Editorial
Hauptseite Theorie

von Karl Müller
10/04

trend

onlinezeitung

Durch den letzten Satz in meinen kritischen Anmerkungen zu Michael Heinrichs theoretischen Bemühungen, eine Marxrevision zu vollbringen, könnte der Eindruck entstanden sein, als würde ich auf eine Auseinandersetzung mit fehlerhaften Theorien zugunsten einer politischen Praxis verzichten wollen. Dem ist nicht so. Ganz im Gegenteil. Ich betrachte den ideologischen Kampf als wichtigen Teilbereich der politischen Praxis. Die trend onlinezeitung, an der ich seit Jahren maßgeblich mitarbeite, ist eine Plattform, wo ich diese politische Option gemeinsam mit anderen effektiv umsetzen kann.

Nach dem Crash im Frühjahr 2004 haben die Herausgeber diese Option sogar zum Kern ihres publizistischen Konzepts gemacht, indem sie schrieben:

"Jedoch werden wir uns in Zukunft innerhalb der ideologischen Auseinandersetzungen als MarxistInnen deutlicher positionieren. Dabei wird es uns auch um die Entfaltung einer "Kritik des Neo-Revisionismus" gehen."

Im dem Maße, wie die in den sozialen Bewegungen aktive junge Leute das Bedürfnis verspüren, Einsichten in den Gang der Geschichte und in die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise zu erhalten, haben marxologische Scharlatane Konjunktur. Sie verbreiten mithilfe elaborierter Codes ideologische Rauchschwaden, um den Leuten Glauben zu machen, dass die Geschichte sowieso im Kreise läuft. Schlußendlich könnten Alternativen nur im Zirkel kapitalistischen Logik gefunden werden, lautet die Quintessenz ihrer Message. Kritik des Werts, der Ware und des Geldes mit dem Ziel ihrer Aufhebung, Parteilichkeit im Klassenkampf und Orientierung auf das historische Subjekt "Proletariat" werden im Gewand einer so genannten Wissenschaftlichkeit bekämpft. Besonders hip gibt sich dabei eine Richtung, die mensch als postmarxistisch bezeichnet könnte.

Die Denkfigur des Postmarxismus ist simpel: Mensch nehme Marx, attestiere ihm herausragende Denkleistungen und unterwerfe diese einer kategorialen Kritik. Dabei entdecke mensch Ebenen, Strukturen, Handlungen usf. usw., die sich angeblich nicht vermitteln. Hier setzt die eigene postmarxistische Leistung ein: Es wird formuliert, was dem Marx alles so fehlte bzw. wie er neu gesettet werden müßte.  Wer  dem nicht folgt und in den Hinterlassenschaften von Marx, Engels und Lenin keine theoretische Ruinenlandschaft zu erkennen vermag, ist  "pfui" ein Traditionsmarxist.

Gegen diesen Postmarxismus, der von der Revision lebt, gilt es m. E. auf zwei  Ebenen Front zu machen. Zum einen ist er auf dem Feld der Ideologiekritik als unnotwendig falsches Bewußtsein anzugreifen, zum anderen sind KommunistInnen gefordert, ihr Verständnis eines wissenschaftlichen Sozialismus im linken common sense zu verankern.

Dies wird m. E. nur möglich, indem am Bedürfnis vieler linker junger Leute anknüpfend eine Schulungsbewegung in Gang gesetzt wird, die sich nicht nur vom akademischen Marxismus (Postmarxismus) abgrenzt, sondern in ihren Schulungsangeboten zur Kritik der Politischen Ökonomie und dem dialektischen und historischen Materialismus den Postmarxismus als eine Form spätbürgerlichen Bewußtseins widerlegt.

Des weiteren erscheint es mir als unabdingbar, das Scheitern des realexistierenden Sozialismus in dem Sinne zu analysieren, als versucht wird, im Angesicht dieser Niederlage das Programm des Kommunismus neu zu formulieren. Gerade letztere Aufgabenstellung zeigt, dass für KommunistInnen in den Metropolen nicht die Teilnahme an den aktuellen Klassenkämpfen im Vordergrund zu stehen hat, sondern die Theoriearbeit die Hauptseite bildet.

Der trend, seitdem er sich seit der Nr. 05-04 entlang dieser inhaltlichen Markierungen bewegt, hat etliche AutorInnen, die über ein qualifiziertes Wissen auf dem Gebiet der Kritik der politischen Ökonomie verfügen, motivieren können, ihre Kompetenzen und ihr fachliches Know How dem trend zur Verfügung zu stellen.

Allein die Arbeiten der AutorInnen Dockerill, Imhof und Schlosser wurden zwischen dem 1.6.2004 und 15.9.2004 von rund 1.500 LeserInnen* abgerufen.

Diese Zahlen motivieren publizistisch so weiterzumachen. In der vorliegenden Ausgabe haben wir daher, animiert von Klaus Braunwarth, den nur unter Eingeweihten bekannten Text Abstrakte Arbeit und Wert  im Marxschen System von I. I. Rubin (1927) virtuell reprintet. Dagegen haben wir den virtuellen Reprint der Reihe Marxistische Arbeiterschulung, Kursus Politische Ökonomie  nicht mehr fortgesetzt, war doch durch die veröffentlichten Teile zur Werttheorie ausreichend widerlegt, dass die derzeit gängigen Behauptungen, der "Arbeiterbewegungsmarxismus" hätte sich ein Scheiß um Ware, Wert und Geld gekümmert, unzutreffend sind.

Daniel Dockerill hat uns seine Arbeit über den Tauschwert zur Veröffentlichung überlassen. Obgleich sie sich nicht direkt auf Michael Heinrich bezieht, sondern zum Zeitpunkt gegen Auffassungen des "GegenStandpunkts" gerichtet war, sind die Unterschiede zu Heinrichs  werttheoretischem Verständnis unübersehbar und befestigen die Grenzziehung zum Postmarxismus.

Wenn der trend fortan hauptseitig theoretische Arbeiten zu publizieren beansprucht, die kompatibel zu obigen politischen Prämissen sind, dann heißt dies nicht, dass wir das bisherige strömungsübergreifende Konzept ad acta gelegt haben. Allein die Veröffentlichung von Michael Heinrichs theoretisch unterbelichtetem Politkommentar  "Agenda 2010 und Hartz IV " belegt das Gegenteil.

Schließlich soll auch wichtiges Faktenwissen nicht zu kurz kommen. Besonders erwähnenswert erscheint mir der gespiegelte Text  Bilaterale Beziehungen, Rüstungskooperation zwischen Deutschland und Israel von Otfried Nassauer und Christopher Steinmetz, den wir aus den Nischen des Internets für eine breite linke Gegenöffentlichkeit herausgesucht haben. Ein besonderer Dank geht von dieser Stelle auch an Bernhard Schmidt für seine herausragende Recherche "Streik und Gegenstreik "

Bedauerlicher Weise hat es Max Brym nicht mehr geschafft, vor Redaktionsschluss (30.9.2004) uns einen seiner beliebten Kommentare zur Verfügung zu stellen. Da die trend-Redaktion  bis 18.10.2004 im Urlaub weilt, müssen Bryms StammleserInnen vorerst auf Indymedia oder seine Homepage zurückgreifen, denn es wird bis zu diesem Datum hier keine Updates geben.

____________________________

*) Zum Vergleich: Gesamtzahl der abgerufenen Seiten:

06-04: 22808
07-04: 23730
08-04: 32199
09-04: 36550 (bis 15.9.)

Angesichts dieser gewaltigen Zahlen erscheint die Zahl der Zugriffe auf die Artikel von Dockerill, Imhof und Schlosser minimal.. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass der Datenbestand des trend z. Z. 6.000 Seiten umfasst. Von 36.550 abgerufenen Seiten im September erfolgten 18.000 Abrufe über Suchmaschinen,. d. h. der rechnerische Durchschnitt für eine abgerufene Seite beträgt 6 (!!!), wovon drei auf Suchmaschinen entfallen.