TREND-Thema: Stadtumbau

Die Karawane der Aufwertung zieht weiter
Zur Entwicklung im Neuköllner Schillerkiez - von der "Bronx" zum angesagten Viertel

von anwohner_nk44

09/10

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Jetzt ist sie auch im Schillerkiez angekommen.. Ehemals leere Läden verwandeln sich in schicke Gallerien. Viele neue junge unentdeckte Künstler zieht es in den Bereich. neue Kneipen lassen auch nicht lange auf sich warten. Der tolle Nebeneffekt ist, dass die Mieten steigen. Bei Neuvermietungen werden teilweise Kaltmieten von beachtlichen 8-9 € pro qm verlangt. Auch wenn es von vielen politisch Verantwortlichen noch geleugnet wird, sind diese Mieten für viele nicht mehr bezahlbar.
 

Es gibt bei Neuvermietungen kaum noch kleine Wohnungen, die mit Hartz IV bezahlbar sind. Aber für Herrn Felgentreu ( SPD Abgeordneter für den Bezirk NeuKölln ) führen Mietsteigerungen nach dem Mietspiegel von 7-10 % nicht zur Verdrängung. Hippe Artikel in Stadtmagazinen wie Tip tragen dazu bei, dass der Kiez noch angesagter wird. Mensch muß sich schon wundern, wer denn bei den in vielen Fällen niedrigen Einkommen hier in Berlin ( Berlin - die Hauptstadt der Prekären) trotzdem noch diese hohen Mieten zahlen kann. Die Nachfrage steigt, zu Wohnungsbesichtigungen kommen zwischen 20 bis 40 interessierte Menschen.

Einen neuen Schub bekam der ganze Schlamassel noch durch die Schliessung des Flughafen Tempelhof. Jetzt wird mit den unentdeckten Möglichkeiten des Tempelhofer Feldes geworben. Versprochen werden ein schöner neuer Park , auch neue Häuser sind geplant, vielleicht sollte man lieber von Stadtvillen und Eigentumswohnungen sprechen. Aber auch die ersten Pioniere der Gentrifizierung räumen schon wieder das Feld. So in der Lichtenrader Strasse 32, wo eine Gruppe von Künstler über mehrere Jahre gelebt und gearbeitet haben, Projekte entwickelt und im Kiez umgesetzt hatten. Ihr Hinterhaus mit den alten Lofts stand zum Verkauf, sie entwickelten ein eigenes Projekt eines Künstlerhotels.

Bisher zum Thema erschienen:

Siehe auch die Infopartisan-Linkseite: Reaktionäres von "Rot-Rot"

 Der Verkauf an sie scheiterte, gekauft hat das Haus die Firma Tarsap, eine ehemalige Hausverwaltung, die seit 5 Jahren auch mit Immobilien im Schillerkiez handelt. Die Wohnungen im Vorderhaus und Seitenflügel wurden schon als Eigentumswohnungen verkauft, unter anderen an einen Filmproduzenten aus dem Prenzlauer Berg, dem es dort nicht mehr gefällt. Die Künstler streiten sich noch mit dem neuen Besitzer vor Gericht wegen ihrer Mietverträge, werden so wohl Etage für Etage rausgeklagt. Leider bleibt die ganze Geschichte bis zum Erscheinen eines TAZ Artikels am 6. Mai 2010 unbekannt. So suchen die Künstler jetzt neue Räume, wahrscheinlich nicht mehr in Neukölln. Die Zeit der günstigen Mieten ist vorbei, so die Aussage von Uwe-Andreas Piehler, Bevollmächtigter von Tarsap.

Aber auch der Widerstand entwickelt sich.

Nach dem Bekanntwerden der Einrichtung einer Task Force Okerstrasse durch das Quartiersmanagement ( QM) Schillerpromenade kam es zu Protesten mit Flugblättern, Aktionen wie „Trinken gegen die Task Force“ usw. Die AG "Task Force Okerstrasse(TFO)" wurde 2008 im Schillerkiez vom dortigen QM ins Leben gerufen als eine Reaktion auf „gravierende Probleme“ . Die TFO soll die Antwort auf die "Problemhäuser", die "Problemfamilien" und die "Trinkerproblematik" im Kiez sein (alle Begriffe tauchen so im Strategiekonzept des QM auf). Was vom QM als gutgemeintes, soziales Projekt verkauf wird, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein stigmatisierendes und diskriminierendes Vorgehen, dass konsequenterweise zur Aufwertung des Kiezes und dem Austausch der Mieterstruktur führen soll.

Aus dem Protest gegen die TFO und der Kritik am QM (Intransparenz, Abschottung von der Öffentlichkeit) entwickelten sich Treffen zur allgemeinen Entwicklung im Kiez. Schnell entstand die Idee, unabhängige Stadtteilversammlungen zu organisieren um ein Forum zu schaffen, auf denen ein Austausch stattfinden kann. Nach den massiven Protesten und einer ersten Versammlung im Oktober 2009 sah sich das QM genötigt, eine öffentliche Veranstaltung zur Task Force zu machen. Die Veranstaltung musste unter Polizeischutz stattfinden, da das QM alle, die nicht die Notwendigkeit ihrer Aufwertung und Vertreibungbemühungen unterstützt, in die Ecke von Gewalttätern schiebt. In der Folge gab es Farbeier gegen das QM-Büro, Parolen wurden gesprüht, im Februar 2010 machten „Überflüssige“ einen unangemeldeten Besuch im Büro des QM. All dies wurde zu grossen Gewaltaten hochgejubelt, eine „autonome Kampagne“ herbeigeredet. Die kritische Arbeit im Kiez wird verunglimpft und die QM-Chefin Schmiedeknecht jammerte am 25.3. 2010 in der „Bild“: „Wir wollen Neukölln schöner machen .. aber die Linken greifen uns ständig an“. Sogar die informelle Koalition von SPD, Grüne und Linke in der Bezirksverordnetenversammlung(BVV) Neukölln zerbrach an einer Erklärung der BVV, wo SPD und CDU Proteste gegen das QM mit Nazi-Gewalt auf eine Stufe stellten.

Bis jetzt gab es 6 Stadtteilversammlungen, wo sich zwischen 40 bis 50 unterschiedliche Menschen trafen. Mittlerweile sind zwei Ausgaben der „ Randnotizen – Stadtteilzeitung aus dem Schillerkiez“ erschienen, die auf reges Interesse trafen. Neben der Zeitungsgruppe gibt es eine AG, die sich mit Informationsbeschaffung beschäftigt und Kiezspaziergänge organisiert.

Die herrschende Politik und das Quartiersmanagement wurden aus ihrer beschaulichen Ruhe gerissen. Sie können nicht mehr so ungestört und im Verborgenen schalten und walten wie bis vor einem Jahr. Das QM sieht sich gezwungen, in die Öffentlichkeit zu gehen und so konnte die Wahl zum neuen Quartiersrat im Mai 2010 nicht so klammheimlich vonstatten gehen, wie zwei Jahre zuvor.

Verschiedene Gruppen und Initiativen organisieren nun ein unabhängiges Strassenfest in der Weisestrasse (Nord-Neukölln) unter dem Motto „Wir bleiben hier“. Es findet statt am Samstag, den 21. August zwischen 14 und 22 Uhr.

Weitere Informationen:
http://tfa.blogsport.de/materialien/task-force-okerstrasse/
Materialien zur Task Force Okerstrasse, Quartiersmanagement (QM) Schillerpromenade und zur allgemeinen Entwicklung in Nord-Neukölln insbesondere Schillerkiez mit Pressespiegel
http://nk44.blogsport.de  Nachrichten aus Nord-Neukölln
http://tfa.blogsport.de  Tempelhof für Alle

Editorische Anmerkungen
Der Artikel erschien am bei 14.8.2010 Indymedia. Wir spiegelten von dort.