Editorial
Summer in the City

Von Karl Müller

7-8/03
 
 
trend
onlinezeitung

Briefe oder Artikel info@trend.partisan.net ODER per Snail: trend c/o Anti-Quariat 610610 Postfach 10937 Berlin
Im Vorjahr konnten es sich die meisten aus der Redaktion noch leisten, den Sommerurlaub jenseits der Pyrenäen zu verbringen. Dies ist 2003 nicht mehr finanzierbar. Wir bleiben zu Hause. So wie uns geht es Millionen in diesem Land. Dank Rot-Grün wird nämlich der tendenzielle Fall der Profitrate hiesiger und global agierender Unternehmen durch entsprechende staatliche Eingriffe sanft gebremst. Vorherrschende Erscheinungsform: Sozial- und Lohnraub. Tatkräftige Mithilfe leisten dabei die Vasallen aus den Führungsetagen der Staatsgewerkschaften. 

Mensch muss ja nicht gleich Mitglied der MLPD werden, wenn man deren Artikel liest. Doch ihre Korrespondenzen zum Abbruch des Kampfes um die 35-Stunden-Woche legen schließlich beredtes Zeugnis davon ab, dass der Klassenkampf ins Bewusstsein der MetropolenbewohnerInnen zurückkehrt.

Doch bekanntlich reicht das Wissen, gewonnen aus dem Augenschein, nicht aus, um eine Politik zu entfalten, die die Kernstruktur der bürgerlichen Gesellschaft erfolgreich aus den Angeln hebt und an ihrer Stelle die freie Assoziation freier, sich ihrer Vergesellschaftung bewusster,  Individuen errichtet. Insofern stehen die Aneignung der revolutionären Theorie und ihre Anwendung schließlich doch im Vordergrund der theoretischen Bemühungen. Was ihre Anwendung auf das "Hier und Jetzt" heißen kann, welche Erkenntnisse dadurch hervorgetrieben werden, das zeigt der Artikel Arbeit total von Olaf Dehler und Lutz Getzschmann in seiner ungekürzten Fassung. 

Bernard Schmid schickte uns dankenswerter Weise "wie gerufen" dazu passend sein Plädoyer für einen zeitgenössischen Imperialismusbegriff. Dieser Artikel macht nachvollziehbar, wie es derzeit in Sachen revolutionärer Theorie in Bezug auf das Verhältnis von Wirklichkeit und Begriff steht. 

Die Aufsätze von Dehler & Getzschmann, Schmid  sollten mensch unbedingt zusammen mit dem Artikel von Tilman Vogt  lesen.

Wohin die ideologische Reise schließlich gehen kann, wenn Antideutschsein in den selbst errichteten Nischen des Überbaus (konkret, Jungle World)  als revolutionäres Label daher stolziert, zeigt erneut mit gewohnt spitzer Feder Robert Kurz in seiner Polemik gegen die Antideutschen. Dass dies kürzer geht und es dabei ebenso möglich ist, bestimmten "Antideutschen" im linken Spektrum schlüssig einen Platzverweis zu erteilen, stellt die Gruppe Schöner Leben Göttingen unter Beweis.

Andererseits ist es keineswegs sinnlos, wenn es bei der Rekonstruktion der revolutionären Theorie um die materialistische Analyse der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer jetzigen konkreten Gestalt geht, sich ihrer philosophischen und erkenntnistheoretischen Grundlagen zu versichern. Warum? Hierzu zwei Artikel. Adorno: Die Konstellation des Materialismus von Joachim Bruhn und Richard Schwarz: Von der Ökonomisierung der Kultur zur Produktion der Widerspiegelung.

Schlussendlich: Wem 2003 nur ein "Summer in the City" zu verbringen möglich ist, braucht zumindest Theorie mäßig nicht zu hungern. Dafür hat die trend-Redaktion mit der vorliegenden Ausgabe ein wenig sorgen wollen.

Updates wird es jedoch nur in geringer Zahl geben. Schließlich machen auch wir, mit Texten zum Studieren ausgerüstet, Sommerurlaub in the City. Hier sei nur soviel verraten, dass wir der Frage nachgehen wollen, ob Moishe Postone ( Nationalsozialismus und Antisemitismus) nicht einen verkürzten Kapitalbegriff hat, worin das Kapital als soziales Verhältnis nahezu ausgeblendet ist. Damit würde Postone ungewollt mit dazu beitragen, dass im Rahmen einer zur Geldkritik verkürzten Kapitalkritik die imaginierte Figur des Juden mit dem Geld in Verbindung gebracht werden kann. Konsequenterweise müsste Karl Marxens "Zur Judenfrage" selber zum Gegenstand einer Kritik gemacht werden.