Editorial
Über lange Schatten des völkischen Sozialismus und seine Schnittstellen

von Karl Mueller

04-2014

trend
onlinezeitung

Rund 25 Leute kamen am Montag, den 24.3.2014 um 19.30 Uhr ins Café Commune, um Alfred Müllers Vortrag "Marx kontra Gesell - Wie schaffen wir eine bessere Welt ?" zu hören. In einer Art Synopse stellte er die Positionen von Marx und Gesell in zentralen ökonomischen Fragen vergleichend gegenüber, wie sie sich aus der Kritik der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer Aufhebung ergeben. Darüber entspann sich eine lebendige Debatte, die auch durch die nachstehende Grafik bestimmt wurde, die der Referent im Rahmen seines Vortrags vorgelegt hatte. Hier zeigte sich, dass die politischen Kräfte, die den ökonomischen Theorien des Silvio Gesell anhängen, erbitterte Feinde des Sozialismus/Kommunismus sind und ideologisch alles daran setzen, den Klassencharakter der Gesellschaft zu leugnen und stattdessen die sogenannte Volksgemeinschaft zu propagieren.


Die Grafik groß anzeigen

In der BRD gibt es mittlerweile ein breit aufgestelltes illustres Spektrum, das sich für eine solche nichtmarxistische "sozialistische" Erneuerung des erodierenden Kapitalismus stark macht. Nach Peter Bierl umfasste das Spektrum bereits 2004  "Ökofeministinnen um die Kölner Soziologin Maria Mies, Anthroposophen vom Netzwerk Dreigliederung und die Anhänger der Zinsknechtschaftslehre des Silvio Gesell sowie der Tauschringe". Seine dieszüglichen Ausführungen veröffentlichen wir in dieser Ausgabe. Ideologiekritisch betrachtet reicht dies Spektrum bis ins nationalbolschewistische Lager, wo unzweideutig von "völkischem Sozialismus" als wahren Alternative zum Kapitalismus die Rede ist:

"So bedeutet ein wahrer Sozialismus, dass sich ein Volk in seiner Gesamtheit als solidarische Gemeinschaft sieht, und sich bedingungslos für die Belange des eigenen Volkes einsetzt. Im Rahmen dieser Volksgemeinschaft sind jedem Volksgenossen alle nötigen Freiheiten zu gewähren, welche lediglich durch die Pflichten der Volksgemeinschaft begrenzt werden dürfen. Im Sinne des völkischen Sozialismus darf in der Volksgemeinschaft kein Unterschied mehr zwischen dem deutschen Arbeiter und dem deutschen Unternehmer bestehen. So darf auch kein Volksgenosse benachteiligt oder bevorzugt werden, es sei denn, er besticht durch seine persönlichen Leistungen, welche dem deutschen Volke zugute kommen."
http://linksnational.myblog.de/linksnational/art/4922901

Im Hinblick auf die Frage, kann solch eine Denke nochmal zum Mainstream werden, halte ich es eher mit Robert Kurz, der bereits 1996 in seinem Aufsatz "Politische Ökonomie des Antisemitismus", den wir in dieser Ausgabe spiegeln, als die Schatten des völkischen Sozialismus auch schon sichtbar waren, folgendes schrieb:  

"Es ist eher unwahrscheinlich, daß die gesellianische Geldutopie jemals praktische ökonomische Relevanz gewinnen kann oder daß überhaupt die Politische Ökonomie des Antisemitismus noch einmal in einem Land zur großen Staatsdoktrin wird. Wahrscheinlich ist jedoch, daß das ideologische Gesamtsyndrom in gesellianisch individualisierter Form den Krisenprozeß des warenproduzierenden Weltsystems begleitet und zu einem von mehreren Legitimationsmustern im Zerfall der modernen Zivilisation wird." (Unterstreichung von mir)

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Rudolf Steiner war nicht in der Weise ökonomisch denkend geprägt wie der Kaufmann Silvio Gesell, sondern sah sich als Schüler der Theosophin, Helena Petrovna Blavatsky(1831-1891) als ein Weltanschauungstifter und Gedankenphilosoph. Dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, ein wirtschaftliches Imperium bestehend aus Waldhof-Schulen, den Ita-Wegmann-Kliniken mit anthroposophischer Medizin und  eine eigene Demeter-Landwirtschaft auf den Weg zu bringen.

Seine Anthroposophie hat heute längst das klassissche Reformhaus hinter sich gelassen und sich umfassend der New Age- und Karmakultur der neuen Mittelschichten geschäftstüchtig bemächtigt. Ein in der Öffentlichkeit eher wenig wahrgenommener Bereich anthroposophisch grundierter Wirtschaftstätigkeit sind hingegen die Immobilienwirtschaft und die damit zusammenhängenden Finanzierungs- und Bankgeschäfte. In der letzten TREND-Ausgabe erwähnte Karl-Heinz Schubert das ökonomische Einwirken der Anthroposophen im "alternativen" Wohnungssektor in Gestalt der GLS-Bank und der Edith Maryon-Stiftung und Ihre Verpflechtungen mit dem Mietshäuser Syndikat.

Mit dem gezielten Eingreifen der Entwicklungsgenossenschaft Tempelhofer Feld eG (EGTeG)   in die politische Auseinandersetzung um die Zukunft des Tempelhofer Feld, verlassen diese Kräfte ihre angestammtes Feld der Immobilien-Projekte und betreten mit friendly support der anthroposophischen Trias-Stiftung  das Feld der Stadt- bzw. Landespolitik.

Wie das TREND Interview mit den drei AktivistInnen in dieser Ausgabe deutlich zeigt, ist der widerborstige Schillerkiez der Dreh- und Angelpunkt für die geplante reibungsfreie/-arme Überführung des "kollektiven" Eigentums - Tempelhofer Feld - in die privatkapitalistische Nutzung durch mietzinsgenerierendes Kapital.

Dass Anthroposophen bei der Mission Befriedung Jahrzehnte nach der Pazifizierung der westberliner 1980er Hausbesetzerbewegung noch heute Pluspunkte verbuchen können, ist der anthroposophisch grundierten Onlinezeitung  "Oya - anders denken, anders leben" zu entnehmen. Dort beschreibt Juliane Rudloff anhand der Rigaer 78, ehemals besetzt,  "wie ein solches Haus einen konstruktiven Weg gehen kann" und wem dies zu verdanken sei:

"Das Haus im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat intensive Zeiten hinter sich. Es wurde im Wendejahr 1990 besetzt, vier Jahre später erhielten die Bewohner Mietverträge durch die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain. Als der Verkaufswert des Objekts gesteigert werden sollte, wurde das Haus mit mehreren Räumungsklagen »entmietet«. Drei Mietparteien widersetzten sich erfolgreich und blieben. 2006 wurde die Rigaer 78 an die Jewish Claims Conference rückübertragen, die es versteigern ließ. 2007 bot der neue Eigentümer das Haus den Bewohnern zum Kauf an. Eine Bank erklärte sich bereit, Kredite zu geben. Um das Eigenkapital aufzubringen, starteten die Mieter eine recht erfolgreiche öffentliche Kampagne. So kam es, dass 2008 die anthroposophische Stiftung Edith Maryon Haus und Grundstück erwarb und den Bewohnern per Erbbaurechtsvertrag überließ. Die Schweizer Stiftung hat das Ziel, Grund und Boden dem spekulativen Immobilienmarkt zu entziehen und unter anderem sinnvollen sozialen Projekten zur Verfügung zu stellen."

Hier offenbart sich das Steinersches Credo, die "Bodenfrage vom Standpunkt der Dreigliederung" zu behandeln. Und wir finden es natürlich auch bei der EGTeG, wenn es in ihrem "machbar "-Papier heißt:

"Um der Stadt Berlin das dauerhafte Eigentum an Grund und  Boden zu sichern, entsteht der Stadtteil mit  seinen Einzelprojekten im Erbbaurecht."

Allerdings das ganze - den politischen Kräfteverhältnissen geschuldet - noch ein wenig sozialdemokratisch als "Soziale Stadt" aufgepeppt:

"Eventuell eingesetzte Fördermittel verbleiben nach Tilgung nicht in den einzelnen Bauprojekten, sondern werden über einen bürgerschaftlich organisierten Quartiersfonds revolvierend für die Weiterentwicklung und andere modellhafte Stadtentwicklungsvorhaben eingesetzt."

Die Steinersche Behandlung der Bodenfrage, gern umschrieben mit dem Schlagwort "Kapitalneutralisierung", stellt nichts anderes dar, als die Bodenfrage auf der Grundlage des Kapitalismus zu lösen und zwar rückwärtsgerichtet so, wie sie sich am Ende des Mittelalters darstellte: Die Feudalen waren Eigentümer des Bodens und dem Handelskapital wurde der Boden für seinen Profit, den es von nun an mit dem Feudalen zu teilen hatte,  verpachtet.

Trotz aller politischen Verschiedenheit - hier sind Gesell und Steiner ganz dicht beieinander: Nur nicht den Kapitalismus aufheben, sondern alles versuchen, um ihn zu retten. Und in der Bodenfrage haben sie ganz offensichtlich richtige Schnittstellen. Doch zurück zum "Feld".

Für die Befriedung des Schillerkiez durch das Tempelhofer Feld hat sich die EGTeG folgende Unternehmensziele aufs Pannier geschrieben:

1) EGTeG ist keine Baugenossenschaft für dieses Gebiet, sondern eine "Managementgenossenschaft". Deren Funktion ist es, ähnlich wie ein Quartiersmanagement Konflikt dämpfend und kanalisierend die Leute an das neu entstehende Wohnquartier "Schillerkiez plus östliches TF" zu binden und damit eine ideelle Einhegung vorzunehmen.

2. Folglich ist der komplette Schillerkiez Teil des Randbebauungskonzepts Oderstraße. Die neue Quartiersidentität lautet: "Aktive BewohnerInnen und Bewohner sorgen für gesicherte  Nachbarschaftsprozesse: Weniger Vandalismus,, weniger Kriminalität, Entwicklung einer gemeinsamen Quartiersidentität." [EGTeG-Flyer "Berlin gewinnt vielfältig, S.2]

3) An diesen Prozessen will die
 EGTeG als Dienstleister bereits ordentlich verdienen.Nach der Fertigstellung des Projekts, will sie dessen Verwalter zu sein.

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Die "langen Schatten" lassen nicht locker.  Anne Seeck berichtet in dieser Ausgabe anschaulich von dem Auftreten der geschaßten Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann, die beim Petitionsausschuss des Bundestag couragiert ihre ablehnende Haltung, zu der Art und Weise wie mit Hartz IVlerInnen umgegangen wird, vertrat. Im letzten Abschnitt ihres Berichtes merkt Anne Seeck kritisch an:

"Immer wieder wurde in dieser Sitzung nach der Anhörung als Alternative das bedingungslose Grundeinkommen herausgestellt. Existenzgeld wird nun seit 30 Jahren gefordert. Es wird aber nicht eingeführt, nur weil man die Forderung gebetsmühlenartig wiederholt. Wir leben in einer Gesellschaft, wo Ausnahmen für einen 8,50-Euro-Mindestlohn ausgehandelt werden! Die gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Einführung eines emanzipatorischen Grundeinkommens sind in keiner Weise gegeben. Wenn es aber soweit wäre, dann ließe sich auch eine andere Gesellschaft (Vergesellschaftung, Selbstverwaltung etc.) ohne Notwendigkeit eines Grundeinkommens gestalten."

Wie recht sie hat, eine nichtkapitalistische Gesellschaft und bedingungloses Grundeinkommen? Solche Art von Alimentierung dient allein dem Erhalt der kapitalistischen Produktionsweise. Und es sei noch angemerkt, dass jene Inge Hannemann nicht zufällig für diesen reformistischen Vorschlag offen ist. Wir entnehmen nämlich dem Veranstaltungsprogramm des Hamburger Rudolf Steiner Hauses, dass dort  am 26.4.2014 Inge Hannemann als Referentin für das bedingungslose Grundeinkommen referieren wird.

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Die im Editorial der letzten Ausgabe angekündigten Veranstaltungen:

  • 24. April 2014 TREND-Veranstaltungsreihe "Let's talk about class" in Koop mit NEA: Klasse bei Marx und Bourdieu, Referent Günter Jacob
  • 16. Mai 2014 TREND-Veranstaltungsreihe "Let's talk about class" in Koop mit der ASJ

müssen leider ausfallen. Zum einen ist Günter Jacob langfristig erkrankt - gute Besserung von hier aus - zum andern konnten wir uns im Vorfeld nicht über das inhaltliche Veranstaltungskonzept und die Organisationsstruktur für die Veranstaltung am 16.5. 2014 einigen. Wir wollen in jedem Fall die Veranstaltung mit Günter Jacob machen und unterbrechen daher unsere Reihe. Wir werden sie mit Günter Jacob im Herbst wieder aufnehmen.

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Das Highlight dieser Ausgabe zum Schluss:

Bernard Schmid hat zu den gerade abgelaufenen Kommunalwahlen in Frankreich zwei lesenwerte und solide recherchierte Artikel für diese Ausgabe geschrieben:

Ich kann sie Euch nur empfehlen.

kamue

TREND(s) im Netz - hier die jüngsten Zahlen:

Die BesucherInnenzahlen vom März 2014, in Klammern 2013, 2012

  • Infopartisan gesamt: 181.081  (118.623, 114.644)
  • davon TREND: 123.527 ( 83.816, 80.791)

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