Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Unsere Geschichte
Kinderpoliklinik ins Bethanien - Kein Künstlerzentrum

Politische Einordnung der Kampagne durch die maoistische KPD

12/2015

trend
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Vorbemerkung: In der Septemberausgabe 2015 veröffentlichten wir den virtuellen Reprint der Agitationsbroschüre des Kampfkomitees Bethanien, verbunden mit der Hoffnung, dass bei der Aufarbeitung der gescheiterten Mietenvolksentscheidkampagne die Broschüre bewegungspolitische Einblicke historisch vermittelt, die es ermöglichen, die subjektiven Erfahrungen mit der Kampagne zu objektivieren. Die Tatsache, dass für Februrar 2016 ein thematischer Patchwork-Kongress geplant ist, der die Aufarbeitung der Kampagne  durch eine "Ideenbörse" leisten will, legt die Vermutung nahe, dass eine systemtransformative Auswertung der Kampagne dort keine Resonanz finden wird. Der nachfolgende auszugweise virtuell reprintete Text aus dem Jahre 1975, widerspiegelt wie die Kinderpoliklinik-Kampagne, die die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen unter kapitalistischen Bedingungen zu verbessern versuchte, von ihren kommunistischen ProtagonistInnen politisch verortet wurde. Das ist natürlich keine Blaupause für heute, aber der Text wirft sehr wohl die Frage auf, ob das stadtteilpolitische "Rad" immer wieder neu erfunden werden muss? / red. trend - kamue

.... Vor ungefähr anderthalb Jahren wurde auf Initiative unserer Straßenzelle Manteuffelstraße das Kampfkomitee Bethanien gegründet; weitere Kampfkomitees in Charlottenburg, Moabit, Reinickendorf und vor kurzem in Neukölln folgten. Damit organisierte unsere Partei den Kampf gegen die katastrophale medizinische Versorgung in den Arbeitervierteln, verursacht durch die volksfeindliche Gesundheitspolitik des SPD-Senats und der CDU-Gesundheitsstadträte. Der Kampf wurde konzentriert auf das Krankenhausfinanzierungsgesetz, mit dessen Hilfe 3.245 Betten in Westberlin gestrichen werden sollen, sowie auf das Monopol der freipraktizierenden Ärzte auf ambulante Versorgung. Die Stoßrichtung auf den Kampf gegen den kapitalistischen Staatsapparat war also von vornherein klar, kam auch in den Forderungen zum Ausdruck. Der Kampf im Reproduktionsbereich, oder richtiger gesagt, im Stadtteil, ist ein Kampf der Arbeiterklasse, derselben Arbeiterklasse, die in den Betrieben kämpft, nur ist im Stadtteil das Kampffeld ein anderes. Nicht die besondere Organisierung von Werktätigen oder Bündnisschichten im Reproduktionsbereich ist daher Ziel des Kampfes. Die Stoßrichtung gegen den kapitalistischen Staatsapparat dient der Herstellung der Einheit der Klasse im politischen Kampf, der Herstellung der Volkseinheit im Kampf unter der Führung der Arbeiterklasse. Daraus folgt, daß ein Kampf im Betrieb und auf der Straße geführt wird. Die Führung des Kampfes im Betrieb gegen die schlechte medizinische Versorgung haben wir lange Zeit vernachlässigt, schematisch wurde zwischen dem betrieblichen — d. h. dem Lohnkampf, dem gewerkschaftlichen und dem Kampf für freie politische Betätigung — und dem Kampf im Stadtteil getrennt. Es gab aber einzelne Initiativen von Betriebszellen, die den Kampf in richtiger Weise im Betrieb führten: die Zelle bei SEL verband ihn mit dem Kampf um eine bessere werks­ärztliche Versorgung und stellte die Forderung im Vertrauenskörper zur Abstimmung. Die Zelle am Urban-Krankenhaus brachte in der ÖTV-Betriebsgruppe den Vorschlag zur Gründung eines Unterstützungsaktivs des Kampfkomitees Bethanien ein, der gegen eine Stimme angenommen wurde. Hartnäckig wurde der Kampf um das Tragen von Bethanienplaketten im Betrieb geführt, ein Arzt sammelte auf eigene Faust über 170 Unterschriften im Krankenhaus für die Kinderpoliklinik. Es zeigte sich, daß dieser Kampf wichtig war auch für die Gewinnung neuer Kollegen aus den Betrieben. Die Genossen brachten viele Kollegen mit nach Kreuzberg, die dann an unserer Seite kämpften.

In diesem Kampf entwickelten wir neue Kampfformen, neue Formen der Agitation und Einbeziehung der Massen:

die Organisierung derjenigen, die mitkämpfen wollen, in Straßentrupps, Hausver­sammlungen, Hinterhofagitation, Agitproptheater, ein Tribunal von über 1500 Menschen, auf dem Arbeiter, Hausfrauen und Mütter, Werktätige am Krankenhaus, Ärzte und Pfarrer den SPD-Senat anklagten. Die Sportbegeisterten wurden einbezogen, um den „Bethanienpokal" ein Turnier ausgetragen. Fortschrittliche Künstler solidarisierten sich, schrieben Lieder, machten Plakate. Auf den Kreuzberger Festtagen spielte eine Jazz­band neben dem damaligen Bezirksbürgermeister Abendroth im Bethanienhemd, seit Wochen sendet der Sender „Bethanien gehört uns" täglich morgens und abends die neuesten Nachrichten über den Fortgang des Kampfes. All dies waren Mittel zur Mobilisierung zum Kampf gegen den Staatsapparat.

In diesem anderthalbjährigen Kampf gab es Schwankungen, hat die Partei auch Fehler gemacht: Der Hauptfehler war, diesen Kampf lange Zeit nicht regional zu konzentrieren, ihn nicht im Betrieb und Stadtteil einheitlich zu führen (den Kampf im Betrieb zu vernachlässigen) und in diesem Kampf nicht konsequent den Sozialismus als wirkliches Ziel unseres Kampfes zu propagieren. So folgten auf Höhepunkte Schwan­kungen, Phasen der Resignation, des Zweifeins am Kampferfolg und an den Volks-massen, vor allem bei studentischen Genossen und Angehörigen der werktätigen Intelligenz.
In der Diskussion von Programm, Aktionsprogramm und Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees haben wir unsere Arbeit kritisch überprüft, die Fehler korrigiert und versucht, diesen Kampf zu vereinheitlichen und auf eine neue Stufe zu heben. Die Dialektik von Reform und Revolution, die Klarheit über die Etappe des Kampfes, in der wir uns befinden, mußte hergestellt werden. Sie kann nur geschaffen werden wenn wir den Sozialismus als das wirkliche Ziel unseres Kampfes einsichtig machen, denn nur von diesem Ziel aus können wir Erfolge und Stand des Kampfes richtig einschätzen, gewinnen wir Begeisterung und Hartnäckigkeit im Kampf um Teilforderungen.

VOLKSENTSCHEID: MITTEL DES KAMPFES UM TEILFORDERUNGEN

Im September 1974 versuchten wir als Mittel der weiteren Verbreitung der Kampf­front, den Kampf gegen die Abschaffung des Volksentscheids mit dem Kampf für Polikliniken zu verbinden. Der Angriff der bürgerlichen Parteien auf das Recht auf Volksentscheid wurde von ihnen nicht zufällig gestartet, der Grund dafür war der sich an allen Ecken regende, von der KPD organiserte Widerstand gegen die volks­feindliche Politik des SPD-Senats und aller bürgerlichen Parteien. Auf der anderen Seite war die Entwicklung der Kämpfe auch der Grund dafür, daß wir den Kampf gegen die Abschaffung des Volksentscheids aufnehmen konnten. Die Ausnutzung und Verteidigung dieses Rechts war vollkommen korrekt, obwohl es bei der Durchführung der Kampagne rechte Fehler gegeben hat: sie begannen mit Äußerungen in Flugblättern und Reden, in denen auf die „Mitwirkung bei der Gesetzgebung" gepocht wurde. Fortgesetzt wurde dieser Fehler mit der Beschränkung auf die reine Unterschriften Sammlung, deren logische Fortsetzung oder Kehrseite die Aufgabe jeglicher Aktivität durch einzelne Genossen nach der Abschaffung des Volksentscheids unter dem Schutz von Reiterstaffeln am 14. 11. 74 war. Wir verteidigten den Volksentscheid nicht als abstraktes, formal bürgerlich-demokratisches Recht, sondern wir gingen davon aus, daß dieses Recht ein wichtiges Mittel des Kampfes um Teilforderungen ist und von uns dafür ausgenutzt werden muß. So wurde es auch von den Kommunisten in der Weimarer Republik und in der Zeit nach dem 2. imperialistischen Weltkrieg angewandt: im Kampf für Forderungen, die den unmittelbaren und dringenden Bedürfnissen der Arbeiter und Werktätigen entsprechen. Der Kampf für die Erhaltung und Ausnutzung des Volksentscheids war ein politisches Kampfmittel, nicht das einzige und nicht das wichtigste. Für die Erkämpfung von Polikliniken müssen wir alle Mittel des Kampfes einsetzen, vor allem müssen wir die Massen mobilisieren zum politischen, direkten Kampf gegen den Staatsapparat.

Darauf aufbauend, haben wir seit Monaten öffentlich die Besetzung Bethaniens als zugespitztes Kampfmittel propagiert und vorbereitet. Wir haben dabei wichtige Erfolge im Zusammenschluß der Kollegen in den Häusern und Straßen erzielt. Obwohl nur eine Minderheit von Kollegen am direkten Kampf gegen den Staatsapparat teil­nahm, sind wir doch, gemessen an der Etappe unseres Kampfes und unserer Arbeit im nationalen Maßstab, einen großen Schritt vorangekommen, auch wenn wir angesichts des Polizeiterrors und der Verwandlung Bethaniens in eine Polizeifestung die Besetzung nicht durchführen konnten. Einige Genossen kritisierten die Vorbereitung der Aktion als putschistisch und abenteuerlich — auf der gleichen Linie operierten die Sektierer von der KPD/ML und die Rechtsopportunisten des KBW. Das Resultat bei allen war das Zurückweichen vor dem Klassenfeind, der Klassenkampf wurde nicht geführt von ihnen. Die Besetzung war für uns nicht das einzige entscheidende Mittel, sondern ein begrenztes, allerdings zugespitztes politisches Druckmittel, dies kann auch nicht anders sein in einer nichtrevolutionären Situation, wo mit der Besetzung ja nicht die Machtfrage gestellt, sondern politischer Druck ausgeübt werden soll. Es hat in der Agitationslinie politische Fehler gegeben, die die Genossen in einer einseitig, quasi mili­tärischen Auffassung bestärkten, als sei die Besetzung die Entscheidungsschlacht in diesem Teilkampf. Die Frage Sieg oder Niederlage entscheidet sich nicht an der Frage Besetzung sondern an der Durchsetzung der Forderung nach der Kinderpoliklinik. Daran müssen unsere Kampfformen gemessen und ausgerichtet werden.
Die Ausnutzung und Verteidigung von. demokratischen Rechten, direkte Aktionen gegen den Staatsapparat, eine revolutionäre Einheitsfront- und Bündnispolitik gegen­über Nichtkommunisten, schwankenden Gruppen und gegenüber der Intelligenz, vor allem den Künstlern, Aktionein, um die politisch Verantwortlichen zur Rede zu stellen — diese Formen ergeben zusammengefaßt den politischen Kampf der Partei an dieser Teilfront. In diesen Zusammenhang müssen wir die Anwendung des Prinzips „Dem Volke dienen" durch die Einrichtung einer Volksambulanz stellen .....

..... In der Bundesrepublik Deutschland und in Westberlin bedeutet, sich um das Alltagsleben der Volksmassen kümmern: den Kampf für wirtschaftliche und politische Teil Forderungen aufzunehmen unter der Perspektive des Kampfes für den Sozialismus. Diese Forderungen können nur gegen die Kapitalisten und ihren Staat erkämpft wer­den. Der Kampf gegen die Bourgeoisie und ihren Staat ist deshalb die Hauptsache, ist doch die Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparats der einzige Weg zum So­zialismus. Die Mobilisierung der Volksmassen für den Sozialismus, für den Kampf um Teilforderungen, die konkrete, praktische Durchsetzung unserer Massenlinie, dies ist der Ausgangspunkt für die Anwendung des Prinzips „Dem Volke dienen" in unserem Land.

Dieser Ausgangspunkt des entschiedenen Kampfes gegen den Staatsapparat ist ein lundamental anderer als der der sozialdemokratischen Reformierungs- und Umver-leilungsstrategen. Die Vorstellung „linker" Sozialdemokraten, über den Verteilungs­sektor den kapitalistischen Produktionsbreeich aufrollen zu können, ist an der Wirk­lichkeit jämmerlich zerbrochen. Die Ausbeutung des Arbeiters durch den Kapitalisten ist die Grundlage dieser Gesellschaft, der Staat ist das ausführende Organ der Ka-pitalistenklasse. An dieser grundlegenden Wahrheit kann man sich nicht vorbeischmug-geln. Die Konsumvereine und Konsumgenossenschaften, die „Neue Heimat" und die Bank für Gemein Wirtschaft, sie alle unterscheiden sich in nichts von den Geschäfts praktiken anderer Ladenketten oder Banken, sie können es auch nicht, weil man die die Gesetze der kapitalistischen Produktion und Verteilung nicht isoliert außer Kraft setzen kann, sondern nur dadurch, daß man diesen kapitalistischen Staatsapparat zer­schlägt, die Ausbeuter verjagt und die Arbeiterklasse an der Macht eine sozialistische Gesellschaft aufbaut.

In diesem Kampf eingebettet ist die Volksambulanz die mittlerweile seit November in Kreuzberg arbeitet. Wir hatten uns gegen eine Arztpraxis und für eine Volksam­bulanz entschieden, weil die Volksambulanz das Monopol der freipratizierenden Ärzte auf ambulante Behandlung frontal angreift und praktisch bricht. Aus der bisherigen Arbeit der Ambulanz können wir einige Lehren ziehen:

1. die Ambulanz wurde aufgebaut mit Unterstützung der Arbeiter und Werktätigen in Kreuzberg, die Möbel stifteten, selbst mit Hand angelegten und bei ÜbJerfällen (Scheiben einwerfen [Silvester] und nach der Lorenz-Entführung) uns alarmierten oder selbst die Ambulanz bewachten. Besonders auch die ausländischen Arbeiter unterstütz­ten die Volksambulanz, besuchen sie mit ihren Kindern; sie sind auch von der mise­rablen medizinischen Versorgung am stärksten betroffen. Die Ambulanz muß eine Ambulanz der Kreuzberger Werktätigen sein — die führende Rolle der Arbeiter, dies wurde in der viermonatigen Arbeit zuwenig durchgesetzt. Faktisch war es so, daß nicht die Werktätigen aus den Straßentrupps des Bethanienkomitees die Leitung übernahmen, sondern die Ärzte und Werktätigen am Krankenhaus, die den medizini­schen Dienst machten. Dies führte dazu, daß in der gesamten Anfangszeit die Diskus­sion weitgehend von juristischen Überlegungen der Ärzte bestimmt war, wie man sich gegen Angriffe von Seiten des Bezirksamtes legal absichern könne. Die einzige Mög­lichkeit des Schutzes, das offensive Propagieren der Ambulanz im Stadtteil und der Schutz der Massen, dies wurde sehr schleppend in Angriff genommen. Das heißt, die Volksambulanz hat ihre eigentliche Funktion, Element des politischen Kampfes um die Kinderpoliklinik zu sein, nur unzureichend wahrgenommen.

Die Art der Behandlung in der Volksambulanz ist eine ganz andere als beim Kran­kenscheinjäger. Den Ärzten und Werktätigen die dort arbeiten, geht es um die Ur­sache der Krankheiten, um die Mobilisierung zum Kampf dagegen. Dies ist bisher nur unzureichend geschehen. Zwar gab es Fälle, wo Sozialarbeiter gemeinsam mit kranken Kollegen zum Sozialamt gingen, um Unterstützung zu erkämpfen, weil die Ursache der Krankheit katastrophale Wohnverhältnisse waren. Zwar gab es Fälle, wo Kollegen in die Ambulanz kamen, um sich untersuchen zu lassen, weil sie der Diagnose ihres Hausarztes nicht trauten oder dessen Behandlungsmethoden ihnen nicht half. Aber diese Fälle wurden individuell gelöst, nicht im Stadtteil propagiert, kein Massenkampf daran entfaltet, der sich gegen die Krankenscheinsammler und die Senatsbürokratie gerichtet hätte. Dies müssen wir ändern, es müssen Reihenuntersuchungen öffentlich propagiert und durchgeführt werden, die das ganze Ausmaß der katastrophalen Ver­sorgung der Werktätigen zeigen. Besondere Schweinereien von .freipraktizierenden Ärzten müssen öffentlich angeprangert werden. Wir werden die Öffnungszeiten auf Tage erweitern, an denen die freipraktizierenden Ärzte ebenfalls offen haben, um den Angriff auf das Monopol der freipraktizierenden Ärzte direkter zu führen als bisher, wo wir mit Öffnungszeiten mittwochs und am Wochenende eher Lückenbüßer waren.

2. In der Volksambulanz arbeiten eine große Zahl Werktätige und Ärzte, die bisher sich noch nicht am Kampf beteiligt haben, die unserer Partei noch relativ fern stehen. Diese Kollegen beteiligen sich an der Arbeit der Ambulanz zum Teil noch mit Vor­stellungen, die mit unserem politischen Ziel, daß wir mit der Ambulanz verfolgen, nicht übereinstimmen. Sie wollen zum Teil nur helfen, müssen an dem politischen Kampf gegen den SPD-Senat erst herangeführt und von einer Notwendigkeit erst überzeugt werden. Hier zeigt sich, daß die Anwendung des Prinzips „Dem Volke dienen" unsere revolutionäre Bündnispolitik voranbringen kann, aber nur unter der Bedingung der Arbeit eines guten kommunistischen Kerns, der diese Kollegen, die z. T. noch mit re­formistischen Illusionen die Arbeit beginnen, an unsere Partei und an die Arbeiter­klasse heranführt. Auch hier haben wir Fehler gemacht, die dazu führten, daß nicht regelmäßig und kontinuierlich kommunistische Ärzte und Werktätige in den Schichten der Ambulanz anwesend waren und die politische Diskussion leiten konnten, so daß die Formen des offensiven Auftretens des Kollektivs der Volksambulanz im Stadtteil erst am Anfang stehen und die Kollegen in der Volksambulanz der Besetzung Bethaniens zwar in der Mehrheit zustimmten, sich aber abwartend verhielten. An diesen Fehlern wird deutlich, daß die Gefahr des Reformismus wächst, wenn sich die Anwendung des Prinzips „Dem Volke dienen" aus dem Zusammenhang der Erkämpfung von Teilfor­derungen gegen den Staatsapparat herauslöst. Umgekehrt, einbezogen in diesen Zu­sammenhang, das zeigt die bisherige Unterstützung der Ambulanz durch die Werk­tätigen und der Wirbel, den sie beim Bezirksamt und der Ärztekammer auslöste, ist sie ein wichtiges Mittel zur politischen Mobilisierung der Werktätigen. Die Volksambu­lanz wird nur eine begrenzte Zeit, im Kampf gegen den SPD-Senat, bestehen, sie zeigt aber deutlich, daß die Arbeitter und Werktätigen unter der Führung der KPD ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen können. Die Ursachen der Krankheiten können wir in der Volksambulanz nicht beseitigen, das machen die Ärzte und Schwestern an jeder Krankheit deutlich, die Volksambulanz dient der Mobilisierung für den Kampf gegen diese Ursachen, gegen diese eine Ursache, das Krebsgeschwür Kapitalismus, und wird den Kampf für den Sozialismus voranbringen....


..... Aber für jeden Intellektuellen gibt es nur eine Entscheidung: für die Bourgeoisie als Hofnarr oder Offizier des Kapitals zu arbeiten, oder sich auf die Seite der Volksmassen zu schlagen, an der Seite der Arbeiterklasse zu kämpfen so widerspruchsvoll dieser Prozeß der Annäherung an die Arbeiterklasse auch sein mag. Das Prinzip „Dem Volke dienen" ist eine Kampflinie gegen die Bourgeoisie, die ihre schönen Worte von der Humanität der Wissenschaft täglich mit Füßen tritt, die Intellektuellen an die Kette des Kapitals legen will und gegen die Arbeiterklasse einsetzt.

Irn Kampf für Polikliniken, für eine ausreichende medizinische Versorgung haben wir gegenüber den Studenten, den Ärzten und Künstlern eine revolutionäre Bündnis­politik gemacht: in diesem Kampf gibt es keine Zwischenstellung, auch nicht für die Intelligenz. Wir haben die fortschrittlichen Studenten, Ärzte und Künstler aufgefordert, an der Seite der Arbeiterklasse für die Poliklinik ins Bethanien zu kämpfen. Fort­schrittliche Künstler haben sich gegen den Senatsplan der Einrichtung eines Künstler­zentrums ausgesprochen, Genossen der VSK haben an der Seite des Kampfkomitees die Eröffnung einer Kunstaustellung gesprengt. Fortschrittliche und kommunistische Stu­denten haben in Kreuzberg und an den Universitäten in der Massenarbeit die Kinder­poliklinik propagiert. Fortschrittliche und kommunistische Ärzte haben einen Kongress für eine ausreichende medizinische Versorgung organisiert, an dem mehrere hundert Werktätige aus Krankenhäusern in der BRD und Westberlin teilnahmen. Sie haben in den Krankenhäusern für die Unterstützung dieser Forderung gekämpft, am Urban­krankenhaus zum Beispiel ein Unterstützungsaktiv der ÖTV-Betriebsgruppe aufgebaut. Zur ersten Veranstaltung, auf der die Gründung einer Volksambulanz besprochen werden sollte, kamen über 80 Ärzte und Werktätige am Krankenhaus, über 50 ar­beiten mit, darunter eine ganze Reihe Ärzte.....

......In den gegenwärtigen Teilkämpfen schaffen wir Organisationsformen, in denen die kämpfenden Arbeiter und Werktätigen demokratisch entscheiden über die Formen und das Ziel ihres Kampfes. Diese Organisationsformen beschreiben wir in unserem Programm: „Im Klassenkampf schafft sich die Arbeiterklasse Organe, die — der Entwicklungsstufe des Kampfes entsprechend — fähig sind, die Initiative und Kraft der breiten Massen aufzunehmen und zusammenzufassen. In ihnen entwickeln sich unter den Bedingungen des Kapitalismus Elemente der proletarischen Demokratie. In den vorrevolutionären Perioden des Kampfes sind es die Kampfausschüsse, die revolu­tionäre Gewerkschaftsbewegung, die Organisationen der proletarischen Solidarität, die revolutionären Fabrikräte und andere Organe, die die Tageskämpfe innerhalb und außerhalb der Fabrik mit dem Ziel des Sozialismus führen. Diese Organisationsformen haben mit der bürgerlichen Demokratie nichts mehr gemein. Sie weisen in die Richtung einer höheren Staatsform — die Diktatur des Proletariats. Im Kampf um die politisehe Macht schafft sich das Proletariat revolutionäre Vertretungsorgane, die nach der Eroberung der politischen Macht zu staatlichen Einrichtungen der proletarischen Klas­sendiktatur entwickelt werden." (Programm, S. 40).

Wie in der Organisierung des Klassenkampfes um Teilforderungen, müssen wir jetzt schon im Kampf sozialistische Bewußtseinsformen schaffen. Dies hat nichts zu tun mit reformistischen und trotzkistischen Vorstellungen von „Gegengcwalt", „Gegen­kultur". Diese sozialistischen Bewußtseinsformen entwickeln wir in den Kämpfen ge­gen die Kapitalisten und ihren Staat. Die demokratische Organisierung der Volksmassen in den Kämpfen, der Kampf für ein Leben, das solidarisch und kollektiv organisiert wird, ist eine wesentliche Triebkraft im Kampf für den Sozialismus. Ansätze dazu zeigen sich jetzt beim Kampf für die Kinderpoliklinik in Kreuzberg, wo auf Haus­versammlungen die Unterstützung dieses Kampfes beschlossen wird, die Kollegen gemeinsame Transparente raushängen. Die organisierende Kraft der Kommunistischen Partei entfaltet die Masseninitiative und Schritte dazu, daß Kreuzberg ein kämpfendes Arbeitervolk wird. Wir werden die Millionenmassen der Arbeiter und Werktätigen nicht gewinnen, werden nicht akzeptiert werden als die Partei der Arbeiterklasse, wenn wir nicht die Volksmassen im Kampf und das Leben der Partei im Geiste der Solida­rität und Kollektivität organisieren.

Die Kommunistische Partei muß die Organisation sein, mit der sich die fortschritt­lichsten Arbeiter und die breiten Massen identifizieren können, weil sie Fleisch vom Heisch und Blut vom Blut des Volkes ist, weil sie unter ihnen kämpft und lebt. Dem Volke dienen heißt für die Kommunistische Partei: die engste Verbundenheit mit den Volksmassen — denn nur so können wir sie in den Kampf gegen die Bourgeoisie führen.

Das Prinzip „Dem Volke dienen" müssen wir als Instrument des ideologischen Kampfes einsetzen, gegen die Ideologie, daß der Kampf vergeblich und der indivi­duelle Aufstieg der Weg ins Glück sei.

„Dieser ideologische Kampf bringt die sozialistischen, die solidarischen und kollek­tiven Bewußtseinsformen hervor, er ist Bestandteil des Klassenkampfes und mit ihm unzertrennlich verbunden. Mit dem Klassenkampf unter der Führung der Kommunisten entstehen die neuen Formen der proletarischen Kunst und Kultur, der klassenmäßigen Wissenschaft, die neuen Beziehungen zwischen Mann und Frau, die Freundschaften, die im Geist des Angriffs auf die herrschende Klasse geschmiedet werden. Laßt uns von den chinesischen Genossen lernen, daß es auf keinem Gebiet des ideologischen Kampfes Koexistenz mit der Bourgeoisie geben kann! Entweder sie beherrscht das Bewußtsein der Massen oder die revolutionäre Ideologie des Marxismus-Leninismus." (Was lehrt uns die chinesische Revolution?, Verlag Rote Fahne, 1974, S. 20)

Die Genossen, die die Einrichtung einer Ambulanz als reformistisch denunzieren und ablehnen, übersehen, daß wir bei der Durchsetzung der Massenlinie unserer Partei, den Sozialismus in alle Tageskämpfe zu tragen, dies konkret tun müssen. Ohne den Kampf um Polikliniken gegen den Staatsapparat zu führen, würde eine solche Ein­richtung allerdings zum reformistischen Selbsthilfe-Laden verkommen. Unter 'der Bedingung daß der Kampf in der Hauptseite gegen den Staatsapparat geführt wird, wird die Volksambulanz ein wichtiges Mittel der Mobilisierung im Kampf, der kon­kreten Propagierung des Sozialismus, der Entfaltung der Initiative der Massen. Wenn der KBW und die KPD/ML dies als „Samaritertum" verleumden, beweisen sie nur, daß sie ein zynisches Verhältnis zu den Massen haben....

Editorische Hinweise

Der Text wurde erstveröffentlicht in: Theorie und Praxis des Marxismus-Leninismus, THeoretisches Organ der KPD, Köln, 1/1975, S.79-98. MitarbeiterInnnen dieser Ausgabe waren: Christian Semler, Karl Schlögel, Joachim Kaiser, Brigitte Schönberg, Wolfgang Kaiser, Alexander von Plato, Werner Heuler

Der Text wurde hier auszugsweise wiedergegeben.