Anlässlich des 300. Geburtstags von Friedrich dem Großen
Friedrichs aufgeklärter Despotismus
Teil 2: Die Legende vom friderizianischen „Sozialismus" (*)

von Franz Mehring

03/12

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Während nun aber Friedrich in der Militärverwaltung den junkerlichen Offizieren völlig freie Hand ließ, führte er in der Zivilverwaltung einen wahrhaft selbstmörderischen Krieg gegen das Beamtentum, indem sein Vater sich eine Stütze der königlichen Gewalt gegenüber den Junkern zu sichern gesucht hatte. Audi die Bürokratie wurde wenigstens in ihren maßgebenden Stellen von bürgerlichen Elementen gereinigt; während seiner ganzen Regierung hat Friedrich nur einen bürgerlichen Minister ernannt.

Ebenso gehörten die Landes- und Provinzialkollegien dem Adel; einzig als Präsidenten der Oberrechenkammer bevorzugte der König, bezeichnend genug, Bürgerliche. Immerhin hatte sich ein gewisses Klassen- und Pflichtbewußtsein in der Bürokratie erhalten, und es gereichte dem Generaldirektorium zur Ehre, als es sich nach dem Siebenjährigen Kriege der Absicht des Königs, für militärische Zwecke den jährlichen Steuerertrag um zwei Millionen Taler zu erhöhen, entschieden widersetzte und jede weitere Belastung des Volkes für unmöglich erklärte. Man muß sich nur die damaligen Zustände des Landes vergegenwärtigen, die Schmoller folgendermaßen schildert: „Zu Ende des Krieges waren die preußischen Provinzen in einem entsetzlichen Zustande; die Menschen-, Vieh-, Kapitalverluste waren übermäßig; ein Drittel der Berliner lebte von Armenunterstützung; in der Neumark gab es notorisch fast kein Vieh mehr; Tausende von Häusern und Hütten waren niedergebrannt; eine volkswirtschaftliche Krise der schlimmsten Art folgte dem Frieden und dauerte noch mehrere Jahre." Somit war das Generaldirektorium in seinem guten Rechte, wenn es dem bis auf den Tod erschöpften Lande zu den schon bestehenden schweren Lasten nicht noch neue Steuern auferlegt wissen wollte. Vielleicht war das Verständnis der Bürokratie für die Leiden der Bevölkerung auch dadurch geschärft worden, daß die Beamten während der letzten vier Kriegsjahre statt ihrer Gehälter sogenannte „Kassenscheine" erhalten hatten, die beim Wechsler nur mit vier Fünftel Verlust untergebracht werden konnten, und die nach dem Frieden von den königlichen Kassen mit dem schlechten Kriegsgelde, also mit ungeheurem Kursverlust eingelöst wurden.

Statt nun aber auf den pflicht- und sachgemäßen Einspruch des Generaldirektoriums zu hören, benutzte der König die willkommene Gelegenheit, dem preußischen Beamtentum einen letzten, vernichtenden Schlag zu versetzen. Er ließ aus Frankreich einen Haufen von Steuer- und Zollbeamten kommen, „eine Bande unwissender Spitzbuben", wie Hamann sagte; „Sansfassons und Raubmarquis, die man zur Ferme kommen ließ", wie Bürger in einer Ballade sang; „lauter Schurkenzeug", wie der König selbst nach fast zwanzigjähriger Bekanntschaft sie nannte. Ihnen übertrug er die Verwaltung der Akzise und der Zölle, denn aus den direkten Steuern war — wir werden gleich sehen, weshalb nicht — nichts mehr herauszupressen. Wie das so in Preußen alte Sitte ist, wurde die Erhöhung der Steuerlast abermals als eine „Reform" der Steuern ausposaunt. Der König sagte dem Franzosen de Launay, dem Leiter der neuen „Generaladministration der königlichen Gefalle", die im Volksmunde den kürzeren Namen der Regie erhielt: „Nehmen Sie nur von denen, die bezahlen können: ich gebe sie Ihnen preis." In einem Briefe an Launay nannte er sich den Anwalt der Arbeiter und Soldaten, deren Vorteile er bei der Steuerverwaltung wahrzunehmen habe, und in einem öffentlichen Patente erläuterte er die „Reform" der Steuern dahin, daß „die Reichen mit ihrem Überfluß in gewisser Weise zur Entlastung der Armen beitragen und daß zwischen beiden ein gerechtes und verständiges Verhältnis besteht". Dies sind die Sätze, auf denen die schöne Legende des friderizianischen „Sozialismus" beruht. Schade nur, daß die Apostel dieser Legende sich an der Bewunderung von Friedrichs Worten genügen lassen und stets hinzuzufügen vergessen, daß seine Taten über seine Worte dahinjagten wie ein Regiment schwerer Kavallerie über den Töpfermarkt.

Beispielsweise hatte der „Anwalt der Arbeiter und Soldaten" mit Worten die denkbar höchste Steigerung der Weinsteuer befürwortet, denn „so was bezahlt der Arme nicht", dagegen eine Herabsetzung der Branntweinsteuer Verlangt und höchstens eine kleine Steigerung der Biersteuer zugelassen. Dagegen verfügte der König mit Taten eine kleine Erhöhung der Weinsteuer, eine Steigerung der Branntweinsteuer mindestens um die Hälfte und die Verdoppelung der Biersteuer. In Wirklichkeit brachte die Regie den Volksmassen einzig eine teilweise Ermäßigung der Brotsteuer; dagegen erhöhte sie in mehr oder minder erheblichem Maße die Steuern auf Fleisch und Getränke, fügte sie zu dem drückenden Salzmonopol ein ebenso drückendes Tabaks- und Kaffeemonopol, unterwarf sie überhaupt alles, was der Mensch zum Leben und Sterben braucht, der Akzise, so daß beispielsweise das Verzeichnis der Akzisegegenstände für Berlin 107 Folioseiten umfaßte, deren jede durchschnittlich 30 bis 40 Artikel enthielt. Befreit von allen diesen Lasten blieb nach wie vor die reichste Klasse der Bevölkerung, nämlich der Adel. Zwar wollten die „Sansfassons und Raubmarquis", die es sich nicht vergebens hatten sagen lassen, daß ihnen die wohlhabenden Klassen preisgegeben seien und denen ohnehin in beklagenswerter Weise das historische Verständnis für die durch Lug und Trug ergatterte Steuerfreiheit der Junker fehlte, auch dem Adel ihre Schröpfköpfe ansetzen, aber hier legte der König ein sehr entschiedenes Veto ein. Nominell war zwar das platte Land überhaupt von der Akzise frei, aber da eben deshalb der Betrieb von Handwerk und Industrie mit wenigen Ausnahmen auf dem Lande verboten war, so mußte die ländliche Bevölkerung, was sie an Kleidung und Nahrung, an Arbeitswerkzeugen und Genußmitteln nicht selbst produzierte, aus den Städten entnehmen und in dem Preise, den sie dort entrichtete, auch die Verbrauchssteuer mit bezahlen. Hier also mußte die „gesetzliche" Steuerfreiheit des Landadels gegen die Gelüste der Regie noch besonders „verpanzert werden, und so verfügte Friedrich, daß ,vas die Junker an Bier, Wein und sonstigen steuerpflichtigen Gegenständen auf ihre Güter einführten, von der Akzise völlig befreit 'sein solle. Dagegen mußte der Bauer in dem Pfluge, mit dem er arbeitete, in dem Rocke, mit dem er zur Kirche ging, in dem Glase Bier oder der Pfeife Tabak, mit denen er auf Augenblicke seine nagenden Sorgen betäubte, auch noch zur Akzise mitsteuern.

Trotz alledem erreichte der König seinen Zweck nicht; die Regie hat ihm die jährlichen Mehreinkünfte nicht in dem ersehnten Maße gebracht. Nach den günstigsten Berechnungen hat sie in den 21 Jahren ihres Bestehens • etwa ebenso viele Millionen Mehrertrag abgeworfen, nach den wahrscheinlichsten noch erheblich weniger, etwa 7 bis 800 000 Taler fürs Jahr. Und mit Recht hat schon der alte loyale Preuß hervorgehoben, daß diese höheren Einnahmen in der langen, nur durch ein Kriegsjahr unterbrochenen Friedenszeit von 1766—1787 „durch erhöheten Wohlstand und vermehrte Bevölkerung bei redlicher Verwaltung" gleichfalls erzielt worden wären. Die Ursachen des Mißlingens liegen auch auf der Hand. Die Kosten der Akzise- und Zollverwaltung stiegen durch die Regie von'3 auf 800 000 Taler; außerdem waren die französischen Beamten durch Tantiemen beteiligt und .die meisten wirtschafteten daneben in ihre Taschen. Dazu kam, daß eine so drückende und raffinierte Besteuerung ununterbrochene Defrau-dationen erzeugte. Zwar bedrohte der König die Hinterziehungen der Akzise mit sehr schweren Strafen, und zu ihrer Verhütung entstand ein wahrhaft scheußliches Denunziations- und Spioniersystem, aber das alles half, wie immer in solchen Fällen, wenig oder nichts. Die Masse der Bevölkerung stand eben hinter den Schmugglern, und von Gewissensbedenken brauchte sie sich um so weniger plagen zu lassen, als der Schmuggel, soweit es sich um die Einschwärzung preußischer Waren durch die Zollschranken der benachbarten Gebiete handelte, keinen eifrigeren Beschützer besaß als den König. Unter diesen Umständen war es noch eine Art grönländischen Sonnenscheins, daß wenigstens das Haupt der französischen Beamten gerade kein „unwissender Spitzbube" war. Nicht als ob Launay irgendwelche Anwandlungen von sentimentalem Mitleid mit der so arg ausgebeutelten Bevölkerung gehabt hätte, aber von den technischen Möglichkeiten der Volksauspressung hatte er richtigere Begriffe als Friedrich. Er ließ sich eine fast unumschränkte Vollmacht über die Akzise- und Zollverwaltung sowie über ihre Beamten geben; er nahm für sich und drei ihm anfangs beigeordnete Regisseure Jahresgehälter von je 15 000 Talern an, während der ihnen anfangs zum Scheine vorgesetzte Minister von Horst nur 4000 Taler bezog. Aber als der König für die Berechnung der Tantiemen ihm und seinen Genossen 25 Prozent von dem Überschusse anbot, den sie über den Reinertrag der Akzise im Etatsjahre 1764/65 erzielen würden, hob Launay hervor, daß dieser Ertrag wegen der Nachwirkungen des Krieges mit noch nicht ganz 3'/a Millionen Talern nicht normalmäßig sei; er ließ als Norm erst den Reinertrag von 1765/66 mit etwas über 4 1/2 Millionen gelten, und von dem über diese Summe zu erzielenden Überschusse beanspruchte er auch nur 5 Prozent Tantiemen. Launay setzte auch durch, daß wenigstens die unteren Stellen der Regieverwaltung mit preußischen Beamten besetzt wurden, während der König die einheimischen Beamten hermetisch von der Regieverwaltung ausgeschlossen wissen wollte (1).

Gegen die ganze fürchterliche Plackerei der Regie, die Friedrich mit Stolz „mein Werk" zu nennen pflegte, machte die preußische Bürokratie nun aber noch einen pflicht- und sachgemäßen Vorstoß. Die ungeheuerliche Mehrbelastung des Massenverzehrs verursachte in dem dünn bevölkerten Lande, in dem die Arbeitskräfte sehr gesucht waren, eine Steigerung des Arbeitslohnes. Darüber erhoben die Kapitalisten das unvermeidliche Lamento und der König forderte von dem Generaldirektorium amtliche Auskunft über die Gründe der „noch immer fortdauernden Klagen 'derer Fabricanten und Kaufleute". In einer „Pflichtmäßigen Anzeige" wies darauf diese Behörde die „Behinderungen im Commercio in denen Königlichen Landen" nach; in der ruhigsten und sachlichsten Weise entwickelte sie die Schädlichkeit der Regie, hob sie die „verschiedenen im Lande eingeführten Monopolia, insonderheit den allergrößten Bedruck aus der General-Tabaks-Verpachtung", als „dem allgemeinen Commercio höchst schädlich" hervor, erklärte sie die Steigerung des Arbeitslohns aus der höheren Belastung der Getränke, des Fleisches usw. Kaum aber hatte der König diese Eingabe am 2. Oktober 1766 erhalten, als er eigenhändig auf ihrem Rande verfügte: „ich erstaune über der impertinenten Relation so sie mir schicken, ich entschuldige die Ministres mit ihre Ignorence, aber die Malice und die corruption des Concipienten muß exemplarich bestraffet werden sonsten bringe ich die Canaillen niemahls in der Subordination." Am nächsten Tage erfolgte dann auch schon die Kabinettsordre, worin Se. K. M. dero General-Directorio bekannt machen, „wie allerhöchst Dieselbe den Geheimen Finanzrath Ursinus cassiret und nach Spandau zur Festung bringen lassen" und worin allen Denjenigen, die sich auf den Wegen des Ursinus betreten lassen, angedroht wird, daß „Se. K. M. selbigen, es mögen Räthe oder Ministres sein, ohne alle Umstände arretiren und auf Zeit Lebens werden zur Festung bringen lassen". Mit dieser Gewalttat war der preußischen Bürokratie für Friedrichs Regierungszeit das Rückgrat gebrochen.

Anmerkungen

1) Die obigen Einzelheiten entstammen archivalischen Quellen. Siehe Walter Schultze, Geschichte der preußischen Regieverwaltung, 40 ff. In der Neuen Zeit 10, 2, 769 ff. ist näher dargelegt, wie es Herrn Schultze dennoch gelingt, nachzuweisen, daß der „Sozialismus", den Friedrich bei Einrichtung der Regie bewährte, „tiefer, idealischer, heroischer" sei, als der proletarische Sozialismus von heute.

Editorische Hinweise

*) Die Teilüberschriften stammen nicht vom Autor.

Franz Mehring: Friedrichs aufgeklärter Despotismus,entnommen aus: derselbe, Historische Aufsätze zur preußisch-deutschen Geschichte, 2. Auflage, Berlin 1946, S. 70-74

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