Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Die CGT lässt von Sans papiers besetztes Gewerkschaftshaus gewaltsam räumen
Desaströse Aktion und fataler Ausgang aus einem objektiven Dilemma

7/8-09

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Am Mittwoch (24. Juni) ließ die CGT den Nebenbau des Pariser Gewerkschaftshauses - Annexe de la Bourse du travail de Paris - in der rue Charlot, in der Nähe der Place de la République, gewaltsam räumen. Dieser Nebenbau, der u.a. sieben Versammlungssäale und zwei Druckereien umfasst, war seit dem o2. Mai 2008 - also seit vierzehn Monaten - von Angehörigen der Sans papiers-Bewegung, also der Bewegung für die „Legalisierung“ der Aufenthaltssituation illegalisierter Einwanderer, besetzt gewesen.

Die Situation hatte sich seitdem verlängert und als blockiert erwiesen. Im Hintergrund stand ein objektives Dilemma: Die Coordination des sans papiers 75 (CSP75, d.h. „75“ für das Département, die Nummer des Pariser Verwaltungsbezirks) warf der CGT vor, die Situation bestimmter illegalisierter Einwanderer nicht ausreichend berücksichtigt und verteidigt zu haben, als sie ab dem 15. April 2008 und über mehrere Monate hinweg einen Streik der Sans papiers für die „Legalisierung“ ihrer Aufenthaltssituation anführte. Dahinter stand allerdings ein objektiver Unterschied in den Ausgangssituationen: Die aktiv durch die CGT verteidigten „Sans papiers-Dossiers“ betrafen illegalisierte Migranten, die in der Regel in mittleren bis größeren Betrieben beschäftigt waren, wo in aller Regel mehrere Sans papiers gleichzeitig beschäftigt waren. Im Rahmen dieser Ausgangslage konnte die CGT mit „klassisch gewerkschaftlichen Mitteln“, insbesondere durch die Organisierung eines Streiks, erheblichen Druck auf die Arbeitgeber entwickeln - auf dass diese wiederum Druck auf die Ausländerbehörden (Präfekturen) ausübten, um die „Legalisierung“ des Aufenthalts der Betreffenden zu erreichen. Hingegen ist dies für eine Gewerkschaft dort ausgesprochen schwierig, wo sie nicht über ihre „klassischen“ Kampfmittel wie den Streik verfügt, etwa weil die betroffenen (bezüglich ihres Aufenthalts illegalisierten) Beschäftigten in ihren Betrieben isoliert sind. Dies entweder, weil sie in Klein- oder winzigen Betrieben arbeiteten, oder aber weil sie die einzigen „Illegalen“ unter den Personalmitgliedern darstellten.

Aus diesem objektiven Dilemma ergab sich eine Konfliktsituation, die sich alsbald zum erbitterten, aber zäh hinter den Kulissen ausgetragenen Streit auswuchs. Die CGT-Sektion Paris griff mehrfach auf die Vermittlungsdienste des ‚Conseil national des Maliens de France’, einer traditionellen Repräsentationsstruktur der Staatsbürger des westafrikanischen Mali auf französischem Boden, zurück. Doch aufgrund der schwierigen Ausgangslage konnte das Problem nicht beigelegt oder aufgelöst werden. Unterdessen lebten 500 Personen (unter ihnen zahlreiche Frauen und Kinder) permanent, und bis zu 1.400 Personen zeitweise in dem besetzten Gebäude.

Eines der dadurch aufgeworfenen Probleme war, dass diese Besetzung keinerlei Druck auf Arbeitgeberlager und/oder Behörden ausübte, sondern allein die Sans papiers auf der einen Seite und Teile der Gewerkschaftsbewegung auf der anderen Seite einander gegenüberstellte. Die CGT hat durchaus Recht, dass sie dieses Problem in ihrer Erklärung nach der Räumung (vgl. http://www.cgt.fr/spip.php?article36222 ) genau so benennt. Eine Lumperei ist hingegen, dass sie hinzufügt: „Was bedeutete also diese Besetzung (…), deren Ende wir nicht absehen konnten? Wer hatte ein Interesse daran, die rein zufällig 14 Tage nach Beginn des Sans papiers-Streiks vom 15. April 2008 begann? Wen störten wir, und wessen Interesse beeinträchtigten wir?“ Das ist die schlechte alte Theorie von den ‚objektiven Agenten der Bourgeoisie’ aus uralten realsozialistischen Zeiten der CGT, die da - verspätet - durchklingt.

Nichts kann unterdessen die Gewalttaten rechtfertigen, die allem Anschein nach anlässlich der Räumung verübt worden sind. Die CSP75 spricht in ihrer Erklärung (vgl. http://futurrouge.wordpress.com ) von „einer Hundertschaft Schlägern mit Eisenstangen, Stöcken und Tränengasdosen“, die zum Zeitpunkt einer Demonstration - während sich vor allem Frauen und Kinder in dem Gebäude befanden - angerückt seien. Die linksliberale Tageszeitung ‚Libération’ spricht in ihrer Donnerstags-Ausgabe von rund 30 Angehörigen des Ordnerdiensts der CGT, bestätigt die martialische Ausrüstung und spricht von Vermummung und Sonnenbrillen. Was die Anzahl der an der Sch...-Aktion beteiligten Mitglieder des Ordnerdiensts betrifft, so dürfte sie in Wirklichkeit laut vorliegenden Augenzeugenberichten bei rund 50 bis 60 liegen.

Nachdem die Besetzung sich aber auf diese Weise nicht beenden ließ, rief die CGT-Sektion Paris die Rathaushausbehörden an, d.h. schaltete indirekt die Polizei ein. Die Bereitschaftspolizei (CRS) griff insofern ein, als sie die Durchführung der Räumung durch den gewerkschaftlichen Ordnerdienst unterstützte, nahm jedoch vor Ort keine Personenkontrollen oder Festnahmen vor. Am Nachmittag des Mittwoch war das Gebäude definitiv geräumt. Ein Teil der zuvor darin Anwesenden installierte sich jedoch auf den Trottoirs darum herum, die am vorigen Donnerstag noch von 180 Personen ‚besetzt’ waren.

Die Stadtratsfraktion der Pariser Grünen spricht in einer ersten Erklärung vom „ungerechtfertigen/durch nichts zu rechtfertigenden Einsatz von Gewalt“. Die (eher institutionalisierte) Asylrechts-NGO ‚France Terre d’Asile’ ihrerseits spricht davon, dass die CGT(-Führung) offenkundig „zu einer Konzentration auf ihre Kernklientel zurückkehren“ möchte.

Gewerkschaftliche (auch innerverbandliche) Proteste

Zu dieser Aktion des Ordnerdiensts der CGT hat die Pariser Sektion der Union syndicale Solidaires (Zusammenschluss u.a. der linken Basisgewerkschaften SUD) am vergangenen Donnerstag Stellung genommen. Darin schreibt der linksalternative Gewerkschaftszusammenschluss einerseits, die Besetzung gerade des Gewerkschaftshauses durch die betreffenden Sans papiers sei in gewisser Weise „paradox“ gewesen, da zur selben Zeit mehrere Gewerkschaften an der Seite der „papierlosen Arbeiter“ gekämpft hätten (in Form ihrer Unterstützung des Streiks illegalisierter Lohnabhängiger ab dem 15. April 2008) - und, wäre hinzuzufügen, weil sie keinen Druck auf Behörden und Arbeitgeber ausübte. Auf der anderen Seite schreibt der Bezirksverband der Union syndicale Solidaires, es sei „nicht annehmbar, dass Gewerkschaften versuchen, das Problem dieser Hunderten von Lohnabhängigen zu lösen, indem sie diese aus dem Gewerkschaftshaus hinauswerfen“: „Differenzen über die Aktionsformen (…) können nicht auf diese Weise geregelt werden“. Hinfort werde die Union Syndicales Solidaires in Paris auch weiterhin „gegen die antisoziale und xenophobe (ausländerfeindliche) Politik der Regierung an der Seite der Sans papiers, gegen ihre Abschiebungen und für die Legalisierung aller Männer und Frauen kämpfen“. (Quelle 1, wo die Reaktion der Union syndicale Solidaires und eine - inhaltlich sehr ähnliche - vom Nouveau Parti Anticapitaliste/NPA, einer Partei der undogmatischen radikalen Linken, dokumentiert sind: http://www.europe-solidaire.org/) Dem Vernehmen nach fanden Mitglieder oder  einzelne Mitgliedsverbände der ‚Union syndicale Solidaires’ diese Erklärung freilich gegenüber dem Vorgehen der CGT erheblich „zu schlapp“.

Inzwischen protestierten aber auch mehrere Mitgliedsgewerkschaften des Dachverbands CGT gegen dieses Vorgehen der Führung ihres Pariser Bezirksverbands. So gibt es unzweideutige Solidaritätserklärungen für die zwangsweise „evakuierten“ Sans papiers aus dem Pariser Gewerkschaftshaus. Bspw. von der CGT bei Saint-Gobain (Großunternehmen der Baumaterial- und Glasindustrie) in Aubervilliers, einer Vorstadt nordöstlich von Paris, die von „Angewidertheit und Scham über unsere Gewerkschaftsmitgliedschaft“ bezüglich der „angewandten Methode“ spricht. Dieselbe Mitgliedsgewerkschaft der CGT nimmt auch zur Kampfführung ihres Dachverbands im Sans papiers-Streik seit dem April 2008 Stellung (vgl. Quelle 2: http://futurrouge.wordpress.com/2009/06/28/declaration-de-la-cgt-saint-gobain-aubervilliers-93-suite-a-lexpulsion-des-sans-papiers/ ). Sie wirft dessen Führung insbesondere vor, darin zu defensiv vorgegangen zu sein und sich die Regierungspolitik der Einzelfallregelung gemäb den Bedürfnissen der Ökonomie zu eigen gemacht zu haben; tatsächlich hatte die CGT seit damals diese grundsätzliche Vorgabe der Regierung „geschluckt“ und versucht, die von ihr unterstützten Illegalisierten durch das Nadelöhr der Einzelfallprüfung hindurch zu bringen. Eine Strategie, die es erlaubt hat, eine bestimmte Anzahl von menschlichen „Einzelfällen“ unter den lohnabhängigen Illegalisierten „zu „regeln“, aber den Rahmen der Gesamtpolitik nicht infrage stellte – auch wenn dieser in den fraglichen Einzelfällen umfunktioniert worden ist, und man (statt „Legalisierungen“ in Einzelfällen auf Antrag der Arbeitgeber) in diesen Situationen stattdessen „Legalisierungen“ unter Druck des Streiks erreichen konnte. Bis heute konnten infolge des - durch den CGT-Apparat unterstützen UND kanalisierten - Sans papiers-Streiks, seit dessen „Ausbruch“ im April 2008, insgesamt knapp 1.500 „papierlose Arbeiter“ ihren Aufenthaltstitel erkämpfen. Wäre mehr möglich gewesen? Ja, so die Auffassung der CGT bei Saint-Gobain.

Auch die CGT im Bildungssektor der Region Aquitaine (um Bordeaux, in Südwestfrankreich) äußerte sich dazu und erklärte: „Die CGT Educ’Action Aquitaine verurteilt die brutale Räumung der Sans papiers, die das Pariser Gewerkschaftshaus <besetzten>, durch Angehörige der CGT. Die Benutzung von Tränengas und von Schlagstöcken wird von zahlreichen Augenzeugen berichtet, die die Gewalttätigkeit der Vorgehensweise unterstrichen. (…) Die Fragen nach den Prinzipien und Symbolen sind von hoher Bedeutung. Der Einsatz physischer und moralischer Gewalt ist alles andere als zweitrangig. Es ist höchste Zeit, die Dinge zurecht zu rücken und gemeinsam gegen die einwandererfeindliche Politik, die das Elend und die Arbeit der Sans papiers ausnutzt, zu kämpfen.“ (Quelle 3: http://article.gmane.org/ )

Wie es unterdessen weiterging

Im Laufe des vorigen Donnerstag und Freitag schien sich eine Auflösung der „Blockadesituation“ anzubahnen, die sich nun freilich noch in den Fakten bestätigen muss.

Diese sog. „Blockadesituation“ widerspiegelte sich zunächst darin, dass zeitweise bis zu 200 - 300 Personen auf den Trottoirs rund um das zwangsgeräumte Gewerkschaftshaus campierten. Es war die Polizeipräfektur (d.h. die zentrale Pariser Polizei- und Ausländerbehörde), die nun ihrerseits die Initiative ergriff und die dort sich aufhaltenden Ex-Insassen des „besetzten“ Gewerkschaftshauses zu Gesprächen in ihre Zentrale einlud. Christian Lambert, der Büroleiter des Polizeipräfekten, wurde dabei persönlich aktiv und hat sich am Donnerstag Abend vor Ort begeben. Am Freitag früh dann wurde eine Delegation der um eine „Legalisierung“ ihres Aufenthaltsstatus kämpfenden Einwanderer in der Präfektur empfangen, die nun über die individuellen Dossiers der Betreffenden - die erstmals dort eingereicht werden „durften“ - entscheiden wird. Noch vor einem Monat hatte dieselbe Präfektur sich geweigert, diese Dossiers anzunehmen.

Es bestehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten, wie diese Fortentwicklung der Situation interpretiert werden kann: Entweder hat die Polizeibehörde auf diese Weise darauf reagiert, dass die Besetzung sich nun von innerhalb des Gewerkschaftshauses auf die Trottoirs davor und rund darum herum verlagert hatte - und dadurch zum öffentlich sichtbaren „Störfaktor“ wurde. So lautet jedenfalls die These der linksliberalen Tageszeitung ‚Libération’ aus den letzten Tagen. (Vgl. http://www.liberation.fr/) Es besteht aber noch eine andere, mögliche Annahme: Dieser Hypothese zufolge ging es der Polizeipräfektur darum, die CGT als „Vermittlerin“ zu umgehen und die Sans papiers von der Gewerkschaft abzuspalten - indem sie ihnen demonstrativ vorführt, dass die Behörde immer noch humaner mit ihnen umging als die CGT (oder zumindest ihr Ordnerdienst), und dadurch, dass sie ihnen nun über die Köpfe der CGT hinweg ein Angebot unterbreitet.

Die erstere Hypothese - sofern sie zutrifft - würde belegen, dass die Besetzung des Gewerkschaftshauses einen taktischen Fehler darstellte. Die zweite genannte Annahme hingegen würde zwar ein perfides Kalkül der Behörde belegen. Aber sie wäre zugleich AUCH höchst blamabel für die Gewerkschaftsbürokraten bei der CGT und ihren Ordnerdienst: eine Art von Offenbarungseid.

Am Montag ab 14 Uhr hat eine Solidaritätskundgebung von Unterstützer/inne/n für die Zwangsgeräumten aus dem Pariser Gewerkschaftshaus auf der Pariser Place de la République stattgefunden. Eine weitere Kundgebung folgte an diesem Mittwoch zwischen 17 und 20 Uhr. Nun gilt es abzuwarten, wie die Präfekturbehörden über die in den letzten Tagen bei ihnen eingereichten Dossiers zur Einzelfallprüfung konkret entscheiden werden.

Das ‚Réseau éducation sans frontières’ (RESF, „Netzwerk Erziehung/Bildung ohne Grenzen“), das seit 2004 - gestützt auf Lehrer/innen und Eltern - für den Schutz schulpflichtiger Kinder o. Jugendlicher „papierloser“ Eltern aktiv ist, schlug unterdessen seit dem vergangenen Wochenende eine „vorwärtsweisende Lösung“ vor. In einer Erklärung, in der das Netzwerk es vermeidet, die CGT frontal anzugreifen oder hart zu kritisieren, wird an unterschiedliche Solidaritätsinitiativen und -vereinigungen wie auch Gewerkschaften das Angebot gerichtet, gemeinsam nach Möglichkeiten zu suchen, um Druck für die „Legalisierung“ des Aufenthaltsstatuts aller von der Ex-Besetzung und der jüngsten Räumung betroffenen Einwanderer zu entwickeln. (Vgl. http://www.visa-isa.org/node/382 ) Am heutigen Mittwoch, 1. Juli, findet dazu ein gemeinsames Treffen einer Reihe von Organisationen statt. Es bleibt die Hoffnung, dass das „Porzellan“, das durch den brutal auftretenden CGT-Ordnerdienst nun zwischen „Zivilgesellschaft“ (Gewerkschaften, Solidaritätsvereinigungen) und Sans papiers zerschlagen worden ist, durch gemeinsame Initiativen von möglichst vielen Kräften wieder gekittet werden kann.

Editorische Anmerkungen

Der Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.