In der
Entwicklungsgeschichte des Marxismus finden wir
theoretische Arbeiten zur politischen Partei des
Proletariats nicht als ,reine' und isolierte,
sondern stets im Zusammenhang mit geschichtlichen
Ereignissen, Erörterungen über den revolutionären
Prozeß und ideologischen Kämpfen in der
Arbeiterbewegung. Die Auseinandersetzungen um die
Parteifrage waren also immer welche um den
revolutionären Prozeß und die darin einzuschlagende
Strategie. |
Bisher in der Rubrik
Texte zu
Klasse & Partei
erschienen:
|
|
Das ist auch notwendig
so, da die sozialistische Revolution und die
schließliche Aufhebung der Klassen das Ziel der
Kommunisten und die Partei auf diesem Wege Mittel zum
Zweck ist. Die Erreichung des Ziels einer
Kommunistischen Partei bedeutet schließlich im
Kommunismus ja sogar, daß sie überflüssig wird und sich
auflöst. Durch die Auseinandersetzungen um die
Parteifrage ziehen sich allerdings bestimmte gleiche
oder ähnliche Fragen:
- Die Beziehung
zwischen der politischen Partei, der Arbeiterklasse
und den Massen (und davon abgeleitet die Beziehungen
innerhalb der Partei)
- Die Beziehung
zwischen der Theorie und politischen Strategie der
Partei einerseits, den wirklichen Klassenaktionen des
Proletariats andererseits;
- Der Ort einer
politischen Partei des Proletariats im Rahmen der
gesamten Klassen in den Wechselbeziehungen aller
Klassen und Schichten, im politischen Leben auf
gesamtstaatlichem Niveau;
- Der nationale
Charakter und das internationalistische Wesen der
Partei; Dies allerdings immer auf dem
gesellschaftlichen und historischen "Boden, auf dem
die Auseinandersetzung jeweils geführt wurde. Um
unseren eigenen Standort bestimmen zu können, müssen
wir also die Parteitheorie stets mit den historisch
besonderen Bedingungen vermitteln. Denn es gibt
sowohl hinsichtlich der nationalen als auch
internationalistischen Aufgaben historisch jeweils
besondere, und wir müssen davon ausgehen, daß keine
Partei ihre endgültige Form findet, sondern ihre
eigenen nationalen und geschichtlich gewordenen Züge
immer wieder neu ausprägt.
Wollen
wir nicht wie die modernen Revisionisten den wirklichen
Geschichtsprozeß in den Schraubstock von nachträglichen
Beschlüssen, Geschichtsfälschungen zwängen, so dürfen
wir eben die geschichtliche Darstellung der
Parteitheorie nicht als eine Geschichte von
Parteitagen, Schriften oder Resolutionen mit direkt
durchschlagender Wirkung auf den geschichtlichen Prozeß
verstehen. Die Wirkungsgeschichte einer Partei oder
theoretischer Vorstellungen ist eigentlich die
Geschichte der Klasse, deren Interessen sie vertritt
innerhalb des ganzen Ensembles von Klassen und
politischen Kräften, in die die Gesellschaft sich
teilt, innerhalb dessen die politische Partei des
Proletariats nur ein Teil, ein bestimmter Machtfaktor
ist. Auch wenn wir in dieser Skizze der Entwicklung der
Parteitheorie diesen Anspruch nicht einfach einlösen
können, halten wir es für wichtig, ihn anzumelden. Denn
dieser Ausgangspunkt enthält in sich schon eine Aussage
über den Stellenwert der Partei im Verhältnis zur
Geschichte und deren Subjekt, den Volksmassen. Eine
Darstellung der Geschichte als einer
„Resolutions-Geschichte" heißt nämlich, die
Partei als geschichtliches Subjekt an die Stelle des
Volkes zu stellen oder zumindest die Funktion der
Partei zu übertreiben, d.h. dies ist immanent schon
eine parteitheoretische Aussage, unseres Erachtens ein
Fehler, der in der Geschichte der KI weit verbreitet
war. Dies bedeutet gleichzeitig eine selbstkritische
Aussage, denn diese Verengung des Geschichtsbildes war
unsere eigene Praxis in der Darstellung der
historischen Entwicklung. Bei den modernen
Revisionisten allerdings ist dies nicht ein Fehler
innerhalb einer grundlegend revolutionären Strategie
und Politik, auch nicht nur ein Fehler in
weltanschaulichen Grundlagen. Bei ihnen kommt darin ihr
Verständnis der politischen Partei als einer
bürgerlichen, eines Instruments zur Erringung von
Machtpositionen zum Ausdruck.
Unser Interesse an der
Entwicklung der Parteitheorie ist nicht abstrakt. Es
geht allgemein um die Verbindung des wissenschaftlichen
Sozialismus mit der Arbeiterbewegung.
Heute werden Lenins
Vorstellungen über die politische Avantgarde des
Proletariats innerhalb der linken und
fortschrittlichen Bewegung von vielen kritisiert und
abgelehnt. Lenin wird dabei als russischer Theoretiker
gesehen, dessen Auffassungen in Westeuropa sowohl
damals nicht galten, unter den veränderten
geschichtlichen Bedingungen heute erst recht nicht. Ihm
wird der Vorwurf gemacht, mit seiner Vorstellung einer
politischen Vorhut die Spaltung innerhalb der
Arbeiterklasse und -bewegung organisatorisch noch
verdoppelt zu haben. Und — seine Vorstellungen liefen
darauf hinaus, die Aktion einer Minderheit oder Elite
im Sinne Blanquis an die Stelle der geschichtlichen
Aktion der Volksmassen zu setzen. Diese
Auseinandersetzung um den Leninismus in der Parteifrage
wird dabei mit historischen Bezügen geführt. Die
Auffassungen von Marx und Engels werden dabei gegen
Lenin gestellt und es wird gefordert, man müsse zu
Marx, zum Ausgangspunkt des Marxismus zurückkehren, weg
von Lenins .Irrweg'. Oder es wird Bezug genommen auf
die Auseinandersetzung zwischen Rosa Luxemburg und
Lenin 1904. Die These der Aktualität des Leninschen
Parteikonzepts muß sich an ihren Kritiken abarbeiten
und beweisen. Deshalb wollen wir uns zunächst mit
diesen historischen Bezügen auseinandersetzen, um
unseren eigenen Standort zu bestimmen.
Marx und Engels zur
politischen Partei des Proletariats
Marx und Engels
beschrieben in ihren Schriften den Prozeß, wie die
Entwicklung des Kapitalismus die Klasse der
Proletarier selbst hervorbringt und als Klasse
zusammenschweißt, wie sich der Entwicklungsgang von der
Klasse an sich zur Klasse für sich vollzieht. Dabei
lebten Marx und Engels in der Zeit, in der sich diese
Prozesse vor ihren Augen bzw. unter ihrer tätigen
Mitwirkung vollzogen. Die kapitalistische Entwicklung
aus feudalen Verhältnissen heraus, die Entwicklung von
Arbeitervereinen, Gewerkschaften und politischen
Organisationsformen, in denen das Proletariat seine
Interessen artikuliert, bürgerliche Revolutionen, in
denen bereits das Proletariat ansatzweise seine
eigenen, weiterführenden Klasseninteressen vorbringt,
die Beziehungen von ökonomischen Kampfbewegungen und
politischer Bewußtheit des Proletariats, zwischen
Gewerkschaft und politischen Organisationen — dies ist
das historische und gesellschaftliche Milieu, in dem
Marx und Engels arbeiteten, ihre Aufgaben fanden und in
dem ihre theoretischen Auffassungen verstanden werden
müssen. In ihren Beschreibungen des Bildungsprozesses
der Arbeiterklasse kommt zum Ausdruck, daß es damals
objektiv um die Herausbildung des Proletariats als
Klasse gegenüber dem Kapital im Produktionsprozeß und
subjektiv um die Uberwindung vorkapitalistischer
Elemente in der Arbeiterklasse selber ging. Marx' und
Engels' Auffassungen zur Partei sind nicht einheitlich,
sie änderten sich mit den sich ändernden historischen
Bedingungen dieses Bildungsprozesses. Im
Kommunistischen Manifest, das sie für den ,Bund der
Kommunisten' in der bürgerlichen deutschen Revolution
von 1848 schrieben, umreißen sie die großen
historischen Aufgaben der Arbeiterklasse und die Rolle
der Kommunisten in diesem Prozeß:
"In
welchem Verhältnis stehen die Kommunisten zu den
Proletariern überhaupt? Die Kommunisten sind keine
besondere Partei gegenüber den anderen
Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen
des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie
stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die
proletarische Bewegung modeln wollen. Die Kommunisten
unterscheiden sich von den übrigen proletarischen
Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den
verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die
gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen
Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und
zur Geltung bringen, andererseits dadurch, daß sie in
den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf
zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets
das Interesse der Gesamtbewegung vertreten. Die
Kommunisten sind also der praktisch entschiedenste,
immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller
Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des
Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang
und die allgemeinen Resultate der proletarischen
Bewegungen voraus. " (MEW Bd.4, S.474)
In seinen wesentlichen
Aussagen ist dieser Abschnitt grundlegend und war
seitdem Leitfaden einer kommunistischen Arbeit. Marx
stellt hier aber auch im konkreten Zusammenhang dar,
worum es damals ging: Um die Uberwindung der
Zersplitterung der proletarischen Bewegung in viele
Ansätze von Arbeiterund Bildungsvereinen, Geheimbünden
usw. Und es ging theoretisch vor allem um den Kampf
gegen und die Überwindung der Ansätze des utopischen
Sozialismus, dessen Kritik im .Manifest' ein eigenes
Kapitel gewidmet ist. D.h. es ging um eine
wissenschaftliche und nicht utopische Grundlage der
Arbeiterbewegung.
Ist die Überwindung
vorkapitalistischer, utopischer und sektenmäßiger Züge
und die theoretische und politische Vereinheitlichung
die Aufgabe innerhalb der Arbeiterklasse und -bewegung,
so stellt sich innerhalb der bürgerlichen Revolution
zweitens aber die Frage, wie sich die Arbeiterklasse in
ihr gegenüber dem demokratischen Kleinbürgertum
verhalten soll. Marx und Engels plädieren aufgrund
ihrer Erfahrungen mit dem schwankenden Kleinbürgertum,
das sich aus Furcht vor der Arbeiterklasse in die Arme
der Bourgeoisie und des Feudalismus zurückflüchtet,
dafür, daß die Arbeiterklasse sich nicht politisch zum
Anhängsel des Kleinbürgertums machen lassen darf. In
ihrer ,,Ansprache der Zentralbehörde an den Bund"
nach der Niederlage der bürgerlichen
Revolution schreiben sie ihre Erfahrungen nieder:
,,Statt sich abermals
dazu herabzulassen, den bürgerlichen Demokraten als
beifallklatschender Chor zu dienen, müssen die
Arbeiter, vor allem der Bund, dahin wirken, neben den
offiziellen Demokraten eine selbständige geheime und
öffentliche Organisation der Arbeiterpartei
herzustellen und jede Gemeinde zum Mittelpunkt und Kern
von Arbeitervereinen zu machen, in denen die Stellung
und Interessen des Proletariats unabhängig von
bürgerlichen Einflüssen diskutiert werden. "
(Ausgewählte Werke Bd.l, S.102f)
Hier wird also die Frage
der politischen Partei des Proletariats in den Rahmen
des Verhältnisses des Proletariats zur
bürgerlich-demokratischen Revolution gesetzt. Sie ist
für Marx notwendig, um die gesonderten
Klasseninteressen des Proletariats anmelden zu können,
und spielt auch eine Rolle in seinen Überlegungen, die
bürgerliche Revolution über sich hinaus zu treiben, sie
durch die Aktion des Proletariats ,,permanent zu
machen". In der weiteren geschichtlichen
Entwicklung und der rasanten Entwicklung der
kapitalistischen Produktionsweise treten diese
Überlegungen von Marx und Engels jedoch in den
Hintergrund, ihr Ansatzpunkt in der Frage der
politischen Partei ändert sich. Nicht die Reinigung von
vorkapitalistischen Elementen steht dann im
Vordergrund, sondern die Frage, wie die vor ihren Augen
vom Kapitalismus zusammengebrachte Klasse zum
politischen Ausdruck gelangt und zur Klasse für sich
wird. Marx und Engels gebrauchen hier häufig die
Begriffe Partei und Klasse als synonyme Begriffe, weil
sie diesen Prozeß als einen ansehen, den die ganze
Klasse vollziehen muß. Für Marx entwickelte sich die
proletarische Partei „aus dem Boden der modernen
Gesellschaft überall naturwüchsig"(MEW Bd. 30, S.
490 ff). Es ist diese grundlegende Identität von Partei
und Klasse, die Marx dazu bringt, gegenüber den
existierenden Arbeiterorganisationen eine sehr flexible
Taktik anzuwenden. Marx' Gedanken über den
Parteibildungsprozeß kreisen vor allem um das
Verhältnis des ökonomischen und politischen Kampfes.
Wenn er von einer ,,previous Organisation"(dazu
weiter unten) spricht, dann meint er eine Organisation,
die Ausdruck einer sich auf dem Boden des Kapitalismus
entwickelnden, mächtiger werdenden, aber theoretisch
hilflosen Arbeiterbewegung, eine „ursprüngliche
Organisation" ist. Die Gründung der I.
Internationale war der Versuch, die verschiedenen
Organisationsansätze (mit verschiedenen Ideologien)
auf der Basis eines Minimalprogramms zu vereinigen.
Für Marx und Engels waren
dieses Minimalprogramm, theoretisch-ideologische
Auseinandersetzung und Öffentlichkeit als Medium des
Kampfes die Grundlagen ihrer Arbeit. Deshalb
reagierten Marx und Engels auch so allergisch, als die
Bakunisten diese Grundlage mit ihrer Geheimbündelei
verletzten. Marx polemisierte gegen sie, weil sie sich
als „privilegierte Vertreter der revolutionären
Idee" betrachteten und eine „Einheit der
Gedanken und des Handelns" wollten, die der
„Orthodoxie und dem blinden Gehorsam der Gesellschaft
fesu" (MEW 18, Bd., S.346) gleichkäme.
Marx und Engels befanden
sich ja in einer Position, wo sie mit den nationalen
Arbeiterbewegungen in Europa und Amerika zwar verbunden
waren, aber ihnen selbständig gegenüber standen. Ihre
Zeit ihres Lebens geübte scharfe theoretische Kritik
nicht allein an utopischen Restbeständen, sondern
gerade gegenüber der deutschen Sozialdemokratie auch
am Opportunismus, der auf dem kapitalistischen Boden
sproß, ihre Ratschläge an verschiedene Arbeiterparteien
müssen aus dieser Position verstanden werden. Dabei ist
die konkrete Analyse der jeweiligen Situation stets die
Voraussetzung ihres Urteils. So wie Marx und
Engels in den theoretischen und ideologischen
Kämpfen nie einen Kompromiß gemacht haben, so wenig
haben sie aus den politischen Fragen der
Arbeiterbewegung und der Parteien in den verschiedenen
Ländern ein abstraktes Schema gemacht. Sie haben
allerdings auch nicht an ihrer Grundüberzeugung
gerüttelt daß die politischen Fraktionierungen, der
Opportunismus usw. gegenüber dem Parteibildungsprozeß
der ganzen Klasse zwar notwendige „innere Kämpfe",
aber letztlich doch gegenüber der grundlegenden
Tendenz zur Einheit der Klasse und der Identität von
Partei und Klasse nebenseitige Faktoren sind.
Da es um die Entwicklung
der ganzen Klasse zur Partei oder Klasse für sich ging,
spielten im Denken Marx' und Engels' natürlich die
Gewerkschaften eine große Rolle. Sie sollten „ihre
organisierten Kräfte ... gebrauchen als einen Hebel
zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h.
zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems"(AW
Bd.l, S.418) und „lernen, bewußt als organisierende
Zentren der Arbeiterklasse zu handeln, im großen
Interesse ihrer vollständigen Emanzipation" (MEW
Bd.16, S.197). Die politische Bewegung und politische
Organisation geht dabei für Marx aus den ökonomischen
Kämpfen selbst hervor, wie er im Brief an Bolte
schreibt:
„Das political
movement (die politische Bewegung, d.Verf.) der
Arbeiterklasse hat natürlich zum Endzweck die Eroberung
der political power (der politischen Macht, d.
Verf.)/ür sie, und dazu ist natürlich eine bis zu
einem gewissen Punkt entwickelte previous Organisation
(vorhergehende Organisation im Sinne des zeitlichen
Vorlaufs, d. Verf.) der working class
(Arbeiterklasse, d. Verf.) nötig,
die aus ihren ökonomischen Kämpfen selbst
erwächst Und in dieser Weise
(wie beim 10-Stunden-Kampf) wächst überall aus den
vereinzelten ökonomischen Bewegungen der Arbeiter eine
politische Bewegung hervor, d.h. eine Bewegung der
Klasse, um ihre Interessen durchzusetzen in allgemeiner
Form, die allgemeine, gesellschaftlich zwingende Kraft
besitzt. Wenn diese Bewegungen eine gewisse previous
Organisation unterstellen, sind sie ihrerseits ebenso
sehr Mittel der Entwicklung dieser Organisation. Wo die
Arbeiterklasse noch nicht weit genug in ihrer
Organisation fortgeschritten ist, um gegen die
Kollektivgewalt der herrschenden Klassen einen Feldzug
zu unternehmen, muß sie jedenfalls dazu geschult
werden, durch fortwährende Agitation gegen die (und
feindliche Haltung zur) Politik der herrschenden
Klassen. " (AW Bd.2, S.437)
Es wäre falsch, hieraus
Marx in eine ökonomistische Zwangsjacke pressen zu
wollen. Seine politischen Schriften insbesondere zu den
französischen Klassenkämpfen oder seine
Herausarbeitung der politischen Elemente in der Bildung
von Klassenbewußtsein bei der irischen oder polnischen
Frage beweisep das Gegenteil. Dieses Zitat zeigt
daher, daß Marx und Engels die Spaltungen und
Schichtungen innerhalb der Arbeiterklasse als etwas
Vorübergehendes und gegenüber der Tendenz zur
politischen Vereinheitlichung Nebensächliches ansahen.
Für Marx' und Engels' Beiträge zur Parteitheorie gelten
aber auch die selbstkritischen Hinweise Engels', er und
Marx hätten sich notgedrungen .etwas einseitig' auf die
Analyse der ökonomischen Struktur beschränken müssen.
Marx und Engels haben in ihren Schriften zur
politischen Ökonomie und zum historischen Materialismus
selbst Beispiele gegeben, aus den materiellen
Existenzbedingungen heraus notwendige
Bewußtseinsformen zu analysieren. Sie haben den
Fetischcharakter der Warenbeziehungen, der die
Beziehungen zwi sehen Menschen
als solche zwischen Sachen, als objektive, erscheinen
läßt, und dessen Bedeutung für die Produktion falschen
Bewußtseins analysiert. Und sie haben gezeigt, wie die
Menschen die Geschichte aufgrund vorgefundener
Bedingungen machen, und darauf hingewiesen, daß die
Traditionen und geschichtlichen Erfahrungen „wie
ein Alp auf den Lebenden lasten". Diese
Ausführungen haben sie aber nicht als wesentliche
Bedingungen für den Entwicklungsprozeß zur Klasse für
sich auf ihre Darlegungen zur Partei angewandt. In
seinen Spätschriften entwickelte Engels zwar noch
hellsichtig, wie die Monopolstellung Englands die
Ursache der .Verbürgerlichung' der englischen
Arbeiterpartei ist, und geißelte den erstarkenden
Opportunismus in der deutschen Sozialdemokratie. Aber
er ging davon aus, daß dieser Opportunismus eine
ziemlich leicht zu überwindende Nebenströmung war.
Engels' Erklärungen trugen immer noch den Stempel der
Grundannahme von Marx und Engels — die Monopolstellung
Englands war etwas Vorübergehendes, das wie der
Opportunismus die Entwicklung des Proletariats zur
politischen Partei nur zeitweilig hemmen konnte.
Wir stoßen hier einmal
auf die theoretischen Grenzen des Werks von Marx und
Engels; zweitens sehen wir aber auch, unter welchen
historischen Bedingungen sie ihre Theorie entwickelten,
deren historische Schranke sie notwendig auch nicht
überschreiten konnten. Dies war erst möglich, als diese
Schranken objektiv überschritten waren.
Wo mußte über Marx und
Engels hinausgegangen werden? Es zeigte sich, daß der
Opportunismus in der Sozialdemokratie und anderen
Parteien eben keine vorübergehende Erscheinung war,
sondern tiefe Wurzeln geschlagen hatte. Dies konnte nur
auf der Grundlage der materiellen Existenzbedingungen
des Proletariats, auf der Grundlage der
kapitalistischen ökonomischen Basis wirklich
materialistisch erklärt werden, da es kein
vorkapitalistischer Rückstand im Bewußtsein und Sein
der Klasse war, sondern Produkt des kapitalistischen
entwickelten Seins der Klasse. Über Marx und Engels
hinausgegangen werden mußte auch in der Analyse der
Entwicklung des Kapitalismus zum Imperialismus, in den
Schlußfolgerungen, die daraus für die ökonomischen
Grundlagen der Arbeiterklasse und ihr Bewußtsein, für
die Schichtungen innerhalb der Klasse usw. zu ziehen
waren.
Beides warf das Problem
der Einheit der Klasse und ihrer Zersplitterung auf dem
Boden eines entwickelten Kapitalismus und seines
Übergangs zum imperialistischen Stadium neu auf,
weshalb sich auch die Parteifrage und das Verhältnis
Partei und Klasse in einer neuen Weise stellen mußte.
Editorische Hinweise
Der Text
wurde entnommen aus: Parteitheorie in geschichtlicher
Darstellung, in: Theorie
und Praxis 2/1979, Köln 1979, S. 9-14

Teil
2: Lenins Auffassungen zur politischen Partei
folgt demnächst
|