100 Jahre Erster Weltkrieg
1918 Unser November
Die sozialen Grundlagen: Der Kampf gegen die "Burgfriedenspolitik" der Instanzen von 1914 bis 1918
von Hans Manfred Bock11-2014
trend
onlinezeitungDie Hamburger Linksradikalen
Die Hamburger Oppositionellen hatten in der links radikalen Bewegung während des Krieges Insofern eine Sonderstellung lnne, als sie sich dem Internationalismus der ISD nicht anschlössen. Diese nationalen Vorbehalte wirkten sich aber erst viel später - nach dem Ausschluß der Wortführer der Hamburger Linksradikalen auf dem zweiten Parteitag der KPD (S) im Oktober 1919 - aus.
- Die sozialdemokratische "Opposition innerhalb der Organisation"
- Die Diskussion der Organisationsfrage in der "Spartakus"-Gruppe
- Die "Bremer Linke" um die "Arbeiterpolitik"
- Die Berliner Linksradikalen um die "Lichtstrahlen"
- Die spontanen Streikbewegungen und die Verselbständigung lokaler Gewerkschaftsorganisationen
In ihrem Kampf gegen die "Burgfriedens"-Politik der "Instanzen" unterschieden sie sich nicht von den ISD. Laufenberg, der - wie bereits erwähnt - 1907 durch Franz Mehring nach Hamburg gerufen worden war und schon 1912 wegen seines militanten Radikalismus mit den Parteiinstanzen aneinander geriet, und Fritz Wolffheim, der bis 1913 Redakteur eines IWW-Organs in den USA gewesen war, bildeten den Mittelpunkt der Opposition aus den Mitgliederreihen, die den lokalen SPD-Vorständen vorwarfen, in Befolgung der "Burgfriedens"-Parole vorsätzlich die "imperialistische Na-tur dieses Krieges(1) zu verdunkeln. Konkreter Anlaß für das Aufflammen der Opposition war der Regierungs-Aufruf vom 16. 8.1914 zur allgemeinen Wehrerziehung der Jugend; das "Hamburger Echo", Organ des SPD-Landesverbandes, schloß sich noch im selben Monat diesem Aufruf vorbehaltlos an und wurde daflir gegen die empörten Stimmen aus der Parteimitgliedschaft von den Vorständen in Schutz genommen. Laufenberg und Wolffheim skizzierten die Situation: Mit der einsetzenden Diskussion habe der Gegensatz zwischen den nach der Politik des "Echo" orientierten Führern und den an den alten proletarischen Grundsätzen festhaltenden Massen aufbrechen müssen. "Jede Kritik im Sinne der Massen erschien und mußte erscheinen als Auflehnung gegen die Ansichten und Beschlüsse der Führer"(2). Eigentliches Ziel der sich in dieser Auflehnung manifestierenden Opposition schien es Laufenberg und Wolffheim zu sein, "zeitgemäße Änderungen in der Organisationsform des deutschen Proletariats hervorzubringen"(3). Die Vorschläge zur Organisationsreform, die die Massen zu Trägern der Organisation und der künftigen Aktion machen sollten, waren nicht wesentlich verschieden von denen, die Fritz Rück später im Namen des "Spartakus"-Bundes auf dem Gründungskongreß der USPD vortrug. In allen politischen Fragen von Groß-Hamburg sollte die Landesorganisation als die Repräsentantin der Mitgliedschaft die oberste Instanz sein. Alle politischen Redakteure und alle politischen Beamten hätten sich jährlich in der Landesorganisation zur Wahl zu stellen. Von den Reichstagsabgeordneten verlangte man, daß sie vor allen wichtigen Abstimmungen die Anweisungen der Vertrauensleute entgegennehmen und ihre parlamentarische Tätigkeit dauernd zur Diskussion stellen sollten(4). - Wenn Laufenberg später behauptete, die Hamburger und die Bremer Opposition habe schon während des Krieges in Organisationsfragen eine von der "Spartakus"-Gruppe grundsätzlich verschiedene Position gehabt(5), so traf das nur zu, soweit die "Spartakus"-Gruppe durch Rosa Luxemburg repräsentiert war. Ein deutlicherer Unterschied zwischen der Hamburger Opposition und der "Spartakus"-Grup-pe ist in der Laufenberg-Wolffheimschen Konzeption des politischen Streiks während des Krieges und in ihrem bereits ausformulierten "Nationalbolschewismus" festzustellen. Von diesen beiden Momenten soll vorerst nur die Idee des politischen Streiks betrachtet werden.
Nachdem sie in einer ersten, im Privatdruck verlegten Broschüre im September 1914 den imperialistischen Charakter des Krieges bloßgestellt hatten', entwickelten die beiden Wortführer der Hamburger Opposition in einer weiteren Publikation und an Laufenbergs Vorkriegsschrift Uber den politischen Streik anknüpfend ihre Vorstellungen von der Form der fälligen Massenaktionen(7). Ganz im Rahmen der radikalen Kritik der Vorkriegszeit blieb die Beurteilung des Parlamentarismus: "Als Herrschaftsmittel der Bourgeoisie kann der moderne Parlamentarismus nicht die Abdankung der Bourgeoisie bringen"(8). Zur Gewerkschaftsfrage hingegen taucht eine neue Idee auf, deren Ursprung ohne jeden Zweifel auf Fritz Wolffheims Tätigkeit für die "Industrial Workers of the World" (IWW) als Radakteur des "Vorwärts der Paciflc-Küste(9) in San Francisco zurückgeht(10). - Entsprechend den Veränderungen in der modernen Industrie haben auch die Gewerkschaften - nach Meinung Laufenbergs und Wolffheims - ihre Organisation und Taktik zu ändern. Bei der fortschreitenden Zentralisatioc der Industrie in den Händen weniger kleiner Unternehmergruppen durch Syndizierung und Kartellisierung ganzer Industriezweige können die Arbeitnehmer einzig in der Form des Industrieverbandes dem Kapital wirksam entgegentreten. Die Form des Industrieverbandes, deren Fürsprecher in den "Freien Gewerkschaften" zu jener Zeit erst eine kleine Minderheit darstellten und die sich erst nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland durchsetzte, sollte aufbauen auf Betriebsorganisationen als den untersten Zellen. "Der Form der monopolisierten Industrie entspricht auf selten der Arbeiter der reine Industrieverband auf der Grundlage der Betriebsorganisationen"(11) . Der Erfolg der wirtschaftlichen Massenaktionen, die von dieser organisatorischen Grundlage aus geführt werden sollen, werde weniger von der finanziellen UnterstUtzungskraft der Verbände abhängen als davon, daß es gelinge, auch die unorganisierten Massen in Bewegung zu setzen. Gelingt dies, so wird "der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Aktion ... auf das polltische Gebiet verschoben; die wirtschaftliche Teilaktion wird zur polltischen Aktion der ganzen Klasse"(12) und richtet sich gegen die politische Macht der Unternehmerklasse.
Nicht nur das Betriebsorganisations- und Industrieverbands-Prin-zip der IWW, einer amerikanischen Ausprägung des revolutionären Syndikalismus, ist 1915 in Laufenbergs und Wolffheims Programm für die Gewerkschaften enthalten; in der Vorstellung vom Umschlag der wirtschaftlichen in die politische Aktion steckt auch die syndikalistische Idee des Generalstreiks als Einleitung der sozialen Revolution. Die beiden Autoren beteuerten 1915 noch, daß es sich nicht "um die Zertrümmerung der bestehenden Verbände" handele, sondern um deren "durch die Verhältnisse geforderte Umformung"(13). Auch firmieren diese Ideen noch nicht unter dem Begriff des Unionismus. Da Laufenberg und Wolffheim aber versichern, daß die in den drei Kriegsbroschüren vertretenen Ideen "nicht nur die persönlichen Auffassungen der Autoren zum Ausdruck brachten, sondern die Anschauung der reifsten und klarsten Köpfe innerhalb der Arbeiterschaft selbst"(14), kann es als sicher gelten, daß in Hamburg bereits während der Kriegsjahre unio-nistische Vorstellungen diskutiert wurden; Hamburg blieb auch später der Umschlagort und das Ausstrahlungszentrum des deutschen Unionismus nach dem Vorbild der "Industrial Workers of the World".
Anmerkungen
1) Heinrich Laufenberg/Fritz Wolffheim/Carl Herz, Organisation, Krieg und Kritik, Dokumente zu den Hamburger Parteidebatten, Hamburg o.J. (März 1915). p. 8.
2) Ibidem, p.34.
3) Ibidem, p. 75.
4) Heinrich Laufenberg/Fritz Wolffheim/Carl Herz, op.cit., p. 75.
5) Heinrich Laufenberg/Fritz Wolffheim. Kommunismus gegen Spartakismus, p.2.
6) Heinrich Laufenberg/Fritz Wolffheim, Imperialismus und Demokratie, Hamburg o.J. (1914).
7) Heinrich Laufenberg/Fritz Wolffheim, Demokratie und Organisation, Grundlinien proletarischer Politik, Hamburg 1915.
8) Ibidem, p.48.
9) Vgl. dazu das Vorwort zu Laufenberg/Wolffheim, Demokratie und Organisation, p. 5 ff.
10) Es Ist nicht ganz zutreffend, wenn Peter von Oertzen (op. cit., p. 48) in seiner detaillierten Darstellung der deutschen Ritebewegung behauptet, daß sich bei Laufenberg und Wolffheim (trotz des letzteren IWW-Vergangenheit) keinerlei Andeutungen des revolutionären Rätegedankens finden. P. von Oertzen abersieht die drei Kriegsbroschüren Laufenbergs und Wolffheims.11) Laufenberg/Wolffheim. Demokratie und Organisation, p. 66.
12) Laufenberg/Wolffheim, Demokratie und Organisation, p. 66.
13) Ibidem, p. 76.
14) Laufenberg/Wolffheim, Kommunismus gegen Spartakismus, p. 3.
Editorische Hinweise
Der Text wurde entnommen aus: Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918-1923, Meisenheim am Glan, 1969, S. 77-80