Editorial
Form vor Inhalt

von Karl Mueller

12/09

trend
onlinezeitung

Am 24.11.2009 trafen sich in der Berliner ver.di Mediengalerie auf Einladung des "Forum Betrieb, Gewerkschaft und soziale Bewegungen Berlin" rund 50 KollegInnen, um mit KollegInnen von Daimler Berlin-Marienfelde die Frage zu diskutieren, wie eine oppositionelle Betriebsratsarbeit mithilfe von Listenwahl durchgesetzt werden kann (Zu den Hintergründen siehe den Artikel Opposition tritt an in dieser und den Artikel Schluss mit dem Schmusekurs! in der 10-09 Ausgabe).

In der Diskussion am 24.11. war augenfällig, dass schwerpunktmäßig die innerbetrieblichen Konflikte entlang von Organisationsfragen also eher formal als inhaltlich diskutiert wurden. Deutlich nachvollziehbar wurde dies anhand der Focussierung auf die Frage: Personen- oder Listenwahl - was ist demokratischer? Schließlich wurden die oppositionellen KollegInnen nicht müde zu betonen, dass sie die IG-Metall stärken und nicht spalten wollen. Oder anders:  In ihre Debatte gingen strategisch inhaltliche Voraussetzungen ein, die selber gleichsam sankrosankt nicht mehr hinterfragt werden (dürfen). Täte mensch dies nämlich, dann müssten sich die oppositionellen Kräfte völlig anders aufstellen. Schließlich ist es doch offensichtlich, dass der Ruf nach mehr Demokratie im Rahmen des reaktionären Betriebsverfassungesetzes und die Fixierung linker Betriebspolitik auf die Pseudokommandohöhe Betriebsrat einfach absurd sind. Dennoch gelingt es immer wieder diese Sachverhalte zu verdrängen bzw. aus solchen Diskussionen herauszuhalten.

Um nicht falsch verstanden zu werden. Es ist völlig okay, bestimmte rechtliche Bedingungen für die Durchsetzung von materiellen Interessen zu nutzen. Die Schieflage entsteht dann und die Sackgasse für gut gemeinte Ziele droht, wenn in diesen sozialen Konflikten nicht deutlich herausgestellt wird, dass das Betriebsverfassungsgesetz ausschließlich darauf ausgelegt ist, das Kommando des Kapitals über die Arbeit zu garantieren und stattdessen die Selbstorganisation der Klasse in den Vordergrund gestellt wird. Ebenso verhält es sich mit dem Fetisch "Einheit der IG Metall".

1. Die IGM ist ebensowenig wie die anderen DGB-Einzelgewerkschaften eine Einheitsgewerkschaft, sondern eine staatstreue sozialdemokratische Richtungsgewerkschaft. Und 2. dürfen ja mal unter Linken strategische Grundsatzfragen aufgeworfen werden wie: a) Braucht die ArbeiterInnenklasse zur Durchsetzung ihrer ökonomischen Ziele heute überhaupt zentralistische DGB-Apparate? Und b) Ist es unter den heutigen Bedingungen des Kommandos des Kapitals über die Arbeit noch richtig, zwischen politischem und ökonomischem Kampf gedanklich zu trennen und daher an zwei unterschiedlichen Organisationsformen (hier Partei - dort Gewerkschaft) festzuhalten. Sowie c) Schlussendlich erscheinen nach dem Scheitern der so genannten sozialistischen Projekte Partei und Gewerkschaft als Strukturelemente einer postkapitalistischen Gesellschaft auf dem Weg zum Kommunismus nahezu ungeeignet.

Es wäre eine gesonderte Untersuchung des ideologischen Zustands der (revolutionären) Linken wert, um  hierdurch eine Antwort zu finden, warum Form- und Organisationsfragen ohne inhaltliche Abklärung immer wieder den Hauptgegenstand der Erörterungen bilden, wenn Menschen sich zusammenschließen (wollen), um gegen subjektiv erfahrene Unterdrückung und  Ausbeutung anzukämpfen. Hier war dieser Sachverhalt nur festzustellen.

Dass es sich bei der Herangehensweise "Form vor Inhalt" um linken Mainstream handelt, zeigt sich allein daran, dass diese Art, sich auf gemeinsames Handeln zu verständigen, auch in ganz anderen sozialen Konfliktfeldern dominiert.

Szenenwechsel: Stadtteilversammlung Schillerkiez. Gut 70 Menschen - überwiegend  Linksalternative/-radikale aus Neukölln  - trafen sich am 16.11.2009  in der Szenekneipe "Syndikat" in Berlin Nord-Neukölln, um sich über die Organisierung eines lokalen Widerstandes gegen die Gentrifizierung des Wohngebiets zu beraten. Augenfällige Instrumente des Umbauvorhabens sind Quartiersmanagement und eine Eingreiftruppe gegen "soziale Auffälligkeiten", die Task Force Okerstr. Folglich bildeten sie in der Diskussion auch die Hauptbezugspunkte. Über weite Strecken war die Diskussion bestimmt von der Kontroverse, ob das Quartiersmanagement auch nützlich sein könnte, um soziale Probleme im Kiez zu lösen. Wenngleich richtig dagegen argumentiert wurde, dass es sich beim Quartiersmanagement um ein rassistisch agierendes Projekt handelt, löste sich doch die Diskussion nie von der Beschreibungsebene des unmittelbar persönlich Erlebten. Näherte sich aber mal die Diskussion der Frage nach den gesellschaftlichen Triebkräften der Gentrifikation nämlich dem Kapitalverhältnis und der Rolle des Staates an, wurde sie in erst noch einzurichtende Arbeitsgruppen verschoben. Auch die Versuche von GenossInnen der Gruppe Internationale SozialistInnen und der FreundInnen der klassenlosen Gesellschaft auf grundlegende Zusammenhänge einzugehen, blieben unvermittelt.

Apropos FreundInnen der klassenlosen Gesellschaft. Hier ruht im Hinblick auf mein Angebot, zu grundlegenden Fragen revolutionärer Theorie und Praxis einen öffenlichen Disput zu führen, weiterhin still der See.(siehe dazu Editorial 10-09 und 11-09)

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Die Kritik an der vorherrschenden Diskurskultur, dass Form und Org-Fragen der Unmittelbarkeit die Hauptseite bilden, während die Analyse der Erscheinungen der Klassenverhältnisse ihre Nebenseite ausmachen, müssen wir natürlich auch auf TREND anwenden. Ein typisches Beispiel der Vernachlässigung der Untersuchung der Triebkräfte einer gesellschaftlichen Erscheinung, stellt unsere Materialsammlung zum Thema "Schülerknast" dar.

Mit der Ausgabe 12-09 beenden wir daher vorübergehend diese Materialsammlung. Stattdessen wollen wir uns den den Ursachen des  Niedergangs der bundesdeutschen Staatsschule widmen und dazu Untersuchungen anstellen. Wenn es dann erste verläßliche Ergebnisse gibt, werden wir diese Materialsammlung darauf beziehen und  fortsetzen.

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In diesem Monat jährt sich zum 30. Mal der Todestag von Rudi Dutschke. Wenn wir auch mit etlichen seiner Ansichten nicht übereinstimmen, so steht er für uns ganz klar auf der Seite des Vorrangs der Theorie vor der Praxis, jedenfalls - wenn es um die Frage der Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise zugunsten einer menschenwürdigen Gesellschaft geht. Deshalb nehmen wir seinen Todestag zum Anlass, um auf eine Schrift von ihm aufmerksam zu machen, die bei ihren Erscheinen auf wenig Resonanz stieß und heute gänzlich unbekannt zu sein scheint:  Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen. Sie ist es in doppelter Weise wert, wieder in die Diskussion um die Ziele revolutionärer Politik hineingenommen zu werden. Zum einen wegen der differenzierten und durchdachten, keiner bestimmten (Partei-)Linie unterworfenen Analyse der Sowjetgesellschaft und ihrer Rezeption in der revolutionären ArbeiterInnenbewegung - zum andern wegen der darin zur Anwendung kommenden  dialektischen Methode der Analyse historischer Verhältnisse.

TREND(s) im Netz - hier die jüngsten Zahlen:

Die BesucherInnenzahlen vom November 2009, in Klammern 2008, 2007

  • Infopartisan gesamt: 135.963   (127.205,  132.110)
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