Stichwort RAF

Wir hatten gewußt, daß so ein Mord passieren könnte
Irmgard Möller, die einzige Überlebende der vier Stammheimer RAF-Gefangenen, erinnert sich an die Geschehnisse in der Nacht vom 17. zum 18. Oktober 1977

04/07

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Die „Landshut"-Maschine ist dann schließlich, kurz nachdem Andreas Baader mit dem Beamten gesprochen hatte, den der Kanzleramtsminister Schüler geschickt hatte, erstürmt worden. Hast Du das in der Nacht noch gehört?

Nein. Die letzten Nachrichten, die ich im Knastrundfunk hören konnte, liefen um zehn, elf Uhr abends. Ich hab' dann noch gelesen. Das war nicht so einfach. Vor der Entführung ging abends jemand von den Wärtern rum und sammelte die Glühbirnen ein. während der Kontaktsperre haben sie einfach den Strom abgedreht. Ich brauchte also Kerzen. Den Plattenspieler habe ich mit Batterien betrieben, das ging. Ich wollte auf jeden Fall irgendwie wach sein, um die ersten Morgennachrichten um sechs Uhr zu hören. Ich war aber auch schön völlig übermüdet. Ich bin dann in der Zelle ein bißchen hin und her gegangen, um nicht einzuschlafen. Aber dann bin ich irgendwann doch weggedämmert.

Hattest Du in den Nächten davor auch schon versucht wach zu bleiben?

Ja. Ich hab total wenig geschlafen [...] Ich war körperlich total ausgezehrt, von den Hungerstreiks in den Wochen vorher und weil ich das Anstaltsessen auch nicht gegessen habe. Ich hatte überhaupt keine Reserven mehr. [...] Ich habe dann nachts ziemlich spät noch mal nach Jan gerufen. Die Zelle, in der ich damals lebte, war etwas ausgetreten unten, und wenn man sich ganz Platt auf den Bauch gelegt hat. dann konnte man unter der Außenverriegelung durchrufen, also es war dann sehr gedämpft. Jan war mir gegenüber, ein paar Meter getrennt auf der anderen Seite. Und er hat mich auch gehört und reagiert. Ich hab' gesagt: He. um einfach auch zu wissen, was ist. Und danach hab' ich mich unter die Decke gelegt und bin dann irgendwann eingeschlafen. Wann, hab' ich natürlich nicht geguckt, das war irgendwann im Lauf der nächsten Stunden...

Wie ging's dann weiter?

Meine erste Wahrnehmung war ein starkes Rauschen im Kopf, während mir im Umschlußflur unter ganz grellem Neonlicht jemand meine Lider hochzerrte: viele Gestalten standen um mich herum und haben mich irgendwie angefaßt. Und dann hab ich eine Stimme gehört, die sagte: „Baader und Ensslin sind tot." Anschließend habe ich wieder das Bewußtsein verloren. Das nächste Mal bin ich erst Tage später, im Krankenhaus in Tübingen, wieder richtig zu mir gekommen. Ein Staatsanwalt stand neben meinem Bett und wollte wissen, was passiert sei. Meine Anwältin durfte erst einen Tag später zu mir. Von ihr habe ich dann gehört, daß auch Jan tot ist. Sie hat mir auch berichtet, daß die „Landshut" erstürmt worden ist und daß alle vom Kommando Martyr Halimeh bis auf eine Frau dabei erschossen worden sind. Von meiner Anwältin habe ich erfahren, daß sie die ganze Zeit erfolglos versucht hatte, zu mir durchzukommen. Nach wochenlanger Kontaktsperre war das mein erster Kontakt mit jemandem, dem ich vertraute. Ich lag auf der Intensivstation für Brandverletzte, alles war gekachelt und steril, ich war an Apparate angeschlossen, die vor sich hin gurgelten, hatte wahnsinnige Schmerzen, überall waren Bullen, sogar die Ärzte auf dieser Intensivstation in Tübingen wurden streng überwacht.

Was für Verletzungen hattest Du genau?

Von vier Stichen in die Brust hatte einer den Herzbeutel getroffen und die Lungen verletzt, die voll Blut gelaufen waren. In Tübingen mußte man mir den ganzen Brustkorb aufschneiden und eine Drainage legen, um alles, auch die Wundflüssigkeit abzusaugen. Der Stich war mit großer Wucht ausgeführt worden und ist sieben Zentimeter tief eingedrungen. Er muß durch die Rippen gestoppt worden sein, denn in einer war eine Kerbe.

Ist denn die Waffe gefunden worden, mit der dieser Stich erfolgt ist?

In der offiziellen Version heißt es, daß mit dem Knastmesser zugestochen worden wäre, aber das kann nicht stimmen, weil der Stich ziemlich tief war.

Wie war die Situation für dich? Du bist also aufgewacht nach dieser Nacht und warst sehr schwer verletzt. Was hast Du gedacht?

Bei mir ging erst mal alles durcheinander. [...] Ich habe überlegt, was es für Hinweise gegeben hatte, daß die Situation so eskalieren würde. Ich wollte mir das wenigstens erklären. Es hatte über die Jahre immer wieder Morddrohungen gegen Andreas gegeben, Ulrike war tot -wir hatten gewußt, daß so ein Mord passieren könnte. Wir haben uns nie vorgestellt, daß wir im Knast sicher sind. Das war einer der Gründe, warum wir uns, um uns gegenseitig schützen zu können, nicht trennen lassen wollten. Aber zu wissen, daß sich so was ereignen kann, ist doch etwas ganz anderes, als es dann tatsächlich zu erleben. Da mußte ich alleine damit fertig werden. Das war ein totaler, ein betäubender Schmerz, der stärker war als die Angst, daß man es bei mir noch mal versuchen würde. Wir hatten keine Waffen. Die Vorstellung, daß wir Waffen in den Zellen versteckt hätten, ist auch deswegen kurzsichtig, weil wir im Verlauf der Kontaktsperre mehrfach umziehen mußten -und vorher nicht wußten, wann und wohin. Wenn wir Waffen gehabt hätten, wären wir bestimmt anders damit umgegangen, als sie gegen uns zu richten. Wir hätten uns geschützt oder auch versucht rauszukommen, aber uns bestimmt nicht jeder für sich umgebracht. Wer weiß, wie unsere Anwälte kontrolliert wurden, kann diese Version nicht glauben.

Editorische Anmerkung

Der Text erschien in: TAZ Journal: Die RAF, der Staat und die Linke, 1/97, S.17. OCR-Scan: red. trend.

 

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