Anlässlich des 300. Geburtstags von Friedrich dem Großen
Friedrichs aufgeklärter Despotismus
Teil 3:
Die Proletarisierung der bäuerlichen Bevölkerung (*)

von Franz Mehring

04/12

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Wir haben die beiden großen Eingriffe des Königs in die Finanz- und Militärverfassung des Staats etwas ausführlicher geschildert, sowohl weil sie am klarsten zeigen, was es mit dem aufgeklärten Despotismus dieses Fürsten auf sich hat. als auch weil sich an ihnen das Wesen der Großen Männer studieren läßt. die regelmäßig das größte Unheil anrichten, wenn sie anfangen, die „Geschichte zu machen". Wir haben aber schon gesehen, daß Friedrich im allgemeinen viel vernünftiger war als seine Bewunderer, und daß er sich gar wohl in die ökonomischen Lebcnsbedingungen zu finden wuBtc, die ihm gegeben waren. Diesen Bedingungen entsprach es durchaus, daß er in seiner Wirtschaftspolitik einem platten Merkantilismus huldigte. Die merkantilistische Theorie war das ideologische Wirtschaftssystem des fürstlichen Absolutismus, der sich aus dem Warenhandel und der Warenproduktion entwickelt hatte. Die ökonomischen Zustände, welche sie widerspiegelte, ergaben ihre einseitige Betonung des Handels und der Ver-arbcitungsgewerbe. ihre Überschätzung der Bevölkerungsdichtigkcit und des baren Geldes als der Ware aller Waren, und endlich ihre Forderung, daß die neu entstandene Staatsgewalt alles zu fördern habe, woraus und weswegen sie entstanden sei: also Handel und Gewerbe, die Vermehrung der Volkszahl und der Geldmasse. Aber der Hammer schlägt nicht nur den Amboß. sondern der Amboß schlägt auch den Hammer: die Praxis erzeugt immer erst die Theorie, aber die Theorie gestaltet dann auch die Praxis. Das Merkantilsystem wurde für den Absolutismus ein Hebel seiner dynastischen Interessen: es ermöglichte ihm das Sophisma, wonach Geldbesitz und Reichtum einer Nation ein und dasselbe seien, und damit hatte er gewonnenes Spiel für die fiskalische Ausbeutung des Volkes. Je mehr Geld die Fürsten für ihre Heere und Höfe ins Land ziehen und im Lande behalten konnten, um so reicher wurde das Volk, und auch die sinnloseste Verschwendung war unbedenklich, „wenn das Geld nur im Lande blieb".

Überall, wo der Warenhandel und die Warenproduktion sich naturwüchsig in bedeutendem Umfange entwickelt hatten, so beispielsweise in Frankreich, konnte das Merkantilsystem nicht so leicht entarten, weil die Praxis unausgesetzt die Theorie im Zaume hielt; Colbcrt, der bedeutendste Staatsmann des Merkantilismus, wußte gar wohl, daß es „im Staate nichts Köstlicheres als die Arbeit der Menschen" gebe, und eine Glanzseite seiner Verwaltung war der Bau von Landstraßen, um den Verkehr zu fördern. In Deutschland dagegen hatte der Absolutismus mehr einen feudalen als einen kapitalistischen Ursprung, und so konnte oder mußte aus der ökonomischen Vernunft der merkantilistischen Theorie um so leichter eine absolutistische Unvernunft werden. Friedrich verfocht die "ebenso einleuchtende wie wahre" Ansicht: „Nimmt man alle Tage Geld aus einem Beutel und steckt nichts dagegen wieder hinein, so wird er bald leer werden", was denn eben die platteste Auffassung des Merkantilismus war, und er ließ die Landstraßen verfallen, damit ausländische Reisende um so länger aufgehalten würden, und um so viel mehr Geld im Lande verbrauchten. Noch weit bezeichnender, als der Vergleich zwischen Colbert und Friedrich, ist der Briefwechsel, den der König im Jahre 1765 mit der Kurfürstin-Regentin Maria Antonia von Sachsen wegen der gegenseitigen Handelssperre führte. Sachsen war unter den deutschen Teilstaaten der ökonomisch entwickeltste; die Leipziger Kaufleute verlangten schon den ganz freien Handel, und so schrieb die Kurfürstin an Friedrich: „Unser großes Prinzip ist die Freiheit des Handels und die Reziprozität der Vorteile." Aber Friedrich weiß darauf nichts zu erwidern als einige sentimentale Phrasen über die schlimmen Seiten von Gold und Silber, die leider notwendige Übel geworden seien. Und solche Notwendigkeit lege die Pflicht auf, diese an sich gemeinen und verächtlichen Metalle zu suchen. Er blieb der Ansicht seines Launay, daß die Schädigung des Auslands der Vorteil des Vaterlandes sei, eine Ansicht, die freilich auch noch Voltaire vertreten hatte, aber die Mirabeau doch schon ,,monströs und eines Staatsmanns im elften Jahrhundert würdig" nennt.

Gerade im brandenburgisch-preußischen Staat war der Merkantilismus nicht aus der ökonomischen Entwicklung erwachsen, sondern wurde die ökonomische Entwicklung nach den rnerkantilistischen Lehren zu leiten gesucht. Als der Merkantilismus im westlichen Europa längst in voller Blüte stand, gab die Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm kurz vor seinem Tode die erste namhafte Gelegenheit, große Kapitalien ins Land zu ziehen. Nicht ein religiöser, sondern ein ökonomischer Beweggrund veranlaßte ihn, die vertriebenen Glaubensgenossen in seine Staaten zu laden. Er hatte schon vorher einzelne kleine Versuche mit einer Seifen- und einer Zuckersiederei, mit einer Porzellanbäckerei gemacht, aber die ersten Fabriken und Manufakturen in größerem Umfange datieren erst aus der Zeit der französischen Einwanderung. Indessen auf diesem agrarisch-feudalen Boden mit seinen verkümmerten Kleinstädten blieben sie ein künstliches Gewächs, das im Treibhause der rnerkantilistischen Lehren mühsam gepflegt werden mußte. Es stimmte äußerlich vortrefflich mit diesen Lehren, daß der wachsende Militärstaat nach immer mehr Geld und Menschen schrie, aber dieser Militärstaat verschlang den Zuwachs an Geld und Menschen, den das Merkantilsystem für die Belebung von Handel und Industrie forderte, für seine Kanonen und seine Rekruten. Für Handel und Industrie blieb wenig oder nichts übrig, während gerade für sie, wenn sie in dem ungünstigen Boden der ostelbischen Landschaften gedeihen sollten, viel oder alles hätte aufgewandt werden sollen. Um aber die künstliche Pflanze dennoch am Leben zu erhalten, schenkte ihr der preußische Absolutismus seine liebevolle Sorgfalt in allerlei schönen Dingen, die ihn nichts kosteten: in Monopolen und Privilegien, in Aus- und Einfuhrverboten, in Lohn- und Preis-Taxen. in technischen Betriebsvorschriften, kurz in jenem verworrenen Chaos eines entarteten und seinem ursprünglichen Sinne gänzlich entfremdeten Merkantilismus, das in Mirabeau einen so beredten Ankläger gefunden hat. Er kann es nicht bitter genug tadeln, daß der König im Jahre 1766 die Einfuhr von nicht weniger als 490 Artikeln einfach verbot oder im Jahre 1774 auf die Ausfuhr der Wolle Todesstrafe setzte, aber er übersah, daß dieser besondere Merkantilismus eben die ideologische Wirtschaftsform dieses besonderen Militärstaates war und sein mußte.

Friedrichs ökonomische Einsichten und Kenntnisse hätten ungleich bedeutender sein können als sie waren, und es wäre doch nicht anders gewesen. So viel sah der König schon ein, daß die feinere Gewebe-lndustrie der Höhepunkt der damaligen ökonomischen Entwicklung war — sie war für das achtzehnte Jahrhundert, was die Eisen- und Kohlen-Industrie für das neunzehnte Jahrhundert ist — und er handelte im eigentlichen Geiste des Merkantilsystems, wenn er gleich nach seinem Regierungsantritt im Generaldirektorium ein eigenes Kommerzien- und Manufakturdepartement einrichtete, dem er besonders anbefahl, eine neue Industrie der seidenen Zeuge, der französischen Gold- und Silberstoffe etc. einzuführen. Aber während Frankreich und England die größten Opfer für ihre Seidenindustrie brachten, hat Friedrich während seiner ganzen Regierung nur etwa zwei Millionen Taler auf dies verzärtelte Lieblingskind gewandt(1). Er gab ihm wenig zu essen und zu trinken; dafür hütete er um so ängstlicher seinen dünnen Lebensfaden, indem er es in festgeschlossenen Räumen auf Schritt und Tritt gängelte. Bei dieser ihm so ans Herz gewachsenen, schließlich aber doch abgestorbenen Industrie ist es klar, daß der König nicht mehr tat, weil er nicht mehr tun wof/ie. sondern weil er nicht mehr tun (tOMHfe. Die Mittel fehlten ihm mehr als die Einsicht. In dem feudalen Militärstaate Preußen mußte der Merkantilismus ebenso auf die mittelalterlichen Bann- und Zwangsrechte zurückschlagen, wie er sich in dem bürgerlichen Industrielande England zum Freihandel entwickeln mußte.

Im Grunde tut die friderizianische Legende dem Könige bitteres Unrecht, wenn sie an allen zehn Fingern die bei alledem unzähligen Millionen aufzählt, die er namentlich nach dem Siebenjährigen Kriege in „landesväterlicher Fürsorge" für die Hebung der allgemeinen Wohlfahrt ausgegeben haben soll. Hätte der König wirklich die freie Verfügung über so bedeutende Mittel gehabt, wie er angeblich mit verschwenderischer Hand ausgestreut hat, so wäre seine Wirtschaftspolitik von dem Vorwurfe ungewöhnlicher Beschränktheit schwer freizusprechen. Tatsächlich hat er aber in den 23 Jahren von 1763 bis 1786 nach der Berechnung des Ministers v. Hertzberg, des verhältnismäßig sachkundigsten Urteilers, nicht mehr als 24.399.838 Taler für jenen Zweck ausgegeben. Wir sagen: des verhältnismäßig sachkundigsten Urteilers, denn wenngleich Hertzberg der bedeutendste und erfahrenste Minister in Friedrichs Spätzeit war, so gehörte es doch zu den unverbrüchlichen Grundsätzen des ersten Dieners des Staates, daß kein Minister eine volle Einsicht in die Lage des Staatshaushaltes gewinnen durfte. Alle Überschüsse der jährlichen Staatseinkünfte über die etatmäßigen Ausgaben sowie gewisse Regalien und Steuern flössen in die sogenannte Dispositionskasse, die der König allein mit einigen untergeordneten Werkzeugen verwaltete. Eine ziffernmäßig genaue Übersicht der fri-dcrizianischen Finanzwirtschaft ist dadurch sehr erschwert, wenn nicht ganz unmöglich gemacht, allein die Frage, auf die es uns hier allein ankommt, die Frage nach den Aufwendungen dieses aufgeklärten Despoten für das. was seine Bewunderer seine „sozialistische Staatshilfe" nennen. läBt sich wenigstens für die Zeit nach Einführung der Regie, also für die letzten zwanzig Jahre Friedrichs, wenn nicht mit absoluter, so doch mit relativer Sicherheit beantworten.

Er selbst gibt die jährlichen Staatseinkünfte für diese Zeit auf 21.700.000 Taler an. Sie werden von keiner Seite höher, von den meisten, sonst sachkundigen, Urteilern wie Boyen, Krug und Riedel etc. erheblich niedriger geschätzt. Jedenfalls sind sie erst in den letzten Jahren des Königs so , hoch gestiegen, der starken Akzise-Ausfälle in den Hungerjahren 1770 und 71. in dem Kriegsjahre 1778 nicht erst zu gedenken. Lassen wir es aber bei der von Friedrich angegebenen Ziffer für den ganzen Zeitraum bewenden! Von diesen Einkünften rechnet er 5.700.000 Taler als Überschuß. den er für den Kriegsschatz, Festungsbauten, Landesverbesserungen oder sonstige außergewöhnliche Ausgaben verwenden konnte. Diese Summe ist wieder denkbar hoch gegriffen. Denn 16 Millionen beanspruchte der regelmäßige Etat mindestens. Das Heer kostete jährlich 13 Millionen, die Hofstaatskasse, was wir heute Zivilliste nennen, erhielt 492.000. und die Regieverwaltung verschlang 800.000 Taler, so daß für die ganze übrige Staatsverwaltung nur rund 1.700.000 Taler übrigblieben, eine fast unglaublich niedrige Summe, selbst wenn man die miserable Besoldung der deutschen Beamten in gebührenden Anschlag bringt. Auf keinen Fall hat Friedrich mehr als die von ihm selbst angegebenen 5.700.000 Taler Überschuß gehabt. Dagegen ist seine Angabe, daß er davon regelmäßig 2 Millionen in den Kriegsschatz gelegt habe, nichts weniger als zweifelsfrei. Da er vor dem Jahre 1766 nicht wohl mit der Bildung eines neuen Schatze beginnen konnte, so hätten bei seinem Tode 40 Millionen darin sein müssen; alle sonstigen Berechnungen, soweit sie auch von 55 Millionen (Krug und Riedel) bis 76 Millionen (Lombard) auseinandergchen. stimmen darin übereinn, daß der König einen beträchtlich größeren Schatz hinterlassen hat, als nach seiner eigenen Angabe hätte erwartet werden dürfen. Lassen wir es indessen bei seinen 2 Millionen auf das Jahr bewenden!

Dann blieben ihm jährlich noch 3.700.000 Taler für außergewöhnliche Ausgaben, auf 20 Jahre gerechnet also 74 Millionen Taler. Nun hat er in dieser Zeit rund 8 Millionen für den Bau von Festungen, für Artillerie usw. verwandt; der Bayerische Erbfolgekrieg kostete 29 Millionen; endlich zahlte Friedrich 3 Millionen Subsidien an die Kaiserin Katharina für ihre Türkenkriege. Das sind im ganzen 40 Millionen. Ferner aber hatte der König, obgleich er persönlich aller höfischen Verschwendung abgeneigt war und nach einer Versicherung seines Testaments für seine Person nie mehr als 220.000 Taler jährlich verbrauchte, doch einzelne sehr kostspielige Liebhabereien. In seinem Nachlasse fanden sich 130 mit Brillanten und anderen kostbaren Steinen besetzte Dosen, die einen Gesamtwert von gegen 1 1 /2 Millionen darstellten. Viel schwerer noch fiel ins Gewicht, daß er in reichlichem Maße die Bauwut aller Despoten teilte. Die eine Tatsache, daß er gleich nach dem Kriege, mitten in dem fürchterlichsten Elend des Landes, den ebenso kostspieligen wie zwecklosen Bau des Neuen Palais in Potsdam begann, sollte ehrliche Leute schon hindern, den Mund gar zu voll zu nehmen von seiner "landesväterlichen Fürsorge". Nach Retzow kostete dieser Bau 11 Millionen und ebensoviel seine innere Ausstattung(2). Nehmen wir indessen an, daß Retzow, der dem Könige nicht wohlgesinnt war, arg übertrieben hat, so gibt doch ein unterrichteter und wohlgesinnter Zeuge, ein Baumeister Friedrichs, die Summe dessen, was allein in und bei Potsdam verbaut worden ist, auf mehr als 10 1/2 Millionen an (3). Es mag nun ganz unberedinct bleiben, was Friedrich für Bauten in Breslau. Königsberg. Berlin (die Bibliothek, die großen Kirchen auf dem Gendarmenmarktc. mehrere Brückenkolonnaden u.a. m.) aufgcwandt hat: Mangers 10 1/2. und die für die Dosen verausgabten 1 1/2 Millionen ergeben weitere 12 Millionen, die von den 74 Millionen abzuziehen sind, über die Friedrich in den letzten zwanzig Jahren seiner Regierung für außergewöhnliche Ausgaben verfügt hat. Es bleiben also für die Hebung des Volkswohlstandes nur 22 Millionen übrig, und um überhaupt auf Hertzbergs Ziffer zu kommen, muß man die gegen 2 1/2 Millionen einrechnen, die Friedrich nach seiner Angabe gleich beim Friedensschlüsse von Hubertusburg von den für den nächsten Feldzug bereitliegenden Geldern für die notdürftigste Wiederherstellung des Landes aufgewandt hat.

Es sei nochmals hervorgehoben, daß diese Ziffern keinen absoluten Wert haben sollen. Um ein möglichst erschöpfendes und zutreffendes Bild der friderizianischen Finanzwirtschaft zu geben, wäre bei der verwickelten Kassenführung des Königs und den höchst tendenziösen Darstellungen, die darüber veröffentlicht worden sind, ein eigenes Buch notwendig. Für unsern Zweck, nämlich festzustellen, welche Summe Friedrich günstigstenfalls für Landesverbesserungen verbraucht haben kann, war es aber erlaubt, auch mit ungewissen Ziffern zu rechnen, wenn wir unter den abweichenden Angaben immer die höchsten für seine gesamten Einkünfte und immer die niedrigsten für seine sonstigen Ausgaben einstellten. Dies haben wir durchweg getan, auch wenn wir in einem besonderen Falle es einmal nicht getan zu haben scheinen. So haben wir uns nicht entschließen können, die etatmäßigen Heereskosten Friedrichs von den 13 Millionen, die ältere und unbefangene Schriftsteller mit großer Übereinstimmung angeben, auf die 12.100.978 Taler herabzusetzen, die ein neuerer Historiker berechnet. Indessen dieser Historiker berechnet auch den hinterlassenen Kriegsschatz des Königs auf 63 Millionen, während wir dafür nach Friedrichs Angaben nur 40 Millionen angesetzt haben. Ein leichtes Rechenexempel ergibt, daß wir somit die Gesamtausgaben für Kriegsheer und Kriegsschatz noch immer niedriger eingeschätzt haben als jener Historiker. Und so darf man denn mit aller unter den obwaltenden Umständen erreichbaren Sicherheit sagen, daß Friedrich nach dem Siebenjährigen Kriege für die Bevölkerung des preußischen Staates an Geschenken, Erlassen, Unterstützungen, Vergütungen und industriellen Unternehmungen im günstigsten und leider nicht einmal wahrscheinlichen Falle die rund 24 bis 25 Millionen Taler verbraucht hat, die Hertzberg berechnet.

Die Summe selbst beträgt gerade den fünften Teil der Brandschatzungen allein in barem Gelde, die das Land im Kriege an die auswärtigen Feinde zu zahlen gehabt hatte. Das wäre nicht viel, aber es wäre immerhin etwas. Leider verdunkelt die Art, wie diese Summe auf die verschiedenen Klassen der Bevölkerung verwandt wurde, gar sehr den Schein des patriarchalischen Wohllebens, den sie etwa noch auszustrahlen scheint. Die Städte und die städtische Industrie erhielten davon wenig genug, die Bauern noch viel weniger, den Löwenanteil aber die Junker. Gegenüber den 25.000 Talern, die Friedrich den westfälischen Städten nach dem Friedensschlüsse zum Wiederaufbau ihrer Häuser und Straßen schenkte, oder selbst den 100.000 Talern, die Frankfurt a. d. O., die bedeutendste Handelsstadt der Mark, zu gleicher Zeit und zu gleichem Zwecke erhielt, scheffeln gleich ganz anders die mehr als 21 1/2 Millionen, die allein für den Adel Pommerns und der Neumark, zweier ungefähr den sechsten Teil des Staatsgebiets umfassender Provinzen, nach dem Siebenjährigen Kriege aufgewandt wurden, teils als Geschenke zur Bezahlung seiner Schulden, teils als Meliorationskapitalien für seine Güter. Diese Kapitalien waren unkündbar, und wenn sie mit 1 bis 2 Prozent verzinst werden mußten, so waren „die Interessen" zu „Pensionen für arme Offizierswittwen und vom Adel" bestimmt. Wir gehen indes auf diese Verhältnisse nicht näher ein und verweilen lieber etwas ausführlicher bei dem, was Friedrich für die große Masse der arbeitenden Bevölkerung, nämlich für die Bauern, getan hat. Einesteils fällt damit das schärfste Licht auf Friedrichs „landesväterliche Fürsorge", andererseits sind wir gerade über diese Frage durch eine ganz unanfechtbare Urkunde ausführlich unterrichtet.

Einer der wenigen deutschen Beamten, die Friedrichs Vertrauen bis an ihren Tod genossen, war, Johann Rembert Roden. Ein guter Organisator, hatte er sich in dem Hauptquartiere des Herzogs Ferdinand von Braunschweig ausgezeichnet und war von diesem nach dem Kriege an den König empfohlen' worden. Friedrich benutzte ihn vielfach bei der Wiederherstellung des Landes, übertrug ihm namentlich auch die Organisation von Westpreußen nach der ersten Teilung Polens im Jahre 1772, urid machte ihn dann zum Präsidenten der Obcrrechenkammer. Als solcher erhielt Roden 1774 den Auftrag, durch eine Reihe von Vorträgen den Thronfolger in die Finanzverwaltung des preußischen Staates einzuweihen, und er übergab dann zum Schlüsse seines Unterrichts dem Prinzen eine „Kurzgefaßte Nachricht von dem Finanzwesen". Diese lehrreiche, überall aktenmäßig begründete Urkunde ist glücklicherweise schon durch den alten Preuß. der noch nicht wie die heutigen, mit dem Zutritte zu den Archiven begnadigten Forscher vom Apfel der Erkenntnis gegessen hatte, unverstümmelt ans Tageslicht gezogen worden(4). Sie ist nicht frei von großen Lücken, denn Roden gleitet über die Akziseverfassung mit wenigen Sätzen hinweg: das Schicksal des Geheimen Finanzrates Ursinus mußte ihm warnend vor Augen schweben. Um so ausführlicher und gründlicher handelt er von der Kontributionsverfassung, d.'h. von der direkten Steuer, welche die bäuerliche Bevölkerung aufzubringen hatte, und dabei wtrft er Schlaglichter auf die Lage dieser Bevölkerung, die von,größtem Interesse sind.

Die Kontribution war nach der Ertragsfähigkeit der einzelnen Ländereien umgelegt, so zwar, daß sie einen bestimmten Teil dessen betrug, was der Bauer für seinen eigenen Bedarf und für den Verkauf erntete. Dieser bestimmte Teil war nicht in allen Provinzen ganz gleich bemessen; in der Mark und in Westpreußen belief er sich auf 33 1/3,  in Schlesien auf 34, in Pommern auf 42 1/2 Prozent, in anderen Landesteilen noch höher. Roden erläutert die Art dieser Steuer an einem Bauern im Dorfe Tempelhof bii Berlin, der von jeder Hufe zu 30 Magdeburgischen Morgen 8 Taler 3 Groschen Kontribution zu zahlen hatte (der Taler wurde damals zu 24 Groschen berechnet: nach heutigem Gelde betrug der Groschen also 12 1/2 Pfennig). Nun konnte der Bauer außer dem eigenen Verbrauch aber nur 13 Scheffel von dem Ertrage der Hufe verkaufen, welche, zu 18 Groschen gerechnet, ihm 9 Taler 18 Groschen eintrugen. Nach eingehender Darlegung dieser Verhältnisse fährt Roden dann wörtlich fort:

Der Bauer behielte also von seinem Gewinnste auf einer Hufe, nach Abzug der bezahlten Kontribution, nur 1 Taler,15 Groschen übrig, wovon er seine übrigen Prästanda unmöglich leisten kann. Diese sind:

Ferner hat der Bauer zu prästiercn die Feuersozietätsgelder. die Vorspannfuhren, die Bau- und Krepel-, auch Nachbarfuhrcn. die Dorfauflagen und andere Vorfälle mehr, das Gesindelohn, da er besonders Knechte wegen der vielen Hofedienste halten muß. so ihm zur größten Last gereichen: zu welchem Ende er auch mehr Pferde halten muß, weswegen die Einschränkung dieser Dienste eine vortreffliche Sache wäre.

Wir unterbrechen hier Roden für einen Augenblick, um zu bemerken, daß unter den „ändern Vorfällen mehr" sich auch noch sehr drückende Lasten befanden: so die Grasung der Kavalleriepferde aus den Wiesen der Dorfgemeinden während der Monate Juni bis September, in denen der Reiter eine brutale Herrschaft im Hause des Bauern führte; ferner für die anderen Monate des Jahres die Lieferung der Fourage, die zwar zu einem geringen Preise bezahlt, aber oft viele Meilen herangefahren und, wenn sie ohne weitere Scherereien abgenommen werden sollte, mit einem tüchtigen Überschuß zugunsten des Rittmeisters beladen sein mußte, endlich auch der schon erwähnte indirekte Beitrag der Bauern zur städtischen Akzise. Roden fährt dann fort:

Der Bauer würde, nach diesen angeführten Umständen, nicht bestehen können, wenn er sich nicht auf eine andere Art soutcnierte, z. B. daß er auf eine Hufe fast '* mehr aussäet, als ihm zur Kontribution angeschlagen, daß er aus dfm Viehstand Geld erwirbt und sich sonst durchzubringcn sucht. Aber er muß allen Fleiß anwenden und sich kümmerlich behelfcn. wenn er sich ehrlich ernähren und durch-biingen will, zumal wenn er sonst nichts anderes, als sein eigenes Wohnhaus und Hofgebäude so er noch Selbsten in Würden unterhalten muß. nebst dem dazu gehörigen Acker im Vermögen hat. Er kann daher keine Unglücksfälle, als Mißwachs. Hagelschaden, Mäusefraß. Überschwemmungen etc. übertragen, daferne ihm nicht alsdann durch Remission unter die Arme gegriffen wird, um ihn noch in etwas zu unterhalten. In ordinären Fällen wird ihm aus der Kreiskasse geholfen, in extraordinären aber tritt der Landesherr zu und läßt die Gelder bar an den Kreis übermachen, oder auch Brod- und Saatkorn in natura geben.

Man sieht danach, was es mit den so viel gepriesenen Steuererlassen, Geldvorschüssen. Kornlieferungen, wodurch Friedrich angeblich den Bauernstand in die Höhe gebracht haben soll, tatsächlich auf sich gehabt hat. Sie waren einzig dazu bestimmt, den Bauer, ohne den freilich weder der König noch der Junker leben konnte, auf der schmalen Grenze zwischen Hungerleben und Hungertod zu erhalten. Von hier aus fällt denn auch das richtige Licht auf die gleichfalls viel gepriesenen Kornmagazinc Friedrichs, die ..Blüte friderizianischer Wirtschaftspolitik", in der er „seinem Ideale dei allgemeinen Hausvaters am nächsten komme", wie selbst ziemlich unbefangene Forscher sagen. Friedrich verbot die Ausfuhr des Getreides, um seinen Preis möglichst niedrig zu halten; in einer seiner Instruktionen an das Generaldirektorium verlangt er, daß der Preis des Scheffels Roggen immer zwischen 18 Groschen und einem Taler festgehalten werde. Das geschah, um für sein Heer billiges Brot und für den Kriegsfall gefüllte Magazine zu haben, aber wenn er diese Magazine nun auch benutzte, um der bäuerlichen Bevölkerung Brot- und Saatkorn zu liefern, sobald ihr Hungerleben durch irgendein unglückliches Naturereignis in den Hungertod umzuschlagen drohte, so läßt sich dieser „Sozialismus" am Ende noch mit gemäßigter Hochachtung bewundern.

Man würde übrigens irren, wenn man in dem Bauern aus Tempelhof bei Berlin, den Roden schildert, den elendesten Typus des friderizianischen Bauern sehen wollte. In der Mark war der Prozentsatz der Kontribution roch am niedrigsten bemessen; wo er, wie in Friedrichs westfälischen Besitzungen, auf mehr als 50 Prozent stieg, verschlechterte sich entsprechend die Lage der bäuerlichen Bevölkerung. Roden schreibt darüber:

Die Kontributionsprinzipia sind im Mindcnschen so angelegt, daß zuvörderst die sämtlichen Ländcrcicn. Gärten und Wiesen durch diverse vcreidcte Taxatoren nach dem jährlichen Ertrage abgeschätzt sind: darnach ist die Kontribution dergestalt ausgemittclt, daß von jedem Taler Ertrag jährlich an Kontributionen 1) Gr. bezahlt wird. Die Hufe a 30 Morgen Magdeburgisch kommt im Durchschnitt der Totalste auf 19 Taler, 5 Groschen, 1/2 Pfennig, obgleich viel schlecht Land vorhanden: solchergestalt hat der Landmann noch 11 Gr. pro Taler übrig. Davon soll er sich und seine Familie unterhalten. die Haushaltung führen. Gesindelohn geben, dem Erb- oder Gutsherrn sein Pacht zahlen und die übrigen Lasten tragen, so schlechterdings unmöglich wäre, wenn der Bauer sich sonst nicht durchzuhelfen suchte. Im Minden-und Ravensbergischen ist er mit Frau, Kindern und Gesinde, sobald er nur vom Ackerbau eine Zeit, oder gar nur Stunden übrig hat, zumal im Herbst bei den langen Abenden und den Winter hindurch mit Garnspinnen zu Leinwand beschäftigt und damit sucht er sich zu ernähren: sonst müßte er davonlaufen, indem es dort viele Bauernhöfe gibt, die mehr Abgaben haben, als die Höfe auch in den besten Jahren aufbringen können.

So der kundigste Verwaltungsbeamte des friderizianischen Staates in offiziellster Urkunde, in dem Berichte, durch den er auf Befehl des Königs den Thronfolger in das Finanzwesen der Monarchie einweihen sollte.

Wir wollen um der Gerechtigkeit willen aus Rodens Darstellung nicht unerwähnt lassen, daß Friedrich wenigstens in den beiden von ihm eroberten Provinzen, in Schlesien und Westpreußen, den Adel zur Kontribution heranzog; hier standen ihm dfe Junker nicht mit altercrbter Macht gegenüber, und er mußte sie wegen ihrer Anhänglichkeit an Österreich und Polen scharf im Zügel halten. Aber auch auf diesem verhältnismäßig lichtesten Gebiete der friderizianisdien Steuerpolitik ist ihre Tendenz nicht, wie sie selbst behauptete, Entlastung das Armen auf Kosten des Reichen, sondern Belastung des Armen zugunsten des Reichen. So zahlte in Westpreußen — unter fast durchgängigem Wegfalle der Lehnpferdegelder — der evangelische Edelmann 20, der katholische — Grundgedanke des Nathan? — 25. der Bauer aber 33 1/3 Prozent Kontribution. Und ähnlich in Schlesien(5).

Stellt man nun aber jenen erdrückenden Belastungen der Bauern die ängstliche Sorgfalt gegenüber, womit Friedrich im allgemeinen die Steuerfreiheit des Adels beschützte, so kann man die edle Dreistigkeit jener Hofgeschichtsschreiber bewundern, die von dem „Bauernkönige" Friedrich schwatzen und die Hohenzollern durch Beschützung des kleinen Mannes groß werden lassen, so kann man den herrlichen Wert jener „Schulreform ' ermessen, die nach diesem Leitmotive den Geschichtsunterricht an den deutschen Schulen klittern will. Da sollten wir „gemütvollen" und „tiefsinnigen" Deutschen uns doch nur ja vor den „leichtfertigen" und „oberflächlichen" Franzosen verkriechen! Denen konnte Marx schon im Jahre 1869 nachrühmen, daß sie der napoleonischcn Legende mit allen Waffen der Forschung, der Kritik, der Satire, des Witzes den Garaus gemacht haben, und was ist die napoleonische Legende doch für ein ander Ding als die friderizianische! Der napoleonische Staat besteht in allem Wesentlichen, in der Heeresverfassung, in der inneren Verwaltung, im Finanz-, Justiz-, Unterrichtswesen noch fort, wie der erste Konsul ihn im Jahre 1804 begründet hat — natürlich nicht als Großer Mann, sondern als Erbe des Konvents —, und eine bürgerliche Verfassung, die drei Dynastien, drei Invasionen und selbst drei Revolutionen überstanden hat, kann denn doch eher schon zum Heroenkultus des Mannes führen, auf dessen Namen sie nun einmal getauft ist. Aber der friderizianische Staat, der bei Jena in tausend Stücke zerschmettert wurde unter der stürmischen Zustimmung der bürgerlichen und arbeitenden Klassen, die in ihm zu leben verurteilt waren, und eine feudal-militärische Verfassung, deren wüste Trümmer wie ein betäubender Alp auf allem gesunden Leben der Gegenwart lasten, dürfen sich immer noch, ja, je länger, je unbeschämter in einer Legende spiegeln, deren schüchterne Kritik im Reiche der Gottesfurcht und frommen Sitte schon als Hochverrat und Majestätsverbrechen gilt.

Friedrich selbst darf natürlich dafür nicht verantwortlich gemacht werden. Er ist ganz unschuldig an der kecksten Unwahrheit dieses Jahrhunderts, dem sogenannten „sozialen Königtum", und er würde den Humbug nicht einmal verstehen, wenn er se.tne wohlgesinnten Geschichtsschreiber von heilte lesen könnte. Was ihm als „monarchische Sozialpolitik" angerechnet wird, war einzig durch militärpolitische Gesichtspunkte bestimmt. An sich zwar gehörte es zu den Aufgaben des absoluten Königtums, die Leibeigenschaft der Bauern zu beseitigen, nicht aus Humanität, die ihm ganz fremd war und auch ganz fremd sein mußte, sondern aus fürstlichem Klassenintcresse. Die Leibeigenschaft stand wie eine Mauer zwischen dem Despoten und der Mehrheit der Bevölkerung: solange sie währte, hatte der Junker über die Bauern zu verfügen, und der König höchstens insoweit, als es ihm der Junker gestattete. Wir haben gesehen, wie sich seit der Entwicklung des stehenden Heeres dieser Interessengegensatz zwischen dem Könige und dem Junkertum bildete und verschärfte; schon die beiden ersten preußischen Könige rüttelten an der Leibeigenschaft und namentlich Friedrich Wilhelm I. erklärte, „was es denn vor eine edle Sache sei, wenn die Untertanen statt der Leibeigenschaft sich der Freiheit rühmen". Er war denn freilich auch wohl ehrlich genug, den Kabinettsordres, worin er den Behörden die „Konservation" der „Untertanen" empfahl, die Worte hinzuzufügen: „Damit der Landesherr seine Steuern erhalte", was bei der höchst merkwürdigen Ausbildung der alten deutschen Spräche im neuen Deutschen Reiche heute zu lesen ist: „Soziales Königtum der Hohenzollern". Friedrich selbst spricht in seinen Schriften mit lebhaftem Abscheu von der Leibeigenschaft als einem „barbarischen Gebrauch", einer „abscheulichen Einrichtung", aber er bekennt auch offen, daß es nicht in seinem guten Willen liege, damit aufzuräumen. Daraus läßt sich ihm gewiß kein Vorwurf machen. *Er konnte wirklich nicht, auch wenn er wollte, die Leibeigenschaft abschaffen. Sie war die ökonomische Zelle der Gesellschaft, deren politischer Repräsentant der preußische Militärstaat war, und der ..erste Diener" dieses Staats konnte ihr ebenso wenig anhaben als etwa die Zinne eines Turms auf den verwegenen Einfalt geraten kann, die Mauer umzustürzen, worauf sie ruht.

Ergibt sich diese Auffassung von selbst aus der ganzen Lage, so fügt es sich glücklich, daß sie sich sogar urkundlich bestätigen läßt. Einmal nämlich siegte der despotische Größenwahn über Friedrichs nüchternen Sinn, und am 23. Mai 1763 dekretierte er von Kolberg aus: „Sollen absolut, und ohne das geringste Raisonniren, alle Leibeigenschaften, sowohl in Königlichen, Adligen, als Stadtcigcnthumsdörfern. von Stund an gänzlich abgeschafft werden, und alle diejenigen, so sich dagegen opponiren würden, so weit möglich mit Güte, in deren Entstehung aber mit force dahin gebracht werden, daß diese von Sr. K. M. festgesetzte Idee zum Nutzen der ganzen Provinz ins Werk gerichtet werde." Darauf versammelten sich am 29. Juni die vorpommerschen Landstände in Demmin und richteten eine Promemoria an den König, worin sie sich halb als gekränkte Unschuld und verkannte Wohltäter der Bauern aufspielten, halb aber mit „Depeuplierung des Landes und Desertion vom Militär" drohten, „weil kein Bauer im Stande ist, den Hof, das Zuchtvieh und Ackergerät zu bezahlen, keiner aber auf den Fall, es ihm umsonst zu lassen schuldig, folglich ein jeder sich anderswohin zu begeben bedacht sein würde". So dummdreist diese Drohung war — denn der Junker hatte gar kein Recht auf den Hof des Bauern, und wa« half ihm der Hof, wenn kein Bauer da war, ihn zu bewirtschaften? —, so genügte sie doch vollkommen, den König lahmzulegen. Weder Gewalt, noch Recht konnten ihm helfen, denn das Heer befehligten die Junker und in Gerichtshöfen sprachen sie Recht. Er gab also klein bei. so sehr es sonst unter seinen Grundsätzen obenan stand, um seiner despotischen Unfehlbarkeit willen niemals einen Befehl zurückzunehmen.

So mußte sich Friedrich denn daiauf beschränken, in einem fortdauernden Kleinkriege seine militärpolitischen Interessen möglichst gegenüber dem gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse zu wahren. Es gibt eine große Anzahl von Kabinettsordres, worin, er diesem Ziele nachstrebt. Er kämpfte gegen das Bauernlegen, die „Abmeierung der Bauern", und bemühte sich, den Bauern das Eigentums- und Erbrecht an ihren Schollen zif sichern. Man kann sogar anerkennen, daß er in dieser Beziehung weiter blickte als der heutige Militärstaat. Wenn dieser in erstaunlicher Seelenruhe es ruhig mit ansieht, wie in weiten Fabrikdistrikten die Masse der arbeitenden Bevölkerung verkrüppelt, so eiferte Friedrich sehr häufig gegen die gesundheitsschädlichen Mißhandlungen der Bauern durch die Junker und die Domänenpächter. Wenn der heutige Militärstaat sich hartnäckig weigert, die unmäßige Arbeitszeit durch einen gesetzlichen Normalarbeitstag zu beschränken, weil er in seiner überstiegenen Weisheit davon eine Schädigung der Industrie befürchtet, so war sich Friedrich schon im Jahre 1748 darüber klar, wie er in einer Instruktion an das Generaldirektorium sagte, daß „bei den schweren und ganz unerträglichen Diensten echrentheils vor den Gutsherrn wenig Nutzen, vor den Bauersmann aber sein gänzlicher Verderb augenscheinlich herauskommt". Der König verlangt deshalb eine „serieuse Untersuchung, ob nicht sowohl Amts- als auch Städte- und adlige Untertha-. nen von diesem, dem Bauer so gar ruineusen Umstände in gewisse Maße befreiet und die Sache dergestalt eingerichtet werden könne, daß anstatt daß der Bauer jetzo die ganze Woche hindurch dienen muß, derselbe die Woche über nicht mehr als drei oder vier Tage zu Hofe dienen dürfe. Es wird dieses zwar Anfangs etwas Geschrei geben, allein da es vor dem gemeinen Mann nicht auszustehen ist. wenn er wöchentlich fünf Tage oder gar sechs Tage dienen soll, die Arbeit an sich auch bei denen elenden Umständen, worin er dadurch gesetzt wird, von ihm sehr schlecht verrichtet werden muß, so muß darunter einmal durchgegriffen werden, und werden alle vernünftigen Gutsherrn sich hoffentlich wohl accomodiren, in diese Veränderung derer Dicnsttage ohne Schwierigkeit zu willigen, um so mehr, da sie in der That ersehen werden, daß wenn der Bauer sich nur erst ein wenig wieder erholt hat, er in denen wenigen Tagen ebenso viel, und vielleicht noch mehr und besser arbeiten wird, als er vorhin in denen vielen Tagen gethan hat." Eine hausbackene, aber treffliche Wahrheit, die der „geniale" Herr Bismarck bekanntlich nie begreifen konnte, und die der neue Kurs im Deutschen Reiche bekanntlich auch noch immer nicht begreifen zu können scheint.

Wie vernünftig nun aber diese und ähnliche Instruktionen Friedrichs nicht nur klingen, sondern auch sind, so darf man dabei doch mehrerlei nicht übersehen. Erstens daß der König nicht für den Bauer gegen den Junker, sondern gegen den Junker um den Bauer kämpft. Er wollte eine andere Verteilung des aus dem Bauern gezapften Mehrwerts, eine für ihn günstigere und deshalb für das Junkertum ungünstigere, aber wenn der Proletarier etwa seinen Lohn auf Kosten des Mehrwerts zu steigern gedachte, so war Friedrich immer auf Seite der möglichst erschöpfenden Ausbeutung. So bedrohte er in der Gesindeordnung sowohl die Empfänger als unter Umständen auch die Geber eines" die Taxe überschreitenden Lohns mit Zuchthausstrafe, wogegen „es sich von selbst versteht", daß ein unter der Taxe bleibender Lohn erlaubt ist. Und wenn gar die Bauern unruhig wurden über die ..unerträglichen Dienste" und „ruineusen Umstände", dann wußte Friedrich auch nichts anderes, als was Große Männer unter solchen Umständen immer nur wissen, also was Luther im sechzehnten und Bismarck im neunzehnten Jahrhundert wußte. Als ein Jahr vor Friedrichs Tode die schlesischen Arbeiter zu murren begannen, schrieb der König an den schlesischen Provinzialminister v. Hoym: „Das Mehrste zur Beruhigung der Leute wird beitragen, da sie doch im Gebirge meistens evangelisch sind, wenn die Prediger ihnen zureden und alles ordentlich erklären ... sodann müssen auch die Schulzen, besonders da im Gebirge, scharf vigiliren, wenn sich etwa fremdes Gesindel sehen läßt, das Zusammenkünfte hält und dem gemeinen Volk allerhand Dinge in den Kopf setzt; diese müssen sie auf der Spur verfolgen und sobald sie den geringsten Unrath merken, sie sogleich bei den Ohren nehmen und an die Gerichte abliefern." Die Ordre ist, wie gesagt, im Jahre 1785 erlassen. Sonst könnte man fast meinen, sie stamme aus dem. Jahre 1878, wo auch erst die Religion dem Volke erhalten werden sollte und dann das Sozialistengesetz auf dem Fuße hinterdrein marschiert kam.

Zweitens aber hat Friedrich mit jenem Kleinkriege nicht viel erreicht. Am ehesten noch etwas in den beiden eroberten Provinzen Schlesien und Westpreußen, wo der König leichteres Spiel mit den Junkern hatte. So zwang er die schlesischen Grundherren zur Wiederherstellung der bäuerlichen Hütten und Scheunen, zur Ausstattung der Bauerngüter mit Vieh und Gerät. Aber sein eigenes Interesse, die Sorge um seine Kassen und seine Rekruten, war auch hier die Grenze, die er nicht überschritt. Zudem liegt auf der Hand, wie wenig damit gesagt, geschweige denn getan war. wenn er den schlesischen Bauern das Recht gewährte, sich über strenge körperliche Züchtigung bei den Regierungen zu beschweren, oder wenn er in Westpreußen die „polnische Sklaverei", den »harten, polnischen Fuß" auf die „preußische Landesart" gemildert wissen wollte. Die ehrlicheren bürgerlichen Historiker machen denn auch kein Hehl aus der Erfolglosigkeit dieser Bemühungen. ,,Die alten Verhältnisse blieben... Bei dem allen blieb der Landmann gebunden, scholleigen der Masse nach" (Preuß); „praktisch hat dies alles fast gar keine Frucht getragen: nicht einmal auf den Domänen, wo der Erfolg doch so leicht gewesen wäre" (Röscher). Als der König vierzehn Tage vor seinem Tode bei dem Kammerpräsidenten von Königs-' berg anfragte, ob „nicht alle Bauern in Meinen Acmtern aus der Leibeigenschaft" gesetzt werden können, schrieb er selbst das treffendste Urteil über seine Bauernpolitik.

Drittens und letztens aber — selbst wenn man Friedrichs angebliche Verdienste um die Bauernbefreiung so hoch schätzen wollte wie die preußischen Byzantiner, so würden diese Verdienste dennoch mehr als aufgewogen durch Friedrichs Gemeinteilungsgesetze, die Aufteilung der Gemeinweiden, die seltsamerweise auch von den besseren, bürgerlichen Historikern, so von Freytag und Röscher, als eine Art sozialer Reform aufgefaßt werden, tatsächlich aber nach einem Worte von Rudolf Meyer darauf hinausliefen, daß die Gemeinweiden „meist den großen Gütern zugeschlagen und damit die kleinen Leute, wenn auch teilweise gegen Entschädigung, der freien Viehweide beraubt, teilweise proletarisiert und somit für den Gutsgesindedienst adaptiert wurden". Dies „eifrige Wegräumen aller solchen Beschränkungen des freien Grundeigentums, die mit dem mittelalterlichen Gemeindewesen zusammenhängen", lief in der Tat auf die Proletarisierung der bäuerlichen Bevölkerung hinaus, und wenn Röscher darin die helle Seite des „Janus-kopfet' sieht, den Friedrichs agrarische Sozialpolitik biete, so mag man sich nicht leicht einen zu dunklen Begriff von dessen dunkler Seite machen (6).

Unter solchen Umständen ist der Verfall des preußischen Ackerbaus unter Friedrich, den sogar die patriotischen Geschichtsschreiber anerkennen, leicht zu erklären — trotz der reichen Geldspenden, die er für die ..notleidende Landwirtschaft", will sagen die Junker, stets bei der Hand hatte, und auch trotz seiner so viel gepriesenen „Kolonisationen". An sich waren seine Landesmeliorationen, die Verwallung der Netze und der Warthe, die Urbarmachung des Drömlings und des Oderbruchs sowie vieler kleinerer Sumpfstrecken in Pommern, in der Mark, im Magdeburgischen, gewiß der beste Teil seiner Wirtschaftspolitik und wohl mochte der König mit berechtigtem Selbstgefühl sagen, hier habe er im Frieden eine neue Provinz erobert. Allein es ist eine tragikomische Entstellung der Sachlage, wenn dabei seine Bewunderer in seine Seele das faustische Sehnen dichten, auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehen. Da klingt es viel prosaischer, ist aber viel richtiger, wenn Roden schreibt: ,,Sr. K. M. allergnädigste Intention gehet dahin, daß. wenn bei den Städten, oder denen von Adel wüste Gründe und Brücher vorhanden, diese aber nicht im Stande wären, solche urbar zu machen, alsdann der Landesherr zutreten, solche auf Höchstdero Kosten urbar machen, Häuser bauen und solche mit Familien besetzen lassen müßte: die Revenuen blieben zwar der Stadt und dem von Adel, das Land würde aber doch dadurch immer mehr und mehr peuplieret und per indirectum profitierten doch die Königlichen Kassen und der Staat davon." Den Hauptvorteil zog „der von Adel", denn gegen den adligen Landbesitz war der städtische kaum zu rechnen. Mit der Ansetzung der Kolonisten hatte der König wenig Glück. Er nahm dazu nicht etwa die jüngeren Söhne der heimischen Bauern, wie schon zeitgenössische Schriftsteller rieten, sondern suchte in der einseitigen Bevölkerungspolitik seines Merkantilismus möglichst viel fremdes Volk ins Land zu ziehen. Da aber sein Despotismus im Reiche und im Auslande durchaus keines einladenden Rufes genoß. so mußte er den Einwanderern die größten Vorrechte in Sachen der bäuerlichen, militärischen und steuerlichen Lasten versprechen, ohne doch viel anderes zu bekommen, als verlorenes Gesindel. Statt wirklicher Bauern kamen, wie er einmal sagt, „Perruquiers und Commedianten" oder, wie er ein andermal klagt, „Barbiere, Destillateure. Viktualienhändler, Apotheker. Köche, Kuchenbäcker, Glücksbudner"; ein drittes Mal suchte er gar die türkischen Tataren anzulocken unter dem Versprechen, ihnen Moscheen zu bauen. Über die Kolonien in Ostfriesland schreibt der alte Schlosser: "Gesinde! aller Art strömte herbei, der Verfasser dieser Schrift selbst hat gesehen, wie unsicher dadurch die an sich unzugänglichen Gegenden wurden, wie des kargen Königs Geld dabei verschwendet ward und wie die Bewohner seiner kostspieligen Anlagen schon nach zwanzig Jahren durch Elend, Trägheit, Schmutz, Bettelei, Raub und Mord ein Schrecken der alten Einwohner geworden waren." Die 300.000 Kolonisten, die Friedrich angesetzt haben soll, waren also eine sehr zweifelhafte Vermehrung der Bevölkerung, und der an sich wohlgemeinte Versuch des Königs, die durch die Leibeigenschaft „faule und schläfrige Art des Landmanns durch neues Blut zu korrigiren und dem Lande ein Exempel besserer Wirtschaft zu geben", verdient nicht ganz die Lobeshymnen der patriotischen Historiker.

Anmerkungen

1) Schmoller. Die preußische Seidenindustrie im achtzehnten Jahrhundert, 35.
2) Retzow. Charakteristik der widnigsten Ereignisse des Siebenjährigen Krieges 2. 455.
3) Manger. Baugeschichte von Potsdam 3. 825.

4)
Preuß 4. 415 ff.
5)
In einer Anmerkung des Kapitals l. S. 762 erwähnt Marx die elende Lage des friderizianisdien Bauern unter Anziehung einiger Sätze von Mirabeau. wofür er von preußischen Historikern der tendenziösen Darstellung geziehen worden ist. Wir haben aus schon angeführten Gründen das Werk von Mirabeau-Mauvillon ganz beiseitegelassen, möchten aber bemerken, daß die von Marx beiläufig angezogenen Sätze Mirabeaus ein nicht so krasses Bild der Sachlage geben, wie der amtliche Bericht von Roden. Überhaupt tun die wenigen Worte, die Marx im Vorbeigehen dem friderizianischen "Regierungsmischmasch von Despotismus, Bureaukratie und Feudalismus" widmet, diesem seltsamen Gebilde eher zu wenig, als zu viel. Wenn beispielsweise Marx sagt Friedrich habe in den meisten Provinzen Preußens den Bauern Eigentumsrecht gesichert, so gilt das tatsächlich nur von den Domänenbauern. Am 20. Februar 1777 verfügte Friedrich, "daß an allen Orten, wo es noch nicht geschehen, die unter die Ämter gehörigen Bauerngüter den Untertanen erb- und eigentümlich übergeben werden". Siehe die Ordre bei Preuß 4, 466 f.
6) Siehe Rudolf Meyer. Das nahende Ende des landwirtschaftlichen Großbetriebs, in der Neuen Zeit 11.1
. 304. Ferner Röscher 399. Sonst Ist Röscher» Darstellung der fridcrizianischcn Sozialpolitik in der bürgerlichen Gcschichtsliteratur wohl noch'die unbefangenste. Für die Einzelheiten sind die Kabincttsordres des Königs und teilweise auch seine Schriften einzusehen, dann aber auch die altere preußische Geschichtsschreibung etwa bis zum Jahre 1848. Die neuere Literatur, namentlich soweit sie aus Archiven schöpft, ist nicht wertlos, doch müssen diese Bücher wie Palimpsestc behandelt werden. Man muß zunächst die frommen Lobgesänge auf den friderizianischen .,Sozialismus" beseitigen und dann untersuchen, was sidi von dem verkratzten und verwischten Urtext noch entziffern läßt. Natürlich gibt es auch vortreffliche Ausnahmen: so Knapp, Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter In den Siteren Teilen Preußens, wo in der Einleitung bemerkenswerte Einzelheiten über die Erfolglosigkeit der friderizianischcn Bjucrn-politik gegeben sind.

Editorische Hinweise

*) Die Teilüberschriften stammen nicht vom Autor.

Franz Mehring: Friedrichs aufgeklärter Despotismus,entnommen aus: derselbe, Historische Aufsätze zur preußisch-deutschen Geschichte, 2. Auflage, Berlin 1946, S. 74-90

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