Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Gewerkschaftshaus, CGT und Sans papiers
Vorläufig positiver Ausgang gefunden! Aber Räumung des neuen besetzten Ortes droht akut
 

7/8-09

trend
onlinezeitung

Genau jetzt könnte u.U. der „positive Ausgang“ gefunden sein, den das „Netzwerk Bildung/Erziehung ohne Grenzen“ (RESF, ‚Réseau éducation sans frontières’) Anfang Juli o9 beschwor, wenige Tage nachdem das von Sans papiers - „illegalisierten“ Einwanderern - besetzte Pariser Gewerkschaftshaus gewaltsam geräumt worden war. (Wir berichteten anfänglich ausführlich, vgl. 1: Die CGT lässt von Sans papiers besetztes Gewerkschaftshaus gewaltsam räumen und 2: Weitere kritische Reaktionen von Gewerkschaften. Damals ging es darum, nach Anknüpfungsmöglichkeiten zu suchen, um erneut einen Kampf gemeinsam mit Gewerkschaften, Sozialvereinigungen (Associations) und Sans papiers aufzunehmen und weiter zu führen - und das Desaster zu überwinden, das durch die brutale Räumung vom 24. Juni des Jahres verursacht worden war. 

Auch innerhalb der CGT gab es übrigens Unruhe aufgrund dieser Räumung und der hässlichen Bilder, die von ihr zeugen und die sich seit einigen Wochen im Umlauf befinden; die linksliberale Tageszeitung Libération druckte Anfang Juli eine Aufnahme, auf der man maskierte und mit Knüppeln bewaffnete „Sicherheits“leute der CGT bei der Vorbereitung auf die Räumung am Werk sieht. Nicht nur, dass es zahlreiche kritische Dokumente und Resolutionen u.a. von Mitgliedsgewerkschaften des Dachverbands CGT gegeben hat (von denen wir in den ersten Tagen einige dokumentiert hatten, hinzu kommen inzwischen weitere u.a. vom SNJ-CGT; d.h. der Nationalen Journalistengewerkschaft der CGT).  

Auch ist inzwischen der (namentlich nicht genannte) „Sicherheits-Verantwortliche“ des Dachverbands CGT deswegen gefeuert worden, wie ab dem 14. Juli durch die bürgerliche Presse und zahlreiche Webpages vermeldet wurde. (Vgl. 4: http://www.liberation.fr, 5: http://www.lepoint.fr/ und 6: http://www.leparisdunet.fr/) Ein Beschluss seitens der CGT, der aber den  verfügbaren Nachrichten zufolge bereits am 29. Juni gefällt worden war, andere Angaben lauten auf „Anfang Juli“. Zwar handelt es sich dabei insofern um ein Bauernopfer, als der oben zitierte „Verantwortliche“ selbstverständlich nicht auf eigene Faust gehandelt hatte - sondern  mutmaßlich auf einen Beschluss des Vorstands der CGT hin, als er am 24. Juni an der Spitze von rund 60 Mann anrückte, um die Sans papiers gewaltsam aus dem Gewerkschaftshaus zu vertreiben. Dennoch bekundet seine Absetzung, dass es im Nachhinein doch erhebliche Widerstände innerhalb der CGT gegen dieses Vorgehen gegeben haben muss. Sicherlich auch mit verursacht durch die hässlichen Bilder, aufgrund derer die Situation noch einmal anders aussah, als wenn es bei einer „sauberen“, manierlichen und „in zivilisierter Form“ vorgenommenen Räumung geblieben wäre. Dass die Besetzer/innen - zum Zeitpunkt der Räumung fand eine Demonstration der Sans papiers statt, und es hielten sich überwiegend Frauen und Kinder in dem besetzten Gebäude auf - ihrer Verdrängung einigen Widerstand entgegen setzten, hatten diejenigen, die die Räumung durchführten, vielleicht so nicht erwartet. 

Doch nun sieht schon wieder Einiges anders aus ; jedenfalls vorübergehend. Es fing Alles am vorvergangenen Freitag, den 17. Juli an: An jenem Tag rief die „Koordination der Sans papiers des Pariser Stadtbezirks“ (CSP 75, ‚Coordination des sans papiers du département 75’) ab 14 Uhr zu einer Kundgebung auf einem zentral gelegenen Platz - der Place du Châtelet - auf. Bis dahin hatten noch rund 300 Sans papiers auf dem Boulevard du Temple, einer zentral gelegenen Pariser Straßenachse, unmittelbar vor dem Hauptgebäude des Pariser Gewerkschaftshauses campiert. Jener Nebenbau in der rue Charlot, den die Angehörigen der CSP 75 bis dahin vierzehn Monate lang (vom 02. Mai 2008 bis zur Räumung Ende Juni 2009) besetzt hatten, befindet sich nur wenige hundert Meter von dort entfernt. Im Anschluss an die Kundgebung vom frühen Nachmittag gingen die mehreren Hundert Teilnehmer/innen in den Pariser Norden, um dort im 18. Bezirk ein riesiges, seit kurzem leer stehendes Gebäude zu besetzen. Es handelt sich um ein ehemaliges Bürogebäude der Krankenkasse auf sechs Etagen (zwei unterirdische plus vier Obergeschosse), das 30.000 bis 40.000 Quadratmeter umfasst und vor zwei Monaten leergeräumt worden ist - weil die Pariser Krankenkasse (CPAM), in Durchführung der Sparpläne bei den Sozialversicherungskassen, das Gebäude verkaufen möchte.  

Den Tipp dafür gegeben hatte die CGT-Branchengewerkschaft im Reinigungsgewerbe (CGT du Nettoiement) im 18. Pariser Bezirk, die das prächtige Gebäude und seinen Leerstand ausgemacht hatte. Und im Vorfeld der neuen Besetzung hatten Teile der CGT, neben anderen Unterstützer/innen, die Sans papiers der CSP 75 zu dieser „Verlagerung“ ihrer Besetzungsaktion ermutigt. Unter ihnen insbesondere die Union syndicale Solidaires (ein Gewerkschaftszusammenschluss, der v.a. die linken Basisgewerkschaften SUD umfasst) und die „Neue Antikapitalistische Partei“ (der NPA), eine Sammlung der radikalen Linken. 

Dass die neue Besetzung in dem früheren Krankenkassenbau stattfindet, hat sicherlich unterschiedliche Motive. Bei den als Unterstützer/innen beteiligten Gewerkschaften spielt zweifellos auch eine Rolle, dass die Besetzung dort die Tätigkeiten im Pariser Gewerkschaftshaus (im 10. Bezirk) wesentlich weniger beeinträchtigt als jene zuvor. Aber daneben ist auch zu beachten, dass das - riesige, saubere und leer stehende - Bürogebäude für eine Besetzung mit mehreren hundert Personen: Männern, Frauen und Kindern, die dort für einige Zeit leben werden, doch erheblich besser geeignet ist als die Gebäude des Gewerkschaftshauses. Und ferner erlaubt die „Verlagerung“ der Besetzung - vom Gewerkschaftshaus zu dem Bürogebäude - es, erheblich leichter Unterstützung bis tief in die CGT hinein zu mobilisieren, als das vorherige „Gegeneinander“ von Gewerkschaften und Sans papiers (im Kontext der Besetzung des Gewerkschaftshauses) es vermochte.

Seitdem hat sich eine ziemlich große Unterstützer/innen/szene formiert bzw. re-mobilisiert, die u.a. Personen aus mehreren Teilgliederungen der CGT (CGT-Reinigungsgewerbe, CGT im Schulwesen…), aus der Union syndicale solidaires, aus antirassistischen und Solidaritätsinitiativen, vom NPA, aus den Grünen u.a. umfasst. Weitgehend mit Abwesenheit glänzen hingegen bisher die französische KP und andere Teile der CGT; der Pariser Bezirksverband der CGT (die Union départementale CGT) verabschiedete eine Erklärung, die zwar ein Lippenbekenntnis zur Unterstützung für die „illegalisierten“ lohnabhängigen Einwanderer „gemäß unseren Kongressresolutionen“ enthält, aber ansonsten vor allem durch rachedürstige Negativbemerkungen zu den vorausgegangenen „schwierigen 14 Monaten“ usw. „glänzt“. (Vgl. 7: http://www.cgtparis.fr/, Dokument vom 22. Juli o9)  

Innerhalb der politischen und sozialen Linken gibt es ansonsten zwar noch manchen Streit; so war ATTAC zwar an mehreren aufeinanderfolgenden Abenden bei den Versammlungen der Unterstützer/innen in dem besetzten Gebäude vertreten, lehnte aber eine Unterschrift unter den „Offenen Brief“ der CSP75 an das Einwanderungsministerium ab. Ursächlich dafür ist vor allem, dass mehrere Mitgliedsstrukturen der CGT (die CGT-Finanzämter, die UGICT = CGT-Gewerkschaft der höheren Angestellten) Kollektivmitglieder bei ATTAC sind und keine Erklärung unterschreiben mochten, die als Unterstützung für die CSP75 ausgelegt werden könnte. Umgekehrt gibt es vereinzelt auch eine „ultralinke“ Kritik, die von Personen vorgetragen wurde, die der Auffassung waren, eine erklärte Unterstützung für die „Legalisierung“ des Aufenthalts der Angehörigen des Sans papiers-Kollektivs CSP75 verhindere bzw. versperre den Blick für die Forderung nach „Legalisierung“ a l l e r Einwanderer. (Ungefähr so, wie wenn man die Auffassung verträte, ein konkret geführter Lohnkampf sei nicht gut, weil man ja nur generell für die Abschaffung der Lohnarbeit überhaupt kämpfen müsse.)  

Trotz dieser von zwei Seiten kommenden Kritik und teilweise Stunden lang anhaltenden Polemiken darum hat sich inzwischen ein relativ breites Unterstützer/innen/spektrum für die von der CSP75 erhobene Forderung der CSP75 zusammen gefunden. Diese tritt konkret dafür ein, als Ziel ihres Kampfes die „Legalisierung“ aller ihrer 1.300 Sans papiers-Mitglieder zu erreichen. Die Pariser Polizeipräfektur (= Polizei- und Ausländerbehörde der Hauptstadt) bietet ihr bislang an, 300 personenbezogene Dossiers anzunehmen und diese „wohlwollend zu bearbeiten“. Am Donnerstag Nachmittag wurden Vertreter der CSP75 diesbezüglich bei der Präfektur empfangen, nähere Ergebnisse bleiben natürlich abzuwarten. 

Dennoch bleiben haushohe Probleme bestehen. Deren wichtigstes: Die Pariser Krankenkasse (CPAM de Paris) erhob eine Eilklage, um die - notfalls auch zwangsweise, polizeiliche - Räumung des besetzten Bürogebäudes zu erreichen. Dieses möchte sie für 36 Millionen Euro verkaufen, um Geld in deren angeblich leere Kassen zu spülen. An diesem Mittwoch (29. Juli) am späten Nachmittag wird das Urteil erwartet. Unmittelbar in den kommenden Wochen dürfte die Drohung mit einer Räumung - einem Damoklesschwert ähnlich - über der aktuellen Besetzung hängen. 

Zum Zweiten kommt ein weiteres Problem hinzu: Eine Minderheit unter den Sans papiers hatte an jenem Freitag (17. Juli) verweigert, ihre Plätze vor dem Haupteingang des Pariser Gewerkschaftshauses aufzugeben und mit zur Demonstration - und, im Anschluss daran, zu der neuen Besetzung - zu kommen. Sie hatten befürchtet, „an einem weniger zentralen Ort“ als auf dem Boulevard, wo sie weiterhin mit ihren Matratzen campieren, „weniger sichtbar zu sein“. Dies ist zwar falsch, da der 18. Bezirk ein Wohnviertel mit hoher Bevölkerungszahl und starkem Anteil an „kleinen Leuten“ und an Immigranten ist. Gerade dort lässt sich Solidarität finden. Zudem befindet sich das besetzte Gebäude (in der 14, rue de Baudelique) in einer Straße, die zwar relativ klein ist, aber einen wichtigen Boulevard - den Boulevard Ornano - mit der Straße des Bezirksrathauses (der rue Ordener) verbindet. Besser gelegen könnte eine Besetzung im Grunde kaum sein. Aber bei den 50 bis 60 Sans papiers, die auf dem Boulevard mit ihren Matratzen campieren blieben, überwiegt das Misstrauen. Geschärft wird es einerseits durch ihren Delegierten - die gesamte Sans papiers-Bewegung beruht auf dem Prinzip der Selbstorganisation durch Wahl von Delegierten -, der im persönlichen Gespräch (laut Erfahrung des Autors dieser Zeilen) allerdings, pardon, leicht durchgeknallt erschien. Zum Anderen wird dieses Misstrauen auch angeheizt durch eine Handvoll von „Ultra-Rrrrradikalen“ u.a. aus der Anarcho- und Aussteigerszene, die hier nun die Gelegenheit sehen, es den Verrrrrätern von CGT, Solidaires, NPA und anderen (die „die Sans papiers in die Sackgasse einer Besetzung weitab vom Schuss führen möchten“) mal so richtig zu zeigen. Auf dem Rücken der Sans papiers freilich.  

Ihnen drohte schon mehrfach scheinbar nach die Räumung – die dann aber doch nicht erfolgte -, da mehrere Busse der Bereitschaftspolizei CRS anrückten. Der weitere Fortgang bleibt abzuwarten. Ihre Hoffnung, auf dem Boulevard du temple „sichtbarer“ zu sein als in einem besetzten Bauwerk und dadurch Schutz zu finden, dürfte sich allerdings im Notfalle wohl kaum erfüllen: Da es sich bei den letzten 50 Einwanderern, die auf dem Boulevard verharren, überwiegend um alleinstehende Männer handelt - denn die Kinder und Frauen befinden sich überwiegend in dem besetzten Gebäude in der rue Baudelique -, dürfte sich die Emotion der Öffentlichkeit ggf. wohl eher in engen Grenzen halten. Solidarität haben auch diese Betroffenen verdient, wenngleich man ihr Verbleiben auf den Trottoirs direkt vor dem Gewerkschaftshaus wohl als taktischen Fehler erachten darf.

Editorische Anmerkungen

Der Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.