Eine Diskussionsvorlage
Den ökosozialistischen Umbau in den Vordergrund stellen: Radikal sein heißt das Übel an der Wurzel packen

von Angela Klein und Wolfgang Alles

08/2020

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Mehrfach wurde festgestellt, dass wir die Systemkrise des Kapitalismus derzeit in einer besonders umfassenden Weise erleben, als multiple Krise: nicht nur als Krise der Konjunktur mit der dahinterstehenden, seit 2008 nicht mehr richtig ins Lot gekommenen Finanz- und Wirtschaftskrise; nicht nur als Krise des Klimas, die bedeutende Zweige der industriellen Produktion in Frage stellt; nicht nur als politische Herrschaftskrise des Kapitals – in Großbritannien ist die Schlacht um den Brexit nicht ausgestanden, die politische Krise in Frankreich ist alles andere als überwunden und die USA sind derzeit mittendrin. Neu ist eine Gesundheitskrise hinzugekommen, die in bislang einmaliger Weise Produktion und Handel zum Erliegen gebracht hat und das neoliberale Geschäftsmodell einer weltweit arbeitsteiligen Produktion in Frage stellt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Hungerkrisen ausbrechen.

Das alles bietet sich politisch ungeschulten Menschen nicht als verschiedene Erscheinungsweisen ein und derselben Krise des kapitalistischen Systems, sondern als Einzelkrisen mit Ursachen dar, die den Horizont ihrer Handlungsmöglichkeiten weit überschreiten. Und sie erleben diese Krisen mitunter als Zielkonflikte: Gesundheit ist ihnen in manchen Momenten wichtiger als Freiheit, in anderen Momenten ist es umgekehrt; Hunger ist schlimmer als Krankheit, das gilt auch für Arbeitslosigkeit, sofern keine sozialen Auffangmechanismen da sind; und wenn man nicht mehr aus noch ein weiß, ruft man auch wieder nach dem starken Mann, der alles regeln soll und das sofort; autoritäre Herrschaft wiederum erweist sich derzeit als völlig untüchtig, Seuchen einzudämmen. Wo soll man da ansetzen?

Die Freiheitsrechte

In Deutschland haben die Menschen in der Hochzeit der Coronakrise Einschränkungen ihrer Freiheiten relativ klaglos hingenommen, weil sie ihnen im Grundsatz eingeleuchtet haben, auch wenn die Handhabung an vielen Stellen eher den Obrigkeitsstaat erkennen ließ, bei gleichzeitiger Nachgiebigkeit gegenüber Geschäftsinteressen. Seitdem Lockerungen in Aussicht sind, kann es manchen nicht schnell genug gehen, sie möchten die kapitalistisch bedingten Gesundheitsgefahren am liebsten wie einen bösen Traum wegzuwischen. Die relativ geringe Zahl an Erkrankungen und Todesfällen im Zusammenhang mit Corona deuten viele so, dass die Einschränkungen insgesamt nicht notwendig gewesen wären, sondern nur der Gängelungswut des Staates entspringen. Das ist ein Luxusproblem: In kaum einem anderen Land der Welt wird dafür demonstriert, dass die Schutzmaßnahmen gegen Corona aufgehoben werden.

Damit soll und darf nicht darüber hinweggegangen werden, dass das Leben unter Corona von den verschiedenen Segmenten der Lohnabhängigen sehr unterschiedlich und ungleich erfahren wurde: das reicht vom gut bezahlten Kurzarbeitergeld über Homeoffice mit Kindergeschrei, Arbeiten bis zum Umfallen bis hin zum plötzlichen Verlust der eigenen Existenzgrundlage. Vor allem die Schließung von Schulen und Kindergärten sind eine große Belastung. Die Maßnahmen der Bundesregierung fangen gerade die Nöte der sozial Schwächsten am wenigsten auf und vor allem tut sie gar nichts, um die Missstände zu korrigieren und die Weichen anders zu stellen – was auf Widerspruch selbst in den Reihen der Herrschenden stößt. Das bedeutet wiederum nicht, dass jene, die am stärksten unter den Einschränkungen zu leiden haben, auch diejenigen sind, die sich den sog. Hygiene- oder Grundrechtsdemos anschließen. Diese werden nicht von einem Verteilungskampf getrieben, sondern vom Bedürfnis, einen Sündenbock zu finden (was diesmal schwieriger ist, weil sich Ausländer dafür nicht so einfach anbieten).

Eine wirkliche Gefährdung der Freiheitsrechte droht durch die Überwachungs-App, die Spahn bereits vorgeschlagen hat, dann aber wegen des Proteststurms wieder fallen ließ. An ihre Stelle ist nun eine freiwillige App getreten, deren Daten nicht zentral gespeichert werden. Von einer solchen App verspricht sich die herrschende Politik – die auf „technische“, nicht auf soziale Mechanismen zur Eindämmung der Pandemie setzt – einen ebenso durchschlagenden Erfolg wie vom Impfstoff. Mein Eindruck ist jedoch eher, dass sie im besten Fall, also wenn sie nicht doch noch zur Überwachung eingesetzt wird, ein unzuverlässiges Bild individuellen Verhaltens vermittelt, das dem Einzelnen sozial zum Nachteil gereichen kann (etwa als Entlassungsgrund, auch wenn die „Arbeitgeber“ das Gegenteil beteuern) und wirkliche Hotspots und deren Ursachen dadurch eher verschleiert werden. Die App ist ein Weg, die Krankheit zur Privatangelegenheit zu machen.

Die Landwirtschaft

Die Lockerungen verstärken eine Einstellung zur Epidemie, die auch vorher schon da war und die von den politisch Verantwortlichen bestärkt wird: Das ist eine vorübergehende Sache, wir müssen nur auf den Impfstoff warten, dann kann alles wieder seinen gewohnten Gang gehen.

Die Forderung nach Abkehr von der industriellen Landwirtschaft hat durch Corona eine Dringlichkeit erhalten, die uns vorher in dieser Schärfe nicht bewusst war.

Nun wird es den Impfstoff irgendwann geben, vielleicht vorher auch geeignete Medikamente. Anders als bei Ebola oder SARS, wogegen es immer noch keinen Impfstoff gibt, setzen die politisch Verantwortlichen so ziemlich überall auf der Welt Himmel und Hölle in Bewegung, damit dies möglichst rasch geschieht – im Gegensatz zu Ebola und SARS, für die sich die Pharmaindustrie nicht interessiert, weil diese Epidemien hauptsächlich Länder des globalen Südens betrafen, die wenig zahlungskräftig sind. Es ist den Verantwortlichen sogar vorzuwerfen, dass sie alles auf die Karte Impfstoff setzen (und damit die Pharmaindustrie kräftig füttern), während vorbeugende Maßnahmen und eine vor allem auch personell bessere Ausstattung des Gesundheitswesens in keinem Rettungspaket und keinem Konjunkturprogramm vorkommen.

Damit sind wir das Problem aber nicht los, denn die Agrarindustrie sorgt dafür, dass solche Viren immer wieder neu auftauchen und immer wieder neu wird man Medikament und Impfstoff dagegen finden müssen. Die Forderung nach Abkehr von der industriellen Landwirtschaft hat durch Corona eine Dringlichkeit erhalten, die uns vorher in dieser Schärfe nicht bewusst war. Was aber tun, wenn die in der Landwirtschaft Beschäftigten in Deutschland nicht einmal mehr 2 Prozent der Bevölkerung ausmachen und der Bezug von Lebensmitteln aus aller Welt für uns zur Normalität geworden ist? Die EU beansprucht für ihre Grundnahrungsmittel und andere Konsumgüter aus landwirtschaftlicher Produktion anderswo auf der Welt eine Fläche, die mit 6,4 Millionen Quadratkilometer eineinhalb mal größer ist als alle 28 Mitgliedstaaten zusammen. Deutschland ist weltweit der drittgrößte Importeur von landwirtschaftlichen Produkten und Nahrungsmitteln, obwohl sich dieses Land theoretisch zu mehr als 90 Prozent selbst versorgen könnte. Doch die deutsche Landwirtschaft ist wesentlich auf die Produktion und den Export von Fleisch und Milchprodukten konzentriert. Das belegt zwei Drittel der landwirtschaftlichen Fläche, während nur auf einem Prozent Obst und Gemüse wachsen. In keinem Sektor ist die Produktion so globalisiert wie in der Landwirtschaft. Wo können wir da den Hebel ansetzen, um die Dinge zu ändern? Das ist die eine Baustelle.

Die Gesundheit

Die andere bleibt die Gesundheit, die ja eine Schnittstelle bildet zwischen der Landwirtschaft/Ernährung, den Arbeitsbedingungen nicht nur im Gesundheitssektor, den Wohnverhältnissen und der Trinkwasserversorgung, mithin der Klimafrage und der Ökonomie. Der Kampf mit der Pharmaindustrie um den Preis der Medikamente und Impfstoffe – also um ihre Verstaatlichung – wäre ein wichtiger Meilenstein, um das Gesundheitswesen aus deren Diktat zu befreien. Wer aber kann diesen Kampf führen? Wie ließe er sich organisieren?

Grundsätzlich ist Gesundheit sowohl ein Thema für Stadtteilarbeit als auch für betriebliche Arbeit. Für Stadtteilarbeit eignet es sich umso mehr, je maroder das öffentliche Gesundheitswesen ist. Die Arbeitermedizin im Italien konnte deshalb so wichtig werden, weil es bis 1978 keine allgemeine Gesundheitsversorgung gab (die gibt es in Deutschland auch nicht, weil sie an Versicherungsleistungen gebunden ist; die Sozialversicherungspflicht ist hier noch weit verbreitet, es gibt seit Hartz IV aber auch vermehrt Fälle, die nicht mehr krankenversichert sind). Es sei auch daran erinnert, dass die Partei der Arbeit (PTB/PVDA) in Belgien damit groß geworden ist, dass sie gute Ärzt*innen in ihren Reihen hatte, die stadtteilbezogene, kostenlose Gesundheitsversorgung angeboten haben. In Deutschland entwickeln sich erste Pflänzchen solcher Gesundheitszentren (Hamburg, Berlin, Leipzig, Dresden).

In der betrieblichen und gewerkschaftlichen Arbeit ist Gesundheit ein Thema, das danach schreit, dass Betriebsräte und Belegschaften ihre weitgehenden Rechte aus dem Arbeitsschutzgesetz endlich konsequent nutzen. Bislang hat es ein Schattendasein geführt, auch weil die Gewerkschaften dem vielfach ignorant gegenüberstehen, wie aktive Betriebsräte und engagierte Gewerkschafter*innen wie Wolfgang Hien immer wieder beklagen. Das könnte sich mit der Sensibilisierung durch Corona ändern. Das Thema wird uns jedenfalls noch solange begleiten, wie es keinen Impfstoff gibt. Solange werden auch viele Menschen trotz Lockerungen vorsichtig sein, was die Gastronomie und die Freizeitindustrie ökonomisch weiter belasten wird.

Die Ökonomie

Kommen wir zur dritten Baustelle, der Wirtschaftskrise. Auch hier ist der Verlauf nicht ganz klar. Die Zahl der coronabedingten Arbeitslosen ist bis Ende Mai um 400.000 gestiegen, insgesamt offiziell um 600.000 auf 2,9 Millionen. Aber ein weiterer Anstieg ist zu befürchten. Zudem ist die Zahl der Kurzarbeiter*innen explodiert, 7,3 Millionen im Mai (im Mai 2009 waren es 1,5 Millionen). Sie verteilen sich relativ gleichmäßig auf fast alle Wirtschaftszweige: In den wirtschaftsnahen Dienstleistungen 24,5 Prozent der Beschäftigten, in der Industrie 31 Prozent, im Handel 29,7 Prozent. Besonders gering war die Zahl auf dem Hoch- und Tiefbau mit 4,1 Prozent der Beschäftigten. Für die Weltwirtschaft scheint eine V-förmige Erholung ausgeschlossen, Ökonomen erwarten, dass die Krise einen L-Verlauf annimmt und Deutschland in eine anhaltende Stagflation rutschen.

Für den Verlauf der gesellschaftlichen Krise ist wichtig, wieviel davon durch Staatsintervention abgefedert wird. Da sich Deutschland im Moment offenkundig noch viel leisten – mit welchen Folgen? Mit dieser Flut von Geld kann eine Bevölkerung soweit über Wasser gehalten werden, dass sie über den Charakter der Krise leidlich getäuscht wird und die Herrschenden sich im Sattel halten können. Die sozialen Ungleichheiten und die Spaltungen innerhalb der lohnabhängigen Klasse werden damit aber verstärkt –, die Grundrechtedemos sind ein Ausdruck davon. Auf der anderen Seite sind da auch kleine ökonomische Erfolge drin, – während aber Bereiche wie die Pflege, einer der „Hotspots“ der Epidemie, im Konjunkturprogramm leer ausgehen.

Die Deutsche Bank geht davon aus, dass die „Corona-Krise“ allein Deutschland 1,9 Billionen Euro kosten wird.

Zusätzlich zu den Milliarden, die die GroKo schon zuvor an kleinere und mittlere Unternehmen ausschüttete, hat die Bundesregierung nun Anfang Juni ihren „Wumms“ beschlossen. Er hat ein Volumen von rund 130 Milliarden Euro und kommt überwiegend den großen Konzernen zugute.

Sicher ist, dass die derzeitige Politik die Schulden, die privaten wie die öffentlichen, in den Himmel treibt und der Gegenschlag in Form von Haushaltssperren für soziale, ökologisch und kulturell notwendige Ausgaben auf dem Fuß folgen wird.

Angriffe des Kapitals

Die Angriffe entscheidender Kapitalfraktionen nehmen zu. Gesamtmetall, der wichtigste deutsche Branchen-Industrieverband, sieht die Krise als Chance und bläst zur Attacke in der Metall- und Elektroindustrie. Das Ziel der „Vorschläge für die Corona-Krise“ ist klar: „Gestärkt aus der Krise hervorgehen“.

Die sieben Stufen auf dem Weg dahin sollen sein:

  1. Noch mehr Geld vom Staat ohne Kontrolle.
  2. Stopp der wenigen geplanten und sogar rückgängig machen der bereits umgesetzten sozialpolitischen Verbesserungen der GroKo (bei Renten, Befristungen usw.).
  3. Noch leichteres Heuern und Feuern.
  4. Schnellstmöglicher „Normalbetrieb“ bei Kitas, Horten und Schulen sowie weitere Aushebelung des Arbeitszeitgesetzes.
  5. Maximales Rückfahren des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes.
  6. Mehr Staatssubventionen für betriebliche Aus- und Weiterbildung. Sowie:
  7. Noch mehr Erleichterungen für Konzerne auf EU-Ebene.

Nicht offen formuliert ist das Ziel von Gesamtmetall, die IG Metall als derzeit zahlenmäßig stärkste Gewerkschaft zu einer IG BCE 2.0 zu degradieren. So könnten die M+E-Kapitalisten endlich das größte Hindernis für die uneingeschränkte „Diktatur der Zahlen“ (Jack Welch, ehemaliger CEO von General Electric) aus dem Weg räumen.

Vor allem in der Autoindustrie und bei den Zulieferfirmen geht es rund. Die Branche gilt als Deutschlands Schlüsselindustrie. Einschließlich der von ihr abhängigen Bereiche arbeiten dort rund zwei Millionen Beschäftigte.

Laut Angaben der IG Metall sind rund 10 Prozent der Branchenbetriebe bereits jetzt akut von Insolvenz bedroht. Über 100.000 Beschäftigte könnten in naher Zukunft erwerbslos werden. Hinzu kommt die „Transformation“ vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb in Verbindung mit der „Digitalisierung“. Sie wird den Kraftfahrzeugbau in den nächsten Jahren massiv verändern.

Handlungsfähigkeit der IG Metall

Die Handlungsfähigkeit der IG Metall, der mit über 2,2 Millionen Mitgliedern größten Einzelgewerkschaft der Welt, ist gefährdet. Was ist die Antwort der IGM-Spitze auf diese für den gesamten DGB existentielle Herausforderung? Auf der einen Seite die auf dem Gewerkschaftstag 2019 beschlossene Orientierung unter dem Motto „Die IG Metall vom Betrieb aus denken“. Das ist bisher nicht wirklich in die Gänge gekommen.

Auf der anderen Seite steht der Ruf nach der „Vernunft“ der „Sozialpartner“ und – in ziemlich bester Eintracht mit dem Kapital – die Forderung nach einer milliardenschweren Abwrackprämie 2.0. Sie ist zur Empörung der IGM-Führung und der Betriebsratsvorsitzenden der Autoindustrie „nur modifiziert“ gekommen, obwohl sie die erforderliche Verkehrswende noch mehr blockiert. Im Prinzip ist das die gleiche Gewerkschaftspolitik wie 2009 nach der „Finanzkrise“. Sie hat zwar damals die IGM vor dem Absturz der Mitgliederzahlen bewahrt. Aber sie hat nicht die Erosion ihrer politischen und organisatorischen Handlungsmacht gestoppt. Im Gegenteil.

Das Beispiel ZF – gelähmte IGM, handelndes Management

Das Beispiel des Autozulieferers ZF zeigt, wie gelähmt die IG Metall derzeit selbst in ihrem Vorzeigebezirk Baden-Württemberg ist.

ZF will bis zu 15.000 Arbeitsplätze weltweit, davon die Hälfte in Deutschland, in den nächsten Jahren vernichten. Bis Ende 2022 sind betriebsbedingte Kündigungen in den meisten Werken offiziell noch ausgeschlossen. Das Management versucht jedoch, mit den Abbauplänen Druck auf die Betriebsräte und die Gewerkschaft auszuüben. Zudem will es die milliardenschweren Übernahmekredite für den Erwerb der Unternehmen TRW und Wabco nicht gefährden. Diese sind nämlich üblicherweise an das Erreichen von Kennzahlen – meist des operativen Gewinns – geknüpft.

Pikant an der Angelegenheit ist, dass ZF über zwei Stiftungen praktisch der Stadt Friedrichshafen gehört. Stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender ist Roman Zitzelsberger, der IGM-Bezirksleiter von Baden-Württemberg. Bei der virtuellen Funktionärskonferenz der IGM Baden-Württemberg am 28.Mai 2020 war die Zuspitzung bei ZF erstaunlicherweise kein Thema, obwohl dort neben Zitzelsberger auch der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats von ZF zu Wort kam.

Die Zeichen stehen auf Sturm – Strategien fehlen

Was können wir tun? Die Zeichen stehen nicht nur bei ZF auf Sturm. Umso gefährlicher ist es, dass die IGM-Führung derzeit über keine erkennbare Strategie der Gegenwehr verfügt. Statt des Traums von der Sozialpartnerschaft ist jetzt der Aufbau einer sozialen Front der Gegenmacht angesagt. Das erfordert sowohl bei den haupt- als auch den ehrenamtlichen Gewerkschafter*innen einen Bruch mit der Logik der Profitmaximierung.

Das bedeutet zum Beispiel, die Einhaltung von Artikel 14 des Grundgesetzes einzufordern („Eigentum verpflichtet“) und für das Verbot von Entlassungen zu kämpfen – wie es vor kurzem erst von IGM und Betriebsrat bei Bopp & Reuther in Mannheim vereinbart wurde. Das bedeutet ferner, die Offenlegung aller Geschäftszahlen und Unternehmensstrategien zu fordern, sowie ökologische und gesellschaftlich sinnvolle Produktionsumstellungen zu entwickeln und durchzusetzen.

Kurzum: Es geht perspektivisch um nicht weniger als um die Frage, ob die Wirtschaft der Gesellschaft dient oder dem Profit. Und es geht um die Zukunft der IG Metall und damit um das grundlegende Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit hierzulande.

Für eine grundlegende Wende

Angesichts dieser Entwicklungen ist es dringend erforderlich, unseren Aktionsplan (1)für die Verteidigung der Interessen der arbeitenden Klassen weiter zu entwickeln, ihn zu propagieren und für seine Umsetzung zu kämpfen.

Angesichts dieser Entwicklungen ist es dringend erforderlich, unseren Aktionsplan( 1) für die Verteidigung der Interessen der arbeitenden Klassen weiterzuentwickeln, ihn zu propagieren und für seine Umsetzung zu kämpfen.

Wollen die arbeitenden Klassen und ihre Gewerkschaften sich nicht selbst dem Untergang ausliefern, dann müssen sie endlich für eine grundlegende Wende kämpfen. Sie dürfen nicht weiter hinnehmen, dass ein wachsender Teil der Kolleg*innen zu Dauer-Arbeitslosen oder prekär Beschäftigten, Niedriglohn-Arbeiter*innen und „Aufstockern“ gemacht wird.

Deshalb muss ein gesellschaftlich nützlicher und ökologisch wirksamer Plan öffentlicher Arbeiten demokratisch erstellt und durchgesetzt werden. Er muss sinnvolle Arbeit und eine würdige Existenz für alle Menschen ermöglichen. Denn das Recht auf Arbeit ist elementar für die arbeitenden Klassen in einer auf Ausbeutung begründeten Gesellschaft.

Leiharbeit, Werksverträge und alle Formen prekärer Beschäftigung müssen ebenso wie Entlassungen verboten werden. Statt Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit für Millionen muss die Arbeit auf alle verteilt werden, zum Beispiel durch eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverlust in Stufen: 35-Stundenwoche, 30-Stundenwoche …

Das Existenzminimum von prekär Beschäftigten und selbständig Tätigen ist umgehend und unbürokratisch zu sichern.

Ein Mindestlohn von 15 € ist umgehend einzuführen.

Vor diesem Hintergrund ist die bisherige, aus Steuergeldern finanzierte milliardenschwere Subventionierung entgangener Profite zu stoppen. Zudem müssen auch die Konzerne und die Superreichen ihre Vermögensverhältnisse offenlegen.

Die Finanzierung dieser Maßnahmen erfolgt aus einer Solidaritätssteuer von 20 % auf alle Geldvermögen über 1 Million Euro und aus der Beschlagnahme aller zur „Steuer-Optimierung“ im Ausland versteckten Milliarden.

Damit und mit den bisher dem Kapital in den gierigen Rachen geworfenen Unsummen könnte zudem die dringend erforderliche gesellschaftliche Daseinsvorsorge in den Bereichen Armutsbekämpfung, Bildung, Energie, Ernährung, Gesundheit, Kultur, Naturschutz, Pflege, Verkehr und Wohnen spürbar verbessert werden.

Die Herrschenden und ihre Helfershelfer werden auf die „Unmöglichkeit der Verwirklichung“ unserer Forderungen hinweisen. Diese ist jedoch eine Frage der Kräfteverhältnisse und kann nur durch den Kampf beantwortet werden.

Was tun?

Aber auch für viele andere Bereiche gilt: Die reine Fokussierung auf die Abwehr der Krisenlasten, die 2008 noch im Mittelpunkt stand, reicht heute allein nicht mehr. Angesichts der multiplen Krise muss der weiterhin notwendige Abwehrkampf mit Forderungen und konkreten Schritten hin zu einer ökologischen Kehrtwende verbunden werden.

Die Themen Klimawandel und ökologischer Umbau sind mitnichten vom Tisch, im Gegenteil, sie haben sich – aufbauend auf dem medialen und bewusstseinsmäßigen Erfolg der Fridays for Future – bis in Kreise bürgerlicher Ökonomen einen Weg ins öffentliche Bewusstsein gegraben, auch wenn das bei der Führung der IG Metall noch nicht angekommen ist. Es ist etwas aufgebrochen im Massenbewusstsein.

Daraus ergeben sich Chancen, die müssen wir in den Vordergrund stellen – darin sind wir uns erfreulich einig und das unterscheidet uns von etlichen anderen Linken. Die Chancen liegen weniger in der Beschränkung auf die notwendige kurzfristige Abwehr der Folgen der Krise, sondern in der zusätzlichen mittelfristigen Orientierung auf eine neue Art des Wirtschaftens. Es ist durchaus denkbar geworden, dass sich konkrete Situationen ergeben, wo es genau der Umbau ist, der Arbeitsplätze schafft, nicht der Erhalt des Bestehenden.

Das ist das politische Profil, für das wir stehen – und streiten – sollten.

Dieses Profil erlangen wir nicht allein durch eine einzige zentrale Initiative, Kampagne oder ähnliches, dazu sind wir noch zu klein, unsere Kräfte noch zu wenig konzentriert.

Einen Zusammenhang können wir derzeit zwischen den verschiedenen Strängen meist nur propagandistisch herstellen. Zusammenhänge herstellen können wir auch durch kluge Bündnispolitik. Allerdings sind wir auch da nicht mehr im Jahr 2008: ein Anti-Krisen-Bündnis allein ist keine adäquate Antwort mehr auf die heutige Situation, ihm fehlt die transformatorische Perspektive. Wir brauchen Bündnisse, die konkrete Umbauwege aufzeigen. Und die müssen, wenn das keine etatistische Veranstaltung werden soll, Hand in Hand gehen mit der Verteidigung und Ausweitung unserer sozialen und politischen Rechte. Das lässt sich nicht aus dem Boden stampfen, dafür müssen wir in einen lebendigen Austausch mit anderen politischen Kräften treten. Das tun wir noch zu wenig, auch dafür können der kontinuierliche praxisorientierte Austausch und unsere Bildungsveranstaltungen sehr nützlich sein.

1)  https://intersoz.org/solidaritaet-heisst-menschen-schuetzen-unser-leben-ist-mehr-wert-als-ihre-profite/

 

Quelle: https://intersoz.org/den-oekosozialistischen-umbau-in-den-vordergrund-stellen/ / 14.07.2020