Stichwort RAF
Die autonome Bewegung und die RAF
Eine völlig unauthorisierte Stellungnahme zum Eltiteverein RAF

von vier freye Geyster im Nebelschleyer
05/07

trend
onlinezeitung
Wieso ist plötzlich die Meinung aus der autonomen Szene interessant? Jetzt, nachdem alles vorbei ist, die Bewegung schon halb Geschichte geworden ist, und die letzten Protagonistinnen gütig in den Kreis der bücherschreibenden Zunft aufgenommen werden, läßt man uns zu Wort kommen, ohne daß wir dazu die taz besetzen müßten? Im Herbst 77 war von autonomer Bewegung weder die Rede noch gab es irgendwelche „Zusammenhänge". Allenfalls gab es Reste der Spontis. die sich mit dem Tunix-Kongreß (Januar 78) ihr lustvolles Ende bereiteten. Wenn überhaupt die autonome Bewegung etwas mit der RAF oder hier mit dem Herbst 77 zu tun hat. dann ist dieser neblige Herbst allenfalls die Geburtsstunde dieser Bewegung. Viele Menschen, die sich später zur autonomen Bewegung gezählt haben, sind von den Ereignissen damals stark beeindruckt und mitgerissen worden. Wir hatten zu Hause unsere heimliche Freude gegen die sorgenvollen Mienen unserer Eltern, oder - gerade dem Elternhaus entkommen - fanden wir uns im Sympathisantensumpf wieder. Gut - wer war nicht beeindruckt von all dem. was damals passierte und den hier versammelten Seiten wohl auch ausführlich beschrieben ist? Wir müssen etwas tun. wir müssen zeigen, daß wir lebendig sind, auch wenn nur wir selbst das mitkriegen! Die Nächte waren neblig, wir konnten sprühen gehen (heute heißt das „Grafitti"): ..Glaubt der BZ kein Wort, Stammheim, das war Mord!" Ob wir das selber glaubten, war nicht so wichtig. Hauptsache, es war erst mal gesagt und getan, damit die allein herrschende Meinung durchlöchert worden war.

Das Info BUG, sozusagen die Interim der 70er Jahre, wurde von zwei Razzien heimgesucht. Die Druckerinnen kamen in den Knast. Die Durchsuchungen fanden statt wegen Texten der RAF und deren Unterstützerinnen, die schon damals so verkleinert abgedruckt wurden, daß sie niemand gelesen hat außer den Schreiberinnen selbst und dem Staatsschutz. Aber nun gab es eine Kampagne zur Freilassung der Drucker, zur Pressefreiheit; die radikal konnte in die Lücke stoßen und sich bewähren. Das studentische Blättchen, das im Gegensatz zum Info BUG auf Composer und nicht mit Schreibmaschine geschrieben wurde, ereilte später das gleiche Schicksal wie damals das Info BUG, erschien aber noch etliche Jahre weiter aus dem Untergrund.

Im Winter 77/78 gab's an der Uni und an den Schulen Streik; wir hatten eigentlich nicht das Gefühl von „bleierner Zeit", auch wenn uns das die Altvorderen unbedingt eintrichtern wollten. Tja, und die RAF, die gab's auch, und man mußte sich immer dazu „verhalten". Faszinierend waren sie schon, die Kriegerlnnen, so konsequent, aber dann auch immer wieder überraschend weinerlich im Ton. Wir haben sie wohl bewundert, wie sie den Staat ärgern konnten, trotzdem wollten wir auf keinen Fall für ihre Politik mitverantwortlich gemacht werden, sicher auch aus Angst vor Repression - wer hätte sich davon schon freisprechen können -, aber irgendwie haben wir auch gespürt, daß wir nur das Fußvolk in dieser auf höchster Ebene angesiedelten Schlacht um die Macht im Staate waren. „Macht aus Buback Zwieback" hat uns trotzdem gut gefallen, und das war dann „unser" Spruch: So waren wir auch ein bißchen böse! Und wenn wir an der Staatsgrenze durchgewunken wurden, machten wir uns ernsthafte Gedanken, ob mit uns etwas nicht in Ordnung ist.

Ganz anders stießen wir dann in den 80)er Jahren auf die RAF, als die Hausbesetzerkämpfe schon anfingen, ihre Schärfe zu verlieren. Inzwischen wurde von der „autonomen Bewegung" geredet, und wir galten als gefährlich. Deswegen wohl machte sich auch die RAF an uns ran, aber nun waren sie keine Helden mehr. Das waren Menschen, die offenbar durch die gleichen Ereignisse wie wir elektrisiert worden sind. Bloß haben sie völlig andere Schlüsse daraus gezogen: radikal brechen, die Machtfrage stellen, sich bedingungslos an den Trikont-Kämpfen orientieren, während sich für uns die Mach! frage eher kleinteilig und alltaglich stellte und viele von uns desillusioniert aus Nicaragua. Kurdistan oder dem Nahen Osten zurückkamen. Die Genossinnen aus der RAF, die ja auch vor Ort waren, scheinen die Widersprüchlichkeiten der Trikont-Kämpfe anders verarbeitet zu haben: Augen zu und durch!

Nein, dieser militärische Verband RAF hatte mit uns nichts zu tun. Das war ein bewaffneter Arm, und wir waren Teil von politischen Bewegungen, aber die RAF war niemals der bewaffnete Arm einer dieser Bewegungen. Dazu war sie viel zu sehr auf sich selbst bezogen. Trotzdem blieb das Verhältnis ambivalent. denn wir waren inzwischen auch wer. und wenn wir uns wieder mal ..verhalten" sollten, zum Beispiel in den Hungerstreiks, gab's kein Drumrummogeln mehr. Zur Gewaltfrage hatten wir durch manche Straßenschlacht Stellung genommen. Abgrenzungen konnten wir noch nie so gut leiden, und den Leuten im Knast wurde auch übel mitgespielt. Als Sigurd Debus im Hungerstreik starb, lag zwei Stunden später der ganze Kudamm in Scherben - wer immer auch die Handvoll Aktivistinnen waren, wir wären im nachhinein gern dabeigewesen.

Die RAF-Texte. die in unregelmäßigen Abständen über uns hereinbrachen, haben wir uns mühsam reingezogen, teils wohl nur aus Solidarität mit den Antiimps, deren politisches Zentrum die Unterstützung von RAF und RAF-Gefangenen war und mit denen wir ja tagtäglich in den verschiedensten Zusammenhängen zu tun hatten. Das Verhältnis Antiimps-Autonome kriegte immer mehr die Form eines endlosen Beziehungsclinches: Empfindsamkeiten, gegenseitiges Belauern, peinliches Zurückhalten der wahren Meinung über den anderen. Im täglichen Verhältnis zu den Antiimps wurde der Antagonismus RAF-autonome Bewegung für uns konkret. Dabei hatten wir das gleiche kämpferische Verhältnis zu Staat und Kapital in allen seinen Ausformungen. Wir waren in denselben Kollektiven, denselben politischen Gruppen, trafen uns bei allen möglichen Aktionen und politischen Großereignissen. Und beide Szenen hatten - ganz wörtlich - ihre Leichen toi Keller; während aber RAF und Antiimps die Erschießung des GI Pimental sechs Jahre da verbuddelt ließen und nur intern vorsichtige Kritik laut wurde, haben die Schüsse an der Startbahn die Szene im Rhein - Main - Gebiet unmittelbar auseinandergesprengt und auch anderswo zu chaotischen Diskussionen über Solidarität und Militanz geführt.

Obwohl wir also vieles gemeinsam hatten, blieben wir uns trotzdem von der Struktur her fremd; wir funktionierten einfach anders. Für die Antiimps blieb die RAF, autoritär strukturiert und politisch abgehoben, und die „politischen Gefangenen" (womit im allgemeinen nur die RAF- und die Sympathisanten-Gefangenen gemeint waren), der Maßstab und das Zentrum ihrer politischen Arbeit, während die autonome Bewegung nie mehr war als ein zusammengewürfelter Haufen, der sich teils um soziale Kämpfe, teils in selbstinszenierten Kampagnen immer wieder neu formierte, viele von uns wollten es auch gar nicht anders.

Und wir sollten den Kampf der RAF als die höchste entwickelte Form im Kampf gegen das System akzeptieren? Das ging nicht, genau so wenig wie es geht, aus einer Szene eine offizielle Stellungnahme zu bekommen.

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien in: taz Journal 1/97, 20 Jahre Deutscher Herbst, S. 38/39

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