Editorial
Mangelerscheinungen

von Karl-Heinz Schubert

08/2020

trend
onlinezeitung

Diese Augustnummer hat es in sich. Es finden sich in ihr mehr als sonst Beiträge, die zum Innehalten, Überdenken und zum Widerspruch Anlaß geben. Dazu gehören auch zwei Texte, die sich mit der MLPD befassen.

Zweifellos ist es der MLPD in den letzten Wochen gelungen mit der Errichtung  eines Lenin-Standbildes im Juli vor ihrer Parteizentrale, auch außerhalb ihrer überschaubaren Wirkungsfelder auf sich aufmerksam zu machen. Die Rote Fahne News nahmen dies zum Anlass, am 25. Juli 2020 ein Arbeitspapier von Stefan Engel zu veröffentlichen, dem Leiter des "Revolutionären Wegs", theoretisches Organ der MLPD,  das sich zum Ziel setzt, die MLPD auf ihre "neue gesellschaftliche Rolle im Kampf gegen modernen Antikommunismus" durch ein Konspekt zur Bedeutung der wissenschaftlichen Polemik theoretisch aufzurüsten.

Darin finden sich solch befremdliche Behauptungen wie z.B. "Der ganze Marxismus ist letztlich aus der Polemik gegenüber den idealistischen und metaphysischen Hauptströmungen der kapitalistischen Epoche entstanden." Der Marxismus verstanden als Synomym für den "wissenschaftlichen Sozialismus" entsprang nicht sondern auch aus der Polemik. Sie war der organisierten Arbeiter*innenklasse ein wichtiges Instrument im Klassenkampf, das bekanntlich in dialektischer Weise mit dem ökonomischen und dem politischen Kampf der Klassen verbunden ist. Verhielte es sich so, wie der Genosse Engel resumiert, dann irrte allerdings Lenin, wenn er 1913 schreibt: "Die Lehre von Marx ...  ist die rechtmäßige Erbin des Besten, was die Menschheit im 19. Jahrhundert in Gestalt der deutschen Philosophie, der englischen Ökonomie und des französischen Sozialismus hervorgebracht hat." (Unterstreichung von mir)

Ebenfalls grundlegende Mängel auf dem Gebiet der Dialektik arbeitet Hanns Graf in seinem Beitrag "Die MLPD und die Ökologie" heraus. Für die MLPD existiert zwar die "Einheit von Mensch und Natur" - aber nur als "Tautologie". Dass diese  Einheit "eine Einheit von Widersprüchen" ist, hat sie nicht auf dem Schirm. Das begünstigt deren Illusion, dass "die Öko-Bewegung nur ein sozialistisches Ziel und eine stärkere Basierung auf das Proletariat brauche und schon wäre alles in Butter." Sein diskussionswürdiges Fazit lautet daher, "der MLPD mangelt es sowohl an einer materialistischen und wissenschaftlichen Analyse der Umweltproblematik als auch an einer Programmatik, die darauf abzielt, das Proletariat zum Subjekt von „ökologischer Politik“ zu machen."

Bei einer Partei, die seit fast 40 Jahren mit Fleiß und Herzblut revolutionäre Realpolitik betreibt kann dieser Mangel kein Zufall sein, gerade auch weil sie  ihre Wurzeln in der K-Gruppenbewegung der späten 1960er Jahre hat, wo der Marxismus-Leninismus von der Jugend- und Studierendenbewegung wiederentdeckt wurde, was klare Grenzziehungen zwischen dem Dialektischen Materialismus und der Kritischen Theorie als idealistische Umdeutung des Marxismus notwendig machte.

Einen Einstieg, wie diese Frage ideologiekritisch beantwortet werden könnte, findet sich in dem Engelschen Hinweis, dass das Arbeitspapier zur "Beherrschung der dialektischen Methode auf dem Niveau der Lehre von der Denkweise und des systemischen Denkens" führen soll. (Unterstreichung von mir)

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Auf ein ganz anderes sozialemanzipatorisches Spektrum zielt der Beitrag Kommunistische Diskussionsclubs von Emanuel Kapfinger. Diese Clubs bilden, festgemacht an dem Projekt Kosmoprolet , das sich gegenüber anderen Projekten durch eine "Art Selbstkonstitution durch polemische Abgrenzung" auszeichnet, eine Strömung, die der Autor als "Nachfolge der Antideutschen" verstanden wissen will. Ihr Merkmal ist ihr ungelöstes Theorie-Praxis-Verhältnis:

"Sie sind theoretisierende Praktiker und praktizierende Theoretiker, ohne beides wirklich zu machen. Diese unmittelbare Identität funktioniert daher nicht und mündet nur in das endlose Kreisen um den eigenen Selbstwiderspruch."

Obgleich zwischen der MLPD und Kosmoprolet ideologische Welten liegen, müssen sich beide mit dem gleichen Problem rumschlagen, ihrem Selbstbild entsprechend nicht politisch wahr-/ernstgenommen zu werden. Und es ist nicht verwunderlich, dass Kapfinger bei den kommunistischen Diskussionsclubs diagnostiziert "Die materialistische Dialektik und damit die Methode der Kritik ist nicht klar.", was für die MLPD leider auch zutrifft.

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Schlussendlich möchten wir im eingangs erwähnten Sinne noch folgende Beiträge hervorheben:

Berlin im August 2020