Wie der Maoismus nach Westberlin kam
Materialien zum Referat

Plattformen und programmatische Entwürfe zur Gründung maoistischer Organisationen
 

06/2016

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Der endgültige Bruch mit der Konzeption der selbstorganisierten dezentralen Basisgruppen als Hauptlinie der "nichtrevisionistischen" Linken erfolgte auf der RPK-Arbeitskonferenz am 6./7.12.1969.

Die Einladung zu dieser Konferenz ging vom "Beirat" der RPK im November 1969 aus, nachdem die "ML-Gruppen" mit den beiden geschäftsführenden Redakteuren versucht hatten, die RPK als zukünftiges Zentralorgan ihrer Parteigründungsorganisation durch Liquidierung des Beirats zu vereinnahmen. Die anderen Fraktion, die die Mehrheit im Beirat bildeten/1/, hielten selber "die Gründung einer marxistisch-leninistischen Übergangsorganisation für notwendig"./2/ Zum einen wollten sie die RPK nicht einfach aus der Hand geben und zum andern die nötige Atempause für das Erstellen eigener Positionspapiere bekommen bzw. unter den eingeladenen "arbeitenden" Gruppen für ihre Position werben, damit diese die "korrekten" Genossen auf die Konferenz delegierten.

Auf der Konferenz standen sich zwei Hauptfraktionen gegenüber: die Marxisten-Leninisten und die "Harzer Gruppen".

Die Marxisten - Leninisten
Sie bestanden aus dem PROZML, der ML-Fraktion des SALZ, der ML-Fraktion der Arbeiterkonferenz, einer Gruppe aus dem Bereich Druck und Papier, zahlreichen Uni-ad-hoc-Gruppen sowie sogenannten ML-Gruppen aus dem Unibereich und wurden von der "Ruhrkampagne", einem Untersuchungsprojekt von Bernd Rabehl im Ruhrgebiet, wo man Kontakte mit der KPD/ML gehabt hatte, unterstützt; ferner der Rote Zelle PH und die jeweiligen Mehrheitsfraktionen der Roten Zellen (s.u.). Hinzutrat völlig überraschend als Konkurrent in Sachen Marxismus-Leninismus die Gruppe der Alt-SDSler (Semler, Neitzke, Horlemann) mit einem Thesenpapier "Die erste Etappe des Aufbaus der Kommunistischen Partei des Proletariats", das sie erst auf der Konferenz vorlegten und von dem sie behaupteten, es sei im Auftrage der "vorläufigen" Redaktion der RPK geschrieben./3/

Die "Harzer Gruppen"

Bei dieser Fraktion handelte es sich um ein Sammelsurium von Gruppierungen, gebildet aus Minderheitsfraktionen der Roten Zelle Germanistik, der Roten Zelle Ökonomie, der Roten Zelle Ingenieure, sowie den Betriebsgruppen Bosch und Siemens, die von Germanistikstudenten gebildet wurden, die im SS 69 als "Betriebskader" in die Fabrik gegangen waren. Ferner gehörten die jeweiligen anderen Fraktionen des SALZ und der Arbeiterkonferenz dazu. Unterstützt wurde diese Strömung von der "vorläufigen" Redaktion der RPK und der Redaktion des Spontiblattes "883"./4/

Als Gäste und Beobachter waren die "Roten Garde",Jugendorganisation der KPD/ML, die SDS-Gruppen aus München, Hamburg, Gießen und Tübingen, sowie der Bundesvorstand des SDS anwesend./5/

Die Basisgruppen als Organisation tauchten auf dieser Konferenz nicht mehr auf. Von den 136 Delegierten stammten 18 (!!!) aus organisatorischen Zusammenhängen, die ihren Ursprung in den westberliner Basisgruppen hatten./6/

Wer nun erwartet hatte, daß die ideologische Auseinandersetzung zwischen den "Harzer Gruppen" und den MLern verlaufen würde, sah sich enttäuscht. Die Debatte begann zögernd am Vormittag des 1. Tages und bezog zunächst die "Harzer" mit ein, die vom BV des SDS argumentativ unterstützt wurden. Am Nachmittag lag nun das vom RPK-Beirat in Auftrag gegebene Papier von Neitzke, Horlemann und Semler vor. Zum Erstaunen der Mehrheit der Delegierten ging es über die Position der ML-Übergangsorganisation hinaus, indem es sofort den Aufbau einer KPD auf die Tagesordnung setzte und der RPK nicht nur die Funktion eines Zentralorgans zuwies, sondern auch die Funktion eines ZK`s - bezeichnet als Initiativ- und Kontrollaktiv - der aufzubauenden KPD. Von da an wurde die Diskussion nahezu auschließlich von Vertretern der konkurrierenden ML-Konzeptionen bestritten./7/ Die Dominanz dieser Gruppen lag nicht nur an der Eloquenz und Rhethorik, mit der sie ihre Positionen in ellenlangen Auftritten erläuterten, sondern auch an der - gemessen an leninistischen Parteivorstellungen - mangelnden Parteikonzeption der "Harzer Gruppen". Im Kern gingen deren Konzept nicht über das Zentralisierungskonzept der Basisgruppen vom Sommer 1969 hinaus. Sie anerkannten zwar auch die Notwendigkeit der Schulung und des Bruchs mit der Studentenbewegung. Nur glaubten sie, daß die zukünftige revolutionäre Arbeiterpartei direkt aus den ökonomischen Kämpfen spontan entstehen würde, so daß ihre Organisationsvorschläge letzlich wieder auf die reine Addition betrieblicher Aktivitäten hinauslief, denen ein Zentrum als "Org-Zentrale" draufgesetzt werden sollte. Dies war einerseits eine in hunderten von Diskussion seit 1968 gewälzte Position, zum andern erschien die Aufforderung des Bruchs mit der bürgerlichen Berufskarriere als Massenlinie für revolutionäre Studenten - als moralischer Rigorismus vorgetragen - uninteressant. Andererseits hatte die Debatte zwischen den ML-Positionen weder Klarheit über die Differenzen noch Annäherungen zwischen den Kontrahenten gebracht. Taktisch geschickt, zog die "Thesengruppe" ihren Antrag am 2. Tag zurück und zwang damit die anderen MLer, ebenfalls auf Antragstellung zu verzichten. Als die "Harzer" dann, obwohl sie sich sozusagen permanent neben der Debatte befunden hatten, wagten, dennoch ihren "Harzer Antrag" zur Abstimmung zu stellen, stieß er auf die Abstimmungsfront des ML-Spektrums und fiel prompt mit 74 : 52 durch/8/. Über die "Kommunistische Fraktion" der Historiker lancierte die "Thesengruppe" den Antrag, die bisherige Zusammensetzung des RPK-Herausgeberkreises bis März 1970 beizubehalten, um dann eine erneute Klärung herbeizuführen. Dieser Antrag wurde mit Mehrheit angenommen.

Zu solch einer Klärungskonferenz sollte es zwischen diesen Fraktionen nie mehr kommen. Im Februar 1970, nachdem man durch die Roten Zellen "Kader" sammeln gegangen war, wurde von der "Thesenfraktion" die "Kommunistische Partei Deutschland - Aufbauorganisation" (KPD-AO) gegründet. Im Mai 1970 formierte sich aus den überwiegend studentischen ML-Gruppen der "Kommunistische Bund/Marxisten-Leninisten"(KB/ML). Und im Juli 1970 verwandelten sich die "Harzer"(PEI) in eine "Proletarische Linke/Parteiinitiative"(PL/PI). Die APO - verstanden als ein Block der Jugend- und Studentenbewegung - existierte nicht mehr. Übrigblieben 1970 mehrere parteimäßige Gruppierungen (wie etwa KPD-AO, KPD/ML, GIM, Spartakus, KB-ML, PL/PI), die durch Spaltungen und Neugründungen während der 70er Jahre als ideologische Strömungen weiterbestanden und wovon führende Kräfte zu Beginn der 80er Jahre in alter bewegungssozialistischer Manier in die grün-alternative Bewegung überwechselten. Diese westberliner Entwicklung der Jahre 68/69 wiederholte sich in der Folgezeit den Grundzügen nach ( so z.B. 1973 Gründung des KBW) in anderen Regionen Westdeutschlands (mit Uni-Schwerpunkten) /9/. Die Herausbildung sogenannter marxistisch-leninistischer Kaderorganisation zwang allerdings auch die sogenannten "kleinbürgerlichen Sozialisten", wie sich vermittelt über die APO etwa als Sozialistisches Büro Offenbach oder als Projekt Klassenanalyse organisiert hatten, zu gewissen stringenteren Organisationsformen (SB bzw. SOST).

Die "moskauorientierten" kommunistischen Kräfte besaßen dagegen bereits ihre "Avantgardeorganisation" die SEW und die DKP (ab 25.9.1968) und nahmen an keiner dieser Fraktionierungs- und Organisationsgründungsvorgänge teil. Sie sammelten einen nicht unerheblichen Teil der durch Kampagnen der Jahre 67-68 Anpolitisierten und Mitgerissenen vorübergehend als Mitglieder ein. Wer von diesen Kräften nicht zur SEW/DKP ging, folgte Willy Brandts Parole "mehr Demokratie wagen" und versuchte vorübergehend sein "Glück" bei den Jusos. Die anarchistischen und "räte"kommunistischen Gruppierungen, die im Zuge der APO gewisse Öffentlichkeitswirksamkeit erlangt hatten, warfen sich Anfang der 70er Jahre auf die Bewegung der selbstorganisierten Jugendzentren und bastelten an zahllosen Randgruppenkonzepten weiter, wie sie in der APO-Phase eine zeitlang en vogue waren. Angeekelt von der stagnierenden und zerfallenden linken Bewegung gingen ab 1970 wenige als Einzelkämpfer auf das Konzept der Stadtguerilla über.

So unterschiedlich die einzelnen Lösungwege für die Rekonstruktion einer revolutionären Bewegung ausfielen, allen war gemeinsam, daß sie neben und unabhängig von der Arbeiterklasse angesiedelt waren, die sich partout nicht revolutionär betätigen wollte.

Anmerkungen:

/1/ gemeint sind laut Impressum der RPK 42 (letzte Ausgabe vor der Konferenz): BG Moabit, BG Schering, BG NCR, ROTZEG, ROTZING, ROTZJUR, ROTZMAT, Sozialistisches Anwaltskollektiv, INFI, Vietnam-Komitee, AG Revolutionäre Erziehung. Das Ende der Basisgruppen zeigte sich endgültig in der unmittelbaren Vorbeitungsphase der RPK-Konferenz. Im Impressum der Einladungsnummer (RPK 41) erschienen noch die "Fraktion der Arbeiterkonferenz", die BG Tegel (Mehrheitsfraktion), die BG Moabit, die Betriebsgruppen Schering und NCR. Im Impressum der Nr.42, vom 5.12.69 fehlte bereits die Basisgruppe Tegel. Nach der RPK-Konferenz waren alle BG`s aus dem Herausgeberkreis verschwunden. Und quasi als ideologische Einstimmung auf einen neuen organisatorischen Anfang mit ml Grundlagen hatte man in die beiden Vorbereitungsnummern zur RPK-Konferenz einen Artikel von Joscha SCHMIERER aus dem "Neuen Roten Forum" (Heidelberg) übernommen, in dem eine Abrechnung mit allen ideologischen und organisatorischen Konzepten erfolgte, die aus der Kritische Theorie und daraus abgeleiteten Mobilierungsstrategien (z.B.Dutschke/Krahl) stammten.
/2/ siehe dazu die Einladung zur RPK-Konferenz in: RPK Nr.41, vom 28.11.1969, S.1
/3/ Die Auflistung orientiert sich am Bericht des BV des SDS über die RPK, abgedruckt in: SDS info 26/27 vom 22.12.1969, Hrg.: Bundesvorstand des SDS, Ffm 1969, S.1f
/4/ ebd.
/5/ vgl. dazu KARUSCHEIT, Heiner, Zur Geschichte der westdeutschen ml Bewegung, Gelsenkirchen 1978, S.76
/6/ Die Zahlen stammen aus: KUKUCK, Margareth, a.a.O., S.100
/7/ Als Redner dominierten von daher auf der einen Seite Bernd Rabehl und Peter Schneider für die "ML-Übergangsorganisation" und auf der anderen Christian Semler für die "Thesengruppe". Ihre jeweiligen Positionen siehe SCHNEIDER, Peter: Diskussionsbeitrag ­ auf der RPK-Konferenz am 6./7.12.1969, in: RPK Nr.43/44/45 vom 19.12.1969, S.24ff; SEMLER, Christian: Diskussionsbeitrag ­ auf der RPK-Konferenz am 6/7.12.1969, in: RPK Nr.43/44/45 vom 19.12.1969, S.28f, RABEHL, Bernd: Diskussionsbeitrag ­ auf der RPK-Konferenz am 6./7.12.1969, in: RPK Nr.43/44/45 vom 19.12.1969, S.29ff
/8/ siehe Bericht des SDS-BV, a.a.O., S.2
/9/ einen sehr detaillierten Überblick über die Organisationsentwicklung der 70er Jahre gibt: Langguth, Gerd: Protestbewegung, Köln 1983; die politisch-ideologischen Bewertungen des Autors dagegen sind ungenießbar; Langguth gehörte 1976-80 der CDU-Bundestagsfraktion an und ist heute Leiter der Bundeszentrale für Politische Bildung.

Quelle: Zur Geschichte der westberliner Basisgruppen > Parteigründungen

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