Editorial
Umgruppierungen

von Karl Mueller

04/2017

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onlinezeitung

Gut 30 Aufrufe zum 1. Mai aus dem sozialrevolutionären und linksradikalen Spektrum der BRD konnten wir in der Aprilausgabe des letzten Jahres dokumentieren. Mehr als 40 waren es noch zwei Jahre zuvor. Dieses Jahr liegen uns erst vier Aufrufe vor. Sicherlich werden noch einige dazukommen. Als  Empiriker*in könnte mensch diese Fakten als Abwärtstrend einstufen, um die These zu formulieren, dass sich dieses politische Spektrum im Niedergang befindet. Einige Dialektiker*innen würden vermutlich davon ausgehen, dass nun das Weniger auch ein Mehr sein könnte.

Tatsächlich ist zu beobachten, dass sich die Zahl linker Zusammenschlüsse verringert bzw. bereits vorhandene ideologische Linien konturierter als Lager in Erscheinung treten. Beispiele aus jüngster Zeit: Der Zusammenschluss der ISL und des RSB zu einer gemeinsamen deutschen Sektion der 4. Internationale. Oder: Die Fokussierung  ml-maoistischer Kleingruppen auf die Internetplattform "Dem Volke Dienen" als Ausdruck einer heranwachsenden Strömung. Die auf Dauer mittels Kampagnenpolitik ausgelegte politisch-ideologische  Anbindung der Interventionistischen Linken an die Linkspartei.

In diesem Umgruppierungsprozess angesiedelt ist m.E. die Bildung eines Internationalistischen Bündnisses zu verorten. Die Entscheidung des Bündnisses an den Bundestagswahlen 2017 teilzunehmen, kam dann auch nicht überraschend. Wir wollten deshalb in einem Interview mit Andrew Schlüter, dem Listenführer der Landesliste des Bündnisses, erfahren, was ist neu, was ist anders gegenüber den bisherigen Offenen Listen der MLPD.

Obgleich die eine oder andere Einlassung von Andrew Schlüter Anlass zu einem ideologischen Disput gegeben hätte, haben wir in diesem Kontext bewußt darauf verzichtet. Denn angesichts der weiterhin anhaltenden Zersplitterung des sozialrevolutionären und linksradikalen Spektrums, ist so ein Bündnis ein bemerkenswerter Schritt in Richtung der Bildung eines linken klassenorientierten Blocks, der den Kapitalismus aufheben und nicht Arzt am Krankenbett dieses Gesellschaftssystems spielen will.

Für diejenigen, die eine Kritik an dem Bündnis-Projekt vermissen, haben wir in die April-Ausgabe einen Aufsatz des Kommunistischen Aufbaus aufgenommen, worin der "Parlamentarismus" prinzipiell ablehnt wird und wo Wahlbeteiligungen ggf. nur unter taktischen Gesichtspunkten in Frage kommen. Von diesem Stadtpunkt aus werden  linke und revolutionäre Organisationen - besonders die MLPD - wegen ihrer Haltung zum Parlament und der Teilnahme an Wahlen als "sozialdemokratisch" kritisiert. By the way - vergessen werden dabei einfach die "echten" Sozialdemokraten wie z.B. die Sozialistische Alternative Voran (SAV), die Macher*innen der AKL.

Überweite Strecken handelt es sich bei diesem Text des Kommunistischen Aufbaus  nicht mehr als um eine buchgläubige Prinzipienerklärung, in der schlicht ignoriert wird, dass die zu Rate gezogenen Lenin- und Stalin-Texte  Propagandaschriften und keine wissenschaftlichen Untersuchungen zur Staatsfrage waren. Sie mögen in ihrer Zeit eine Wirkmächtigkeit entfaltet haben, was ich nicht zu bestreiten vermag. Zumindest war Lenins "Staat und Revolution" - am Vorabend der Revolution für die ideologisch schwankende bolschewistische Partei geschrieben - eine Leitschnur, mit der es gelang, die Doppelherrschaft in Richtung Rätedemokratie zu transformieren und die ersten revolutionären Dekrete durchzusetzen. Wer sich für dieses Thema interessiert, findet die entsprechenden Leseanregungen in unserem Archiv "Texte zur Oktoberrevolution", welches in diesem Jahr sukzessive mit Texten angefüllt wird.