TREND-Thema: Stadtumbau
Auswertung
Am 8. Mai fand der Aktionstag "Nehmen wir uns die Stadt zurück" von Reclaim Tempelhof statt.
von "Reclaim Tempelhof Vorbereitung"

05/10

trend
onlinezeitung

Vielen Menschen wußten über den 8. Mai und die "Eröffnung" des Tempelhofer Feldes Bescheid. Es gab auch viel Unterstützung von anderen Berliner Gruppen und Initiativen. Vielen Dank auch an Geigerzähler. Des Weiteren hatten wir auch das Gefühl, dass die Mobilisierung „gut“ geklappt hat. Natürlich waren weit aus weniger Menschen als am 20.6.2009 unterwegs und auch das Medienecho war dieses Jahr geringer (was vielleicht daran lag, dass viele Menschen sich mit Öffnungszeiten zufrieden geben und behaupten es handelt sich bei Tempelhof „nur um einen Park“), jedoch gab es im Vorfeld auch einige gelungene Aktionen wie zum Beispiel der Brief von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Auch die Vernetzung und Unterstützung von anderen Anti-Gentrifizierungs Gruppen kann als gut beurteilt werden und wird definitv ausgebaut werden. Auf diesem Wege wünschen wir den Spreepirat_innen viel Glück für ihren Aktionstag am 5. Juni. Auch die Anti-Liegenschaftsfond-AG der WBA-Kampagne werden wir weiter unterstützen und wir freuen uns auf deren Aktionstag im September.

Reclaim Tempelhof Infostand

Wir wollten mit einem Infostand auf dem Feld präsent sein. Der Veranstalter der „Eröffnungsfeier“ wies uns jedoch darauf hin, dass er es nicht eskalieren lassen will. Prompt erteilte er dem Stand und einer weiteren Person Hausverbot. Dies wurde nicht schriftlich ausgestellt und war zeitlich nicht festgelegt. Besucher_innen des Festes wurden auf diese Willkür angesprochen, viele erwiderten, dass sie das in Deutschland nicht mehr verwundere. Sympathisant_innen von Reclaim Tempelhof breiteten daraufhin eine Decke in unmittelbarer Nähe aus, um auch weiterhin ansprechbar zu sein. Wenige Minuten vergingen, als der Wisag-Wachschutz auch diese Menschen aufforderte, den Ort zu verlassen und ausserhalb der Markierung M19/20 (das war die Stelle für den Infopunkt) zu sitzen. Somit durfte mensch sich nicht wie vom Senat propagiert, auf der Picknickfläche niederlassen. Weiterhin wurden Leute kontrolliert und weggeschickt, die mit Reclaim Tempelhof nichts zu tun hatten, sie saßen einfach nur zu nah. Der Reclaim Tempelhof Infostand wurde anschließend außerhalb des Tempelhofer Feldes in der Herrfurthstraße Ecke Oderstraße aufgebaut. Als wir versuchten, eine Eilversammlung anzumelden, wurden die Personalausweise von uns und von interessierten Menschen eingesammelt und alle erhielten einen Platzverweis (die meisten Platzverweise waren bis Sonntag 23:50 Uhr ausgestellt). Ab ca. 14 Uhr war der Reclaim Tempelhof Infostand an der Herrfurthstraße Ecke Lichtenraderstraße zu finden. Hier blieb dieser bis nachts 22 Uhr, bevor auch dieser sich der Spontandemonstration anschloss.

„Wettbewerbe“ und D.I.Y.-Prinizp

Im Vorfeld wurde dazu aufgerufen, an verschiedenen Ideenaustausche teilzunehmen und somit ein D.I.Y.-Prinzip anzuwenden. Der erste „Wettbewerb“ bestand aus einem Errichten einer wetterfesten Konstruktion, um es sich dauerhaft auf dem Tempelhofer Feld gemütlich zu machen. Dieser Ideenaustausch wurde gar nicht rezipiert, was wahrscheinlich an den privaten Securities und deren Kontrollen lag. Sämtliche „auffällige“ Taschen und Personen wurden an den Eingängen kontrolliert. Auch falls das Hereinbringen von Material geklappt hätte, wären diese Personen sofort des Feldes verwiesen worden. Aus diesem Grund besteht dieser Ideenaustausch immer noch. Der Goldene Bauwagen ist also immer noch zu holen. Der Goldene Bolzenschneider ist zwar verliehen, jedoch steht der Zaun noch immer. Auch dieser Wettbewerb wurde am 8. Mai wenig beachtet, wobei es zwei/drei Aktionen gab, die den Goldenen Bolzi echt verdient haben (Zaunüberwindung Straße 645/Toraushebelung Columbiadamm). Der Goldene Reclaim Tempelhof Wecker ist ja ein Wanderpokal. Am 8. Mai riefen Menschen am Infotelefon noch nachts um 00:00 Uhr an und sagten, dass sie noch auf dem Feld seien. Per Infotelefon wurden diese Menschen vom Feld runter navigiert. Die zur Zeit längste Gruppe war bis nachts um 01:00 Uhr auf dem Feld. Herzlichen Glückwunsch. Achtet hier auf Ankündigungen, solche Aktionen werden definitv wiederholt.

Das D.I.Y.-Prinzip klappte unsere Meinung nach mittelmäßig. Es gab Gruppen, die tatsächlich spontan Theater, Guerilla-Gardening o.ä. umsetzten. Jedoch konnte dies nur heimlich und ohne Ankündigung unsererseits funktionieren, da diese Personen bei Entdecken sofort des Feldes verwiesen worden wären. Es gab auch viele Menschen, die uns geholfen haben, die Flyer mit den kritischen Meinungen zu verteilen. So einfach wie diese Aufgabe auch klingt, sie war enorm schwer. Die Securities, Zivis und die Polizei verteilten sofort Platzverweise an Leute, die sich kritisch äußerten. Soviel versteht Herr Wowereit unter:“Eine Demokratie muss auch kritische Meinungen aushalten können.“ Danke an alle Menschen, die das D.I.Y.-Prinzip umsetzten. Allen anderen würden wir wünschen, von ihrer Konsumhaltung wegzukommen. Wartet nicht auf organisierte Events oder Aktionen, sondern werdet selbst aktiv. Manche Leute denken uns kritisieren zu können und haben selbst nichts an diesem Tag auf dem Feld umsetzen können, sondern warteten gespannt auf organiserte Angebote. Es wurde klar und deutlich kommuniziert, dass es sich um ein D.I.Y.-Prinzip handelt, wir sind kein ZK, welches Angebote schafft. Für konstruktive Kritik sind wir gerne offen.

Alternatives Veranstaltungsprogramm

Wir hatten im Vorfeld ein vielfältiges alternatives Programm auf die Beine gestellt. Schon die ersten Aktionen waren ernüchternd. Der „Volkslauf“ war auf unserer und Senatsseite so schlecht besucht, dass wir dies als Kritik an unserer Auseinandersetzung mit dem Begriff „Volk“ wahrnehmen. Wir lehnen immer noch das Konstrukt von einem „Volk“ ab und werden auch weitere Aktionen planen. Kritiker_innen werfen uns Blindheit vor, da es ja auch in der linken Szene „Volxküchen“ gibt, jedoch haben sie anscheinend nicht gemerkt, dass dort sich eben aus propagandistisch vorbelasteter Sicht eine neue Sprache entwickelte (siehe die neue Rechtschreibung bzw. Bezeichnung VoKü). Dieses Thema sollte dennoch auch in der linken Szene breiter diskutiert werden. Warum lehnen sich so wenig Menschen gegen dieses Konstrukt auf? Wer gehört den zum „Volk“? Und was bezwecken die Medien, wenn sie von „Volkszahnbürste, Volkshose und Volksjeans“ sprechen?

Auch die Kranzniederlegung und das Aufstellen eines Ausstellungspavillon war mit Schikanen verbunden. Der Senat verbot dem VVN und dem Mieterrat Chamissoplatz dies im Foyer des Hauptgebäudes zu unternehmen. Wir kritisierten durchgängig die Datumswahl der „Eröffnungs“feier und vertraten die These, dass der Senat einer weiteren Geschichtsglättung dadurch Vorschub leistet. Dieser These vertreten wir auch weiterhin. Da helfen auch nicht die wenigen Worte von Wowereit bei der „Eröffnungs“rede.

Die Störung der Rede von der Gentrifizierungssenatorin Junge-Reyer und dem Bürgermeister Wowi hat gut und medienwirksam geklappt. Wowi sprach doch tatsächlich davon, dass eine Demokratie kritische Stimmen aushalten muss. Anscheinend hat er unsere Kritik nicht ausgehalten, sonst hätte er bzw. der Veranstalter uns nicht des Platzes verweisen lassen. Viele Anwesende waren sauer auf uns, jedoch gab es auch Beifallsbekundungen, spätestens im Nachhinein musste auch Junge-Reyer vor der Presse erneut zugeben, dass wir Recht haben, wenn wir sagen, das die IGA 2017 16 Euro Eintritt kosten wird.

Auch die unangemeldeten Workshops, wie zum Beispiel die Siebdruckwerkstatt, war gut besucht und half so mit unser alternatives Veranstaltungsprogramm in die Realität umzusetzen. Danke den Verantwortlichen dafür!
Wir mussten die Gedenkdemo um 15 Uhr leider ausfallen lassen, da wir für die Sicherheit der Demonstrationsteilnehmer_innen nicht garantieren konnten. Zwischen 12 und 15 Uhr wurden so viele Hausverbote und Platzverweise ausgesprochen, dass es schwierig werden würde, die Demo durchzuführen. Dafür wollen wir uns entschuldigen. Viele Menschen wollten den Opfern des Naziterrors auf dieser Demonstration gedenken und auch ein amerikanischer Radiosender war überrascht über das Verhalten vom Senat.

Um 14 Uhr startete die Steigende-Mieten-Stoppen und AVANTI Parade von Herrmannplatz zum Tempelhofer Feld. Ausgerüstet mit Pappbolzis und guter Laune kam die Parade gegen 17 Uhr in der Oderstraße an. Sofort wurden sämtliche Eingänge bis auf den Haupteingang geschlossen. Wir begrüßen ausdrücklich Zaunüberwindungsaktionen wie beispielsweise in der Straße 645 oder auf dem Columbiadamm. Hier wurde deutlich: Das Templehofer Feld ist NICHT öffentlich, sondern ein teilprivatisiertes Grundstück, betrieben durch die Grün Berlin GmbH, die ein Hausrecht besitzt und dieses auch willkürlich durchsetzt. Parkregeln wurden komplett außer Kraft gesetzt und der Willkür der Grün Berlin GmbH überlassen. Von dieser Schließung waren ALLE Menschen betroffen, ob sie nun mit uns sympathisierten oder nicht. Viele Anwohnende erkannten hier die Willkür des Senats und äußerten ihren Unmut. Besonders diese Situation machte deutlich, was im Zuge von Privatisierung öffentlichen Raums geschieht: Das Hausrecht steht über den Grundrechten. Meinungs- und Versammlungsfreiheit wurden komplett ausgehebelt. Wir werden jedoch nicht aufhören, uns auf dem Tempelhofer Feld zu versammeln und zu diskutieren. Es werden weiterhin gemeinsame Picknicks, Demonstrationen und Diskussionen auf dem Tempelhofer Feld stattfinden. Parkregeln hin oder her.
Die Reclaim Tempelhof Demonstration um 17 Uhr wurde dementsprechend nach hinten verlegt, damit auch die Paradeteilnehmer_innen daran beteiligt sein konnten. Mit fast 90 Minuten Verspätung setzte sich der Demonstrationszug unter dem Motto: „Mieten stoppen! Privatisierung verhindern! Gemeinsam handeln!“ mit anfänglich 500 Menschen in Bewegung. Schnell wuchs die Teilnehmer_innenzahl an, viele Menschen vom „Eröffnungs“fest schlossen sich der Demonstration an und auch nachdem das Fronttranspi eingepackt wurde, wurde weiter demonstriert. Leider konnte dabei der Zaun auf der Oderstraße nicht demontiert werden. Während dieser Demonstration kam es zu keinen Festnahmen.

Die Vollversammlung um 19 Uhr wurde prompt auf die Hauptbühne verlegt, was an und für sich eine gute Idee war. Auch das Konzert war gut. Wir hätten uns jedoch mehr über die abendlichen Szenarien unterhalten sollen. Macht es Sinn, dass wir alle auf einem Haufen stehen und dadurch angreifbar sind? Wir gehen wir mit den schlagenden Securities um? Wollen wir uns abends verstecken, wegrennen (was übrigens kein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte darstellt) oder eine Sitzblockade machen? Zu dieser Diskussion ist es leider nur oberflächlich gekommen. So konnte die anschließende Sitzblockade von der Berliner Polizei schnell beseitigt werden. Hier wurde auch ein Presseteam und Unbeteiligte Zeug_innen von überzogener Polizeigewalt. Leider ist das nichts neues. Bei dieser Aktion wurden 2 Festnahmen (unbestätigt) vollzogen.

Da die Diskussion fehlte, war die nächtliche Schließung relativ einfach durchzusetzen. Wir hatten keine Antwort auf das Verhalten der Polizei parat. Es gab verschiedene Szenarien, auf die wir uns vorbereit hatten. Jedoch rechneten wir nicht mit solch ein repressives Verhalten. Wir waren schlicht weg überrascht. Dennoch schafften es Menschen bis nachts um 1 Uhr auf dem Feld zu verweilen. Herzlichen Glückwunsch.

Nachdem alle (offensichtlichen) Menschen vom Feld getrieben wurde, formierten sich mehrere Spontandemonstration im Schillerkiez. Hierbei kam es zu Verletzten auf beiden Seiten: Polizeibeamte stolperten über Bordsteinkanten oder über ihre eigenen Füße, Demonstrationsteilnehmer_innen wurden zu Boden geworfen oder von hinten in den Rücken geschlagen. Auch hier kam es leider zu Festnahmen.

Auch am 9. Mai wollten wir eine Vollversammlung auf dem Feld durchführen. Nachdem sich zunächst 5 Leute (!) trafen und die Decken ausbreiteten, kamen sofort PMS‘ler, Polizei und natürlich der Wachschutz (diesmal auch mit Hund). Die Leute wurden erneut des Feldes verwiesen…ohne Begründung. „Der Veranstalter hat so entschieden“, hieß es. Erneut: Hausrecht über Grundrecht. Wenn sich Menschen zum Diskutieren treffen und ohne Begründung des Platzes verwiesen werden, halten wir nicht die Füße still. Wir werden weiterhin unsere Meinung AUF dem Feld kundtun…auch unangemeldet.

Fazit

Vieles hat an diesem Tag nicht geklappt, jedoch hat auch einiges geklappt. Es konnte deutlich gemacht werden, dass das Tempelhofer Feld kein öffentliches Gelände, sondern ein teilprivatisiertes Grundstück ist, wo Haurecht ausgeübt wird. Von einer „öffentlichen Eröffnung“ kann DEFINITIV nicht die Rede sein. Viele Menschen waren verärgert über die zeitweise Schließung des Feldes und erkannten die Absichten des Senats. Wir hatten erneut die Gelegenheit mit viele Menschen zu reden und zu diskutieren, meist war es eine lebhafte Diskussion über Nachnutzung, Zäune und Öffnungszeiten. Diskussionen mit Menschen finden wir äußerst wichtig, nur so können Ideen ausgetauscht und sinnvolle Konzepte entwickeln werden. Viele Menschen erkannten, dass die Gefahr von Eintrittsgeldern mehr als nur einen bezahlten Park nach sich ziehen würde. Luxusbebauungen, soziale Verdrängung und Mieterhöhungen sind vom Senat politisch gewollt und immer mehr Menschen fangen an, dagegen was zu unternehmen. Der Protest rund um das Tempelhofer Feld wurde von vielen Medien wahrgenommen. Bis auf die senatstreue RBB-Redaktion, stellten alle Zeitungen kritische Nachfragen (selbst die Springerpresse titelte: „Bleibt der Eintritt wirklich frei?“). Insgesamt gab es 7 Festnahmen. Falls ihr Angaben dazu machen könnt, bitte kontaktiert uns und vereinbart einen Termin, damit wir die Betroffenden unterstützen können. Schickt keine Details per Mail, da die Repressionsorgane mitlesen könnten!
Vielen Dank allen Unterstützer_innen und Sympathisant_innen!!!!

Ausblick

Es wird weitere Proteste auf und um dem Tempelhofer Feld geben. Es wird Picknicks, Versammlungen, Demonstrationen und selbstbestimmte Zaunabtragungen geben. Am 20.6.2010 wird es voraussichtlich eine Kundgebung im Neuköllner Kiez geben. Auch das rassistische und diskriminierende Projekt „Task Force Okerstraße“ wird von uns weiter theoretisch und praktisch angegriffen. Wir werden unsere Augen nicht verschließen, wenn auf offener Straße Roma-Familien verhaftet und abgeschoben werden.

Des Weiteren unterstützen wir den Aktionstag Mediaspree entern am 5. Juni und den Aktionstag gegen den Liegenschaftsfond im September. Wir wünschen den Treptower_innen viel Glück in deren Kampf gegen den Ausbau der A100 und auch die geplante Bebauung des Mauerparks im Prenzlauer Berg werden wir gemeinsam verhindern. Die größte Angst des Berliner Senats ist, dass wir uns vernetzen. Gentrifizierung geht uns alle an und ist nicht unangreifbar. Mieterhöhungen und soziale Verdrängung sind keine unangreifbaren Mechanismen. Vernetzt euch!

Werdet aktiv!
Achtet auf weitere Ankündigungen!!!!


Fotos unter:
http://www.flickr.com/photos/kietzmann/sets/72157623910752179/
http://www.flickr.com/photos/pm_cheung/sets/72157624020475556/
http://www.flickr.com/photos/mikaelzellmann/sets/721576238983296/
http://de.indymedia.org/2010/05/280819.shtml

Graswurzelvideo:
http://www.graswurzel.tv/index.php?flv_id=119

Weitere Infos:
http://tempelhof.blogsport.de  

Editorische Anmerkungen

Wir spiegelten den Artikel von Indymedia, wo er am 11.5.1010 erschien.