Editorial
Für eine andere Solidarität mit Israel

von Karl Müller
12/04

trend

onlinezeitung
Von den Herausgebern erhielten wir am 20.11.04 eine Kritik an unserer redaktionellen Arbeit von den Antideutschen Susanne Rischke & Joachim Bruhn übermittelt. Sie kritisierten, dass die trend-Redaktion angeblich in ihren Artikel "Bockenheim ist überall" eingegriffen habe, weil wir uns erlaubt hatten, einen redaktionellen Hinweis in einem farbigen Kasten neben ihren Text zu stellen. Darin nannten wir die Gründe, die uns veranlasst hatten, dieses antideutsche "Dokument der Niedertracht" zu veröffentlichen.

Wer seine politischen Gegner, wie Rischke/Bruhn, nicht nach den Inhalten hin kritisiert, die ihm nicht passen, sondern nur blöd aussehen lassen will, indem sie/er schreibt:

  • "Der Unrast-Verlag produziert nicht nur einfach Bücher und lebt davon, mehr schlecht als recht, oder, schaut man auf Willi Bischoff, den Verleger, miserabel." ODER
  • "Seine freizügige Nachdichtung der antideutschen Geschichte besticht schon im Druck - heute abend jedoch besticht er mit dem Élan vital, fünfzig Mal "Diskurs" zu sagen, nein: "discours" zu flöten"   
    usw. usf ...

sollte sich nicht scheinheilig beschweren, denn wie heißt es so schön: Mancher, der im Glashaus sitzt, sollte sich lieber im Dunkeln umziehen. Mit ihrer Drohung, sie würden nun nichts mehr im trend veröffentlichen, können wir leben. Offensichtlich haben Susanne Rischke & Joachim Bruhn nicht begriffen, dass ihre Drohung unter den Veröffentlichungsbedingungen des WWW einfach ein Schmarren ist. Soweit unsere Antwort dazu.

Auch in der wertkritischen Nische wird weiter gefightet (siehe dazu auch Editorial 11-04). Doch da ist man mittlerweile schon ein Stück weiter. Nachzulesen unter: Rückrufaktion Krisis-Nummern 1 bis 27!

Mit dieser Ausgabe wird der virtuelle Reprint von Nathan Weinstocks "Israel am Ende?" eingestellt. Dazu merken die Herausgeber an:

"Mit der virtuellen Wiedergabe des I. Kapitel beenden wir das Wiederzugänglichmachen dieser vergriffenen Schrift. Sowohl das II. Kapitel "Charakter und Entwicklung des Staates Israel (1948-1970)" als auch die Einleitung der Herausgeber, die Vorbemerkung des Verfassers und die Matzpen-Dokumente bringen aus unserer Sicht keinen Erkenntnisgewinn über die Entwicklung des Staates Israel, betrachtet unter dem Gesichtspunkt von Klassen- und Klassenkämpfen."

Als trend-Redaktion haben wir das virtuelle Zugänglichmachen von Weinstocks Buch befördert, weil wir hofften, dass damit ein anderer Blick auf den Nahostkonflikt eröffnet werden kann. Einer, der nach den Klassenverhältnissen, der Ausbeutung und Unterdrückung in dieser Region fragt und diese Frage mit einer kommunistischen Perspektive verbindet.

Viele deutsche Linke haben diesen Ansatz längst aufgegeben und an seine Stelle die Behandlung der Lage in Nahost als Kulturkrieg zwischen so genannten Volksgruppen gesetzt. Auf der anderen Seite sind die Kräfte, die vorgeben, die Nahostfrage aus  herkömmlicher marxistischer Sicht zu behandeln, mit ihrer einseitig völkischen Parteinahme nicht selten zu ideologischen Erfüllungshilfen antisemitischer Kräfte mutiert.

Wenn wir in dieser Ausgabe einen kommunistischen Text "Der neue Staat des jüdischen Volkes" aus der Gründungsphase Israels von 1948 veröffentlichen, dann wollen wir damit für eine andere Solidarität mit Israel und für sein unbedingtes Existenzrecht werben. Es handelt sich dabei um eine Solidarität, die sich von Paul Merkers Überlegungen leiten lässt:

"Soweit imperialistische Mächte über das Schicksal des jüdischen Staates in Palästina entscheiden, haben sie natürlich dabei ihre eigenen Interessen im Auge. Der neue jüdische Staat wird sich infolgedessen nur dann frei entfalten können, wenn seine Bevölkerung erkennt, daß ihre nationale Zukunft von ihrer eigenen Politik und ihren eigenen Maßnahmen abhängig ist."

Die für heute aktualisierte Version müsste daher lauten:

Soweit der US-Imperialismus über das Schicksal Israels entscheidet, hat er natürlich dabei seine eigenen Interessen im Auge.

Und diese Interessen sind kein Geheimnis. Sie lauten ganz grob im Sinne von Untersuchungsthesen formuliert: Destabilisierung des Nahen Osten - auch auf Kosten Israels - und geopolitische Unterwerfung dieses Großraums für die Verwertungsinteressen des US- und Internationalen Kapitals. Dazu gehört das Aufrechterhalten der Isolierung und Gefährdung Israels flankiert durch wechselnde Kollaboration mit einzelnen arabischen Staaten und Kapitalfraktionen, einschließlich Militärhilfen und Krieg.

Infolgedessen hießen die Ziele einer zeitgenössischen linken und fortschrittlichen Solidarität mit Israel und seiner Bevölkerung:

Imperialisten raus aus Nahost. Selbstbestimmungsrecht für alle Menschen, die dort leben. Für ein unabhängiges Israel. Für ein unabhängiges Palästina.

Die Behandlung der Nahostfrage unter dem Diktum der Ethnisierung des Sozialen, wie sie dagegen vehement von den Antideutschen aller Facetten betrieben wird, hilft letztlich Israel wenig. Doch um die Unterstützung Israels geht es den Antideutschen nur vordergründig. Statt sich auf die Linken und die Friedenskräfte Israels zu beziehen, diffamieren sie diese und basteln munter an dem Bild, "Antisemitismus und Antiamerikanismus" seien im Kern identisch. So hirnrissig diese Verkürzung ist, so ist es doch diesen Kräften gelungen, durch eine irrationale Mischung aus Psychoanalyse, Kritischer und Diskurstheorie sowie binärer Logik eine ansprechende Plausibilität für jene Gleichung zu verbreiten und viele Linke, die mit der Bevölkerung Israels solidarisch sein wollen und für das unabdingbare Existenzrecht Israels eintreten, für ihre politischen Interessen einzuspannen.

Bei dem antideutschen Gebräu aus Ahnen und Behaupten geht es eben nur bedingt um Israel und seine antisemitischen Feinde, statt dessen aber um:

1) Die argumentative Beseitigung des Proletariats, um die Wahrnehmungsebene für gesellschaftliche Strukturen und Konflikte hin zum bürgerlichen Individuum zu verschieben, das sich nun kulturalistisch in den Metropolen für die Creme der menschlichen Zivilisation halten darf. Aufsetzend darauf kann die Geschichte der kommunistischen und ArbeiterInnenbewegung retrospektiv umgeschrieben werden, um dadurch den Begriff des "Linken Antisemitismus" in die Welt zu setzen, der seinerseits  dazu dient, linke Politik, die sich antinational auf die ArbeiterInnenklasse bezieht, jetzt und zukünftig zu delegitimieren. 

2)  Schützenhilfe für den Imperialismus. Auf der unmittelbar praktisch politischen Ebene wird die USA durch dieses ideologische Gebräu gegen jegliche Kritik an ihrer imperialistischen Außenpolitik immunisiert. Gleichzeitig wird dadurch ganz grundsätzlich jede Kritik am Imperialismus verunglimpft. Dies führt dazu, dass jene Linke nach ihrer Abschiednahme vom Marxismus, analytisch erblindet, nicht in der Lage ist, internationale Veränderungen und Kräfteverschiebungen zwischen den imperialistischen Zentren (Stichwort: Achse Paris-Berlin-Moskau-Peking) auf Kapitalverwertungszusammenhänge und Klassenkämpfe zurückzuführen. Statt dessen beginnt sie, sich für den Kampf der Kulturen zu erwärmen.

Dass antideutsche Denke auch aus einer anderen Perspektive kritisiert werden kann, zeigt der Artikel von Peter Kratz "Bahamas? Nächste Ausfahrt rechts!".

Obwohl der Bericht aus den Niederlanden "Hollands Marxistische Partei war eine Erfindung des Geheimdienstes" scheinbar wenig mit der Rolle der Antideutschen bei der Zersetzung linksradikaler und antifaschistischer Zusammenhänge zu tun hat, weckt er Assoziationen, denen wir ausdrücklich entgegen treten, solange nichts bewiesen ist.