Kritik der „Antideutschen” aus herrschaftskritischer Perspektive

7-8/03
 
 
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Der Krieg im Irak ist beendet: “Mit Erleichterung” wird von antideutscher Seite der erfolgreiche Ausgang des “ersten antifaschistischen Waffengangs im neuen Jahrhundert” festgestellt und Bush als “Man of Peace” bejubelt. Trotz der Beendigung des Irak-Krieges haben sich antideutsche Positionen durchaus nicht erledigt, im Gegenteil: An der "antideutschen Frage” spalten sich derzeit verschiedene Gruppen und Teile der Linken in lange nicht mehr gekannter Weise. Die Konfliktpunkte beziehen sich dabei bei weitem nicht nur auf den Irak-Krieg oder den Israel-Palästina-Konflikt. Auch bezüglich des Stellenwertes einer kapitalismuskritischen Gesellschaftsanalyse im politischen Handeln oder im Hinblick auf das Verhältnis von Theorie und Praxis linker Politik im Allgemeinen gehen die Meinungen auseinander.

Gerade deswegen erscheint uns eine - notwendigerweise innerlinke - Auseinandersetzung mit antideutschen Positionen sinnvoll und notwendig. Dieser Auseinandersetzung liegt zugrunde, dass wir zumindest grundsätzlich einige der antideutschen Anliegen durchaus teilen. Da wäre
zum einen der antideutsche Verweis auf das Erstarken und die Beständigkeit von Antisemitismus in Politik und Gesellschaft Deutschlands, Resteuropas und in arabischen Ländern. Auch der
Kampf gegen eine verkürzte Kapitalismus- und Imperialismuskritik, z.B. in der deutschen Friedensbewegung, sowie gegen den wiedererstarkenden deutschen Nationalismus ist uns gemein. Andere Aspekte der theoretischen Analyse teilen wir jedoch keinesfalls. Zudem halten wir auch die daraus entwickelte Politik für kontraproduktiv zum Erreichen dieser Ziele. Zwar ist uns klar, dass es “die Antideutschen” - d.h. eine einheitliche antideutsche Position - nicht gibt: Einige Argumentationsstränge, vertreten bspw. von Bahamas und dem Göttinger [a:ka], sind jedoch derzeit für Göttinger Diskussionen bestimmend - auf diese werden wir uns im folgenden beziehen.

Die antideutsche Ideologie

Mit dem Beginn der sogenannten Al-Aksa-Intifada im Jahre 2000, spätestens aber seit dem 11. September 2001, sind die Antideutschen aufgebrochen, die Werte der westlichen Zivilisation bzw. die Zivilisation überhaupt vor der sogenannten islamistischen Barbarei zu retten. Kern antideutscher Ideologie ist die Kritik am Antisemitismus, der als wesentliches und konstituierendes Merkmal des Islamismus gedeutet wird. Der islamistischen Barbarei wird die Zivilisation resp. Moderne entgegengesetzt, die zumindest das Bedürfnis nach individuellem
Glück erzeuge, aufgrund ihrer kapitalistischen Verfasstheit jedoch nicht in der Lage sei, diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen. Nach antideutscher Lesart enthält sie damit aber zumindest die Möglichkeit eines emanzipatorischen Kampfes. In den als barbarisch bezeichneten arabischen
Gesellschaften werden emanzipatorische Kämpfe jedoch für unmöglich gehalten, da in diesen die Selbstaufgabe des Individuums zugunsten des Kollektivs gepredigt werde und damit einhergehend „der Jude” resp. der jüdische Staat Israel als Feind projiziert würde. Im Kampf gegen islamistische Kräfte sehen Antideutsche entsprechend in den kapitalistischen Zentren, allen voran den USA, Verbündete, da sie bei diesen ein Interesse und die Möglichkeit entdecken, arabische Gesellschaften zumindest geistig zurück in die Moderne zu bomben. 

„Der Sieg über das Baath-Regime und die jetzt mögliche pax americana bzw. pax britannica”, so kann die Bahamas in ihrer Jubel-Huldigung an Bush dann auch glückselig eindimensional feststellen, „ist allerdings die alternativlose Voraussetzung für jede menschliche, politische und
ökonomische Verbesserung im Irak”. Die Argumentationen beruhen dabei oft eher auf dem inflationären Gebrauch historischer Analogien denn auf begründeten Analysen: So wird die Entwicklung des Irak in den 80er und 90er Jahren mit der Deutschlands in den 20er und 30er Jahren verglichen, um schließlich die Besetzung Bagdads nach dem Ende des Krieges mit dem
Einmarsch der Alliierten in Berlin 1945 zu verwechseln. Dem folgt ein Umkehrschluss, der sich auch bei antiamerikanischen deutschen SpießbürgerInnen in ähnlicher Form wiederfindet: Sieht der deutsche Amerikahasser im Unrecht der Bomben auf Bagdad auch ein Unrecht der
Bomben auf Dresden, so wird dem Antideutschen nun der berechtigte damalige Krieg gegen Deutschland zur willkommenen Legitimation des Krieges gegen den Irak. Gemeinsam ist beiden, durch falsche historische Analogieschlüsse eine konkrete Analyse bereits im Ansatz zu entsorgen.

Die Welt als Schwarz-Weiß-Fernsehen

Die antideutsche Position zeichnet sich sowohl in ihrer Analyse des Antisemitismus in arabischen Ländern als auch des Israel-Palästina-Konflikts durch eine vereinheitlichende Weltsicht mit einem strengen Gut-Böse-Raster aus. Der zentrale Punkt ist immer die Frage des Antisemitismus - ob innerhalb der deutschen Linken oder politischen Gruppierungen in arabischen/muslimischen Ländern. 

Widersprüche, die das Resultat der Verwobenheit unterschiedlicher Herrschaftsverhältnisse sind, verschwinden. Die arabische Welt und das Israel der Antideutschen sind Gebilde einer quasi naturgegebenen Einheit. Während ansonsten zu Recht auf die Konstruiertheit nationaler und völkischer Kategorien verwiesen wird, warnt die Bahamas in diesem Fall, dass „falsche” Juden und Jüdinnen aus Osteuropa mit ‚erschlichenen Papieren‘ nach Israel einwandern. In der antideutschen Logik sind „die“ Muslime grundsätzlich antisemitisch, wie auch "die" Israelis - von ultrarechten SiedlerInnen über Liberale und bis hin zu Orthodoxen - in verblüffender Unterschiedslosigkeit eins werden. Allein linken KritikerInnen der Besatzungspolitik wird bisweilen jüdischer Selbsthass unterstellt, um sie rhetorisch aus der ‚natürlichen‘ Einheit entfernen zu können. 50 Jahre israelische Geschichte werden hier ausgerechnet von denen, die meinen, die
aufrechtesten FürsprecherInnen Israels zu sein, vom Tisch gewischt. Eine emanzipatorische Politik zeichnet sich jedoch unserer Meinung nach gerade dadurch aus, starre schwarz-weiß Einteilungen zu überwinden und den Blick für die Verwobenheit von Herrschaftsmechanismen zu
schärfen. 

Opfer können auch TäterInnen sein. In diesem Sinne existiert keine „sichere Seite“ und jeder Versuch, durch starre Kategorien „gut” von „böse” zu trennen, verstellt den Blick auf eine Vielzahl weiterer Ungerechtigkeiten und Herrschaftsverhältnisse, was insbesondere die feministische Forschung der letzten Jahre gezeigt hat. Doch genau dafür ist der Israeldiskurs der Antideutschen ein zentrales Beispiel. Die Einteilung von Menschen in fixe Kategorien (Mann/Frau, schwarz/weiß, gesund/krank, Jude/Palästinenserin) bildet vielmehr von jeher die Grundlage, auf der Herrschaft überhaupt entstehen kann: Erst die naturalisierende Kategorienbildung macht eine Hierarchisierung der Kategorien möglich. Emanzipatorische Politik sollte diese Kategorien deshalb stets in Frage stellen und verwirren, statt sie ohne Anbetracht der Folgen in einfachster Weise zu reproduzieren. Eine begriffliche Dekonstruktion kann dabei immer nur ein erster Schritt
sein, um vermeintliche Normalitäten zu hinterfragen. Darüber hinaus muss sich eine emanzipatorische Praxis stets mit den konkreten politischen Folgen konstruierter Zuschreibungen und Kategorisierungen auseinandersetzen, da diese das alltägliche Leben der Menschen bestimmen. Es soll also keineswegs bestritten werden, dass eine gemeinsame Unterdrückungserfahrung aufgrund konstruierter Identitäten faktische soziale Gruppen entstehen lässt, die über gemeinsame Erfahrungen verfügen. So macht der weltweit verbreitete Antisemitismus konkretes politisches Handeln notwendig, weshalb das Existenz Israels für uns als „notwendiges Falsches” unabdingbar ist. Das Ziel ist jedoch eine Welt, in der es eines ‚Schutzraumes Staat‘ nicht mehr bedarf. Da das staatliche Organisationsprinzip einem hierarchiefreien und selbstbestimmten Zusammenleben grundsätzlich entgegensteht, ist der israelische Staat im Sinne einer emanzipatorischen Praxis - wie alle anderen Staaten auch - perspektivisch überflüssig zu machen. Dies wird jedoch voraussichtlich weder morgen noch übermorgen der Fall sein. Deshalb muss in Anbetracht des sich weltweit verschärfenden Antisemitismus die Existenz Israels, die anders als die Existenz Deutschlands, Frankreichs, Kolumbiens oder Chinas permanent in Frage gestellt wird, gegen ständige Anfeindungen verteidigt werden. Entscheidend ist im Rahmen dessen, dass der politische Umgang mit der Tatsache, dass Menschen aufgrund bestimmter Zuschreibungen verfolgt werden, nicht so weit geht, diese Gruppe als „Volk” zu reproduzieren. 

Zwar wird dies auch von antideutscher Seite natürlich explizit abgelehnt, faktisch zeigt jedoch das zuvor zitierte Beispiel der vermeintlich falschen osteuropäischen JüdInnen, dass der Weg von den
„Verfolgten” zum „Volk” in der antideutschen Rhetorik kurz ist. Zudem führt der allein auf Antisemitismus gerichtete Blick der Antideutschen zu einer Hierarchisierung von Unterdrückungsmechanismen und blendet manche Herrschaftsverhältnisse im Zuge dessen sogar vollkommen aus. 

Der israelische Angriff auf palästinensische Flüchtlingslager kann aus dieser Perspektive ausschließlich als ein Verteidigungskampf von Bedrohten gesehen werden. Einerseits ist er das zwar, doch andererseits wird er von zahlreichen Menschen berechtigterweise auch als brutale
Besatzungspolitik erlebt. Auch die Frage, wo Widerstand gegen die israelische Besatzungsmacht aufhört und Antisemitismus anfängt, ist in der Realität wesentlich schwerer zu beantworten, als es die einfache Weltsicht der Antideutschen nahe legt. Interessant ist hier zudem, dass die Antideutschen für den arabischen Raum einen radikalen Bruch mit der
eigenen materialistischen Analyse vollziehen: Der Antisemitismus wird nicht mehr in Bezug zu den realen gesellschaftlichen Verhältnissen gesetzt, sondern als Ideengut dem „Wesen” der PalästinenserInnen zugerechnet. Der islamischen „Barbarei” wird das Bild einer westlichen “Zivilisation” entgegengestellt. Diese wird ganz entgegen auch der sonstigen eigenen Analyse, von jeglichen barbarischen Potenzen freigesprochen und soll mit den Ursachen der Konflikte im Nahen Osten nichts mehr zu tun haben. 

Der Antisemitismus wird so zum Zivilisationsbruch in der antideutschen Analyse und erscheint bezüglich der arabischen Welt als kulturell gegeben (Islamfaschismus). Eine Betrachtungsweise, die allein „gute” Israelis und per definitionem antisemitische AraberInnen schafft ist jedoch letztlich nicht nur auf dem antirassistischen Auge blind geworden, sondern hat auch hinsichtlich emanzipatorischer Konfliktlösungsperspektiven den Durchblick verloren. Gerade weil wir die
Existenz Israels unter den gegebenen Bedingungen für unabdingbar halten und uns aus herrschaftskritischer Perspektive simplen Gut-Böse-Schemata verweigern, geht es uns darum, in Israel und Palästina nach den auf beiden Seiten marginalisierten emanzipatorischen Kräften Ausschau zu halten: Ihnen muss unsere Solidarität gelten und nicht der israelischen Rechten oder dem palästinensischen Befreiungskampf in seiner jetzigen Form. Die von antideutscher Seite in Anspruch genommene Solidarität mit Israel ist letztlich nicht mehr als die Solidarität mit der israelischen Rechten. Dass es bei den Antideutschen gänzlich an einer Analyse fehlt, die Herrschaftsverhältnisse in ihrer unterschiedlichen Ausprägung in den Blick nimmt und langfristig den Abbau von Hierarchien und Unterdrückung anstrebt, zeigt sich zudem in der Befürwortung des Irakkrieges. Durch den analytischen schwarz-weiß-Filter der Antideutschen erscheint die Invasion im Irak als gerechter Befreiungskrieg, zu dessen Legitimation immer wieder der historische Analogieschluss zum deutschen Faschismus herangezogen wird. Und erst durch diese Analogiebildung - die auch so manchem deutschen Politiker wohlbekannt ist - wird das antideutsche Weltbild so richtig rund. Nun teilen wir zwar die Kritik an jedweder Form von Antisemitismus und deutschem Nationalismus. Wie bereits erwähnt, kritisieren auch wir jenen Anti-Amerikanismus, der die Interessen sowie die Kriegsaktivitäten Deutschlands ausblendet und
die Bundesregierung als Speerspitze der neuen Friedensbewegung gegen das „böse” Amerika sieht. Die US-Flagge als Demo-Devotionalie liegt uns aber dennoch weiterhin ziemlich fern. Stattdessen muss es darum gehen, Herrschaft als komplexe Gesamtheit gesellschaftlicher Verhältnisse zu verstehen, die sich nicht aus der Perspektive einer verkürzten schwarz-weiß-Dichotomie verstehen lassen. Denn ein solcher Versuch liegt in seiner Argumentationsweise bedenklich nahe an dem, was er eigentlich zu kritisieren vorgibt.

Schöner Leben Göttingen

Editorische Anmerkungen:

Der Artikel erschien am 14.6.2003 bei INFOPARTISAN, von wo wir ihn zur Weiterveröffentlichung erhielten.