Texte zu Klasse & Partei
Die Kommunistische Internationale und die Entwicklung der Partei
Parteitheorie in geschichtlicher Darstellung (Teil 4)

Diskussionsvorlage des ZK der KPD (1979) 

06/2016

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Dieser Teil kann von seinem Erkenntnisinteresse, Umfang und Anspruch her kein Gesamturteil über die KI, über die KPD der Weimarer Zeit oder eine Ge­samtbewertung der Leistungen und Fehler Stalins erbringen. Das ist auch nicht unsere Absicht, da es uns darum geht, bezogen auf die Organisationsfrage den Beitrag der KI, Stalins und der alten KPD zu untersuchen. Die Gründung der KI 1919 war das Resultat der pro-imperialistischen Politik der Führungsgruppen der sozialdemokratischen Parteien der II. Internationale auf der einen, der antiimperialistischen und revolutionären Politik von Minder­heiten in diesen Parteien auf der anderen Seite, Ausdruck der bestehenden poli­tischen Spaltung der Arbeiterbewegung.
Bisher in der Rubrik Texte zu Klasse & Partei erschienen:

Zu Beginn definierte sich die Kommunistische Internationale als internationale kommunistische Partei, deren Aufgabe direkt in der Vorbereitung des Bürger­kriegs und Aufstands bestand:

Wenn die erste Internationale die künftige Entwicklung vorausgesehen und ih­re Wege vorgezeichnet, wenn die zweite Internationale Millionen Proletarier ge­sammelt und organisiert hat, so ist die dritte Internationale die Internationale der offenen Massenaktion, der revolutionären Verwirklichung, die Internatio­nale der Tat. Die sozialistische Kritik hat die bürgerliche Weltordnung genü­gend gebrandmarkt. Die Aufgabe der internationalen kommunistischen Partei besteht darin, diese Ordnung umzustürzen und an ihrer Stelle das Gebäude der sozialistischen Ordnung zu errichten. "(I. und II. Kongreß der KI, S. 92 (Mani­fest des 1. Kongresses))

Dies bedingte auch, daß der kämpferische Charakter, die eiserne, ja militärische Disziplin, die Verbindung legaler und illegaler Arbeit, die Vorbereitung des Aufstands usw. stark betont und die Partei als Kampfstab, Führung und Vorhut in dieser Aufgabe bestimmt wurde. Die ideologischen Kampflinien ver­liefen dabei so, daß die Kommunisten sich mit syndikalistischen Kräften verei­nigten und sich innerhalb der Einheit mit ihnen auseinandersetzen wollten, während sie sich gegenüber den rechten Sozialdemokraten und den Zentristen wie Kautsky scharf abgrenzten an der Frage der gewaltsamen Revolution und der proletarischen Diktatur. Angesichts der internationalen Klassenkampfsitua­tion 1918 — 1920 war die Kommunistische Internationale so ein-Kristallisationspunkt der revolutionären Kräfte in der Arbeiterbewegung gegen­über dem Reformismus.

Zwar wurde die notwendige Arbeit in den Gewerkschaften und Massenorganisa­tionen betont, ebenso die Beteiligung am Parlament — aber es kostete doch ei­nen Kampf, gegen ultralinke und syndikalistische Auffassungen in der Partei-frage und des Revolutionierungsprozesses der Klasse diese Aufgabe klarzuma­chen. Die Niederlagen der revolutionären Erhebungen brachten ebenso wie die ultralinken Abweichungen die Diskussion über den Weg des Herankommens, die Frage der Übergangslosungen (1923) etc. auf den Plan. Grundlegend wichtig sind in diesem Zusammenhang die Spätschriften Lenins, (s.o.)

Nach 1923 zeigte sich, daß die revolutionären Nachkriegsbewegungen in Westeuropa abflauten.

Die Sowjetunion mußte ihre Existenz als einziges sozialistisches Land behaupten und Wege der sozialistischen Entwicklung ausgehend von den rückständigen russischen Verhältnissen finden, da die erwartete und erhoffte sozialistische Veränderung im Westen ausgeblieben war (die Auseinandersetzung mit Trotzki über die Möglichkeit, den Sozialismus in einem Land aufzubauen). Die Kom­munistische Internationale konnte sich nicht mehr so direkt in Bezug auf einen internationalen und schnellen revolutionären Prozeß definieren. Obwohl weiter die Entwicklung in den westeuropäischen Ländern relativ ähnlich verlief (d.h. objektiv günstige Bedingungen für gemeinsame Strategien vorhanden waren), stellte sich doch das Problem des Verhältnisses vongemeinsamer Strategie und nationaler Besonderheiten, des Verhältnises der sozialistischen Sowjetunion zu den unter kapitalistischen Bedingungen kämpfenden Arbeiterklassen und Par­teien, der sich entfaltende Kampf in den Kolonien als ein System verschiedener Fragen und widersprüchlicher Aufgaben, die eine neue Bestimmung der Aufga ben der KI erfordert hätten.

Nicht eine „Weltpartei", aber eine internationalistische Koordinierung und ein Erfahrungsaustausch und ein aktives Angehen der verschiedenen neuen Pro bleme wären — von heute her gesehen — mögliche Konsequenzen gewesen. Der positive Beitrag der KI in der Geschichte der Arbeiterbewegung und auch in der Parteifrage liegt zunächst einfach darin, daß sie die Herausbildung selbständiger Parteien, die sich' auf Marx und Lenin, auf den revolutionären Marxismus im Gegensatz zum Reformismus bezogen, förderten. Dabei war es nicht etwa so, wie einige Kritiker heute aus der sozialdemokratischen Ecke meinen, daß die Kl der Motor der seitdem andauernden politischen Spaltung der Arbeiterbewe gung gewesen ist. Diese politische Spaltung war Ausdruck der massenhaften Spaltung der Arbeiterklasse im Imperialismus. Ein Verzicht auf die selbständige Organisierung als kommunistische Partei wäre so Verzicht auf revolutionäre Aktion und Politik gewesen.

Aus der veränderten Situation nach 1923 wurde von der KI der Schluß gezogen, daß es jetzt darum gehe, die verschiedenen Parteien auf den Boden des Leninis­mus zu bringen, sie zu bolschewisieren.

,,Es darf nicht vergessen werden, daß wir 1919 bis 1920 in Deutschland wie in Italien Parteien hatten, die der Komintern angeschlossen waren. Doch diese Parteien vermochten den Anforderungen, die die Geschichte an sie stellte, un­geachtet des gewaltigen elementaren Anstiegs der Massenbewegung, nicht ge­recht zu werden, eben weil sie keine durch und durch bolschewistischen Partei­en waren. " (Bolschewisierung, Bd. 1, S. 24)

Stalins „Grundlagen des Leninismus" und einige andere Schriften, die Veröf­fentlichung von Lenins Schriften in verschiedenen Sprachen, die Kritik der KI am „Luxemburgismus" — das alles waren Versuche, den ideologischen Boden des Leninismus, auf dem die kommunistischen Parteien sich vereinigen sollten, zu beschreiben und von fehlerhaften Anschauungen zu befreien. Dabei müssen sowohl Stalins „Grundlagen des Leninismus", der „Kurze Lehrgang" wie auch Bucharins „Gemeinverständliches Lehrbuch der Theorie des historischen Mate­rialismus" als Versuche gewürdigt werden, breiten Teilen der Massen gerade in Rußland verständlich die Theorien Marx' und Lenins nahezubringen. Einfache Darstellung entschuldigt aber keine Fehler. Bei all diesen Versuchen der Dar­stellung von Grundlagen ziehen sich bestimmte Fehler durch:

— Statt Hervorhebung des Historischen beim historischen Materialismus der Versuch, lehrbuchartig ein System von handhabbaren Regeln und Schemata (Bucharin kommt dadurch zu einer bürgerlich-soziologischen Theorie von Gleichgewicht und Störung des Gleichgewichts); bei Stalin sieht man einen direkten Zusammenhang zwischen seinen „Grundlagen des Leninismus"und dem Kl-Programm von 1928 mit all seinen Unterabteilungen für verschiedene Typen von Ländern, für die die Struktur der Klassenbündnisse und die Taktik bereits vorhanden war; die berühmten fünf Geschichtsformationen im „Kurzen Lehrgang", aus denen das Konkret-Geschichtliche sich verflüchtigt hat. Daher rührt auch der negative Beigeschmack, den dieser „Leninismus" heute hat, denn in dieser Form wird er als Formelsystem und Rezeptbuch einer proletari­schen Revolution verstanden und mißverstanden (ist dies doch nur die einfache Umkehrung der Einschätzung, Lenin sei ein rein russischer Theoretiker gewe­sen); der Leninismus ist aber kein abgeschlossenes System von Regeln, sondern eine Weiterentwicklung des Marxismus, die - von Mao und Gramsci bewiesen nach vorne offen, veränderbar und erweiterungsfähig ist. - Die Vernachlässigung der Dialektik und Rückfall in Metaphysik und mechanischen Materialismus (Mao Tsetung kritisierte an Stalins „Über historischen und dialektischen Materialismus die metaphysischen Abweichungen Stalins, weil Stalin einmal vom Zusammenhang der Dinge spricht, ohne sie als Zusammenhang zweier gegensätzlicher Seiten zu kennzeichnen, andererseits nur von den inneren Gegensätzen "denn sie stehen in einem grundsätzlichen Gegensatz und schließen einander aus" - ohne auf ihre Einheit einzugehen (Mao Bd. V, S. 415, S. 356); Gramsci kritisiert an Bucharin die Teilung der "Philosophie der Praxis" in historischen und dialektischen Materialismus:

Die fehlende Behandlung der Dialektik kann zwei Ursachen haben. Zunächst,daß vorausgesetzt wird, die Philosophie der Praxis sei in zwei Elemente aufge­teilt: Einer als Soziologie konzipierten Theorie der Geschichte und der Politik, die analog den Methoden der Naturwissenschaften zu entwickeln sei (experi­mentell im grob positivistischen Sinn), sowie einer Philosophie im eigentlichen Sinne. Sie wäre dann der philosophische oder metaphysische oder mechanische (vulgäre) Materialismus...Bei einer solchen Fragestellung ist die Wichtigkeit und Bedeutung der Dialektik nicht mehr zu verstehen, die von Erkenntnislehre und Kernsubstanz der Historiographie und der Wissenschaft der Politik zu einer Unterabteilung der formalen Logik und zu einer elementaren Scholastik degra­diert wird. Funktion und Bedeutung der Dialektik können erst in ihrer Wesent­lichkeit erfaßt werden, wenn die Philosophie der Praxis als integrale und neuar tige Philosophie aufgefaßt wird, die eine neue Phase in der Geschichte und in der Weltentwicklung des Denkens einleitet, weil sie sowohl den traditionellen Idealismus wie den traditionellen Materialismus als Ausdrucksform der alten Gesellschaft aufhebt (und in der Aufhebung deren lebendige Elemente be­wahrt).

Wenn die Philosophie der Praxis nur als einer anderen Philosophie untergeord­net gedacht wird, so kann man die neue Dialektik nicht begreifen, in der gerade diese Aufhebung erfolgt, "(zitiert nach Deborin/Bucharin, Suhrkamp Taschen­buch Wissenschaft,S. 294f)

— Mechanistische Behandlung der Verhältnisse Basis/Überbau, Sein/Bewußtsein, der Bewegungsgesetze des Klassenkampfes (Stalin 1936: „Die Klassen sind verschwunden, der Klassenkampf verschärft sich "). Nimmt man diese Fehler in den Grundlagen, so erscheint die Vereinheitlichung der Kommunistischen Parteien auf dem Boden des „Leninismus" von vornhe rein als fehlerhaft und verengt. Diese Fehler setzten sich ja auf der strategischen und politischen Ebene durch.

Obwohl bereits der Begriff der „Bolschewisierung" schematische Züge trägt (denn wieso soll man alle Parteien direkt nach dem Vorbild der russischen Par­tei ummodeln), muß man aber festhalten, daß diese Ausrichtung in der Zeit der relativen Stabilisierung einige positive Ergebnisse zeitigte. Denn historisch gese­hen war dies in Europa zunächst eine Ausrichtung, die gegenüber ultralinken Fehlern auf eine Verbindung mit der Klasse und den Massen drängte („Heran an die Massen"). Bei der KPD führte dies zur Entwicklung der Arbeit in den Ge werkschaften und zu Erfolgen dabei, die gesellschaftliche Isolation, in der die KPD sich befand, zu überwinden. Sie führte auch dazu, den Kampf für Refor men und Teilforderungen ernstzunehmen und Ansätze einer Einheitsfront- und Bündnispolitik zu entwickeln, wie sie sich hervorragend an der Kampagne zur Fürstenenteignung zeigte. Trotzdem zeigte sich später, daß im Grundsatz die Interpretation einer Bündnispolitik nicht überwunden war, die die Arbeiter­klasse mechanisch den anderen Klassen und Schichten gegenüberstellte (und Bloch zur Bemerkung veranlaßte, die Bauern müßten dann ja den Sozialismus mit dem Gerichtsvollzieher verwechseln). Innerhalb der Bolschewisierung wur de auch nicht die Frage aufgeworfen, wieweit eigentlich die Organisationsvor­stellungen der Bolschewiki sich auf die westeuropäischen Bedingungen übertra­gen ließen. Im Rahmen des Organisationskonzeptes wurde also zusätzlich noch mal auf die ,,Organisationsfrage" reduziert diskutiert, strategische Fragen der kommunistischen Arbeit im Überbau und in den Bündnisschichten demgegen über vernachlässigt. Ausgangspunkt dieser Haltung war, daß man Partei und an sich" revolutionäre Klasse identisch setzte, weshalb scharfer Kampf gegen die Sozialdemokratie und die Schaffung von möglichst vielen Betriebs- und Straßenzellen als die Mittel erschienen, den Abwendungsprozeß von der Sozial­demokratie = Hinwendung zur Revolution von Seiten der KP organisatorisch aufzufangen.

Auf der strategischen Ebene wurde bezogen auf Westeuropa nicht angeknüpft an den von Lenin bereits aufgeworfenen Problemen (wie dies Gramsci tat), son­dern die Phase der relativen Stabilisierung wurde als Pause zwischen revolutio­nären Krisen gesehen, wobei die aufeinanderfolgenden Krisen in diesem Blick­feld als zwei strukturell gleiche gesehen wurden und die Entwicklung und Ver­änderungen in der Zwischenzeit sich nicht in einer Veränderung der revolutio­nären Strategie und Taktik ausdrückten.

Bezogen auf die Partei wurde so die Bolschewisierung zu einer Abgrenzung der unmittelbaren Revolutionspartei gegen die sozialdemokratische Wahlpartei:

„Daraus folgt die Notwendigkeit einer neuen Partei, einer Kampfpartei, einer revolutionären Partei, die kühn genug ist, die Proletarier in den Kampf um die Macht zu führen, die genügend Erfahrung hat, um sich in den komplizierten Verhältnissen der revolutionären Situation zurechtzufinden und genügend Ela­stizität besitzt, um Klippen jeder Art auf dem Wege zum Ziel zu umgehen. " (Stalin, Fragen des Leninismus, S. 87)

Die Bestimmung der Sozialdemokratie als ideologischer Hauptgegner war zwar richtig, hatte aber einen bitteren Beigeschmack in zweierlei Hinsicht: Einmal bedeutete der Satz Stalins aus dem Jahre 1924, daß Faschismus und Sozialdemo­kratie „Zwillinge"seien, daß die tiefen Widersprüche zwischen beiden vernach­lässigt und eine korrekte Einheitsfrontpolitik gegenüber sozialdemokratischen Arbeitern behindert wurde (hier liegt auch die Wurzel der falschen Politik ge­genüber der Sozialdemokratie nach 1930, als der Faschismus in erster Linie zu bekämpfen war); zweitens ging Stalin davon aus, daß „im Verlauf des tagtägli­chen Kampfes für die konkreten Bedürfnisse der Arbeiterklasse" (die Sozialde­mokratie) entlarvt und zu einer verschwindenden Minderheit in der Arbeiter­klasse hinabgedrückt werden kann. " (Bolschewisierung Bd. 2, S. 9) Richtig daran ist, daß ohne Isolierung reformistischer Positionen eine revolutio­näre Veränderung nicht möglich ist. Stalins Aussage bezieht dies aber einmal nur auf den Kampf für die konkreten Bedürfnisse, wodurch sich die SPD ent­larve, und wirft die Frage der Dauer solcher Strömungen und Parteien auch in­nerhalb eines revolutionären Prozesses einseitig auf. Hier liegt eine Quelle für die falsche Einheitsfronttaktik der KPD, die den organisatorischen Bruch mit der Sozialdemokratie zur Voraussetzung eines Zusammengehens machte und einseitig darauf orientierte. In der Strategie der KPD wurde einmal auf eine Ra­dikalisierung der ökonomischen Kämpfe gehofft, die mechanistisch gedacht di­rekt durchschlagen sollten auf das politische Bewußtsein der Klasse. Nach 1928 zeigte sich, daß die KPD die alte Strategie des „Durchbruchs"einfach wieder -nach der Pause — aus der Tasche zog. Nicht nur alter sozialdemokratischer Ökonomismus zeigte sich hier, sondern auch Reste der Zusammenbruchsthese er 2. Internationale, wenn z.B. Remmele gegenüber dem drohenden Faschis­mus davon ausgeht, der Kapitalismus sei nicht mehr lebensfähig, ein Faschis­mus an der Macht nicht von langer Dauer, weil die Massen sich schnell enttäuscht zu den Kommunisten bewegen werden und so der Faschismus Vater der Revolution" werde. Bezieht man die strategischen Vorstellungen der KPD auf das Verhältnis Partei - Klasse, so kann man davon ausgehen, daß die Klasse als einheitlich-revolutionär gedacht wurde, daß von einer einfachen Identität von Partei und Klasse ausgegangen wurde, die durch äußeren Anstoß und Durchbruch durch sozialdemokratische Täuschung hergestellt werden würde. Bezogen auf die Aufgaben in Deutschland und Westeuropa kann man für die Strategie und Parteitheorie der Komintern festhalten, daß in wesentlichen Fra­gen der Horizont der 2. Internationale nicht wirklich verlassen wurde und daß in Strategie und Parteiauffassung dies eine Vereinseitigung der Vorstellungen Lenins und ein Rückfall hinter die entwickelten theoretischen Positionen Lenins bedeutete. Allerdings gab es in diesen Fragen ideologische Kämpfe und Durch-brüche. In der internationalen kommunistischen Bewegung waren es Mao Tse-tung und Antonio Gramsci, die gegen die mechanistische Verengung des theo­retischen Rahmens der KI angingen und den Horizont der 2. und 3. Internatio­nale wirklich überschritten. In der deutschen Arbeiterbewegung gab es inner­halb der KPD keine wirklichen Gegenpositionen, da alle Fraktionen sich in den Grundlagen auf denselben mechanistisch verkümmerten Marxismus bezogen. In Abgrenzung zu diesem Mechanismus und innerhalb oder bewußt bezogen auf die Arbeiterbewegung waren es so Theoretiker wie Bloch und Benjamin, die weitertreibende Überlegungen machten , innerhalb der KPD wurden Überle­gungen in diese Richtung erst nach dem VII. Weltkongreß z.B. von der Opera­tiven Leitung 1944 gemacht, sie blieben aber Minderheitspositionen.

Obwohl die dominierende Position der KPdSU in ideologischer und politischer Hinsicht offensichtlich ist, scheint uns doch unsinnig zu sein, als Erklärungsmu­ster aller Fehler, die von der KPD oder der KI gemacht wurden, die Abhängig­keit ,,von Moskau" zu nehmen und die wirkliche Geschichte in eine Kette Stalin-scher Anweisungen zu verwandeln. Innerhalb des oben dargestellten Bezugsrah­mens der Fehler hat die KI gegenüber der KPD sogar häufig richtige Hinweise gegeben, was die Überwindung linkssektiererischer Ablehnung der Arbeit in den Gewerkschaften, die Nichtbeachtung der nationalen Frage etc. angeht. Es gab in Deutschland einen starken „linken" Flügel in der Klasse, dessen Reprä­sentant nach der Niederlage 1923 in der KPD die Fischer/Maslow-Führung war. Die Fehler der KPD mußten weder ihr noch dem von ihr repräsentierten Teil der Arbeiterbewegung von außen aufgepfropft werden, sie waren aus der alten Sozialdemokratie stammende „Eigengewächse " und trafen auf eine Klas­senkonstellation, in der ultralinke Fehler als ideologischer Ausdruck der objekti­ven Existenz der Arbeiterklasse (relativ getrennt von anderen Schichten, auch homogenere Arbeiterviertel und Arbeiterleben, starke linke Tendenzen in der Klasse) und der Tendenz zur Isolierung der Arbeiterklasse im Imperialismus er­schien, nur so ist die bis 33 anhaltende massenhafte Zustimmung, der Massen­charakter dieser politischen Linie erklärbar.

Die Positionen Stalins

In der Sowjetunion selbst standen die Aufgaben in der theoretischen Durchdringung und praktischen Behandlung des Verhältnisses Partei - Klasse natürlich sehr viel anders. Angesichts des Ausbleibens der Revolution im Westen ent wickelte Stalin nach 23 gegen die marxistische Orthodoxie seiner Zeit die Thes des sozialistischen Aufbaus in einem Land weiter und die KPdSU packte die äu ßerst schweren Aufgaben, die aus den rückständigen materiellen Bedingungen der Bedrohung und Isolation durch den Imperialismus entsprangen, an. Dabe kam hinzu, daß die Opposition unter Trotzkis Führung gegen diesen Kurs durch ihren Fraktionismus und die Schärfe des Kampfes gegen Stalin („ Vertreter einer bürgerlichen Klasse") das innerparteiliche Leben und dir demokratisch-zentralistischen Strukturen der Partei schwer beschädigten. Si fanden aber, wie auch die anderen Organisationsgruppen, nie massenhafte] Rückhalt in der Partei und bei den Massen.

Im Gegenteil, die Stalinsche Position hatte sowohl in der Auseinandersetzunj mit Trotzki, als auch in der Phase der Kollektivierung und im großen vaterlän dischen Krieg die Unterstützung der Massen. Erst auf diesem Hintergrund eine breiten Konsenses können die Fehler, die in der Sowjetunion gemacht wurden richtig eingeschätzt werden.

Gegenüber diesen harten ideologischen Kämpfen traten andere Fragen, die voi Lenin nach 21 aufgeworfen wurden und das Thema der Parteitheorie betreffen zurück. Das Verhältnis der Partei zum Staatsapparat, das reale Gewicht de Klasse in der Leitung des Staates und der Produktion und die Rolle de Massenorganisationen dabei, die Autonomie der Klasse gegenüber Partei unc Staat in der Vertretung ihrer Interessen (Gewerkschaft), die Bündnispolitik; diese Fra gen wurden von Stalin und in der sowjetischen Diskussion nicht weiter verfolg (obwohl natürlich praktisch behandelt). In der Behandlung der Bauernfragi zeigte sich dies daran* daß das sowjetische Modell der Akkumulation für die In dustrialisierung auf der Abschöpfung des Mehrprodukts der Bauern — den Schröpfen der Bauern, wie Mao das nannte — beruhte und dadurch eine Bund nispolitik, die auf einen langandauernden Prozeß der Umwandlung der Bauen und der Vereinigung mit dem Proletariat hätte bauen müssen, zugunsten einei Gegenüberstellung der Klasseninteressen des Proletariats und der Aufgabe dei Industrialisierung gegenüber den Interessen der armen und mittleren Bauerr versäumt wurde).
n den verschiedenen harten Kämpfen in der KPdSU und den Klassenkämpfer in der Sowjetunion zeigten sich allerdings in Stalins Auffassungen eine Reihe grundlegender Fehler: Der Widerspruch zwischen Partei und Klasse wurde ge gen über ihrer Einheit nicht richtig behandelt; stellte sich die postulierte Identität von Partei und der als revolutionär gesetzten Klasse nicht ein, so wurde diese Einheit mit Bürokratismus oder gar mit Zwang und Gewalt durchgesetzt. Die Partei wurde der Tat, nicht dem Wort nach , außerhalb der gesellschaftlicher Widersprüche angesiedelt; so konnten die innerparteilichen Widersprüche auch nicht als Ausdruck gesellschaftlicher Widersprüche behandelt werden. Dazu kam, daß Stalin keine ausreichende theoretische Unterscheidung zwischen antagonistischen und Widersprüchen im Volk machte, was dazu führte, daß in großem Maßstab Fehler der Verschärfung der Widersprüche und Verfolgung Unschuldiger gemacht wurden (neben richtiger Unterdrückung von Konterrevolutionären). Die durch das Identischsetzen von Partei und Klasse und Partei und Staat aufkommende Entwicklung der Verstaatlichung der Partei wurde vor Stalin zwar scharf, aber einseitig als Problem des Bürokratismus gesehen, bis zum 19. Parteitag 1952, wo die bürgerlichen Kräfte bereits so stark waren, daß nur eine kulturrevolutionäre Veränderung und Aufdeckung der materiellen Wurzeln dieser Entwicklung das Ruder hätte herumwerfen können. Dies wurde besonders dann verheerend, als nach 1936 Stalin und die Zentrale der KPdSU davon ausgingen, daß die Ausbeuterklassen in der Sowjetunion liquidiert seien, weshalb alle Widersprüche und Klassenkämpfe als von „außen" , von der inter­nationalen Konterrevolution angestiftet, angesehen wurden. Solche Art metaphysischen Denkens führte einmal dazu, daß vorhandene gesellschaftliche Widersprüche gewaltsam zur Einheit gebracht und nicht als Widersprüche behandelt wurden (starke Zwangsgewalt in der Herstellung von Arbeitsdisziplin bei der Industrialisierung); andererseits zu mechanischen Modellen der Verände­rung des Bewußtseins z.B. der Bauern (Reduktion der Leninschen Vorstellung einer umfassenden Kulturrevolution auf die Hoffnung, die Mechanisierung werde das Denken der Bauern umwälzen).
Eine umfassende Würdigung der praktischen Ergebnisse des Aufbaus des Sozialismus in der Sowjetunion ist hier nicht möglich, ebensowenig eine Gesamtbewertung von Stalin. Bezogen auf die Parteitheorie und das Problem von Partei und Klasse, Partei und Staat im Sozialismus bedeuten Stalins Auffassungen und Praxis gegenüber den von Lenin nach 1921 aufgeworfenen Fragestellungen ei­nen klaren Rückschritt. Es war erst Mao Tsetung, der hier an Lenin anschloß und aus den sowjetischen Erfahrungen unter Lenin und Stalin lernte. Deshalb scheint uns eine marxistische Würdigung der positiven Leistungen Stalins und der sicher sehr schwerwiegenden Fehler nur aus dem Blickwinkel der Weiterentwicklung des Marxismus und der Parteitheorie durch Mao Tsetung möglich zu sein.

 

Editorische Hinweise

Der Text wurde entnommen aus:  Parteitheorie in geschichtlicher Darstellung, in: Theorie und Praxis 2/1979, Köln 1979, S. 27 - 34