S.215f)

Gramsci betont sowohl die historische als auch die tätige Seite des historischen Materialismus, der Philosophie der Praxis, die „Ausdruck der geschichtlichen Widersprüche, (ist) das von Widersprüchen erfüllte Bewußtsein, in der der Phi­losoph, individuell oder als Klasse betrachtet, nicht allein die Widersprüche, sondern sich selbst als Element des Widerspruchs begreift und dieses Element zum Prinzip der Erkenntnis und somit des Handelns erhebt. " (S.197) Auf der allgemeintheoTetischen Ebene kämpft Gramsci also gegen ökonomisti­sche Verflachung des Marxismus und hat selbst Ansätze zu einer Theorie der Überbauten geliefert.

Solche mechanische Verflachung, die direkte Bestimmung von Bewußtseinsele­menten aus der ökonomischen Basis, hat in der KI-Geschichte jene Strategie der Radikalisierung der Teilkämpfe hervorgebracht, aus der automatisch poli­tisches Klassenbewußtsein auf der Höhe der historischen Aufgaben entstehen sollte.

Editorische Hinweise

Der Text wurde entnommen aus:  Parteitheorie in geschichtlicher Darstellung, in: Theorie und Praxis 2/1979, Köln 1979, S. 40-45