Von der Organisations- zur Programmdebatte

Des Genossen Meinhard Creydt intellektueller und polemischer Overkill
von Detlev Georgia Schulze

7-8/11

trend
onlinezeitung

Meinhard Creydt bemühte in den letzten Tagen gleich mehrfach die Computertastatur, um seine Bedenken gegen den Vorschlag eines Zirkels aus dem Berliner Stadtteil Schöneberg, über (Un)sinn und (Un)möglichkeit der eventuellen Gründung einer neuen antikapitalistischen Organisation zu diskutieren, vorzutragen: So in der Juli-Ausgabe der online-Zeitung "trend" unter der Überschrift "Voluntarismus und Materialismus in der Linken"   und unter der Überschrift "Linksradikalauernde Heimatvertriebene auf der Suche nach ihrem Plätzchen im Paralleluniversum".
Angestoßen wurde die Diskussion im März von einigen aus unterschiedlichen trotzkistischen und linkssozialistischen Traditionen Kommenden, die unter dem Namen "Sozialistische Initiative Berlin-Schöneberg" auftreten. Deren Papier hat seitdem hier bei scharf-links, in der "jungen Welt", bei der schon erwähnten online-Zeitung "trend" , bei "Lafontaines Linke" der Journalisten Wolfgang Hübner ("Neues Deutschland") und Tom Strohschneider ("Freitag") und in anderen internet-blogs eine durchaus beachtliche Resonanz erlangt. [1]

Redaktionelle Hinweise

Wir veröffentlichten in der Märzausgabe einen Beitrag der
„Sozialistische Initiative Berlin-Schöneberg“ zur Gründung einer antikapitalistischen Organisation. Darüber entwickelte sich eine Debatte, die durch das TREND TEACH IN ihren ersten Bilanzpunkt erfuhr. Die Statements wurden in der Juniausgabe des TREND veröffentlicht. Weitere in der aktuellen Sommerausgabe 7-8/11

Die "SchönebergerInnen" haben mittlerweile einen Blog eröffnet, der ebenfalls  die Debatte begleitet.

Erfreulicherweise - angestoßen durch Robert Schlossers Beitrag - scheint sich nun in der 2. Juli-Hälfte die Organisationsdebatte in eine Programmdebatte zu transformieren.

Da die Linke in Deutschland nur allzu oft, sozusagen mit vermeintlich deutscher Gründlichkeit, zwischen Resignation und Euphorie hin- und herschwankt, verdient jedes Bedenken genauso gründlicher Prüfung, bevor sich in das nächste "Projekt" (was allerdings eher eine französische ["projet" à la Sartre] bzw. us-amerikanische ["project" à la Pragmatismus] Verphilosophierung politischer Vorhaben ist) gestürzt wird. Hören wir also ...

... Meinhards Bedenken

Meinhard Creydt machte im ersten Teil seines ersten Textes eine Reihe von konkreten Einwänden gegen das Schöneberger Papier, im zweiten Teil argumentiert er theoretisch-grundsätzlicher. Prüfen wir die Argumente aus beiden Teilen des Textes:

Zunächst zu Teil 1

  • Meinhard bemängelt an dem Schöneberger Papier den Satz: "Die tiefgreifende Legitimationskrise [des Kapitalismus] lässt sich nicht mehr so leicht einfangen." Ja, ich bin auch nicht mit dem Satz (und noch einige anderen Sätze, die in die gleiche Richtung gehen) einverstanden - und ich hatte das auch schon öffentlich geschrieben. [2] -
    Aber: Ist DESHALB der Vorschlag in eine Debatte über die eventuelle Gründung einer neue antikapitalistischen - oder (wie ich zwecks Vermeidung von Klassenreduktionismus vorschlagen wollen würde, zu sagen:) neuen revolutionären - Organisation einzutreten und sie - als Ergebnis - vielleicht tatsächlich zu gründen, falsch?
    Nein! Prinzipiell kann eine neue Organisation auf dieser oder jener analytischen Grundlage und auf Grundlage dieser oder jener strategischen Schlußfolgerung gegründet werden [3] - was nicht heißt, daß Analyse und Strategie beliebig wären. Aber Analyse und Strategie in größeren Kreisen der revolutionären Linken, als dies bisher üblich ist, gemeinsam zu diskutieren und dann zu Entscheidungen zu kommen, ist ja genau der Vorschlag der Schöneberger. Und zumindest einen Anfangserfolg haben sie damit erzielt - auch Dank Deiner Wortmeldungen, Meinhard.
  •  Du schreibst des weiteren gegen die Schöneberger gerichtet: "Das ökumenische Wunschbild: Die vielen besonderen Kleinorganisationen mögen sich in eine zu schaffende neue Organisation auflösen und tapfer der Versuchung und dem für sie charakteristischen Trieb widerstehen, das größere Publikum der neuen Organisation (‚entristisch') als Rekrutierungsfeld für die Stärkung des jeweils eigenen Kaders zu nutzen."
    Ja, und wo liegt darin jetzt die Kritik? Wo ist das Argument? Warum sollte dieser Wunsch PRINZIPIELL nicht Wirklichkeit werde können? Warum sollten die existierenden Kleinorganisationen und Grüppchen - mit ihren unterschiedlichen regionalen Schwerpunkten und inhaltlichen Kompetenzen - nicht einsehen können, daß es sinnvoll ist - in der Tat bestehende - analytische, inhaltliche und strategische Differenzen im größeren Rahmen zu diskutieren, unterschiedliche theoretische Kompetenzen und politische Erfahrungen zusammenzuführen und - soweit sich Übereinstimmung erzielen läßt - zu einer gemeinsamen politischen Praxis unter gemeinsamen Namen zu kommen?! Klar, wenn die einen meinen würden, die Aufstand stünde unmittelbar bevor und es gelte, zur allgemeinen Volksbewaffnung aufzurufen, und die anderen meinen würden, die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise hätte gerade erst die historische Bühne betreten, sie müsse zu allererst erst einmal ausgiebig analysiert werden (Marx' "Kapital" sei noch gar nicht geschrieben worden), bevor überhaupt irgendein Schritt politischer Praxis möglich sei, dann wäre die Bildung einer gemeinsamen Organisation unsinnig.
    Aber: Wenn sich die unterschiedlichen Positionen auf die Einschätzung von "Kronstadt", auf die in den kapitalistischen Ländern während des II. Weltkrieges einzuschlagen gewesene politische Linie oder selbst auf den XX. Parteitag der KPdSU oder auch erst Aufnahme (vor rund 40 Jahren) und dann Einstellung (vor rund 20 Jahren) des bewaffneten Kampfes durch die RAF beziehen - sind das dann politische Differenzen, die eine gemeinsame Diskussion und gemeinsame politischen Praxis in den nächsten - sagen wir - 20 oder 50 Jahren ausschließen?
  • Das nächste Bedenken von Meinhard lautet: Das Ziel der Schöneberger sei: "Ein Zirkel, der das Zirkelwesen überwindet. Der solle dann der Linkspartei ‚Einheitsfront von oben' anbieten. Soweit die Fantasien aus dem Schöneberger Ratskeller."
    "Zirkel, der das Zirkelwesen überwindet" - das ist nun allerdings NICHT eine Formulierung der Schöneberger! Vielmehr ist das ein Vorschlag, den Karl-Heinz Schubert bei der - von Meinhard erwähnten - Diskussionsveranstaltung am 22.6. in Berlin (vgl. den Bericht in der "jungen Welt" am übernächsten Tag [3]) als ALTERNATIVE zu einer eventuellen Organisationsgründung in die Diskussion warf... -
    Und, nun ja - was es mit der "Einheitsfront" genau auf sich hat bzw. haben soll, wird zu diskutieren sein (ich hatte diesbzgl. schon vor Meinhard öffentlich Diskussionsbedarf angemeldet [4]). Mir scheint: In erster Linie sollte der Begriff "Einheitsfront" in dem Papier ein Signal sein, daß es bei dem Organisierungsvorschlag nicht um linksradikale (i.S. Lenins bekannter Schrift) Sektiererei gehen soll, sondern daß die eventuelle neue Organisation bündnisbereit mit der Linkspartei sein will und sein muß - ohne sich freilich SELBST aufzugeben (auch diese feine Grenze zwischen Anti-Sektierertum und Opportunismus ist an der genannten Stelle [5] ziemlich klar benannt).
  • Weiter moniert Meinhard: "Eine andere Logik des Herangehens an das wichtigmeierisch ‚Organisationsfrage' genannte wäre mit folgender Frage umrissen: Was sind die Bedingungen der Möglichkeit dafür, dass sich bestimmte Kerne von sozialer Opposition und nachhaltigem linken Engagement in relevanten gesellschaftlichen Bereichen bilden? Es reicht nicht, dass die Idee zur Wirklichkeit drängt. Zu fragen ist, wie die Wirklichkeit zur Idee drängt. Und die Wirklichkeit hat ihre eigene Bewegung. Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als Programme. Natürlich muss es sich um wirkliche Bewegung handeln. Sonst wäre man beim bloßen Erfolgsargument angelangt, bei dem die Quantität die Qualität definiert."
    Ja: "Es reicht nicht, dass die Idee zur Wirklichkeit drängt. Zu fragen ist, wie die Wirklichkeit zur Idee drängt." - wer/welche bestreitet das?! - Der Vorschlag der Schöneberger lautet ja auch nicht, in ein paar Tagen ‚die Revo zu machen' - und die Erwartung ist nicht einmal, daß die eventuell zu gründende Organisation in fünf Jahren 100.000 oder auch nur 10.000 Mitglieder haben wird. Oder - wie es die Gruppe Revolutionäre Perspektive Berlin in ihrem Selbstverständnispapier schreibt:
    "Wir sind keine Illusionisten und keine Utopisten. Wir erwarten nicht den schnellen Erfolg. Unsere Praxis ist Teil eines langfristigen Prozesses. Ungeduld und Geduld sind unsere ständigen Begleiter. Zwischen dem was wir notwendig und richtig finden und dem was wir schaffen umzusetzen, bleibt mehr liegen als uns lieb ist. Revolutionäre Programme sind immer Ausdruck gegenwärtiger Bedingungen und gegenwärtigen Bewusstseins. Sie sind nicht starr und endgültig, sondern von der realen gesellschaftlichen Entwicklung beeinflusst. Das ist mit unserem Projekt nicht anders. Es entwickelt sich mit und in Widersprüchen, wie wir selbst als seine Subjekte auch." (http://www.perspektive.nostate.net/ueber_uns).

ABER: Wenn es in fünf Jahren eine revolutionäre Organisation gäbe, die in etwa die gesellschaftliche Relevanz erlangen würde, die in den 70er und 80er Jahren KB und GIM [6] zusammen (oder auch nur beide einzeln) hatten, dann wäre das - in Anbetracht der heutigen Verhältnisse - ein großartiger Erfolg der Schöneberger Initiative.
Warum, Meinhard, willst Du abseits von dem Versuch stehen, zumindest einige Schritte in diese Richtung zu gehen? Bzw.: Du stehst ja gar nicht abseits, Du beteiligst Dich ja an der Debatte.

  • Hinsichtlich meines Einwandes, daß doch - jedenfalls für MarxistInnen - eine Selbstverständlichkeit sei, daß nicht nur die "Idee zur Wirklichkeit dräng[en]" müsse, wendet Meinhard allerdings präventiv ein: "Wie wenig es im Papier des Schöneberger Quintetts um diese materialistische Herangehensweise geht, lässt sich ihren Bemerkungen zum Kommunistischen Bund aus den 70er Jahren und zu Lutte Ouvriere in Frankreich entnehmen."
    Ja, daß der KB in dem Schöneberger Papier unangemessen schlecht ["KB (Nord)"] wegkommt [11], finde ich auch - aber darüber kann doch diskutiert werden! Ob Lutte Ouvriere (LO) wirklich der LCR bzw. NPA [7] überlegen ist, weiß ich nicht - nach dem wenigen, das ich diesbezüglich gelesen habe, bin ich allerdings skeptisch, was - nicht die Schöneberger (!), sondern - LO anbelangt...

Nun zu Teil 2

Soviel zum ersten Teil des ersten Textes von Meinhard Creydt. Kommen wir zum zweiten Teil. Dieser besteht vor allem aus aneinander gereihten Zitaten von Helmut Fleischer aus den 1980er Jahren. An den Zitaten ist prinzipiell schon etwas dran - nur inwiefern die konkret ein Argument gegen den SCHÖNEBERGER Vorschlag aus dem März 2011 sind, verrät uns Meinhard nicht... Das politische Argument bleibt an dieser Stelle von Meinhards Text unklar - sozusagen Intellektueller Overkill: Eine intellektuelle Semi-Koryphäe (ein, wie es scheint, von der Frankfurter Schule beeinflußter Theoretiker, der sich vergleichsweise weit aus dem - vom späten Georg Lukács so genannten Frankfurter "Grand Hotel Abgrund" - hinauswagt und sich politischen Problem seiner Zeit stellt[e] - lebt er noch?) wird aufgefahren, um die Schöneberger politisch abzuschießen... - nun ja, wer's meint nötig zu haben... - Ich denke Meinhard hat es eigentlich nicht nötig.

Das Einzige, was im zweiten Teil des ersten Textes von Meinhard Creydt zur aktuellen Organisierungsdebatte politisch greifbar ist, sind die zwei Sätze: "Noch eine ‚Kampagne', noch ein ‚Bündnis', noch eine Demo der Politikanten organisieren - da sind sie im Element i h r e r Geschäftigkeit. Demgegenüber geht es um die Ausbildung von Milieus, die sich zu einer neuen gegenhegemonialen gesellschaftspolitischen Kultur vernetzen können."

Nur: Derartiges "event-hopping" - wie heutzutage DAS heißt, was in den 1980er "Kampagne" und "Bündnisse" hieß - ist ja gerade Gegenstand der KRITIK der Schöneberger. [8]
Daß sie dabei trotzdem noch die Notwendigkeit der "Ausbildung von Milieus, die sich zu einer neuen gegenhegemonialen gesellschaftspolitischen Kultur vernetzen können" unterschätzen, mag sein. Ich, für meinen randständigen Teil in dieser Debatte, hatte jedenfalls schon in meinem 10-Punkte-Papier (ebenfalls bei "trend" veröffentlicht [10]) angemerkt:
"Die Medaille ‚Das Private ist das Politische' hat auch noch eine andere Seite: Erfolgreiche Politik benötigt auch ein entsprechendes lebensweltliches Umfeld. Und genau daran fehlte es den K-Gruppen der 70er Jahre weitgehend, während es SPD und KPD bis zum NS in Form von Arbeiter(Innen)bildungs- und Sportbewegung sowie später Spontis der 70er sowie Autonome und Grüne der 80er Jahre in Form des Alternativ-Mileu und der Projekte-Szene hatten.
Daraus ergibt sich die zentrale Frage: Was heißt das für die neoliberalen Bedingungen, wo es
- weder mehr die starke kulturelle Polarität Bourgeoisie - Proletariat, sondern sowohl eine Globalisierung/Universalisierung kultureller Stile als auch deren gleichzeitige massive Pluralisierung/Ausdifferenzierung gibt,
- noch mehr das sozialstaatliche Rückgrat ‚Staatsknete' der 70er und 80er Jahre?"
Meinhard, was ist denn DEINE Antwort auf MEINE Frage und DEINE Antwort auf die Frage, die DU SELBST stellst: "Was sind die Bedingungen der Möglichkeit dafür, dass sich bestimmte Kerne von sozialer Opposition und nachhaltigem linken Engagement in relevanten gesellschaftlichen Bereichen bilden?"
Und was ist DEINE Konsequenz aus DEINER Antwort auf diese beiden Fragen? Was sind Deiner Überzeugung nach die HEUTIGEN politischen Aufgaben von RevolutionärInnen in der BRD?
Darauf eine Antwort von Dir würde die laufende Debatte vermutlich wirklich einen Schritt voranbringen - wenn Du Dich denn doch noch zu einer über die post-1989er Selbstgewißheit "fragend gehen wir voran" (oder treten wir vielleicht doch nur fragend auf der Stelle?!) durchringen könntest.

Feminismus als Alibi?

Die Antwort von Frank Braun (im - zur Zusammenführung und gemeinsamen Fortsetzung der aktuellen Debatte eingerichteten - blog http://arschhoch.blogsport.de veröffentlicht) auf das erste Papier von Meinhard war: "Dieser Beitrag nämlich wirkt nicht ehrlich und auch nicht dessen Impetus." [11]
Wie berechtigt dieser Gegeneinwand ist, wird an keinem Satz deutlicher als an dem EINEN Satz in Meinhards Papier zum Geschlechterverhältnis: "Die Einlassungen zum Geschlechterverhältnis (auf dem Stand von ‚Triple Opression' und ‚Hausarbeitsdebatte' von 1972 ...) bilden nur e i n prägnantes Beispiel für das umgekehrt proportionale Verhältnis zwischen Selbstbewusstsein und Bewusstsein."
Ja, daß die Schöneberger Genossen in Sachen Feminismus nicht so ganz auf dem Stand der Diskussion sind, war auch schon anderen aufgefallen...
Aber: Was hat denn Meinhard selbst zu Feminismus und Geschlechterverhältnis zu sagen? Wie sollte denn im Sommer 2011 und in den kommenden 10, 20 Jahren die Verbindung antikapitalistischer und antipatriarchaler Politik auszusehen? Was ist denn DEINE Antwort auf das, was der Revolutionär Sozialistische Bund (RSB) zu diesem Thema bei scharf-links geschrieben hat [12], auf das, was ich selbst dazu geschrieben habe [13] und auf das, was ich zu diesem Thema von RIO und SoL zitiert habe [14]?
Diese Fragen zu beantworten - DAS wäre ein Schritt voran in der laufenden Debatte.

Das zweite Papier von Meinhard Creydt

Statt auf diese und andere relevante Fragen einzugehen, verschärft Meinhard in seinem zweiten Text - keine zwei Wochen nach seinem ersten Text, also ohne, daß die Schöneberger, realistisch betrachtet, die Chance gehabt hätten, kollektiv auch nur auf den ersten Text von Meinhard zu antworten - den Tonfall und greift Michael Prütz persönlich an: "Eine prägnante Situation, in der deutlich wurde, mit wem man es zu tun [!, dg] hat, war Michael Prütz' Auftritt bei einer Veranstaltung ‚Linke in der PDS' am 18.6.2002 im alten ND-Gebäude am F.Mehring-Platz in Berlin. Sein jahrzehntelanger Politfreund, Harald Wolf, sollte Wirtschaftssenator werden. Prütz berichtete bräsig und voller Stolz über seine Nähe zur Prominenz, wie er ‚noch vor zwei Monaten mit Harald zwei Flaschen Wein getrunken' habe. ‚Dass Harald Senator wird, das kann ich nicht verstehen.'" - Nach dem intellektuellen Overkill unter Berufung auf Helmut Fleischer nun also der polemische Overkill wegen zweier Flaschen Wein... -

  • Selbst wenn zuträfe, was Meinhard Creydt gleich anschließend schreibt ("Sie [Die Schöneberger] begreifen nicht die innere Logik eines bestimmten Politikmodells (in diesem Fall die des auf den parlamentarischen Betrieb setzenden Berufspolitikers Harald Wolf). Unsere enttäuschten Liebhaber skandalisieren dann als ‚Verrat', was die konsequente Fortsetzung dieser Politik ist, nur i h n e n aber als nicht verträglich mit der Idealisierung gilt, die s i e sich von dieser Politik zurecht gelegt haben."): nämlich, daß Prütz zu spät [15] die Linie seines ehemaligen GIM-Genossen Harald Wolf erkannt habe - immerhin hat Prütz sie erkannt und (anscheinend seit jener Meinhard Creydt auch nach fast zehn Jahren [!] noch denkwürdigen Veranstaltung "im alten ND-Gebäude am F.Mehring-Platz in Berlin") seine eigene strategische Ausrichtung korrigiert!
  • Und, nein: Prütz & Co. schreien in Bezug auf die Linkspartei gerade nicht "Verrat". Vielmehr schreiben sie in ihrem Papier: "Auf der LL-Demo 2011 skandierten die GenossInnen von RIO den (aktuell ergänzten) Klassiker: ‚Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Wer war mit dabei? Die Linkspartei!' Klingt hübsch, ist aber total dämlich.".
  • Weiter: Selbst, wenn Michael Prütz und die anderen Papier-Autoren (sagen wir: nicht nur zwischen 1991 und 2002, sondern) in ihrem ganzen bisherigen politischen Leben alles falsch gemacht hätten - ihr jetziger Vorschlag wäre ausschließlich GENAU DANN falsch, wenn sich gegen den jetzigen VORSCHLAG triftige Argumente vorbringen ließen. - Und wie gesagt: Diese oder jene Einwände gegen einzelne Einschätzungen in dem Schöneberger Papier und gegen einzelne Elemente des Schöneberger Vorschlages zu machen, heißt nicht, daß der Schöneberger Vorschlag nicht genau im Sinne dieser Kritik verbessert werden könnte.
  • Und schließlich noch, nur zur Klarstellung und weil es Meinhard ein wichtiges Thema zu sein scheint (War er an den damaligen Diskussions- und Entscheidungsprozessen beteiligt und meint noch alte Rechnungen offen zu haben - und deshalb das Rumgeholze?!): @ WASG-Alleinkandidatur in Berlin. Diese Kandidatur mag damals falsch oder richtig gewesen sein. Die Schöneberger schlagen jedenfalls jetzt keine Organisation vor, die sich an Wahlen beteiligen soll. Letzteres wäre auf absehbare Zeit auch nicht mein Ding. Und auch der RSB, der positiv auf den Schöneberger Vorschlag reagiert hat, scheint von wahlpolitischem Engagement nicht viel zu halten.

Warum regt sich Meinhards also dermaßen auf: Was gefährdet der Schöneberger Vorschlag? Warum meint Meinhard mit derartigen intellektuellen und polemischen Kanonen auf Schöneberger Spatzen schießen zu müssen? Und warum meint er zu allem Überfluß auch noch die Schöneberger für Positionen kritisieren zu müssen, die sie gar nicht vertreten, sondern vielmehr SELBST kritisieren?

Über Meinhard hinaus

Wenn wir Meinhard Papiere zum Anlaß nehmen, eine erste Zwischenbilanz der Debatte zu ziehen, so scheint sich mir der Diskussionsstand wie folgt darzustellen:
Es gibt Einwände (nicht nur von Meinhard, sondern auch von Karl-Heinz Schubert und Robert Schlosser) gegen diese und jene analytische Einschätzung in dem Schöneberger Papier (von diesen Einwänden teile ich einige), diese und jene Einwände hinsichtlich der vorgeschlagenen Organisationsstruktur (die Einwände teile ich eher nicht) und den Hinweis, daß auch über Inhalt ist reden ist - daß eine Programmdebatte zu führen ist, was zweifelsohne richtig ist.
Aber all dies sind keine Argumente gegen den Schöneberger Vorschlag ALS SOLCHEN, sondern Vorschläge für die genaue Ausgestaltung dessen, was die Schöneberger vorschlagen, bzw. Hinweise darauf, was Voraussetzungen für einen Erfolg des von den Schönebergern Vorgeschlagenen sind.

Gegen den grundsätzlichen Schöneberger Vorschlag gibt es bisher kein Argument: Was soll daran bitte sehr falsch sein, möglichst viele RevolutionärInnen in einer gemeinsamen Organisationen zusammenfassen?

Dieser Vorschlag mag sich am Ende nicht realisieren lassen, weil die inhaltlichen und strategischen Differenzen doch zu groß sind - aber über diese Inhalte und Strategien sollte zunächst einmal geredet werden. - Und selbst, wenn am Ende keine relevante gemeinsame Organisation herauskommt, sondern die Schöneberger und noch ein paar Leute eine Berliner Ortsgruppe der Sozialistischen Kooperation aufbauen, beim RSB oder Avanti eintreten - auch das würde nicht schaden, sondern wäre auf alle Fälle besser als Vereinzelung der RevolutionärInnen.

Für die Beteiligung von Meinhard Creydt an der Organisierung der revolutionären Kräfte in der BRD!

[1] Zusammenfassender Bericht bei indymedia:
http://de.indymedia.org/2011/07/311625.shtml?c=on
Auflistung sämtlicher bisherigen Texte zum Thema:
http://arschhoch.blogsport.de/2011/06/25/antworten-und-andere-texte/

[2] http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/05/15/antikapitalistisch-ist-nicht-revolutionaer-genug/, Anmerkung 1.

[3] Ich schließe mich insofern mehr oder minder dem gestrigen Beitrag von G. Karlfeld bei scharf-links an: "Auch wenn der Ausgangspunkt des Papiers mit der Auffassung, ‚der Kapitalismus befinde sich in einer tiefgreifenden Legitimationskrise', eine Fehleinschätzung sein sollte, ist das für die Organisationsfrage unerheblich, die gesellschaftlichen Verhältnisse sind die Motivation für die Gründung einer solche Organisation."
Ja, die herrschenden Verhältnisse wären der Anlaß der in Rede stehenden Organisationsgründung - und wenn die herrschenden Verhältnisse sich noch nicht in einer "tiefgreifenden Legitimationskrise" befinden (wovon auch ich ausgehe), dann ist es gerade der Zweck einer solchen Organisation, dazu beizutragen, daß die herrschenden Verhältnisse in eine solche Legitimationskrise geraten.

[3] http://www.jungewelt.de/2011/06-24/039.php?sstr

[4] http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/05/15/antikapitalistisch-ist-nicht-revolutionaer-genug/, Anmerkung 3.

[5] "[...] die vollste Freiheit der Agitation, Propaganda und politischen Tätigkeit [...]. Ohne die letzte Bedingung darf man sich natürlich nicht auf einen Block einlassen, denn das wäre Verrat: Die vollste Freiheit der Entlarvung der Henderson und Snowden müssen die englischen Kommunisten ebenso unbedingt verfechten und durchsetzen, wie die russischen Bolschewiki sie (fünfzehn Jahre lang, von 1903 bis 1917) gegenüber den russischen Henderson und Snowden, d.h. gegenüber den Menschewiki, verfochten und durchgesetzt haben." (http://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1920/linksrad/kap09.html). Vgl. http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/09/03/lenin-antwort-der-antidemokratischen-aktion/

[6] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gruppe_Internationale_Marxisten und http://de.wikipedia.org/wiki/Kommunistischer_Bund

[7] "Ebenfalls nicht empfehlenswert: Das Modell ‚KB (Nord)' aus den 1970 /80er Jahren" (http://arschhoch.blogsport.de/2011/03/23/neue-antikapitalistische-organisation-na-endlich-worueber-muessen-wir-uns-verstaendigen-und-worueber-nicht/).

[8] http://de.wikipedia.org/wiki/Ligue_Communiste_R%C3%A9volutionnaire und http://de.wikipedia.org/wiki/Nouveau_Parti_Anticapitaliste

[9] "Die (Selbst)kritik [durch "Avanti. Projekt undogmatische Linke"] an den offenkundigen Defiziten der IL - mangelnde bzw. überhaupt nicht vorhandene Verbindlichkeit, linksradikale ‚Selbstreferenzialität', keine erkennbare strategische Ausrichtung (‚Eventhopping'), mangelnde Klassenorientierung geht u. E. in die richtige Richtung." (http://arschhoch.blogsport.de//).

[10] http://www.trend.infopartisan.net/trd0611/t030611.html (Zehn Punkte, über die wir diskutieren sollten. Noch einmal zum Thema Neue Antikapitalistische / Revolutionäre Organisation [Juni 2011])

[11] http://arschhoch.blogsport.de/2011/07/06/jeder-schritt-wirklicher-bewegung/

[12] http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/05/15/antikapitalistisch-ist-nicht-revolutionaer-genug/, Anmerkung 5.

[13] http://www.scharf-links.de/

[14] RIO: "Auch innerhalb der revolutionären Linken können [...] sexistische Verhaltensweisen reproduziert werden. Deswegen [...] treten wir für das Recht von Frauen und auch von sexuellen Minderheiten innerhalb der Arbeiterbewegung und der Linken ein, sich eigenständig zu treffen und zu organisieren, [...]" (http://www.revolution.de.com/grundsatzpositionen/index.html#se8) SoL: "Definitionsmacht bedeutet, dass Betroffene sexueller Übergriffe definieren, dass ein Grenzübertritt stattgefunden hat und welche Konsequenzen daraus folgen. Trotz bestehender Kritik halten wir die Definitionsmacht für das beste Prinzip, das wir haben." (S. 30).

[15] MIR und meinen damaligen GenossInnen fiel dies schon 1991 auf: "PROWO und der Mantel der Geschichte. Versuch einer Bilanz der PDS-Intervention von Teilen der PROWO" (Sept. 1991): http://theoriealspraxis.blogsport.de/koproduktionen/prowo-und-der-mantel-der-geschichte/.
Was dort am Ende steht:
"Wir mutmaßten, daß nicht nur die PDS, sondern auch der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus als Katalysator für einen Umstrukturierungsprozeß der Linken wirkt. Hier stellt sich die entscheidende Frage, ob in der Zeit des Zusammenbruchs allermöglichen - im weitesten Sinne - linken Strukturen die politische Konjunktur für ein neues Organisationsprojekt vorhanden war, oder ob es nicht vielmehr notwendig war - und nicht geleistet wurde - statt dessen, die noch vorhandenen Rest-Strukturen lieber zu stabilisieren. Dies ist eine Frage, die sich genauso anläßlich des Scheiterns unserer ‚Radikale Linke'-Intervention stellt und außerdem die weitere Frage nach der Substanz unserer jedesmaligen, hochtrabenden Pläne aufwirft.",
sollte uns dazu bringen, auf alle Fälle das Bedenken, das Frank Braun am 5.4. bei scharf-links formulierte, im Kopf zu behalten:
"Es ist klar, daß jene vorhandenen Zirkel mit kleinen Milieus, großen Programmen aber sehr bescheidenem Einfluß erst einmal erschrecken, wenn ihnen die ‚Sozialistische Initiative - Berlin-Schöneberg' ihr gewohntes Nischendasein wegnehmen möchte. Ich kann nicht einschätzen, ob diese Gruppen nicht doch noch heutzutage einen relevanten Teil des Rückgrats der antikapitalistischen Linken darstellen. Wir sollten das nicht auch noch zerkloppen bevor dazu eine Alternative steht. Die Konsequenz: Es sollte im ersten Anlauf um ein antikapitalistisches Netzwerk als Organisationsform gehen und es sollte bloß die Erwartung auf eine dann anzustrebende einzige Organisation statt vieler kleiner Zentralkomitees zum Gegenstand eines programmatischen Papiers gemacht werden."
(http://www.scharf-links.de/).

Editorische Hinweise

Detlev Georgia Schulze erstveröffentlichte seinen Artikel bei Scharf-LInks, von wo wir ihn spiegelten.
Der Autor hat einen http://theoriealspraxis.blogsport.de, wo seine Positionen diskutiert werden können.