Das besondere Dokument zum Kampf um die 35-Stunden-Woche

"Wir haben den Streik nicht geschmissen"

Reaktionen aus den Betrieben

7-8/03
 
 
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Bei Opel Eisenach fast niemand mit Zwickels Entscheidung einverstanden

Eisenach (Korrespondenz): Am ersten Arbeitstag nach der Kapitulationserklärung des IGM-Vorstandes ging es bei Opel Eisenach hoch her. Bereits am Sonntagabend hatte die Nachtschicht "Streik aktuell Nr. 7" erhalten, am Montag dann auch die Frühschicht. Bis auf sehr wenige Kollegen war niemand mit der Entscheidung von Zwickel einverstanden, den Streik zu beenden. Die große Mehrheit kritisiert, dass damit die Gewerkschaftsspitze den eigenen Mitgliedern in den Rücken gefallen ist.

Wut herrscht vor. Es wird von Verrat gesprochen, Kollegen meinen, wir hätten gewinnen können. Andere sagen, es war alles für die Katz, vor allem ist es schlimm für die Kollegen, die vier Wochen gestreikt haben. Der Kampf um die Denkweise entbrennt jetzt, wie es weitergehen soll. Auf den Standpunkt, dass jetzt selbständig weitergestreikt werden muss, sagen die meisten Kollegen, das stimmt, aber es wird wohl nicht möglich sein. Es kam mehrfach dann die Forderung nach einem Generalstreik.

Ein erheblicher Teil der Kollegen ist der Meinung, dass etwas passieren muss in Deutschland. Man müsste es machen wie in Frankreich. Die Hoffnungen, die in dieser Hinsicht an den Streik geknüpft worden waren, werden jetzt deutlich. Es kommt dann sofort die Frage, wie soll ein Generalstreik organisiert werden, wenn es die Gewerkschaft nicht macht. "Wir brauchen eine neue Partei!" - "Wie wäre es mit der MLPD?" -"Wir müssten wieder mit Montagsdemos anfangen." - "Es muss sein wie am 17. Juni oder 1989, wo das ganze Volk aufgestanden ist." - "Die Regierung muss weg, aber auch nicht einer von den anderen Politikern in Berlin, es müsste ganz neu von unten aufgebaut werden." - "Politiker müssten ganz normal bezahlt werden, keine Abfindungen und so."

In den Diskussionen geht es kreuz und quer. Aber prägend ist die Suche nach Antworten, wie es weitergehen soll. Es geht nicht in erster Linie um taktische Fragen oder nur um gewerkschaftliche Antworten, sondern weit reichende politische und weltanschauliche Fragen. Die Auseinandersetzung konzentriert sich auf die Frage: Austreten aus der Gewerkschaft oder sich im Gegenteil stärker organisieren, auch politisch Verantwortung übernehmen. Wo die positive Alternative ins Spiel kommt, sich z.B. in der MLPD zu organisieren, wird dies durchaus als Möglichkeit behandelt.

Opel Bochum: Viele sind wütend

Bochum (Korrespondenz): Das "Streik aktuell 7" der MLPD wurde am 30.6. zur Frühschicht bei Opel Bochum an fast allen Toren verteilt. Fast alle haben es gelesen. Das Streikende war das Thema Nr. 1 und viele Kollegen sprachen mich darauf an, etwas gedrückt waren sie schon fast alle. Neben den Einzelmeinungen, wie sie schon vorher da waren, wie "die 35 ist doch völliger Quatsch", macht sich die breite Mehrheit der Kollegen Sorgen und sieht tiefgreifende Auswirkungen dieses Streikabbruchs.

Erster Punkt war es zu klären, dass der Streik nicht gescheitert ist, sondern eine Kapitulation der IGM-Spitze vorliegt. Jetzt aus der Gewerkschaft austreten ist eine Minderheitenmeinung. Vor allem sind die Leute nicht einfach aufgebracht wie sonst und schimpfen wie die Rohrspatzen, sondern nachdenklich. Es wird ja von den Massenmedien vor allem verankert, dass der Kampf selbst falsch war. Ich habe öfter die Frage aufgeworfen, ob das nicht beabsichtigt war, die Gewerkschaften erst mal mundtot zu kriegen im Hinblick auf die "Agenda 2010".

Viele sind wütend. Aber in den Diskussionen zeigen sie sich auch bereit, die Herausforderung anzunehmen und die Gewerkschaft gegen die reaktionären Angriffe offensiv zu verteidigen.

VW-Mosel-Kollegen selbstbewusst: "Wir haben den Streik nicht geschmissen"

Zwickau (Korrespondenz): Die Kollegen gingen am Morgen nach dem Streikabbruch durchaus selbstbewusst in den Betrieb: "Wir haben den Streik nicht geschmissen."

Aber die Mehrheit ist enttäuscht. Vor dem Tor West waren verschiedene Fernsehteams aufgezogen. Das ZDF z.B. fragte die Kollegen sinngemäß: "Wie fühlen Sie sich nach vier Wochen Streik, der nichts gebracht hat?". Die Stoßrichtung war klar: resignative Tendenzen unter den Kollegen verstärken.

Die Streikleitung hatte nicht - wie z.B. vor dem Motorenwerk in Chemnitz - eine Versammlung organisiert. Offensichtlich hatten sie Angst, dass mit jeder organisierten Diskussion unter den Kollegen der Deckel vom Topf fliegt und es zu offenen Unmutsäußerungen kommt.

BMW München: "Wann streiken wir?"

München (Korrespondenz): Die Stimmung war sehr verhalten und bedrückt, als am 1. Juli die BMW-Arbeiter zur Frühschicht wieder in den Betrieb gingen. Wir verteilten an allen Toren das Flugblatt "Streik aktuell 7", um den Kollegen mit einem klaren Standpunkt und Maßstab bei der Verarbeitung der Erfahrungen zu helfen. Nur einzelne Stimmen wurden laut, die den Streikabbruch "begrüßten"; dies hörte sich jedoch nicht sehr überzeugt an, allenfalls "wird Zeit, dass wir wieder arbeiten können, das bringt ja alles sowieso nichts".

Viel zustimmendes Nicken dagegen zur Flugblatt-Überschrift "Zwickels Kapitulation ist inakzeptabel". Die Kollegen sprachen von Verrat und äußerten sich besorgt, wie jetzt alles weitergeht. Etliche fragten uns Flugblattverteiler: "Wann streiken jetzt wir endlich?"

VW Braunschweig: Kaum jemand begrüßte Streikabbruch

Braunschweig (Korrespondenz): Ich habe heute bei VW "Streik aktuell 7" verteilt. Die Golfproduktion stand noch wegen fehlender Teile, Tausende Kollegen waren gezwungen, Überstunden abzubummeln.

Nur drei oder vier Kollegen begrüßten den Streikabbruch. Die Masse der Kollegen war empört: Sauerei, die Kollegen werden im Regen stehen gelassen. Manche befürchten, dass jetzt wieder die Gewerkschaftsbücher fliegen.

Einer meinte zuerst, es wäre gut, aus der Gewerkschaft auszutreten, damit die oben mal merken, was sie für Mist machen. Er korrigierte sich gleich selbst: Damit schaden wir uns ja nur.

Editorische Anmerkungen:

Die Redaktion der Rote Fahne wies uns per Email im Vorfeld seines Erscheinens auf diesen Artikel hin. Wir haben uns erlaubt, ihn zu spiegeln.
Quelle:  http://www.mlpd.de/rf0327/rfart2.htm