Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
"Und dabei spiegeln sie genau das wider,
wogegen wir ursprünglich angetreten sind ..."


TREND- Interview mit AktivistInnen von „Tempelhof für Alle“ und „100 % Tempelhofer Feld“

04-2014

trend
onlinezeitung

INTRO

 tempelhof für alle: www.tfa.blogsport.de 
    
squat tempelhof: www.tempelhof.blogsport.de


Am 20. Juni 2009 am Zaun des Tempelhofer Feldes in der Oderstr. / Screenshot Youtube Video

Nachdem die Bürgerinitiative „100 % Tempelhofer Feld“ vier Monate lang an die 185.000 Unterschriften gesammelt hat, können am 25.05.2014 abstimmungsberechtigte BerlinerInnen an der Wahlurne darüber entschieden, ob die größte Freifläche der Stadt bebaut wird oder nicht. „100 % Tempelhofer Feld“ macht sich dafür stark, dass das ehemalige Flugfeld einfach so bleibt, wie es ist.

Die Bürgerinitiative thematisiert auch die Umstrukturierung der Stadt nach neoliberalen Richtlinien und stellt die Frage, welche Interessen der derzeit betriebene Städtebau bedient. Allerdings haben wir von der Trend Online-Redaktion festgestellt, dass in der Kampagne der Bürgerinitiative ausgespart bleibt, von wem und mit welchen Mitteln der entscheidende politische Druck ausgeübt wurde, damit man am 8. Mai 2010 das erste Mal legalerweise einen Fuß auf das Gelände setzen konnte. „100 % Tempelhofer Feld“ tritt betont seriös und bürgerlich auf und hält Aktionsformen, die gegen geltendes Recht verstoßen, für imageschädigend.

So wird auf der Website der Initiative (http://www.thf100.de/das-wiesenmeer-schuetzen.html) mit keinem Wort die größte Aktion für die Öffnung des Geländes erwähnt: Die versuchte Besetzung des Flugfeldes am 20.06.2009, zu der „Squat Tempelhof“ gemeinsam mit einem breiten Spektrum von AnwohnerInnen, Mieterbündnissen und weiteren Gruppen wie „Tempelhof für Alle“ aufgerufen hat. Mehrere tausend Menschen auf der Straße, unzählige Versuche, den Zaun zu öffnen und auf das Gelände zu kommen, 1.500 PolizistInnen im Einsatz, 102 Verhaftungen, Schlagstock- und Pfeffersprayeinsätze, ein Zivilpolizist, der seine Schusswaffe zieht und auf einen Demonstranten richtet, und das Ganze beobachtet von afghanischen Sicherheitskräften, die sich von ihren deutschen Kollegen erklären lassen, wie man derlei Situationen hierzulande unter Kontrolle hält – das dürfte eigentlich gereicht haben, um den 20.06.2009 im Langzeitgedächtnis zu behalten.

Während die Kampagne für den Volksentscheid läuft, möchten wir gerne die Geschehnisse des Tages ins Bewußtsein zurückrufen. Wir haben uns mit im Schillerkiez ansässigen AktivistInnen von „Tempelhof für Alle“ und „100 % Tempelhofer Feld“ über ein Stück Kiezgeschichte am Flughafenzaun, den 20.06.2009 und unterschiedliche stadtpolitische Ansätze und Aktionsformen unterhalten.
 

TREND:  Schön, dass Ihr die Einladung von Trend Online angenommen habt und gekommen seid. Darf ich vorstellen: Christian und Gerdi, die bei „Tempelhof für Alle“ und später in der „Stadtteilinitiative Schillerkiez“ aktiv waren und Beate von der Bürgerinitiative „100 % Tempelhofer Feld“, unsere dienstälteste Schillerkiezlerin.

Zum Einstieg ein paar Worte zu mir selbst: Ich bin 2001 nach Neukölln gezogen und kann mich also an die Zeiten erinnern, als der Flughafen noch in Betrieb gewesen ist. Vom Lärm mal abgesehen hatte das durchaus auch seine lustigen Seiten: Wenn man in einer der Seitenstraßen, die von der Hermannstraße direkt zum Flugfeld führen, im vierten Stock wohnte und morgens beim Frühstück saß, hatte man den Eindruck, dass der Pilot in der landenden Maschine genau sehen konnte, welchen Käse man sich gerade aufs Brötchen legt. Manchmal habe ich sogar freundlich gewunken. Aber auch seine weniger lustigen, wenn z.B. ein Privatjet in ein Wohnhaus gestürzt ist, wie im Mai 2001 in der Karl-Marx-Straße geschehen.

Ihr wohnt hier ja schon ein paar Tage länger als ich. Wie war das im Schillerkiez, als der Flughafen noch in Betrieb gewesen ist? Wie standen die AnwohnerInnen zu dem Flughafen?

Beate: Wie standen die Anwohner zum Flughaften? Die kannten es ja nicht anders. Die waren daran gewöhnt, dass in der Ferienzeit alle 90 Sekunden ein Flieger hoch oder runter ging, dass man dann sein Gespräch einstellen musste, dreimal am Tag das Geschirr im Schrank zurückgeschoben hat und dass man schwarze Kerosinablagerungen wegwischen durfte. Und wenn du auf der Oderstraße gestanden hast, bist Du schon mal von einer Windböe gegen den Zaun geschmissen worden. Als Kinder hat uns das wahnsinnigen Spaß gemacht, aber wenn die Mütter im Hof der Wäsche hinterhergerannt sind, fanden die das nicht so komisch. Damit hat man sich aber arrangiert. Und wie Du gerade sagtest, konnte man den Piloten wirklich Pfötchen geben, wenn sie im Landeanflug über die Schneise geflogen sind. Die Lautstärke war teilweise schon sehr belastend, aber als junger Mensch gewöhnte man sich daran. Für die Älteren war das schon schwieriger, wegen der Erinnerungen an den Krieg oder an die Luftbrücke, weil die Rosinenbomber ja auch alle 30 oder 40 Sekunden eingeflogen sind. Diese Propellermaschinen haben schon Krach gemacht. Das, was die Leute wirklich gestört hat, waren die Düsenmaschinen. Die waren noch viel, viel lauter als die Propellermaschinen vorher, mit denen konnteste noch leben. Wenn zwei, drei Propellermaschinen kamen, O.K., dann haste Dich eben umgedreht und weitergeschlafen. Aber bei den Düsendingern ging das einfach nicht mehr. Deshalb haben sie die ja auch nach Tegel umgeleitet.

TREND: Aber gab es damals keinen Unmut gegen den Flughafen? Ist das denn nicht weiter problematisiert worden, dass man da direkt am Flughafenzaun gewohnt hat?

Beate: Problematisiert wurden die Düsenflugzeuge, nicht der Flughafen. Wenig Leute hatten was gegen den Flughafen. Aber es gab ja damals durchaus auch die Möglichkeit, aus dem Schillerkiez wegzuziehen. Es gab ja noch preiswerteren Wohnraum, und in Neukölln wurde ja auch die Gropiusstadt gebaut, da sind dann auch viele hingezogen. Die haben sich hier schon eine Menge Zeit gelassen, bis hier Schallschutzfenster eingebaut wurden. Und wie ich vorhin schon sagte, sind die ganz großen Turbos dann ja nach Tegel abgewandert. Von daher war das also nie die große Diskussion. Die Diskussion war nicht, den Flughafen wollen wir nicht. Die Diskussion war, wir wollen hier diese lauten Teile nicht.

TREND: Und wie habt Ihr das noch in Erinnerung? So ähnlich, oder könnt Ihr noch was hinzufügen?

Christian: Naja, am schlimmsten waren meiner Meinung nach die Leute an der Oderstraße betroffen. Weil dort sind, wie Beate schon sagte, die Düsenflieger vorgefahren und hatten so Vorwärmphasen, sind dann so 15 oder 20 Minuten gestanden und haben dabei einen enormen Lärm und Dreck verursacht. Wenn man dort Anwohner war, konnte man sich dann in den Zimmern zur Oderstraße hin gar nicht aufhalten oder fernsehen oder sonst was tun. Und es gab auch einen Unterschied bezüglich der Einflugschneise Nord- und Südlandebahn: Auf der nördlichen war nicht so viel Verkehr, zumindest in den letzten zehn Jahren nicht mehr, wie ich das noch mitbekommen habe. Und auf der Südbahn gab es schon eine viel höhere Frequenz an ein- und abfliegenden Maschinen. Ich wohne mitten im Kiez, und ich hätte nicht vermutet, dass man auch im ersten Stock so enorm von der Lautstärke betroffen ist.

TREND:  Kann man also sagen, dass der Flughafen seinen Teil dazu beigetragen hat, dass die Mieten hier im Kiez bis zu einem bestimmten Zeitpunkt schön niedrig geblieben sind?

Christian: Auf jeden Fall.

TREND:  Wann und weswegen hat die Stadt begonnen, sich Gedanken über die Zukunft des Flughafens zu machen?

Gerdi:Das fing schon Mitte der 90er Jahre an, dass darüber diskutiert wurde, den Flughafen stillzulegen. Zur Debatte standen Schönefeld, wo der neue Flughafen BER gebaut wurde. Und dann gab es in den 90er Jahren noch eine kleine Aufwertungswelle im Schillerkiez. Die Wohnungen wurden etwas teurer, weil man damit rechnete, dass der Flughafen irgendwann mal dichtgemacht wird.

Christian: Ich erinnere mich daran, dass irgendwann mal nach der Wiedervereinigung der erste Termin für eine Stilllegung für 1996 angesetzt wurde, was auch schon damals ganz viel Diskussionen ausgelöst hat. Wie wir wissen, ist der Termin ständig verschoben worden, zuerst um drei Jahre, dann noch mal fünf Jahre, usw., bis es dann schließlich vierzehn Jahre gedauert hat, bis die Schließung endlich vonstatten gegangen ist.

TREND: Habt Ihr Leute gekannt, die für den Weiterbetrieb des Flughafens waren? Wenn ja, wie haben diese Leute argumentiert?

Christian: Na ja, da gab es in erster Linie diese Initiative, die ihn unbedingt erhalten wollte, die dann im März 2005, glaube ich, ein Volksbegehren gestartet hat.

Ende April 2008 scheitert der vom damaligen CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger angestoßene Volksentscheid zum Weiterbetrieb des Flughafens. Knapp 22 % der Abstimmungsberechtigten stimmten für die Offenhaltung, nötig wären 25 % gewesen.

Christian: Die Leute, die das angezettelt haben, kamen in allererster Linie aus dem Bezirk Tempelhof. Schon im Vorfeld des Volksbegehrens gab es schon viele Diskussionen darüber, was denn die Stilllegung ganz konkret für die Anwohnenden bedeutet. Es gab ganz unterschiedliche Meinungen darüber, ob die Stilllegung ein Gewinn ist oder ob dadurch die Gefahr entsteht, dass dadurch die Aufwertung der angrenzenden Stadtteile stattfindet.

TREND: Und diese alte Frontstadtnostalgie, die wird wahrscheinlich auch noch eine Rolle gespielt haben, oder?

Gerdi: Das hat eine Rolle gespielt, vor allem bei den Leuten, die das Volksbegehren zur Aufrechterhaltung des Flughafens angestoßen haben. Das war ja ein Sammelsurium von CDU, Geschäftsleuten und alten Frontstadtnostalgikern, die meinten, man müsste als Erinnerung an die Luftbrücke unbedingt den Flughafen aufrechterhalten. In diese Kampagne ist von Privatleuten eine Menge Geld reingesteckt worden. Dem gegenüber stand eine Kampagne des Senats, hauptsächlich von der SPD, den Grünen, von Natur- und Umweltschutzverbänden. Wir haben dann nach vielen Diskussionen hier im Stadtteilladen „Lunte“ unter dem Motto „Tempelhof für Alle“ eine eigene Gegenkampagne aufgestellt und sind mit Flugblättern und Infoveranstaltungen gegen einen Weiterbetrieb und für die umgehende Öffnung des Geländes eingetreten. Hier im Laden haben manche Leute in Diskussionen gesagt, nein, wir stimmen bei diesem Volksentscheid dafür, dass der Flughafen offen bleibt, um dafür zu sorgen, dass die Mieten hier niedrig bleiben. Während andere hingegen gemeint haben, nein, das geht so nicht, man muss beides vereinbaren: dass der Flughafen wegkommt und dass die Mieten hier trotzdem niedrig bleiben.

TREND:  Wann und wie genau habt Ihr Eure Initiative „Tempelhof für Alle“ auf die Beine gestellt?

Gerdi: Es gab hier ein Treffen im August 2008; aufgerufen wurde dazu, dass sich Leute zusammensetzen sollen, weil damals ja klar gewesen ist, dass der Flughafen am 31. Oktober geschlossen wird. Wir haben dafür mobilisiert, dass er dann auch umgehend der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird. Damals wurde auch vom Senat gesagt, sobald das Ding zu ist, kann die Bevölkerung da rauf.

TREND:  Konntet Ihr mit Euren Aktivitäten die Anwohnerschaft im Schillerkiez erreichen? Wie war die Stimmung dort? Welche Vorstellungen hatten die AnwohnerInnen, was mit der Fläche anzufangen ist?

Gerdi: Das war unterschiedlich. Es gab Leute, die dem Flughafen hinterhergetrauert haben und andere, die gerne wissen wollten, was denn jetzt mit dem Gelände ist. Das war ja jahrelang ein schwarzer Fleck, der niemandem zugänglich gewesen ist, und es war schon ein Interesse da, dass man da rauf kann. Aber nach der Schließung war nicht mehr die Rede von irgendwelchen Plänen zur Öffnung, da hieß es, nein, das bleibt erst mal zu. Und ab dem Zeitpunkt der Schließung wurde das Gelände quasi schärfer bewacht als in der ganzen Zeit davor. Unsere Initiative „Tempelhof für Alle“ hat dann darauf aufmerksam gemacht, dass das Versprechen des Senats, das Gelände zu öffnen, in die Tat umgesetzt werden muss. Wir haben Flugblattaktionen gemacht, Transparente gemalt wie „Der Flughafen muss geöffnet werden, damit unsere Ideen fliegen lernen“, und im August wurde ein Internetblog gestartet. Dann haben wir mit den Zaunspaziergängen angefangen: Wir haben uns am Flughafenzaun getroffen, sind an dem Zaun entlang gelaufen, haben Leute darauf angesprochen, wie sie die Entwicklung sehen und haben solche Listen aufgehängt, in denen die Leute ihre Wünsche und Vorstellungen eintragen konnten, was mit dem Gelände passieren soll. Auch im tiefsten Winter sind in Schnee und Regen so um die 50 Leute am Zaun hin- und hergegangen.

Christian: Das Interesse war schon groß, aber die Meinungen darüber, was denn jetzt mit dem Gelände passieren soll, waren ziemlich heterogen. Und völlig hanebüchen war natürlich die Begründung von staatlicher Seite, dass es noch so viele Sicherheitsmaßnahmen zu treffen gäbe, bis dann der Flughafen irgendwann mal aufgemacht werden kann. Ich kann mich noch daran erinnern, dass in den 80er Jahren, als die Amerikaner noch den Flughafen betrieben haben, ein Mal im Jahr ein Tag der offenen Tür mit Shows veranstaltet wurde, als tausende, zehntausende, wenn nicht sogar hunderttausende Leute auf das Feld strömen konnten. Davon war dann auf einmal überhaupt nicht mehr die Rede, dass so etwas überhaupt möglich war. Da denke ich dann auch, sehr geschichtsvergessen, was noch ganz junge Stadtgeschichte angeht. Da wurde immer nur argumentiert, nö, nix mit Öffnung, da müssten noch so viele Maßnahmen getroffen werden. Dann gab es im ersten Frühjahr nach der Schließung, glaube ich, noch mal einen Tag oder zwei Tage lang so ein Pyro-Festival, bei dem dann aber die Leute nicht auf das Feld drauf konnten, sondern nur bezahlende Gäste auf dem Flugvorfeld zugelassen waren. Alle anderen konnten nur als Zaungäste drauf spicken.

TREND: Beate, wie hast Du hier die Stimmung im Kiez erlebt, als dann im Mai 2008 klar war, dass der Flughafen noch in diesem Oktober stillgelegt wird?

Beate: Eigentlich so, wie das alle schon gesagt haben. Die Angst, dass die Mieten steigen, war auf jeden Fall da. So doof ist ja nicht mal der dümmste Neuköllner, dass er nicht eins und eins zusammenzählen kann und sich nicht darüber im Klaren ist, dass Stilllegung und Öffnung nur Aufwertung zur Folge haben können. Da gabs eben diese Widersprüchlichkeit: Die Freude, aufs Feld zu können, war auch bei allen da. Aber eines, was Gerdi gerade sagte, haut ja nicht so ganz hin. Auf dem Feld war schon was los, die hatten hier die Polizeipferde untergestellt. Und so, wie die Amis früher immer im Kreis gefahren sind, haben die immer mit den Pferdchen hier im Kreis HoppelGaloppel gemacht. Tagsüber hat man das nicht gesehen, sondern morgens, abends vielleicht auch noch. Das war wohl eine preiswerte Unterbringungsmöglichkeit für die Pferde, aber kerosinverseuchtes Gras, ich weiß nicht, wie lecker das ist. Dann aber wurden die Äcker hier plötzlich interessant. 2005 bin ich zu „Stadt und Land“ hochgezogen, und du konntest sehen, wie viel Leerstand die noch hatten. Und dann konntest du sehen, wie sich das gefüllt hat. Die Mieten waren noch relativ zivil, aber auch ganz viele Wohnungen hier in der Ecke, die mal „Stadt und Land“ gehört haben, waren völlig zerfallen. Veräußert wurden die trotzdem, der Investor hat die erst mal weiter verrotten lassen, bis die letzten Mieter da raus sind. Dann haben sie die Wohnungen modernisiert, denn die hatten ja teilweise noch Ofenheizung. Und dann haben sie gleich Schweinemieten genommen.

TREND:  Dann kann man also sagen, dass die Forderung „Tempelhof für Alle“, also das Feld zugänglich zu machen, nicht ganz so populär gewesen ist?

Beate: Die Leute waren da zwiegespalten. Die wollten natürlich rauf aufs Feld. Und trotzdem hatten alle Leute Angst davor, dass die Aufwertung stattfinden wird, dass dann wahrscheinlich andere Leute herziehen. Und das mit der Luxussanierung von Wohnungen ging ja schon viel früher kleinklein und unbemerkt los, nicht so massiv wie jetzt an jeder Ecke.

TREND:  Gerdi und Christian, in welchen stadtpolitischen Kontext war Eure konkrete Forderung nach einer Öffnung des Geländes eingebettet? Man könnte ja schließlich auch argumentieren, dass die Öffnung Tempelhofs einen immensen Beitrag zur Aufwertung des Schillerkiezes und damit auch zu dem Neukölln-Hype geleistet hat, mit all den netten Nebenwirkungen wie ins unermessliche steigende Mieten. Wie seid Ihr mit dieser Problematik umgegangen?

Christian: Na ja, das ist ja auch erst später klargeworden, in welchen Ausmaßen, in welcher Geschwindigkeit so ein Gentrifizierungsprozess vonstatten gehen kann. Es war zwar auch schon früher häufig davon die Rede gewesen, dass solche Aufwertungsgeschichten in Städten laufen. Aber dass das so mörderschnell wie hier vonstatten geht, das war für alle wirklich eine ganz neue Erfahrung, auch für die Leute, die sich damit schon fachlich beschäftigt haben. Binnen drei Jahren hat hier die Entwicklung stattgefunden, dass bei der Neuvermietung einer Wohnung, die vorher noch 4,00 oder 5,00 EUR den Quadratmeter gekostet hat, die Miete auf mehr als das Doppelte angestiegen ist.

Gerdi: Das fing ja nicht schon 2008 an, erst nach der Eröffnung des Geländes 2010, worauf die Immobilienbesitzer wahrscheinlich nur gewartet haben. Dann ist es hier richtig losgegangen. Als der Flughafen dicht war, hat der Senat gehofft, dass die Investoren alle Schlange stehen, damit das Gelände gleich vekauft werden kann. Aber dann kam die Finanzkrise, es waren also keine Gelder da, und die Pläne des Senats waren vorerst gescheitert – die standen erst mal da und wussten nicht, was sie mit dem Gelände machen sollen. Dann kam so eine Art Ruhephase, in der sie sich überlegt haben, was sie tun sollen und kamen auf Zwischennutzungsideen und haben Planungsbüros beauftragt, Pläne und Perspektiven zu entwickeln. Das hat sich so ungefähr zwei, drei Jahre hingezogen. Dann ging es los mit sogenannten Online-Beteiligungen und Workshops und solchen Sachen.

TREND:  Ich mache jetzt einen Sprung und komme auf „Squat Tempelhof“ zu sprechen. Wie war „Tempelhof für Alle“ in „Squat Tempelhof“ eingebunden? Worin bestanden die konkreten Ziele der versuchten Besetzung des Flugfeldes, die am 20.06.2009 stattgefunden hat?

Gerdi: „Tempelhof für Alle“ war eine Initiative, die durch Leute entstanden ist, die hier im Schillerkiez wohnen und versuchen wollten, das Gelände zu öffnen. Und parallell dazu gab es hier in der Stadt mehr so aus der linksautonomen Szene ein paar Leute, die sich überlegt haben, wie man hier intervenieren kann. Die sich überlegt haben, eine Art Zeichen zu setzen, die eine große Aktion planen wollten, um das Feld zu öffnen. Und da entstand die Idee „Squat Tempelhof“: Wir besetzen das Gelände, um den Bereich damit für alle zugänglich zu machen. „Tempelhof für Alle“ hat sich da eingebunden. Die Planung ging dann so März 2009 los. Als Datum wurde der 20. Juni festgelegt. Mobilisiert wurde mit einer großen Kampagne, in Berlin, bundesweit und sogar international. Das hat dazu geführt, dass dann an diesem Tag etliche tausend Leute hier in Berlin unterwegs waren.

Christian: Das war dann schon, wie Gerdi eben sagte, eine Kampagen, die von der linksradikalen und teilweise studentischen Szene geprägt war. Die haben die Aktion dann ein bißchen ironisierend beworben, mit Texten, Flyern, Aufklebern, auf denen „HAVE YOU EVER SQUATTED AN AIRPORT?“ (Hast du jemals einen Flughafen besetzt?) stand, unter anderem ein total schönes Plakat mit einem UFO, das auf dieser riesigen Freifläche landet. Die dachten sich: Dass auf dieser einzigartigen, riesigen Fläche mitten in einer Metropole immer noch nichts Konkretes stattfindet, muss ausgenutzt werden, da muss die Frage gestellt werden: Wem gehört die Stadt? Anfangs haben die sich an unseren Zaunspaziergängen beteiligt, wodurch der Charakter dieser Spaziergänge ein bisschen verändert wurde. Vor dem eigentlichen Termin gab es dann auch schon mal Versuche, den Zaun anzugreifen und das Gelände zu stürmen. Was natürlich zur Folge hatte, dass wir mit unseren Zaunspaziergängen immer mehr Polizeibegleitung hatten und auch Repressionen ausgesetzt waren. Das waren jetzt nicht mehr die total harmlosen Spaziergänge, aber die Repressionsschraube wurde da schon angedreht. Wir wurden permanent von zwei, drei Wannen beobachtet und begleitet, obwohl wir manchmal nur vier oder fünf Leute gewesen sind, und wurden mit Platzverweisen belegt. Schließlich haben wir damit angefangen, uns dagegen zu wehren. Wir haben die Frage gestellt, ob diese permanente Ausforschung und Beobachtung überhaupt statthaft ist, nur weil wir an so einem Freigelände wohnen. Wir sind diese Platzverweise mal juristisch angegangen und haben in einem relativ langwierigen Prozess versucht, aufzuklären, was eine angemessene Maßnahme ist und was nicht mehr.

TREND: Beate, wie ist die Mobilisierung zum 20.06.2009 bei Dir angekommen? Vielleicht kannst Du uns ja auch sagen, wie die Mobilisierung von der Anwohnerschaft im Kiez aufgenommen wurde.

Beate: Bei mir ist das schon angekommen. Ich dachte mir: „Lass die mal machen, Hauptsache, es gibt dabei nicht so viel Krawall“. Weil ich mir denke, dass Gewalt immer nur Gegengewalt erzeugen kann, es wird dann von beiden Seiten provoziert. Bei den Leuten im Kiez ist die Mobilisierung auch angekommen, aber sie hatten auch Bedenken. Ihr wisst ja, wie die immer schimpfen: „Die Autonomen, und immer diese Krawallmacher!“. Und die anderen haben gesagt: „Mensch, lass die doch, einer muss es denen doch zeigen!“ Die Reaktionen waren also gespalten. Man hat die ganze Bandbreite gehabt. Und dann hast du immer noch die große Masse, die sagt: „Interessiert mich nicht, ick setz mich uff meinen Balkon.“

TREND:  Die nächste Frage geht auch an Dich: Wie standen die Leute aus dem Schillerkiez, die später bei „100 % Tempelhofer Feld“ gelandet sind, zu der Aktionsform, sich das Feld einfach zu nehmen? Gab es bestimmte Meinungen dazu? Und was hast Du davon gehalten?

Beate: Na ja, es gab die Meinung, dass die Leute nach der Öffnung gesagt haben: „Jetzt haben wir das Feld, jetzt behalten wir es auch. Und jetzt versuchen wir, es zu schützen.“ In unserer Initiative sind ja nicht nur Leute aus dem Schillerkiez, das sind auch Leute, die aus den angrenzenden Bezirken kommen. Jetzt ist das Feld frei, jetzt soll es für die Bevölkerung bleiben – das war die einhellige Meinung. Aber die Angst vor steigenden Mieten hat sich ja leider auch bewahrheitet. Und aus diesem Grund sind heute bei „100 % Tempelhofer Feld“ einige Leute dabei, die damals dafür abgestimmt haben, dass der Flughafen in Betrieb bleibt, weil das mit den steigenden Mieten so abzusehen war. Ich gehöre übrigens auch dazu. Ich kann rechnen, und ich rechne immer gerne vorher. Dass es jetzt offen ist, ist ja wunderbar. Aber dann soll es bitteschön auch so bleiben. Weil es den Wohnungsmarkt nicht entspannen wird, wenn sie das bebauen, das sind ja alles Hirnschissereien, die da stattfinden.

TREND:  ch komme jetzt direkt auf den 20.06.2009 zu sprechen und versuche mich in einer kleinen Zusammenfassung: Mehrere tausend Menschen sind auf der Straße, viele von ihnen versuchen, den Zaun zu öffnen und auf das Gelände zu kommen, um die 1.500 PolizistInnen sind im Einsatz, es gibt 102 Verhaftungen, Schlagstock- und Pfeffersprayeinsätze, ein Zivilpolizist zieht seine Waffe und richtet sie auf einen Demonstranten. Das Ganze wird von afghanischen Sicherheitskräften beobachtet, die sich von ihren deutschen Kollegen erklären lassen, wie man hier mit solchen Situationen umgeht. Was habe ich ausgelassen? Und: Wie habt Ihr den Tag erlebt?

Gerdi: Wahrscheinlich kann jeder nur einen einzelnen Ausschnitt schildern, weil man die ganzen Aktivitäten, die an unterschiedlichen Orten rund ums Feld stattgefunden haben, ja nicht mitbekommen konnte. Das ist so organisiert worden, dass es an verschiedenen Stellen Treffpunkte gab, von denen aus sich die Leute in Kolonnen von zum Teil 400 oder 500 Leuten auf das Flugfeld zubewegen sollten, von denen einige auch bis zur Oderstraße gekommen sind. Wir haben versucht zu beobachen, was passiert. Die Oderstraße war komplett abgesperrt von der Polizei, die meisten Leute sind nicht mal in die Nähe des Zauns gekommen.

Christian: Da gab es schon die skurrilsten Szenen. Nachmittags bin ich ein Mal komplett um das ganze Gelände herumgefahren und habe nach Schwerpunkten Ausschau gehalten. Auf der Südseite, also auf der Tempelhofer Seite, waren nicht so viele Aktivitäten zu verzeichnen. Die Schwerpunkte lagen dann eher am Columbiadamm und hier im Schillerkiez direkt an der Oderstraße. Eine ganz absurde Geschichte hat relativ früh am Tag stattgefunden: Damals gab es noch die sogenannte „Clowns' Army“, die tatsächlich in Clownsmaskerade versucht hat, überzogene Polizeieinsätze mit Späßen und Seifenblasenpistolen zu konterkarieren. Von denen wurden dann 8 oder 10 schon am frühen Vormittag einkassiert. Eine ganz absurde Szene, als dann aus der Bullenwanne lauter Clowns mit traurigen Gesichtern aus dem Fenster guckten und in die Gefangenensammelstelle gefahren wurden. Diese Geschichte ist leider nicht dokumentarisch belegt. Das Andere wurde ja schon eingangs erwähnt: Der Zivilpolizist, der am Columbiadamm seine Waffe ziehen musste, weil er sich um Leib und Leben bedroht fühlte, was mir eine Kurzschlussreaktion gewesen zu sein scheint. Viele Leute, die zu der Aktion mobilisiert wurden, haben sich recht lange darauf vorbereitet und probiert, mit „Guerilla-Taktiken“ über Kleingartenanlagen oder anderen Stellen, wo nicht so viel Polizeipräsenz war, sich aufs Feld zu schleichen, um denen mal einfach eine lange Nase zu zeigen, das Ganze ad absurdum zu führen und zu sagen: „So eine riesige Wiese könnt ihr gar nicht bewachen, auch nicht mit einem noch so riesigen Aufgebot.“ Hier im Schillerkiez selbst kam es dann zu Geschichten mit langfristigsten Auswirkungen, mit denen die Bullen sich auch wirklich keinen Gefallen getan haben, da wurden von den Robocops auch Mütter mit kleinen Kindern geschubst und geschlagen. Die wussten wirklich gar nicht mehr, was noch verhältnismäßig ist. Auch von der Presse wurde das zum Teil so dargestellt, dass das auch von den Kosten her ein völlig irrsinniger Einsatz war, um eine Wiese zu verteidigen.

Beate: Ich habe davon nicht so viel mitgekriegt. Als ich abends von der Arbeit nach Hause wollte, war abgesperrt. Und die Polizisten waren nicht gerade freundlich. Ich musste meinen Ausweis zeigen und durfte dann durch zu meiner Wohnung. Als ich noch mal durch die Absperrung musste, um mit meinem Hund Gassi zu gehen, haben die dann mit einem fürchterlichen Gemotze angefangen, das fand ich schon heftig. Dass die Polizei aus unerfindlichen Gründen Leute auch einfach mal angepöbelt hat, das habe ich nicht verstanden, die hatten gar keinen Grund. Die Leute wollten einfach nur durch die Absperrung, um in ihre Wohnung kommen.

TREND:  Konntet Ihr Euch in den Tagen und Wochen danach ein Bild davon machen, was die direkte Anwohnerschaft im Schillerkiez von dem Tag gehalten hat und von den Aktionen, die da gelaufen sind?

Beate: Also, über manche Szenen haben die sich köstlich amüsiert. Mir ist auch erzählt worden, dass da irgendwelche Leute mit Kameras unterwegs gewesen sind und zwei oder drei von denen wurden die Kameras abgenommen. Man konnte also nicht einfach so filmen.

Christian: Im Internet gab es ungeheuer viel Filmmaterial dazu. Ein Kollege hat dann von all dem, was er so finden konnte, einen Zusammenschnitt von zwei Stunden gemacht, mit ganz viel Material, das die Leuten auf der Straße, teilweise aus den Wohnungen heraus gefilmt haben. Den Zusammenschnitt haben wir hier im Stadtteilladen auch mal gezeigt. Da wurde doch recht deutlich, welche Ausmaße dieser Polizeieinsatz hier hatte.

Beate: Ach, daran kann ich mich noch erinnern, darüber hat der ganze Kiez noch Tage später gelacht: In der Lichtenrader Str. 32 sind ein paar Leute aufs Dach und haben von oben versucht, ich sage mal, die anderen mit einem Megaphon zu dirigieren: „Vorsicht, da kommen die Bullen! Vorsicht, da kommt die nächste Wanne!“ Aber die Polizei hat das irgendwann mal mitgekriegt und hat das gestürmt, die ist dann aufs Dach und hat die Leute heruntergeholt. Manche Anwohner machten zum Teil mit: „Ja, Vorsicht, da kommen sie!“ Und die Polizisten hatten da oben in der Leinestraße, glaube ich, auch ihren Versorgungswagen stehen. Dann ist denen mal so ein Trupp von Euch durchs Abendessen gerannt. Ich musste so lachen, da hingen die Leute wirklich aus dem Fenster und haben gerufen: „Vorsicht, Vorsicht, schnell weg!“

TREND:  Eine Massenbesetzung des Geländes ist den AktivistInnen nicht gelungen. Was sind aus Eurer Sicht die Teilerfolge des 20.06.2009?

Christian: Mich hat dann im Nachhinein einer von den „Squat Tempelhof“-Aktivisten gefragt, ob ich meinen würde, ob der Flughafen denn so zeitig geöffnet worden wäre, wenn diese Aktion nicht stattgefunden hätte. Da muss man einfach mal sagen, dass das dazu beigetragen hat, dass der Senat sich irgendwann genötigt sah, das Feld zugänglich zu machen.

Beate: Das glaube ich auch. Was ich noch beobachtet habe, war, dass morgens einzelne Leute überall versucht haben, durch den Zaun durchzukommen. Es gab mal hier und mal da ein Loch. Ich hab ja noch nie so viele Leute gesehen, die von Innen den Zaun reparieren. Ich war immer ganz gespannt, wo schon wieder Löcher im Zaun waren. Ringsum wurde von ganz vielen Anwohnern, aus Kreuzberg, aus Tempelhof, einfach mal versucht, den Zaun zu knacken. Ich denke, das hat das die Öffnung auch befördert.

Gerdi: Am nächsten Tag wurde auch klar, das Teile der Presse den Einsatz, dass da mit so einem riesigen Polizeiaufgebot eine leere Wiese geschützt werden musste, ebenso absurd fanden. Der Polizeieinsatz hat 1,2 Millionen EUR gekostet, was viele Leute unverhältnismäßig gefunden haben. Mit dem Geld hätte man wahrscheinlich sechs oder sieben Mal einen Tag der offenen Tür finanzieren können. Was für einen intelligenten Senat wahrscheinlich selbstverständlich gewesen wäre, aber damals war das eher so eine Fraktion von Dumpfbacken, die gemeint hat, sich mit Repressionen und der Arroganz der Macht profilieren zu müssen. Wären sie schlauer gewesen, dann hätten sie an diesem Tag das Gelände geöffnet und spätestens nach zwei Tagen wären die Besetzer wahrscheinlich selber wieder runtergegangen, weil es ihnen zu langweilig geworden wäre. Die befürchtete Besetzung, also dass sich da Hüttendorfer entwickelt hätten oder so, das wäre wahrscheinlich so gar nicht realisiert worden. Aber langfristig gesehen hat die ganze Aktion wohl schon dazu beigetragen, dass das ein öffentliches Thema geblieben ist. Sie hat dafür gesorgt, dass der Senat ein knappes Jahr später doch eine Öffnung ermöglicht hat.

TREND:  Beate, würdest Du auch zustimmen, dass von der versuchten Besetzung der entscheidende politische Druck ausgegangen ist, dass das Gelände dann ein Jahr später am 08.05.2010 geöffnet wurde?

Beate: Denk ich schon, dass das diese Sache befördert hat. Weil dann ja auch zu erwarten gewesen wäre, dass sich so eine Aktion wiederholt. Und so, wie ich unsere Streitkräfte hier kenne, haben die natürlich mit einer Eskalation gerechnet.

TREND:  Die nächste Frage geht auch an Dich. Haben die Ereignisse des 20.06.2009 irgendeinen Beitrag dazu geleistet, dass zwei Jahre später „100 % Tempelhofer Feld“ gegründet wurde? Gibt es denn irgendeine Kontinuität, irgendwelche Verbindungen zwischen „Squat Tempelhof“ und „100 % Tempelhofer Feld“? Oder sind Deiner Meinung nach beide Gruppen in so völlig unterschiedlichen politischen Räumen und Millieus angesiedelt, dass Kontinuitäten und personelle Überschneidungen unmöglich sind?
 

Beate: Also, da bin ich ehrlich gesagt überfragt. Bei der BI „100 % Tempelhofer Feld“ sind schon so viele Leute gekommen und gegangen. Da mag es mit Sicherheit Querverbindungen gegeben haben oder geben, aber nicht, dass ich jetzt erkennen könnte, dass es da irgendeinen Einfluss gibt. Ich denke schon, dass das auch von der Idee her, ich sag mal, Brüder im Geiste sind – aber vom Versuch her, das Feld zu retten, sind das unterschiedliche Ansätze.

Gerdi: Zumal sich die linksradikalen Gruppen von diesem Thema so mehr oder weniger zurückgezogen haben. Als am 8. Mai 2010 das Gelände geöffnet wurde, gab es noch mal eine große Demo aufs Feld, aber danach war dann auch Ruhe.

TREND:  Ich habe den Eindruck, dass „100 % Tempelhofer Feld“ auf gar keinen Fall mit einem autonomen Schmuddelimage wie von „Squat Tempelhof“ in Verbindung gebracht werden will. Erst mal die Frage an Beate: Warum ist z.B. auf der Website von „100 % Tempelhofer Feld“ über die versuchte Besetzung vom 20.06.2009 gar nichts zu lesen? Warum wird die Pionierarbeit, die von Initiativen wie „Tempelhof für Alle“ und „Squat Tempelhof“ geleistet wurde, nicht erwähnt?

Beate: So weit ich weiß, war das ganz zu Anfang mal drauf.

TREND:  Aber wie ist denn Deine Einschätzung als Aktivistin von „100 % Tempelhofer Feld“, wie es dazu kommt, dass in dem offiziellen Auftritt der BI gar keine Bezugnahme stattfindet? Ich würde sagen, was an diesem Tag in dem Kiez los gewesen ist, wird sich so schnell nicht mehr wiederholen. Wie kann man diesen Tag vergessen, wenn es ums Tempelhofer Feld geht?

Beate: Was heißt vergessen? Die Leute haben ein anderes politisches Bewusstsein, würde ich sagen. Und da sind viele in der Initiative dabei, die damit nicht in Verbindung gebracht werden wollen. Ich meine auch, dass viele von diejenigen, die zu „100 % Tempelhofer Feld“ gestoßen sind, davon gar nichts mehr wissen.

Gerdi: Davon würde ich auch mal ausgehen, dass die Leute, die da jetzt seit einem Jahr z.B. mit der Unterschriftensammlung aktiv gewesen sind, von dieser Geschichte wahrscheinlich gar keine Ahnung haben. Die haben das nicht mitgekriegt, und ich habe auch gar keine Ahnung, ob die das interessiert. Es gibt ein paar Ältere, die das ganz genau wissen, die auch die ganze Entwicklung mitbekommen haben. Aber die haben da eh nichts mehr zu sagen.

TREND:  Aber kannst Du mir dann sagen, ob es da irgendwelche personellen Kontinuitäten gegeben hat?

Allgemeines Gelächter.

Gerdi: Ja, in dem Sinne, dass es, während es „Tempelhof für Alle“ gab, parallel auch andere Initiativen wie „Tempelhof Nachnutzung“ gab oder die Bürgerinitiative „Tempelhofer Damm“. Diese Leute haben noch bei „100 % Tempelhofer Feld“ mitgemischt und sind zum Teil heute noch aktiv. Nur halt nicht mehr in der selben Zusammensetzung. Bei „Tempelhof Nachnutzung“ war Köster aktiv, quasi der Gründer von „100 % Tempelhofer Feld“, ebenso Herrmann Barges, der zweite Chef. Von daher gibt es schon Kontinuitäten. Gut, als das Feld dann offen gewesen ist, ein Jahr danach oder so, da kam L. Köster mit der Idee von „100 % Tempelhofer Feld“. Er hat dann auf einer Veranstaltung, die in unserem „Stadtteilgarten Schillerkiez“ stattgefunden hat, seine Ideen zur weiteren Entwicklung des Geländes propagiert. Das war 2010.

Beate: Das ist zusammengeflossen. An vielen Ecken wurde da auch geratscht und getratscht, und daraus ist dann die Initiative entstanden. Aber leider hast du da schon immer Leute mit dabei gehabt, die eher sich selbst transportieren als „100 % Tempelhofer Feld“.

TREND:  Ich möchte noch mal kurz auf die Frage von vorhin zurückzukommen: Wie kommt es, dass die ganze Vorgeschichte bei „100 % Tempelhofer Feld“ gar keine Erwähnung findet, während die Kampagne zum Volksentscheid läuft? Christian, wie sieht Deine Einschätzung dazu aus?

Christian: Ich denke mal, dass mittlerweile bei dieser Initiative auch ganz viele Leute tätig sind, die erst in den letzten zwei, drei Jahren hier hergezogen sind. Die haben sich der Thematik angenommen, weil das direkt vor ihrer Haustür liegt. Die denken sich, das ist irgendwas, da kann ich mal bürgerschaftliches Engagement beweisen. Und dabei spiegeln sie genau das wider, wogegen wir ursprünglich angetreten sind: Wir wollten das Feld nicht für die Gentrifizierungsbagage öffnen, sondern für diejenigen, die Jahre, jahrzehntelang darunter gelitten haben, hier in einem Krach- und Dreckskiez zu wohnen – aber ein guter Teil von denen wohnt hier gar nicht mehr, sondern ist durch den Mietendruck und diese ganzen Eigentumsumwandlungen verdrängt worden. Und auch durch die Veränderungen mit den ganzen neuen Kneipen, Cafes und Galerien, das hat es ja auch manchen Leuten verleidet, hier weiter zu wohnen. Die alten Freunde, Bekannten und Nachbarn sind weggezogen, das soziale Umfeld ist abgebröckelt. Das sind dann eben die Auswirkungen des sogenannten Gentrifizierungsprozesses, die man ganz hautnah zu spüren bekommt.

Beate: Es sind viele mit dabei, für die ist „100 % Tempelhofer Feld“ erst mal 100 % Bürgerbeteiligung. Aber alles, ich sage mal, im parlamentarisch-demokratischen Sinne: 100 % Demokratie. Dass die Demokratie humpelt, das sieht man ja schon daran, wie mit dem Feld umgegangen wird. Die wollen es auf einem legalen, verfassungsgemäßen Weg durchsetzen, über einen Volksentscheid eben. Ich mag gar nicht daran denken, was passiert, wenn es so nicht geht.

TREND: Genau darauf komme ich jetzt zu sprechen. Wie schätzt Ihr die Chancen ein, durch den Volksentscheid die Bebauung und kommerzielle Nutzbarmachung des Feldes zu verhindern? Wie gut kommt das Argument an, dass Berlin Wohnungen braucht und dass das Feld der ideale Ort sei, auf dem sie gebaut werden können?

Gerdi: Was die Erfolgsaussichten angeht, bin ich sehr zwiegespalten. Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass genügend Unterschriften zusammen kommen und die jetzige Phase zustande kommt, ich bin davon ausgegangen, dass es ziemlich knapp wird. Von daher will ich mich jetzt überraschen lassen. Ich glaube, dass der Senat seine Propagandamaschine anschmeissen wird. Schon jetzt lässt er über die Medien die Bebauung als Allheilmittel gegen Wohnungsnot in der Stadt definieren und wird das so den Leuten leider unterjubeln können. Und wahrscheinlich wird das jetzt auch mit dem zweiten Alternativentwurf, den sie jetzt zur Abstimmung stellen, so ausgehen, dass weder der eine noch der andere Entwurf genügend Stimmen bekommen wird – damit das Abgeordnetenhaus hinterher wieder so entscheiden kann, wie es ihm paßt. Ich glaube, dieser zweite Alternativentwurf hat genau diesen Sinn und Zweck.

TREND:  Das ist also Kalkül?

Beate: Ja, das ist Kalkül. Der Senat war auch nicht in der Lage, einen anständigen Gesetzentwurf vorzulegen. Da muss man mal sagen, dass das, was „100 % Tempelhofer Feld“ erarbeitet hat, eine sehr saubere Sache ist. Das hat auch lange gedauert, da haben ja Fachleute anderthalb Jahre drangesessen, da ist jeder einzelne Buchstabe auf Gesetzeskonformität überprüft worden. Was bei dem Senatsentwurf nicht der Fall ist, der kann ja mal einfach was dahinschreiben. Das ist das Eine. Ich denke, der Senat wird das genau aus diesem Grund so gemacht haben, wie Gerdi das sagt: Wir schustern da schnell mal was zusammen, und was die anderen dazu sagen, ist uns egal. Rot-schwarz hat die Mehrheit, lasst die Oppositionsparteien mal ruhig kreischen. Natürlich wird das, auch wenn sie das Feld 20-stöckig bebauen, nicht die Wohnungsprobleme dieser Stadt lösen. Und keiner wird so bescheuert sein, dass er sich denkt, dass die da sozialen Wohnungsbau betreiben. Selbst wenn, löst das das Problem nicht. Ich sage mal, das ist eine Art „Land Grabbing“, dahinter steht eine Lobby. Das Klima ist auch so ein Punkt, der kommt, wenn überhaupt, meist immer so unter anderem vor. Wir brauchen das Feld als Freifläche, wir brauchen es als Erholungsgebiet. Zu sagen, die Leute, die hier jahrelang unter dem Flughafen gelitten haben, die mögen jetzt dafür belohnt werden, ist kein Argument. Weil, wie gesagt, die sind ja schon weg. Die sind rausgeflogen, weil die sich die Mieten nicht mehr leisten können und weil die sich zum Teil auch ausgeschlossen fühlen durch die jungen Leute, das ist ja auch eine ganz andere Szene. Die kommen damit nicht klar, dabei sind die meisten jungen Leute ganz nett. Bis auf ein paar Arschlöcher, die von zu Hause aus Sohn oder Tochter sind. Im Schillerkiez sind auch viele Leute angekommen, die dürfen gar nicht abstimmen oder wählen. Das heißt, wie das Ganze ausgeht, das wissen wir nicht. Aber ich bin auch nicht so pessimistisch wie Gerdi, dass ich mir sage, wir schaffen das nicht. Wir müssen das nur richtig transportieren. Um das auf eine einfache Formel zu bringen: 100 % Tempelhof, 100 % Bürgerbeteiligung, 100 % Demokratie. Und da können wir mal kieken, was die Nummer wert ist.

TREND:  Habt Ihr nicht den Eindruck, dass die Propaganda mit den in Berlin dringend benötigten Wohnungen gerade im Schillerkiez auf fruchtbaren Boden fällt? Lassen sich die Leute an dieser Stelle nicht abholen?

Beate: Nee, nicht alle. Es gibt einige, aber das sind dann auch Banker oder Architekten. Und nicht mal von denen alle. Weil die Leute die Entwicklung ja sehen. Die sehen ja, dass die Mieten gestiegen sind, und zwar überall. Ich glaube, so bescheuert ist dann doch keiner.

Christian: Ich finde, dass man die Baulobby mit den ganzen Architekten und Stadt- und Landschaftsplanern nicht unterschätzen darf. Ich schätze mal, dass in diesem Sektor stadtweit 15 000 bis 20 000 Leute beschäftigt sind, und die sind sehr rührig. Die füttern natürlich diese Propagandamaschinerie. Zu der Abstimmungsfrage meine ich, das es ganz schwierig ist, eine Prognose zu erstellen. Denn für den Senat kann die Sache, dass er sich so stark in die Diskussion mit einbringt, nach hinten losgehen. Da könnten sich immer mehr Leute denken, na ja, das ist schon ein wichtiges Thema, da muss man sich mal schon einen Kopf drüber machen, und vielleicht auch eine Entscheidung fällen. Normalerweise gehen zu einer Europawahl 30 bis maximal 40 %, aber weil das jetzt mit der Abstimmung verbunden ist, gehen da jetzt auf einmal 50 % hin – das wäre die größte Überraschung. Ich denke, es ist schon noch was möglich, aber das permanente Trommelfeuer von der Wohnungsnot wirkt einfach bei manchen Leuten.

Beate: Und „100 % Tempelhofer Feld“ und alle, die das Feld offen halten wollen, werden dann als Egoisten hingestellt. Du kommst nur über das Gefühl an die Sache ran, bei den wenigsten mit logischem Denken oder mit Argumenten. Kritische Architekten und Stadtplaner, die wissen, was los ist, haben bei uns unterschrieben. Die Propagandamaschinerie ist gerade erst angelaufen. Man muss zusehen, dass man nicht in so eine Ecke gestellt wird, von wegen: Da sind so ein paar irre aus dem Schillerkiez, die kreischen, „Das ist jetzt aber unser Feld!“ Ich wage zu behaupten, dass das Feld so eine Attraktion ist, dass, wenn es so bleibt, wie es ist, durch die Touristen auch eine ganze Menge Geld in die Kasse spült. Es kommen Leute aus allen möglichen Ecken, wenn du dich mit denen mal unterhältst, vor allem die Amis, die sagen dir nur: „Ah, der Central Park von Berlin!“ Genauso wird das Feld ja auch auf dem internationalen Immobilienmarkt angeboten. Und wenn man sich mit denen weiter unterhält, sagen die: „Ach, die Mieten, die werden ja noch teurer dadurch.“ Die haben das ja schon hinter sich, die kennen den Spaß ja schon. In Neukölln gibt es genügend Baulücken, auch in Tempelhof, die erst mal geschlossen werden können. Und wenn man in der Stadt mal über das Feld hinausguckt, wird man sehen, dass überall solche Sachen laufen, dass man im Moment sich sämtliche Freiflächen an Land zieht und gar nicht daran denkt, dass man mal irgendwo verdichten könnte.

TREND:  Lasst uns mal annehmen, am 25.05. wird gegen die Pläne des Senats und dafür abgestimmt, dass das Feld so bleibt, wie es ist. Was wird dann aus der Initiative? Löst sie sich auf oder wird sie dann aktiv bleiben?

Beate: Eigentlich hat sie dann ja ihren Sinn und Zweck erfüllt. Und dann kann sie mal drei Jahre in den Winterschlaf gehen, denn nach drei Jahren kann eine Änderung erfolgen. Ich glaube ja nicht, dass die Initiative sich dann auflösen wird, die würde sich dann von den Menschen her verändern, glaube ich.

TREND:  Betrachtet „100 % Tempelhofer Feld“ das Feld als einen Park oder als einen Freiraum? Konkreter: Wie steht die Initiative zu den Reglements der Grün AG, also zu den Öffnungszeiten, dem Zaun und dem Wachschutz?

Beate: Der Wachschutz, der ist ja manchmal schon fragwürdig.

TREND:  Das kann man aber von den Öffnungszeiten und von dem Zaun auch sagen.

Beate: Ja, na klar. Aber dazu gibt es auch keine einheitliche Meinung in der BI. Zum Einen ist der Zaun störend, weil die Leute würden auch gerne mal, wenn sie abends von Tempelhof kommen, übers Feld nach Hause laufen. Andererseits haben auch viele Leute Bedenken, dass sich sofort die Hasenheide erweitern würde. Der Zaun, mein Gott, der wirkt störend, aber auch irgendwie schützend. Ich möchte mir jetzt nicht ausmalen, wie das ist, wenn alle Leute dort die Hunde hinscheißen lassen, oder wenn sich kein Mensch mehr an die Auslaufgebiete hält. Das muss alles nicht sein. Das soll jetzt nicht ein Park sein wie viele andere, die teilweise vermüllt sind oder zerstört, oder dass du Schiss haben musst, dass dich plötzlich ein Junkie anspringt oder ein Dealer, wie das in der Hasenheide leider häufiger passiert. Also, einig ist man sich da nicht, ob der Zaun da weg muss oder nicht oder in Sachen Öffnungszeiten. Mit den Securities gibts oft genug Gezanke. Die Grün AG benimmt sich oft genug wie ein Lehnsherr, von wegen „Ja, ihr dürft, nein, ihr dürft nicht“, wegen jedem Schwachsinn muss man sich mit denen um eine Genehmigung ins Benehmen setzen. Jetzt gehen wir mal von einem Erfolg aus, ich sage ja immer: „25,1-prozentige Beteiligung“ und ich bin, um darauf auch mal zurückzukommen, der Meinung, dass die Tempelhof-Abstimmung die Europawahl hochhebt. Es werden mehr Leute hingehen. Darum machen die das auch so. Du glaubst ja wohl nicht, dass die das aus Freundlichkeit machen oder weil sie sagen, O.K., dann sparen wir Geld. Die erhoffen sich für ihre Europawahl auch mehr, so nach dem Motto: Na, wenn wir die Gestörten zu Tempelhof abstimmen lassen, dann legen wir gleich noch nen zweiten Zettel bei, das machen die mit, wir sind ja alle so artig demokratisch.

TREND:  Das heißt, wenn gegen die Senatspläne abgestimmt wird, ist es aus Sicht von „100 % Tempelhofer Feld“ in Ordnung, wenn der Zaun drumherum und das Reglement der Grün AG bestehen bleiben und die Security-Heinze dort auch weiterhin unterwegs sind?

Beate: Ob das in Ordnung ist, ist eine andere Frage. Die Leute haben sich daran gewöhnt. Die Leute haben es akzeptiert.

Gerdi: In dem Gesetzesentwurf von „100 % Tempelhofer Feld“ steht ganz am Ende eine Regelung drin, dass über diese Fragen noch mal weiter diskutiert werden kann. Wie das mit dem Zaun oder dem Wachschutz weitergeht, das soll in einer Art Benutzerrat weiter diskutiert werden.

Beate: Richtig. Es wäre ja schön, wenn die Initiative sich auflösen könnte, wenn sie ihren Zweck erfüllt hat, aber dann gehen ja diese „behutsamen Entwicklungen“ weiter. Und wegen der nächtlichen Schließzeiten: Na klar könnten da irgendwo Lampen hin.

Christian: Das ist ein Argument, weswegen sie sagen, dass die nächtlichen Schließzeiten nötig sind und dass das Gelände für eine 24-Stunden-Öffnung nicht ausreichend gesichert ist, um da ein oder zwei beleuchtete Querungen von Ost nach West und Nord nach Süd einzurichten. Zu dem Wachschutz muss man sagen, dass man den mittlerweile ganz schön runtergefahren hat. Wir haben da als Pioniere, als Zwischennutzer mit unserem Gartenprojekt die Erfahrung gemacht, dass die am Anfang wesentlich präsenter waren und sich viel mehr rausgenommen haben, um irgendwas anzumahnen und uns zu sagen, was statthaft und was nicht statthaft ist. Mittlerweile beschränken die sich in erster Linie darauf, herumzufahren, die brennenden Mülltonnen vor den Grillwiesen zu löschen und ab und zu mal jugendliche Kiffer zu vertreiben. Aber dieser Hunde- und Ordnungsgeschiche, wofür sie ja ursprünglich vorgesehen waren, kommen die nicht so richtig nach, also gegen die Vermüllung, gegen permanent freilaufende Hunde oder der Regelung von irgendwelchen widerstrebenden Interessen wegen der ganzen Extremsportler, die da unterwegs sind. Da kümmern die sich relativ wenig drum.

Beate: Man muss ja auch sagen, dass die meisten Leute auf dem Feld ganz vernünftig sind.

Christian: Für die Massen an Leuten, die da unterwegs sind, läuft das Ganze ziemlich cool und zivil ab.

Beate: Ist ja auch genug Platz, jeder kann sein Ding machen.

Christian: Das ist ja auch das Schöne und Charakteristische daran, dass man sich da auch wunderbar aus dem Weg gehen kann, wenn man unterschiedliche Bedürfnisse hat.

TREND: Noch eine Frage zum Abschluss: Welche Vorstellungen habt ihr, was das Feld sein könnte?

Gerdi: Na, das, was es ist. Ein Versammlungsort, ein Ort zum Spaziergehen oder ein Ort, um einfach in eine Ferne und Weite zu blicken, die es hier in Berlin sonst so nicht gibt.

Christian: Das finde ich auch. Einerseits ist das Feld eine schöne Spielwiese. Man darf allerdings diesen ganz wichtigen Punkt nicht vergessen, dass das Feld auch einen ganz wichtigen Effekt für das Stadtklima hat, wie Beate vorhin schon gesagt hat. Wenn es zugebaut würde, wüsste man gar nicht, welche langfristigen Auswirkungen das auf die Stadt hätte. Dieser Aspekt wird nicht deutlich genug gemacht, damit haben sich vielleicht nicht genügend Ökologen oder Meteorologen beschäftigt. Was natürlich auch nicht stimmt, ist, wenn der Senat immer sagt, dass mit dem Gesetzesentwurf der Initiative dann gar nichts mehr möglich ist, dass dann nicht mal mehr Parkbänke aufgestellt, Bäume gepflanzt oder ein Radweg gebaut werden dürfte – das ist ja alles Quatsch, das ist eine Desinformationskampagne, gegen die man sich einfach wehren muss. Was da von der Initiative „100 % Tempelhofer Feld“ an Argumenten aufgebracht wird, ist einfach ein bisschen zu zahm, da müsste man einfach mal ein bisschen klarer texten, auch bezüglich der Baulobby und der ganzen Bauskandale, die da drohen könnten. Natürlich wäre es auch weiterhin möglich, wie es auch schon in den Sommermonaten der vergangenen Jahre stattgefunden hat, dass die ganzen Konzerte und die ganzen anderen Vergnügungsgeschichten auf dem Platz vor dem riesigen Flughafengelände stattfinden, das ist ja eine prima Nutzfläche. Da kann man eine Menge machen. Da will ich mich auch gar nicht dagegen wehren, dass da noch was umgewidmet oder umgebaut wird – solange sie nicht anfangen, das zu privatisieren und ihren Kommerzaspekt konkret durchzudrücken.

Beate: Das Flughafengebäude muss sich ja auch erhalten. Wenn die das mit den ganzen Veranstaltungen finanzieren können, dann finde ich das doch wunderbar. Und lasst doch da Feten stattfinden, von mir aus können die dort jedes Wochenende rumjodeln und ihren Spaß haben. Ich denke, dass das Feld verdammtnochmal so bleiben soll, wie es ist. Auch aus klimatechnischen Gründen, was ja schön ausgeblendet wird. Es gibt da noch dieses alte Gutachten aus den 80ern, das stand eine Weile im Netz, aber jetzt nicht mehr. Dieses Klimagutachten sagt, dass man in Berlin für die drei Flächen, also für die drei Flughäfen dankbar sein sollte, weil die eben Klimaaustauschflächen sind. Das kann man nicht wegdiskutieren, aber man kann dieses Gutachten natürlich verschwinden lassen, zumindest erst mal aus dem Netz. Der Senat sollte sich mal trauen, etwas nicht zu bebauen. Mut zur Lücke. Die sollen die Finger von dem Feld und den Leuten darauf ihren Spaß lassen, als Touristenmagnet bringt es auch reichlich Kohle in die Stadt. Ich möchte gar nicht die Möglichkeit mit einbeziehen, dass da gebaut wird. Ich weigere mich einfach. Und gehen wir mal davon aus, dass die Initiative noch ein bisschen Biss hat, dass der Tiger mal wieder Zähne zeigt.

TREND:  Vielen Dank für Euer Erscheinen!

Editorische Hinweise

Das Interview fand am 29.3.2014 statt und wurde von Andrea E. für die TREND-Redaktion durchgeführt.