"Die weiße Folter wird geleugnet"
Ein Interview zu zur aktuellen RAF-Debatte mit Ilse Schwipper

von Peter Nowak

03/07

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Ilse Schwipper wurde 1937 geboren und saß im Zusammenhang mit Aktionen der Bewegung 2. Juni 12 Jahre in Untersuchungshaft, davon siebeneinhalb Jahr in Isolation. Sie lebt heute in Berlin und veröffentlicht Artikel und Bücher zum Thema Isolationshaft. 

30 Jahre nach dem »Deutschen Herbst« gibt es noch einmal ein riesiges Medieninteresse am »bewaffneten Kampf«. Hat sich die Berichterstattung im Vergleich zu anderen Jahrestagen verändert? 

Teilweise. Was sich in all den Jahren aber nicht geändert hat ist die Diffamierung der 68er Bewegung im Allgemeinen und des militanten Teils der Bewegung im Besonderen. Eine gravierende Änderung gibt es allerdings. Aktuell kommt zu den Diffamierungen die Geschichtsverfälschungen hinzu.

Welche meinen Sie? 

Eine der gravierendsten Geschichtsfälschungen besteht in der Behauptung, dass es in der BRD weder politische Gefangene noch weiße Folter gegeben hätte und hat. Weiße Folter ist die Bezeichnung für die Bedingungen unter Isolationshaft. Mit solchen Maßnahmen wollte der Staat Persönlichkeiten zerstören. Gesundheitliche Dauerschäden bei den Betroffenen resultierten vor allem aus der weit gehenden Reduzierung sämtlicher Sinneswahrnehmungen durch die Isolation. In der Fachsprache heißt das Sensorische Deprivation.

Warum wird gerade auf diesen Aspekt, die Leugnung von schlechten Haftbedingungen damals, jetzt so großer Wert gelegt? 

Die Leugnung der Isolationshaft sehe ich eindeutig im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion, die Folter wieder gesellschaftsfähig machen soll. Die Tatsache, dass Bilder von Folteropfern veröffentlicht werden, wird nicht mehr als Skandal betrachtet. Vielmehr werden diejenigen angegriffen die die Bilder veröffentlichen. Weitere Stichworte in dem Zusammenhang sind die Debatten um den früheren Frankfurter Vize-Polizeichef Wolfgang Daschner und um das Schicksal von Murat Kurnaz. Dem werden alle möglichen Verhaltensweisen angelastet, so dass der Eindruck entsteht, er sei selbstverschuldet nach Guantanamo gekommen. 

Warum gibt es so wenige Gegenstimmen von Betroffenen? 

Das hat sicher mit der aktuellen Mainstream-Diskussion zu tun, die sich gegen Protagonisten der damaligen Kämpfe richtet. Die Beteiligten sind erschrocken über die verbale Gewalttätigkeit die sich in der Diskussion äußert. Das macht es ihnen schwer, eine Gegenstimme zu Gehör zu bringen. 

Sie selbst sind auch von der Umschreibung der Geschichte betroffen. 

Ja. Kürzlich haben verschiedene Zeitungen Berichte über ein Wohnprojekt aus den 70er Jahren mit »Mordkommune« überschrieben und gefragt:  »Wie geht unser Geheimdienst mit Terroristen um?« Diese Kommune, die K3,  war weder jemals im Zusammenhang mit so genanntem Terrorismus noch wegen irgendwelcher Morde beschuldigt worden. In der K3 haben auch Kinder gelebt, die heute Erwachsene sind. Einer davon lebt noch heute in Wolfsburg. Wenn dann solche Berichte kommen, ist das eindeutig Rufschädigung und Geschichtsfälschung. Zumal alle damals genau wussten wer die »rote Ilse« aus dem Artikel ist. Nachbarn von damals haben mit die Berichte gleich zugesandt.

Birgit v. Criegern: Interview mit Ilse Schwipper

In der gegenwärtigen Mediendebatte zur früheren RAF und ihren noch inhaftierten Mitgliedern wird die Isolationsfolter kontinuierlich geleugnet. Sie als frühere Aktivistin im Zusammenhang mit der Bewegung 2. Juni waren selbst zwölf Jahre in Haft, davon sechseinhalb Jahre in Isolationshaft. Wie sehen Sie die Debatte? 

Meine Erfahrung mit Isolationshaft deckt sich mit der Definition von "weißer Folter" von amnesty international. Die Leugnung von ihrer Anwendung in bundesdeutschen und längst auch schon internationalen Haftanstalten ist für mich deutlich gelenkt und motiviert. Die öffentliche Diskussion soll darauf hingeführt werden, dass Folter wieder gesellschaftsfähig sein kann.

Können Sie die "weiße Folter" kurz umschreiben? 

"Weiße Folter" darf man sich nicht vorstellen wie blutige Folter, vielmehr ist es ein Gesamtpaket isolierender Maßnahmen, wobei am wichtigsten der Entzug sinnlicher Eindrücke ist. Der Fachbegriff dafür ist sensorische Deprivation. 

Wenn Mainstream-Medien über die Haftbedingungen politischer Gefangener wenig Wahres berichten, wie sieht es mit der Debatte zum politischen Hintergrund der früheren RAF aus?  

Die Debatte um die frühere Stadtguerilla hat schon vor 20 Jahren begonnen, die Diffamierung reicht lang zurück; im Verlauf dessen ist jetzt allerdings eine neue verbale Gewalttätigkeit festzustellen, die richtet sich gegen alle, die früher in der Stadtguerilla aktiv waren oder mit ihr sympathisierten. Das Gnadengesuch von Christian Klar lieferte einen weiteren willkommenen Anlass dazu. Der Rundumschlag gegen die Aktivisten und ihre Sympathisanten wird im Herbst dieses Jahres seinen Höhepunkt zeigen, nämlich zum 30. Todestag der Stammheimer RAF- Insassen. 

Wenn man sich an den früheren Rundumschlag der Springer- Presse gegen die 68-er erinnert - was ist heute anders an den großen Medienkampagnen? 

Beispielsweise hat der Historiker Wolfgang Kraushaar, der in den Medien ständig präsent ist, eine weitere Hürde genommen; er betreibt Geschichtsfälschung. Kraushaar behauptet, die Stadtguerilla wäre, ideologisch und praktisch, antisemitisch gewesen. Und das greift um sich. Man scheut sich nun auch nicht mehr, die RAF direkt mit den Nazis zu vergleichen. In der Taz zitiert ein Christian Schneider die frühere Forderung der 68- er- Bewegung: "Sagt, wer geschossen hat!", die sich gegen die NS- Täter wandte, und fordert nun das gleiche von den früheren RAF- Mitgliedern; Schneider schreibt, zu Beginn der 68- er Jahre hätte gerade Ulrike Meinhof gefordert, Faschistentäter zu benennen und zu bestrafen, und das gleiche sei jetzt von den ehemaligen RAF-Tätern, u. a. Christian Klar, zu verlangen. Suggestiv soll hier die RAF mit dem Holocaust gleichgesetzt werden, Christian Schneider schlägt damit eine Bresche für die Herrschenden; das Strafbedürfnis der Angehörigen, die sich als Opfer empfinden, soll befriedigt werden.

Wird  Geschichtsreflexion immer primitiver oder steht irgendwann eine Kehrtwende ins Haus?

Für mich ist diese Debatte nicht primitiv und nicht naiv, sondern reaktionäre Konterrevolution, die den Sinn haben soll, allen künftigen Generationen die Lust auf Freiheit und Revolution zu nehmen.

Zielte darauf auch der ARD- Report vom vergangenen Montag über Christian Klar, der jetzt nach 25 Jahren Haft sein Gnadengesuch eingereicht hat?  

Sicher, diese Stimmungsmache war wohl deutlich. Politik und Öffentlichkeit verlangen Reue und hetzen gegen jegliche Äußerung von ihm. Da hatte Christian Klar ein Grußwort an die Rosa-Luxemburg-Konferenz gerichtet, das Kraushaar denn sofort aufgriff, um ihm zu unterstellen, er befasste sich gedanklich noch mit Attentaten. Da findet Klar analytische Worte zu politischen Begebenheiten, wie Imperialismus, Krieg und Ausbeutung, und dann wird das wieder gegen ihn gewendet. "Sound" nennt der blasierte Kraushaar den linken Sprachgebrauch.   

Kann linke anti-imperialistische Analyse in Zukunft noch öffentliches Gehör finden? 

Das ist nicht die Frage. Das Problem ist die Entsolidarisierung und Entpolitisierung in der Gesellschaft, die es zu überwinden gilt.

 

Editorische Anmerkung

Die Interviews wurden uns von Peter Nowak zur Verfügung gestellt.