Anlässlich des 300. Geburtstags von Friedrich dem Großen
Friedrichs aufgeklärter Despotismus
Teil 4:
Barbarische Rechtspflege (*)

von Franz Mehring

5/6-12

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Am schärfsten tritt die Kurzsichtigkeit von Friedrichs innerer Politik auf solchen Gebieten hervor, auf denen man gerade von ihm, dem Philosophen und Poeten, ein besseres Verständnis seiner Pflichten hätte erwarten sollen.
Teil 1: Die Kompaniewirtschaft
Teil 2:
Die Legende vom friderizianischen „Sozialismus"

Teil 3:
Die Proletarisierung der bäuerlichen Bevölkerung

Sein Vater war ein banausischer Verächter von Bildung und Wissenschaft, aber er hatte noch eine Ahnung davon, daß geistige Kenntnisse zur Hebung des Wohlstandes und damit zur Stärkung der Finanzen beitragen. Er gründete Militär- und Volksschulen; er führte die allgemeine Schulpflicht wenigstens auf dem Papier ein. Das wurde unter Friedrich anders und viel schlechter. Er kümmerte sich um die Volksschulen sehr wenig, so gut wie gar nicht, oder um das Ding beim richtigen Namen zu nennen: er schlug sie einfach tot. Kurz vor dem Hubertusburger Frieden sandte er aus Sachsen, dem in seiner Art klassischen Lande des deutschen Schulwesens, acht Schullehrer nach Preußen, von denen vier in der Kurmark und vier in Hinterpommern angestellt wurden, aber dann verfügte der König, daß seine invaliden Soldaten die Schullehrerstellen erhalten sollten, so daß „war der Vorgänger ein nur nicht ganz unwissender Mann, die Schüler unterrichteter waren, als der in Waffen ergraute Lehrer". Was alles den modernen Byzantinismus nicht gehindert hat, in Friedrich den „Heros der Aufklärung auf dem Gebiete des Schulwesens(1)" zu feiern. Allerdings machte der König auf diesem Gebiete keinen Unterschied zwischen seinen glücklichen Untertanen. Um die Hochschulen stand es ebenso elend, wie um die Volksschulen. Man braucht nur einen Blick auf die kläglichen Etats der vier Landesuniversitäten zu werfen. Duisburg hatte 5678, Königsberg 6920, Frankfurt a. O. 12 648 und Halle 18116 Taler Einkünfte. Die Besoldungen der Professoren waren jammervoll, die wissenschaftlichen Institute fast durchweg im tiefsten Verfalle"(2). Von dem einzigen Manne ersten Ranges unter den preußischen Universitätslehrern, von Kant in Königsberg, hat Friedrich nichts gewußt, wobei immerhin nicht vergessen werden darf, daß Kants epochemachendes Hauptwerk erst 1781 erschien und erst 1789, nach dem Tode Friedrichs, allgemein bekannt wurde. Dagegen würden wir von dem einzigen Universitätslehrer, dem Friedrich eine ansehnliche, ja glänzende Stellung gab, nichts mehr wissen, wenn Lessing diesem Geheimrat Klotz in Halle als einem Kabalenmacher und Nichtswisser ersten Ranges nicht eine unerfreuliche Unsterblichkeit beschert hätte. Und dabei mußten sich die preußischen Untertanen an jenen vier verfallenen Quellen wissenschaftlicher Erkenntnis genügen lassen; nach wiederholten Verfügungen Friedrichs sollte das Studieren auf nichtpreußischen Universitäten, und wenn es nur ein- Vierteljahr gedauert hatte, mit lebenslänglicher Ausschließung von allen Kirchen- und Zivilämtern, bei Adeligen sogar noch mit Einziehung des Vermögens bestraft werden.

Es gibt nur ein einziges Gebiet der inneren Verwaltung, auf dem Friedrich wirklich reformiert oder doch zu reformieren versucht hat; und es ist ein vor allem wichtiges Gebiet: nämlich die Rechtspflege. Er beseitigte gleich nach seinem Regierungsantritte die Folter; ferner hob er, wie für andere Beamte, so namentlich auch für die richterlichen, die „Infamie" des Ämterkaufs auf, obschon er an einer Besoldungssteuer festhielt; er verfügte auch, daß alle Sportein der Gerichte nicht dem einzelnen Richter, der sie veranlaßt hatte, sondern einer gemeinsamen Kasse zufließen sollten. Ferner sorgte n er für ein beschleunigtes Gerichtsverfahren, mit der Maßgabe, daß gemeiniglich jeder Prozeß'im Laufe eines Jahres zum rechtskräftigen Abschlüsse gebracht sein müsse. Endlich wollte er auch die Unabhängigkeit der Gerichte verbürgen; er sprach sich wiederholt gegen jede Kabinettsjustiz, aus. Aber freilich hatten auch hier die Dinge keineswegs jenes ideale Aussehen, das ihnen die französische Fabel von dem Müller in Sanssouci scheinbar gegeben hat. Friedrich schrieb wohl: die Gesetze müssen sprechen und der Souverän muß schweigen, aber er handelte allzu oft nach dem umgekehrten Grundsatze. Als Philosoph sah er in der Wahrung des Rechts die stärkste Wurzel der fürstlichen Souveränität, aber als König glaubte er eben deshalb überall eingreifen zu müssen, wo ihm die Gerichte das Recht nicht richtig zu handhaben schienen, womit dann die Kabinettsjustiz seines Vaters glücklich wiederhergestellt war.

Es liegt im Wesen des aufgeklärten Despotismus, daß der aufgeklärte Despot sich auch dann oder vielmehr dann erst recht in einem verderblichen Kreise herumbewegt, wenn er wirklich einmal einen Kulturfortschritt anbahnen will. Friedrich haßte die „Justiz nach der alten Leier", die nach seiner triftigen Behauptung immer den reichen Leuten geholfen hatte, die halb verkäufliche, halb versimpelte Justiz seines Vaters, der die Richterstellen teils nach den Einzahlungen in die Rekrutenkasse vergab, teils nach dem Grundsatze, daß Bewerber von „Kop" der Verwaltung, „dume Teuffel" aber der Justiz überwiesen werden sollten. Friedrich empfand auch ganz richtig, daß eine herkulische Arbeit zu vollbringen, ein wahrer Augiasstall zu reinigen sei, wenn er eine „prompte und unparteiische, kurze und solide Justiz administrirt" haben wollte. Aber die Schlußfolgerung, die er daraus zog und vom Standpunkt des aufgeklärten Despotismus nicht mit Unrecht zog, daß er nämlich „sich selbst darein meliren", daß er selbst auf dem Posten sein und jeden Augenblick dreinfahren müsse, wenn die Kabale sich einzuschleichen drohe, führte notgedrungen wiederum zu der verderblichen Kabinettsjustiz.

Man kann es dem König nicht eigentlich zum Vorwurfe machen, daß er es in erster Instanz bei der Patrimonialgerichtsbarkeit bewenden ließ, der Gerichtsbarkeit der Junker über die Bauern, bei welcher nach einem zeitgenössischen Worte „der Stock die Gelehrsamkeit ersetzte". Denn daran konnte er aus schon entwickelten Gründen beim besten Willen nichts ändern. Aber Friedrich hat auch in den landesherrlichen Gerichten der oberen Instanzen niemals für eine unabhängige Justiz gesorgt; er hat stets den Grundsatz zurückgewiesen, daß Richter nicht durch königliche Machtsprüche, sondern nur kraft eines richterlichen Urteils abgesetzt werden könnten. So fegte Cocceji des Königs rechte Hand in Justizsachen, einmal das ganze Kammergericht bis auf zwei Räte aus, darunter Männer, die seit Jahrzehnten unverweislich ihre Pflicht erfüllt hatten, ohne jedes Urteil, ja ohne jede Anklage, nur um die erledigten Stellen mit seinen Kreaturen zu besetzen. Friedrichs gesunder Widerwille gegen jede Justizverschleppung machte es nach und nach bei ihm zur fixen Idee, daß die Beendigung jedes Prozesses im Laufe eines Jahres der Inbegriff nicht nur einer ,,kurzen", sondern auch „soliden" Justiz sei; die Prozeßordnung, die Cocceji entwerfen mußte, nennt sich schon in ihrem Titel „das Projekt des Codicis Fridericiani Marchici, nach welchem alle Prozesse in einem Jahr durch alle Instanzen zu Ende gebracht werden sollen und müssen". Um dieses Ziel zu erreichen, umging Friedrich die ordentlichen Gerichte und setzte Immediat-Kommis-sionen ein; „mit wahrem Vergnügen" stellt er in einer Kabinettsordre vom 11. Mai 1747 fest, daß eine solche Kommission unter Coccejis Vorsitz binnen Jahresfrist am Hofgericht in Stettin 1600 und am Hofgericht in Köslin 720 Prozesse „abgetan" hat. Wie es bei dieser summarischen Justiz herging, sagt erschöpfend das lakonische Wort des Justizministers Jarriges: „Marsch! Was fällt, das fällt." Nicht ohne Grund sah Friedrich eine Ursache der Prozeßverschleppung in der damaligen Advokatur, die von seinem Vater grausam verfolgt worden war und infolgedessen zweifelhafte Subjekte reichlich genug in ihren Reihen hatte. Aber es trug gewiß nicht zur Hebung dieses Berufs bei, daß Friedrich neben mancher verständigeren Anordnung als Hauptmittel der Besserung die Kassation fortdauernd über dem Haupte jedes Advokaten schweben ließ; fehlten andere Gründe, so wurden des abschreckenden Beispiels wegen von Zeit zu Zeit einige beseitigt. So im Jahre 1775 ihrer sieben.

Der König hielt sich für den obersten Richter, der nur wegen der praktischen Unmöglichkeit, jeden einzelnen Rechtsfall selbst zu entscheiden, einen Teil seiner richterlichen Gewalt auf andere übertragen habe, und in seinem königlichen Willen sah er die Quelle, welche die dürre Heide des geschriebenen und überlieferten Rechts gewissermaßen erst befruchtete. Vor allem auf dem Gebiete des Kriminalrechts suchte er diese Auffassung, soweit als nur1 immer möglich war, praktisch durchzuführen. In allen wichtigeren Fällen mußten die Erkenntnisse durch landesherrliche Gerichte gefällt und, wenn es sich um bedeutendere Strafen handelte, vom Landesherrn bestätigt werden. Sträflinge durften auf den Festungen nur auf Grund einer königlichen Ordre angenommen werden. Friedrich ließ hieran nie etwas ändern; er glaubte so die Untertanen am besten vor Unterdrückung gesichert; er wollte sich auch wohl vorbehalten, die scheußlichen Strafen der Karolina, die noch immer das preußische Strafrecht war, zu mildern. Aber der Justizminister v. Arnim, der als Chef des Kriminal-Departements die genaueste Sachkenntnis gewonnen hatte und übrigens den König lebhaft bewunderte, hat gleich nach dessen Tode in einer ausführlichen Schrift dargetan, wie wenig auf diesem Wege erreicht wurde. Indem der König sich an keine Grundsätze binden wollte, verfiel er in Launen, und gemeiniglich verschlimmerte er das Übel, das er beseitigen wollte.

Sogleich bei seiner berühmtesten Justizreform: der Aufhebung der Folter. Die Tortur war nicht in dem Sinne eine sinn- und zwecklose Grausamkeit, daß sie von bösen oder dummen Menschen erfunden worden war und von einsichtigen oder guten Menschen einfach aufgehoben zu werden brauchte. Sie bildete vielmehr die Spitze des damaligen Kriminalprozesses, der die gesetzliche Strafe nicht ohne Eingeständnis des Angeklagten verhängen durfte und deshalb die Folter anwenden mußte, um einem nach der Überzeugung des Gerichtshofes sonst überführten Verbrecher auch das zur Verurteilung notwendige Geständnis zu entreißen. Deshalb hatte selbst Thomasius die Tortur nicht unbedingt zu verwerfen gewagt, und wenn Friedrich wirklich mit der barbarischen Gewohnheit brechen wollte, so mußte er eben den Kriminalprozeß gesetzlich reformieren. Aber daran dachte er nicht im entferntesten; er entschied von Fall zu Fall, sicher, daß er in jedem Falle das Rechte treffen werde. Ein Aufsehen erregender Fall, in dem die Unschuld des Angeklagten gerade noch entdeckt wurde, als er schon auf die Folter gebracht werden sollte, veranlaßte ihn zur Anweisung an die Gerichte, nicht mehr auf Tortur zu erkennen. Dann aber verfügte der König in einem anderen Falle,, in dem die Verurteilung eines zweifellos schuldigen Verbrechers an dessen Leugnen zu scheitern drohte, daß mangelnde Geständnis durch — Prügel zu erzwingen. Damit war denn die Tortur in einer neuen und gefährlicheren Form wiederhergestellt. Sie hatte früher nur auf Grund eines förmlichen Erkenntnisses landesherrlicher Gerichte angewandt werden dürfen, während nunmehr jedem Untersuchungsrichter gestattet war, nach Herzenslust zu prügeln; ,,die Inquirenten bedurften dazu keiner höhern Ermächtigung und wandten das erwünschte Mittel so energisch an, daß man bald einige eklatante Justizmorde zu beklagen hatte (3)".

Mit dem Willen des Königs als höchstem Gesetz hat es seine eigentümliche Bewandtnis. Entweder rüttelt er in eitlem Fürwitz an dem organischen Zusammenhange der historischen Entwicklung, und dann scheitert er oder zerstört, wo er schaffen möchte. Oder aber er begnügt sich mit dem Spielräume, den jeweilig die fürstliche Klasse hat, und dann erweist er sich keineswegs als Kind einer überirdischen Weisheit, sondern als das sehr ir dische Erzeugnis von Klasseninteressen. Wer daran zweifelt, daß die geistigen Lebensformen durch die materiellen Lebensverhältnisse bestimmt werden, mag nur einmal Friedrichs Strafrechtspflege studieren; das Beispiel ist um so beweiskräftiger, als es dem Könige mit seiner Justizreform bitterer Ernst war, als er auf keinem Gebiete so kräftig, wie auf diesem, seine philosophischen Anschauungen in seinem fürstlichen Handwerke zu verwirklichen strebte. Sein Moral- und Strafkodex in Sachen der sogenannten fleischlichen Verbrechen spiegelt mit 'fast grotesker Schärfe seine Bevölkerungspolitik wider. Er verbot die Kirchenbuße gefallener Mädchen und untersagte jedem, ihnen wegen ihres Fehltritts Vorwürfe zu machen. Er gestattete zwar, daß wenn einer in puncto sexi sich vergangen hatte, zwei Prediger ihm den begangenen Fehler zu Gemüte führen könnten, aber er fügte hinzu, „ohne zu poltern oder zu schelten" und keiner der Geistlichen dürfe davon etwas verlauten lassen bei Strafe der Kassation; es müsse alles wie in der Beichte gesprochen angesehen werden. Er begnadigte gänzlich in Fällen von Blutschande, die dennoch vor die Gerichte gelangt waren, oder was noch bezeichnender ist, als sich ein Ehemann bei Lebzeiten der Ehefrau mit der Tochter vergangen hatte, lehnte er die Begnadigung mit der Begründung ab: „Das ist zu gropf." Er gewann dadurch überhaupt eine so weitherzige Ansicht von den fleischlichen Verbrechen, daß er das über einen Kavalleristen wegen Sodomiterei gefällte Todesurteil mit der klassischen Randschrift kassierte: „Der Kerl ist ein Schwein; er soll zur Infanterie." Er beseitigte die Todesstrafe, die auf Abtreibung der Leibesfrucht gesetzt war, damit die Mutter durch spätere Fortpflanzung ihr Verbrechen wiedergutmachen könne, er ließ die Bigamie nicht nur ungestraft, sondern erkannte sie rechtlich an, wie beispielsweise beim General Favrat. Friedrich selbst hatte bekanntlich schon an einer Frau zuviel, und es wäre lächerlich, seine juridische und moralische Weitherzigkeit in geschlechtlichen Dingen einer persönlichen Lasterhaftigkeit zuzurechnen(4).

In schroffem Gegensatz zu dieser Weitherzigkeit und doch in vollkommenem Einklang mit ihr stand die barbarische Grausamkeit der friderizianischen Rechtspflege, soweit es sich nicht um die Lieferung, sondern um die Trainierung des Menschenmaterials für despotische Zwecke handelte. Bei militärischen und politischen Verbrechen, mochten sie auch nur „Verbrechen" nach der damaligen Staatsraison sein, schreckte Friedrich vor keiner noch so brutalen Verletzung der Rechtsform, vor keiner noch so entsetzlichen Strafe zurück. Da betrachtete er sich als unbeschränkten Herrn über Freiheit und Leben seiner Untertanen; da verhängte er Freiheits- und Lebensstrafen, wenn es ihm paßte, aus eigener Machtvollkommenheit und verschärfte ins Ungeheuerliche die richterlichen Urteile, die seiner Bestätigung bedurften. Er schlug es rundweg ab, wenn ihn einmal ein Oberst bei stark mildernden Umständen eines einzelnen Falles um eine Milderung der blutigen Kriegsartikel bat; er ließ den Geheimrat Ferber ohne Urteil und Recht wegen Verbreitung angeblich landesverräterischer Nachrichten in Spandau enthaupten und seinen Kopf auf einen Pfahl stecken. Namentlich mit den wachsenden Jahren des Königs nahm seine Kabinettsjustiz sehr überhand. Um ihr einigermaßen zu steuern, Vermied das Kammergericht nach Möglichkeit, auf Festungsstrafe zu erkennen; in einem Falle konnte es einen offenbaren Justizmord, auf den es nach Befehl des Königs erkennen sollte, nur dadurch hindern, daß es die Erledigung des Verfahrens bis über den Tod Friedrichs verschleppte.

In der Sache des Müllers Arnold, dem bekanntesten Falle der friderizianischen Kabinettsjustiz, spielten verschiedene Gesichtspunkte durcheinander. Eine Justiz, die das Recht des Bauern rücksichtslos gegen den Junker zu wahren schien, war ein treffliches Anziehungsmittel für bäuerliche Ansiedler aus der Fremde, und sie war auch ein derber Denkzettel für die gar zu patriarchalische Gerichtsbarkeit der Junker. Aber Friedrich wurde dabei doch in sehr empfindlicher Weise an die Grenzen seiner Macht erinnert. Er bog das Rechtsum in einem einzelnen Falle einem einzelnen Bauern zu helfen, aber als nunmehr Schwärme von Bauern das Schloß umlagerten und zu den Fenstern des Königs gerichtliche Urteile emporhoben, durch die sie viel schlimmeres Unrecht erfahren haben wölken als der Müller Arnold, da konnte er ihnen nicht helfen. Dazu wirkte noch ein militärpolitischer Gesichtspunkt in dieser berühmten Affäre mit. Der Müller Arnold hatte seine Beschwerden auf militärischem Wege zu den Ohren des Königs zu bringen gewußt, und Friedrich hatte irgendeinen unwissenden Kriegsknecht von Obersten mit der Untersuchung der Angelegenheit betraut. Auf dessen Bericht hin kassierte er die Richter des Kammergerichts, .die gegen den Müller entschieden hatten, in schimpflichster Weise und schrieb an den Minister v. Zedlitz, der sich weigerte, dem Gewaltakte hilfreiche Hand zu leisten! „Das Federzeug verstehet nichts. Wenn Soldaten etwas untersuchen und dazu Ordre kriegen, so gehen sie den geraden Weg und auf den Grund der Sache. Allein ihr könnt das nur gewiß sein, daß ich einem ehrlichen Offizier, der Ehre im Leibe hat, mehr glaube, als allen euren Advokaten und Richtern(5)".

So haben wir denn den aufgeklärten Despotismus Friedrichs nach seinem inneren Zusammenhange, seinen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in großen Umrissen geschildert. Ließ sich dabei eine gewisse Ausführlichkeit nicht vermeiden, so können wir uns über die Moral von der Geschichte um so- kürzer fassen. Es hieße Wasser in die Spree tragen, wenn wir noch nachweisen wollten, daß dieser aufgeklärte Despotismus mit dem Zeitalter der deutschen Humanität, dem Lessing die erste Bahn brach, schlechterdings gar nichts zu tun hat. An einem Dornstrauche können keine Feigen wachsen.

Es bleibt noch übrig, die Diplomatie und die Kriegführung Friedrichs auf den gleichen Gesichtspunkt zu untersuchen.

Anmerkungen

1) Weber in seiner Weltgeschichte nennt den König so. Wir beschränken uns auf wenige Worte über die Volksschule unter Friedrich, da diese Seite seiner Regententätigkeit in der bekannten, trefflichen Schrift von Seidel schon gründlich erörtert worden ist.

2) Preuß 3, 111 ff. und — ausführlicher — Martin Philippson, Geschichte des preußischen Staatswesens vom Tode Friedrichs des Großen bis zu den Freiheitskriegen l, 133ff. .Von diesem Werke sind nur die beiden ersten, bis zum Tode Friedrich Wilhelms II. reichenden Bände erschienen; nach deren Veröffentlichung wurden dem Verfasser die preußischen Archive gesperrt — von wegen seiner Tendenz. Gegen diese Tendenz ist nun allerdings insofern manches einzuwenden, als sie eine einseitig preußisch-patriotische ist. Herr Philippson weiß von Friedrichs „wahrhaft sozialistischer Allsorgfalt" zu erzählen und steckt auch sonst voller Illusionen über die friderizianische Zeit. Aber ein Hofgeschichtsschreiber ist er nicht. Er beschönigt die häßlichen und traurigen Dinge, die er in den Akten findet, nicht geflissentlich, sondern teilt sie offen mit, auf daß die Gegenwart aus den Fehlern der Vergangenheit lerne. Und diese höchst veraltete Anschauung .ist für die reine Wissenschaft des neuen deutschen Reichs natürlich strafwürdige — Tendenz.

3)  Alte und neue Rechtszustände in Preußen. Preußische Jahrbücher 5, 390.

4) Doch ist zu bemerken, daß diese Weitherzigkeit den König nicht etwa verleitete, mit der katholischen Kirche wegen der kirchlichen Strafen anzubinden, die sie auf die Übertretung kirchlicher  Eheverbote setzte. Friedrich war viel zu gescheit, um so „genial" wie der Herr Bismarck im „Kulturkampf" zu sein. Einen Übergriff seiner' Behörden in dieser Beziehung redressierte er sofort, indem er verfügte: „Indem sie (die katholischen Geistlichen) gedachtem Berkmeier die Absolution und das Abendmahl versagen, so geschieht ja dadurch kein Eingriff in unsere Rechte, welche uns in Ansehung der Dispensation in Ehesachen zustehen, sondern sie thun Anderes nicht, als daß sie den Supplikanten von einem Genuß ausschließen, dessen er sich durch seine in der römischen Kirche verbotene Heirath verlustig gemacht und den er nicht verlangen kann, so lange er ein Mitglied dieser Kirche ist."

5) In der Sache des Müllers Arnold geben die preußischen Mythologen meistens der Wahrheit die Ehre, und es ist deshalb zu bedauern, daß Dühring, Sache, Leben und Feinde 394, sie wegen ihrer „meist feige verhaltenen, aber doch hinreichend sichtbaren Bosheit gegen jene wirkliche Großtat des originalen Königs" verhöhnt. Eher versteht man es schon, wenn neuestens irgendein patriotischer preußischer Amtsrichter in guter Witterung der Zeit die rettende soziale Tat des Königs preist, die sich über formale Gesetzesbedenken hinweggesetzt habe. Übrigens scheint Friedrich selbst seinen Gewaltschritt bald als solchen erkannt und nur deshalb nicht zurückgetan zu haben, weil er seine königliche Unfehlbarkeit nicht bloßstellen wollte. Interessante Einzelheiten darüber bei Preuß 3, 522 ff.

Editorische Hinweise

*) Die Teilüberschriften stammen nicht vom Autor.

Franz Mehring: Friedrichs aufgeklärter Despotismus,entnommen aus: derselbe, Historische Aufsätze zur preußisch-deutschen Geschichte, 2. Auflage, Berlin 1946, S.90-97

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